Der kurioseste Buchtitel 2010

Zeitgleich mit den Nominierungen für den Deutschen Buchpreis erscheinen auch immer die Nominierungen für den kuriosesten Buchtitel des Jahres. Dieses Jahr sind das:

Die Frau, die allein ein ganzer Tisch war – Tor Åge Bringsværd (Volker Oppman), Onkel & Onkel

Männerpolitur. So möbeln Sie Ihren Partner auf – Sandra Winkler, Ullstein Tb

Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern – Annette Pehnt, Piper

An dem Tag, als ich meine Friseuse küsste, sind viele Vögel gestorben – Josef Kleindienst, Sonderzahl

Zehn Tipps, das Morden zu beenden und den Abwasch zu beginnen – Hallgrímur Helgason (Kristof Magnusson), Tropen

Geld macht reich. Von Tasche leer zum Millionär – J. R. Ackermann, CARLSEN

Sächsisches Recht zum Schutz der Bevölkerung vor gefährlichen Hunden: Gesetz, Durchführungsverordnung und Verwaltungsvorschrift – Hrsg.: SV Saxonia Verlag

Männer sind anders. Autos auch. Meine Erlebnisse als Gelber Engel – Susa Bobke, Knaur TB

Nichtamtlicher Leitfaden zur Bewältigung von Projekten und zur Abweisung diesbezüglicher Irrtümer Oder: Regeln für Hans-Peter – Frank Buddrus, Wiley

Steckerstöpsel – Uschi Lange, Books on Demand

Georgs Sorgen um die Vergangenheit oder im Reich des heiligen Hodensack-Bimbams von Prag – Jan Faktor, Kiepenheuer & Witsch

Ist das Leben eine Abfolge einzelner Punkte? Oder gibt es eine geheimnisvolle gerade Linie, die meinen Vater mit der Musik, dem Kung-Fu, dem Zug der guten Laune, dem Regen, der sich ankündigt, und allen anderen Dingen im Universum verbindet? – Martín Blasco (Katharina Diestelmeier), CARLSEN

Texas als Texttitel. Ein Rabiatkomödienroman – Max Höfler, Ritter

Nach der Erleuchtung Wäsche waschen und Kartoffeln schälen. Wie spirituelle Erfahrung das Leben verändert – Jack Kornfield (Ilse Fath-Engelhardt), Goldmann Arkana

Pornografie und Selbstmord – Nicolas Mahler, REPRODUKT

Keiner verliert ungern. Neue Sprüche und Weisheiten der Fußballstars – Arnd Zeigler, humboldt

Gesund essen und dick sterben. Aufklärung eines scheinbaren Paradoxes – Leoluca Criscione, Marion Dürr-Gross, Verlag Vitasanas

Der Tod auf der Schippe, Oder was Archäologen sonst so finden – Angelika Franz, Theiss

Winterkartoffelknödel. Ein Provinzkrimi – Rita Falk, dtv Premium

Die Go-Go-Girls der Apokalypse – Victor Gischler (Andreas Brandhorst), Piper

Wie kurios die nun alle sind, darüber ließe sich trefflich streiten. Doppelt nominiert, nämlich für den deutschen Buchpreis UND den kuriosesten Titel ist der heilige Hodensack-Bimbam. Und Kristof Magnusson ist einmal als Autor und einmal als Übersetzer dabei. Herzlichen Glückwunsch!
Mein persönlicher Lieblingstitel ist ja „Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen, das muss gar nicht lange dauern.“ Aber ich finde Anette Pehnt sowieso super. Vollkommen schleierhaft ist mir allerdings, warum bei Buchtiteln so gerne die Satzzeichen weggelassen werden, das ist doch grau-en-haft. Übrigens kann man abstimmen, welche Titel auf die Shortlist sollen, und zwar hier.

Internationaler Literaturpreis des Hauses der Kulturen der Welt und der Stiftung Elementarteilchen

Die Literaturen der Welt stehen im Fokus des Preises für internationale Erzählliteratur in deutscher Erstübersetzung, der im 2009 durch das Haus der Kulturen der Welt und die Stiftung Elementarteilchen erstmals verliehen wurde.

Nominiert sind sieben Autoren und ihre Übersetzer:

Édouard Glissant: „Das magnetische Land“ Roman, Verlag Das Wunderhorn, 2010. Aus dem Französischen übersetzt von Beate Thill

Yasmina Khadra: „Die Schuld des Tages an die Nacht“ Roman, Ullstein Verlag, 2010. Aus dem Französischen von Regina Keil-Sagawe

Shahriar Mandanipur: „Eine iranische Liebesgeschichte zensieren“ Roman, Unionsverlag, 2010. Aus dem Englischen von Ursula Ballin

Dinaw Mengestu: „Die Melodie der Luft“ Roman, Ullstein Verlag, 2010. Aus dem amerikanischen Englisch von Volker Oldenburg

Daniyal Mueenuddin: „Andere Räume, andere Träume“ Erzählungen, Suhrkamp/Insel, 2010. Aus dem amerikanischen Englisch von Brigitte Heinrich

Marie N’Diaye : „Drei starke Frauen“ Roman, Suhrkamp, 2010. Aus dem Französischen von Claudia Kalscheuer

Yiyun Li: „Die Sterblichen“ Roman, Carl Hanser Verlag, 2009. Aus dem amerikanischen Englisch von Anette Grube

Herzlichen Glückwunsch allen Nominierten! Mehr zu den Büchern, den Autoren und Übersetzern gibt es hier.

Interview mit mir selbst zu Jonathan Safran Foers „Tiere essen“

Die Medien überschlagen sich mit Berichten über Jonathan Safran Foers Tiere essen. Worum es geht, dürfte bekannt sein: Was ist eigentlich Fleisch, woher kommt es? Wie haben die Tiere gelebt, wie sind sie gestorben? Welche Auswirkungen hat die moderne Massentierhaltung auf die Umwelt und den Einzelnen?
Ich habe all den Rezensionen (hier die gesammelten Links) nicht viel hinzuzufügen, was den Inhalt des Buches angeht – aber man stellt mir als Übersetzerin natürlich immer wieder dieselben Fragen. Da dachte ich, ich kann sie mir auch gleich selbst stellen.

Umfeld: Hey, Du bist ja plötzlich berühmt.

IB: Ja! Also, nein, natürlich nicht. Aber schon irre, was für Wellen dieses Buch schlägt. Ich sitze fasziniert vor dem Computer und beobachte den Medienwirbel. Im Moment steht es auf der Spiegel-Bestsellerliste Sachbuch auf Platz drei.

U: Ist es denn wirklich so toll?

IB: Ja, ist es. Weil es so sachlich und unaufgeregt ist, kein Pamphlet mit erhobenem Zeigefinger, nicht religiös, sondern gründlich recherchiert und aufklärend. Und außerdem hervorragend geschrieben. (Und natürlich super übersetzt.) Liest sich sehr gut.

U: Aber da steht doch sicher nichts Neues drin, das weiß man doch alles schon, oder?

IB: Vieles hätte man sicher wissen können, wenn man es hätte wissen wollen. Aber aufgedrängt werden uns diese Informationen ja normalerweise nicht gerade, es ist sehr einfach, die Augen zuzumachen. Ich zum Beispiel habe immer gern und viel Fleisch gegessen und es hemmungslos bei Penny und Aldi gekauft. Ich wusste natürlich so ein Diffuses „ist nicht alles schön“, aber von den Details hatte ich keine Ahnung. Ich bin vierzig Jahre lang prima mit der Einstellung „will ich gar nicht wissen“ zurechtgekommen. Foer sagt das auch: wir wissen vieles nicht. Aber wenn jemand ankündigt, uns einen Film darüber zu zeigen, woher unser Fleisch kommt, dann wissen wir, dass es ein Horrorfilm sein wird. Ich habe den Film jetzt gesehen, im übertragenen Sinne, und hatte im Detail nicht damit gerechnet, wie schlimm es ist, und wie kalt es mich erwischen würde. Da war ich sicher naiv. Aber ich dürfte nicht die einzige sein. In sofern: mag sein, dass man vieles hätte wissen können. Aber so geballt und so übersichtlich dargeboten sicher nicht.
Mein Freund Stevan Paul zum Beispiel beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit dem Thema Essen. Er schreibt: „Ich bin nicht zart besaitet, und ich gehöre nicht zu den Menschen, die emotionale Bindungen zu Tieren eingehen. Ich bin gelernter Koch, ich habe Tiere getötet und Tiere zerlegt, ich habe noch Anfang dieses Jahres an einer Schweineschlachtung teilgenommen, ich dachte, mich haut nichts um. Ich dachte auch, ich wäre ein informierter Kulinariker und bewusster Genießer. Das war doch sehr naiv, ich kannte leider nur Teile des Puzzles. Ausmaß, Härte und Dimension des Ganzen haben mich ehrlich überrascht.“

U: Aber werden in dem Buch nicht vor allem amerikanische Verhältnisse beschrieben? In der EU ist doch bestimmt vieles strenger geregelt.

IB: Ja, und das hat man beim Lesen natürlich auch immer im Kopf. So als Hintertürchen – Gott sei Dank, ist ja nur in den USA so schlimm, hier ist das ja alles anders. Aber dann findet man plötzlich am Ende, hinter Foers eigenem Anhang, einen vom deutschen Vegetarierbund zusammengestellten weiteren Anhang über die Verhältnisse in Deutschland. Und findet dort Sätze wie: „Bis 2011 ist beim staatlichen Biosiegel die Kastration ohne Betäubung erlaubt“, und die hübsche, kleine Hintertür schlägt mit einem lauten Knall zu. Dass hier das ein oder andere ein kleines bisschen strenger geregelt ist, ändert nichts am großen Ganzen.

U: Ihr habt das ja zu dritt übersetzt, mit Brigitte Jakobeit und Ingo Herzke. Wie geht das denn? Muss ein Buch nicht aus einem Guss sein?

IB: Normalerweise ja. Bei Belletristik noch mehr. Aber „Tiere essen“ ist eine Art Collage. Da gibt es erzählende Teile, eine Wörterliste mit Definitionen, Monologe, in denen andere zu Wort kommen – Tierschützer, Fleischfabrikanten, Biofarmer usw. – dann gibt es eher philosophische Teile, dann wieder journalistische, reportageartige … All diese Teile haben sowieso einen etwas unterschiedlichen Sound, da konnte man das ganz gut aufteilen.
Wir haben dann viel gemailt, Vokabellisten hin- und hergeschickt, uns zwischendurch auch getroffen und uns abgesprochen. Wir kannten uns und vertrauen einander, und ich hatte nie ein schlechtes Gefühl dabei. Die Lektorin hatte dann natürlich auch noch mal die Aufgabe, alles zu vereinheitlichen.

U: Ich hab Angst. Wenn ich das lese, mag ich dann hinterher keine Currywurst mehr? Bist Du Vegetarierin geworden?

IB: Die Angst hatte ich auch, und ich mag tatsächlich keine Currywurst mehr. Und darüber bin ich froh. Ich verkneife sie mir ja nicht, sondern ich möchte sie gar nicht mehr. Ich möchte mir das nicht antun, und ich möchte nicht mehr an diesem System teilnehmen. Ich bin nicht Vegetarierin geworden, aber ich esse nur noch ganz wenig Fleisch, und dann tatsächlich nur noch Bio. Anfangs fand ich es etwas schwierig, ohne Fleisch zu kochen. Da stand ich mit Kohlrabi und Kartoffeln in der Küche und dachte: da fehlt doch was. Aber das hat man ganz schnell aus, beim Kochen fehlt es mir längst nicht mehr, und es fällt mir auch überhaupt nicht schwer, kein Fleisch zu kaufen. Schwieriger ist es, wenn welches da ist – mein Mann kauft manchmal Aufschnitt (Bioladen!), dann esse ich auch schon mal eine Scheibe Schinken auf dem Brot. Ansonsten haben wir, seit ich dieses Buch übersetzt habe, tatsächlich ein Gemüseabo, das ich heiß und innig liebe. Da lerne ich auf meine alten Tage glatt noch das Kochen, wir haben schon so tolle Sachen ausprobiert! Dass das Buch diese Auswirkung haben würde, damit hatte ich nicht gerechnet. Es ist von all meinen Übersetzungen dasjenige, das tatsächlich einen Einfluss auf mein Leben hatte.

U: Meinst Du, ich soll es lesen? Also, echtjetzma?

IB: Unbedingt. Echtjetzma. KiWi startet übrigens nächste Woche eine Lesecommunity und verlost zur Feier des Tages 50 Exemplare. Hier geht’s zum Gewinnspiel.

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