Neuerscheinung: Mädchen in Weiß

Klappentext: „Sie sind böse, rollen mit den Augen, trinken gern ein Glas zu viel, legen sich ins Bett und tun so, als ob sie schlafen. Isabella, Lauren und Mary gehen Wochenende für Wochenende auf Hochzeiten – Mädchen in Weiß, Krabbencocktails, verunglückte Reden, zu große Tortenstücke, zu kleine Canapés und pinke Servietten inklusive. Alle um sie herum scheinen plötzlich zu heiraten, nur die drei wissen nicht, ob sie sich für ein Leben mit Mann, Baby, Golden Retriever und Picknickkorb entscheiden sollen. Ein paar kleinere Fragen wollen vorher beantwortet werden: Isabella überlegt, ob sie sich wirklich dazu berufen fühlt, ihrem Boss jeden Morgen einen Muffin zu holen. Lauren kämpft dagegen an, sich auf einen Barmann einzulassen, der nicht mal ihren Namen buchstabieren kann. Und Mary lernt einen Typen kennen, der seine Mutter so sehr liebt, dass da wenig Platz für eine Beziehung ist. Jennifer Closes hinreißendes Debüt erzählt von den Ups und Downs, dem Herzschmerz und dem Hangover dreier junger, kluger, komischer Frauen und unendlich vielen Hochzeitsfesten, die sie gemeinsam überstehen. Ein komisches, tolles, gescheites Buch über Anfänge und Freundschaften, die alles überdauern.“

Tatsächlich geht es ein bisschen weniger ums Heiraten als Klappentext und Cover vermuten lassen. Ich mag das Cover aber sehr, ebenso wie das Buch: es geht um eine Gruppe von Frauen zwischen 20 und 30 Jahren, die ihren Platz im Leben suchen. Sie heiraten oder auch nicht, finden einen Beruf oder auch nicht, sind damit glücklich oder auch nicht. Heiraten ist nur eins der Themen, und vielleicht sind die Blumen ein bisschen welk, und vielleicht sieht man das Gesicht dahinter gar nicht, und vielleicht ist auch das Kleidchen ein bisschen kurz. Und so ist nämlich das ganze Buch: lakonisch, witzig, sparsam ausgestattet. Inhaltlich jetzt, da gibt es keinen überflüssigen Firlefanz, sondern es wird sehr reduziert und lapidar erzählt, manchmal geradezu schnoddrig. Man kann es ebensogut als Sammlung von Kurzgeschichten lesen wie als Roman; jedes Kapitel funktioniert einzeln wunderbar, aber alle sind so miteinander verwoben, dass sich doch ein Gesamtbild dieser Gruppe von Freundinnen ergibt.
In der haptischen Ausstattung hingegen ist es durchaus nicht sparsam, sondern ist gebunden, mit Schutzumschlag, und hat ein Lesebändchen *hach*. In leuchtendem Pink.
Ganz großer Spaß und ein wirklich schönes Buch, ich habe das sehr gerne übersetzt.

[Ich habe ja immer verkündet, wenn ich mal ein Buch schröbe, dann nur unter der Bedingung, dass es ein Lesebändchen bekommt. Das habe ich allerdings nur so lange gesagt, wie ich fest überzeugt war, dass eh klar ist, dass ich niemals ein Buch schreiben werde. Jenun.]

„Ein Buch aus der Perspektive von Carrie Bradshaws jüngeren, smarteren Schwestern.“ (Vanity Fair)

Jennifer Close (Isabel Bogdan): Mädchen in Weiß. Berlin-Verlag, 336 Seiten, 19,90 €
E-Book 18,99 €

Sandrine Estrade Boulet (Claudia Steinitz): Hello City! Urbane Poesie

Vor kurzem ging auf Facebook dieses Bildchen herum, das auch auf dem Buchcover ist. Ich mochte es spontan und habe es „geteilt“, wie es auf Facebookdeutsch heißt. Es kamen ein paar Kommentare, jemand schickte einen Link zu einer Webseite, auf der solche Streetart-Fotos gesammelt werden. Ich schrieb, das sei ein bisschen wie Gedichtelesen: einzeln total toll, aber in der Masse dann doch ein wenig erschlagend. Also, für mich.

Eine Woche später lag dieses Buch in meinem Briefkasten. Die Übersetzerin Claudia Steinitz ist nämlich erstens meine (nicht nur) Facebook-Freundin und zweitens sowieso ganz zauberhaft und schickte es mir, zusammen mit dem Rat, es feindosiert zu lesen. Denn darin sind Street Art UND Gedichte, also zweierlei, was ich besser in kleinen Dosen kosumiere. Und so liegt das Buch jetzt seit ein paar Tagen auf meinem Schreibtisch und ich blättere immer wieder darin und habe Spaß in kleinen Dosen. Vielen Dank, Claudia! Das ist wirklich super.
Versammelt ist hier nicht nur echte Street Art, sondern auch Fotos von Straßenszenen, wo hinterher das Foto bearbeitet (bemalt) wurde, die Kunst also erst einen Schritt später stattfindet. Meistens macht Sandrine Estrade Boulet einfach Quatsch, es ist ein wirklich lustiges Buch. Ich finde sowas ja sowieso total toll, diese Fantasie hätte ich auch gern. Aber wenn ich irgendwo zwei Grasbüschel wachsen sehe, würde mir spontan wahrscheinlich kein Cheerleading dazu einfallen. (Abgesehen davon, dass meine künstlerischen Fähigkeiten, ach, egal.)
Großer Spaß! Danke!

Sandrine Estrade Boulet (Claudia Steinitz): Hello City! Urbane Poesie. Cadeau, 117 Seiten. 12,99 €

Angelika Klüssendorf: Das Mädchen

Puh. Kein schönes Buch. Der erste Satz lautet: „Scheiße fliegt durch die Luft“, und das ist sozusagen programmatisch. Der Vater des namenlosen Mädchens ist entweder nicht da oder besoffen, die Mutter ist meistens da und ebenfalls besoffen. Sie ist jähzornig, asozial und kaputt und „bestraft“ das Mädchen und seinen kleinen Bruder dauernd für Nichts, sie prügelt und schikaniert – und ist dann wieder grundlos gut gelaunt. Das Mädchen ist zwölf, muss für sich und den kleinen Bruder sorgen und ist gleichzeitig natürlich noch sehr kindlich. Sie stiehlt, läuft weg, wird erwischt, schläft in Gartenlauben, schwänzt die Schule, wird aufgegriffen, und hat dann immer wieder wechselnde Bezugspersonen, die ihr ein bisschen Halt geben, ihr etwas bedeuten, die aber auch genauso plötzlich wieder verschwinden. Nichts ist von Dauer, auf nichts kann sie sich verlassen. Und irgendwann steckt das Jugendamt sie ins Heim, wo es ein bisschen besser wird, aber eben nur ein bisschen.
Es gibt nicht wirklich eine Story im Sinne eines Spannungsbogens mit einem entscheidenden Wendepunkt oder sowas, es ist eher ein Portrait, die Beschreibung einer Jugend. Immer wieder möchte man das Buch beiseitelegen, weil es so hart ist und so furchtbar – und dann gibt es diese schönen Momente, wo es beispielsweise heißt, die Freude sei in ihrem Leben so wichtig, oder wo sie einfach mal glücklich ist. Deswegen, und weil die Sprache so wunderbar lakonisch und reduziert ist, liest man dann doch immer weiter bis nachts um zwei. Sehr gutes, hartes Buch über eine beschissene Kindheit. Liest sich extrem gut, aber man ist dann auch froh, dass es nicht länger ist. Trotzdem, oder gerade deswegen: lesen!

Angelika Klüssendorf bekommt einen Regalplatz zwischen Alexander Kluge und Harriet Köhler.

Angelika Klüssendorf: Das Mädchen. Kiepenheuer und Witsch, 182 Seiten. 18,99 €
Taschenbuch: 8,99 €
E-Book: 8,99 €
Hörbuch: 19,99 €

Frank Schmeißer: Schurken am Ball!

Die streng geheimen, ultrawahren Aufzeichnungen des Fußballhelden DAS GEHIRN alias Sebastian von Nervköter und der Unglaublichen Dreieinhalb

Oh Mann! Das ist wirklich kacke. Die Klasse 6a, in die auch die Unglaublichen Dreieinhalb gehen, fährt auf Klassenfahrt, und zwar zusammen mit der 6b (b wie böse). Und ihrem fiesen Klassenlehrer Knarz. Die nette Klassenlehrerin der 6a ist schwanger und kann leider nicht mit, stattdessen wird die Klasse von Herrn Dröge begleitet, dem eigentlich alles egal ist. Also müssen sie selbst sehen, wie sie mit Knarz und der 6b (b wie böse) zurechtkommen.
Die Unglaublichen Dreieinhalb sind ein Superheldenteam. Das weiß aber natürlich niemand. Das Team besteht aus Sebastian Traugott von Nervköter, genannt „Das Gehirn“, Barbara Schwemme, genannt „Action-Bärbel“, weil sie keine Sekunde stillhalten kann, und Martin Koslowski, genannt „Das Chamäleon“, weil er so unauffällig ist, dass er fast schon unsichtbar ist. Richtig unsichtbar ist Dieter, „Der Hosenscheißer“, Martins imaginärer Freund. Deswegen zählt er auch nur halb und hat bei Team-Abstimmungen nur eine halbe Stimme.
Die Klassenfahrt wird gemeinsam unternommen, damit die verfeindeten Klassen 6a und 6b (b wie böse) sich endlich versöhnen. Total bescheuerte Idee natürlich, ich will hier keine Namen nennen, wer sich das ausgedacht hat! Und das Schlimmste ist: am Ende der Klassenfahrt soll es ein Fußballspiel geben. Typisch, dass die aus der 6b (b wie böse) da mit ganz hinterhältigen Methoden arbeiten. Da ist ein echter Superheldenplan gefragt, sonst machen die Fischfutter aus der 6a!

Ehrlich, ich mag das total gerne. Gefällt mir fast noch besser als der erste Band, weil es ein bisschen weniger dick aufgetragen ist. Nun bin ich altersmäßig nicht gerade die Zielgruppe, ich kann mir vorstellen, dass Kinder auch das noch dicker Aufgetragene lustig finden. Ich habe jedenfalls mehrfach laut gelacht, das ist alles ein großer Spaß und vor allem so erfrischend unpädagogisch. Außerdem sind die Illustrationen von Jörg Mühle total toll. Und Frank hat das schönste Autorenfoto aller Zeiten.


Foto: Thekla Ehling

Frank Schmeißer: Schurken am Ball! Ravensburger, 217 Seiten. 12,99 €
E-Book 9,99

Michael Ondaatje (Melanie Walz): Katzentisch

Im Alter von elf Jahren reist Michael mit einem Schiff, der Oronsay, aus seiner Heimat Ceylon nach England, wo seine Mutter bereits seit ein paar Jahren lebt und ihn erwartet. Außer ihm sind noch zwei weitere alleinreisende Jungen seine Alters auf dem Schiff, Cassius und Ramadhin. Die drei sitzen, zusammen mit ein paar anderen Außenseitern, beim Essen am Katzentisch, weit entfernt vom Kapitänstisch und den Leuten aus der ersten Klasse, und erkunden das Schiff und ihre Mit-Passagiere.

    „Jedenfalls wollte es uns vorkommen, als könnte fast jeder an unserem Tisch – von dem schweigsamen Schneider Mr. Gunesekara, der in Kandy einen Laden besaß, bis zu dem unterhaltsamen Mr. Mazappa und bis zu Miss Lasqueti – einen spannenden Grund für seine Reise haben, selbst wenn er unausgesprochen oder bislang unentdeckt war. Dennoch blieb das Sozialprestige unseres Tischs auf der Oronsay weiterhin äußerst dürftig, während die Gäste am Tisch des Kapitäns ununterbrochen auf ihre Wichtigkeit anstießen. Das war eine kleine Lektion, die ich auf dieser Reise lernte. Was interessant und wichtig ist, ereignet sich in der Regel im Verborgenen, an machtfernen Orten. Nichts von bleibendem Wert ereignet sich je am Tisch der Mächtigen, wo altvertraute Phrasen Kontinuität garantieren. Diejenigen, die Macht besitzen, bleiben in der vertrauten Fahrrinne, die sie sich ausgebaggert haben.“ (S. 83)

Die drei Jungen haben noch keine vertrauten Fahrrinnen. Sie machen in den drei Wochen oder wielange die Reise dauert, das Schiff unsicher, untersuchen jeden Winkel, rauchen einen Rattanstuhl, spionieren Mitreisenden hinterher und entdecken auch Dinge, die sie nicht entdecken sollten. Den Mörder zum Beispiel, der irgendwo unten im Schiffsbauch in Ketten liegt und nur nachts mal für eine Runde an Decke geführt wird. Und so nach und nach entblättert sich dem Leser, wie prägend diese Reise für den kleinen Jungen und seinen weiteren Weg wird. Denn plötzlich erzählt der erwachsene Mann, Jahrzehnte später. Als Leser fragt man sich dann, ob das vielleicht alles autobiografisch ist (es ist, teilweise), und was ich besonders mag: dass am Ende nicht alles geklärt ist, nicht alle Stränge zusammengeführt, es gibt ein paar lose Enden. Wie im Leben.

Sehr schöner Roman, der langsam und unspektatkulär anfängt, wie die Schiffsreise, dann aber doch in immer stürmischere Gewässer kommt, um hier noch eine plumpe Seefahrtsmetapher loszuwerden. Die gibt’s im Buch zum Glück überhaupt nicht.

Michael Ondaatje (Melanie Walz): Katzentisch. Hanser, 19,90 €
E-Book 15,90 €

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