Das Turbanmädchen

Dieser Artikel ist diesen Monat in der Zeitschrift Sense of home zu lesen.
 
Natürlich war mal wieder das Internet schuld. Die Malerin Melanie Tilkov schickte mir eine Freundschaftsanfrage auf Facebook. Ich glaube, sie hat sich uns für Was machen die da angeboten, aber wir konnten nicht kurz mal eben ins Rheinland fahren, um sie zu interviewen. Ich klickte mich aber durch ihre Bilder und sah, was sie malt: Frauenfiguren vor allem. Und Mädchen. Einige mit Turban auf dem Kopf. Oder eher: Immer wieder dasselbe Mädchen mit Turban. In klaren Farben, viel blau und weiß, meist ein roter Turban. Ich war sofort schockverliebt, vor allem in ein bestimmtes Turbanmädchen.
Wochen- und monatelang klickte ich immer wieder das eine Bild an. Es kamen auch dauernd neue dazu, Melanie Tilkov ist unglaublich produktiv. Ich verstehe nichts von Kunst, aber diese Turbanmädchen erwischten mich immer wieder – ich machte Facebook auf, sah ein neues Turbanmädchen und dachte: wow. Das ist ein Mädchen, das etwas mit sich herumträgt. Das etwas weiß. Das etwas zu sagen hat, es aber nicht tut, weil es ein irgendwie zurückhaltendes, melancholisches Kind ist. Man lernt es nach und nach ein bisschen kennen, gleichzeitig bleibt es geheimnisvoll. Das Mädchen auf den Bildern wurde älter. Wurde eine junge Frau. Zwischendurch nahm es auch mal den Turban ab. Ich entdeckte immer wieder neue Bilder, und außerdem kam ich immer wieder auf das erste Lieblingsbild zurück und betrachtete es. Diese Farben. Diese Melancholie.
Irgendwann fasste ich mir ein Herz und fragte Melanie Tilkov nach dem Preis. Und dachte: Ja, kein Wunder, ist ja auch Kunst, die soll ja auch was kosten, das ist schon richtig. Aber halt viel Geld für mich. Ich habe noch nie ernsthaft Geld für Kunst ausgegeben.

Kurz vor Ostern 2015 hatte Melanie Tilkov eine Ausstellung in der Nähe meiner Schwiegereltern. Wir fuhren bei der Galerie vorbei, und ich sah mein Lieblings-Turbanmädchen im Original. Und ein paar andere.
Ich war erwartungsgemäß hingerissen, von den Farben ebenso wie vom Ausdruck, genau so hatte ich es mir vorgestellt. So ganz sicher kann man ja nie sein, wenn man es nur auf dem Bildschirm gesehen hat. Der Turban des Lieblingsmädchens leuchtet in einem satten Rot, das mit dem kühlen Hellblau des Hintergrunds kontrastiert. Das Mädchen sieht nach unten, hat aber gar nichts Trauriges oder Geknicktes, sondern eher eine große Ernsthaftigkeit. Und es trägt seinen Turban mit ganz viel Stolz und Anmut. Ich seufzte, und wir fuhren nach Hause.
Am nächsten Tag schickte ich dem Galeristen eine Mail, in der nicht viel mehr stand als: „Ja, ich will.“ Und noch einen Tag später, am Karfreitag, fuhren wir die anderthalb Stunden wieder hin und holten unser Turbanmädchen ab. Seitdem hängt es über dem Sofa, es hängt dort perfekt, und ich freue mich jeden Tag darüber. Dem Geld habe ich keine Sekunde hinterhergeweint. Ich mag die Vorstellung, dass über anderen Sofas in anderen Wohnzimmern andere Turbanmädchen hängen. Beziehungsweise dasselbe Mädchen auf anderen Bildern, die unmerklich miteinander kommunizieren.

Manchmal fragen mich Leute, ob das Mädchen einen Namen hat. Ich finde die Idee vollkommen abwegig, ihr einen Namen zu geben, sie ist das Turbanmädchen. Ich weiß nicht, wer sie ist. Sie ist großartig.

7 Kommentare

  1. Vinni rabensturmig Sonntag, 20. Januar 2019 um 10:38 Uhr [Link]

    Herzerwärmend geschrieben ?

  2. Kiri Johansson Sonntag, 20. Januar 2019 um 10:53 Uhr [Link]

    Diese Faszination kann ich gut verstehen. Erstmal ist dieses Turbanmädchen wirklich absolut entzückend und zweitens finde ich es nicht verkehrt, wenn Menschen, die Kunst machen auch Kunst kaufen. Ich versuche jedes Jahr, irgendetwas zu erwerben, das mich auf ähnliche Weise berührt. Manchmal geht es nicht, weil es nicht zu finanzieren ist, aber meistens findet man doch etwas kleines „goldiges“ von persönlichem Wert. Das wird niemals eine relevante Kunstsammlung, es ist auch viel Kunsthandwerk dabei, aber es bereitet mir große Freude.
    Und nun werde ich mir die anderen Turbanmädchen genauer ansehen …

  3. Meike Rensch-Bergner Sonntag, 20. Januar 2019 um 11:05 Uhr [Link]

    Wunderbar und wunderschön.

  4. Ingrid Sonntag, 20. Januar 2019 um 13:29 Uhr [Link]

    Von allem, was mir an der Geschichte gefällt, das Wie und Weshalb und wie es in deine Welt fiel und du es siehst oder vielmehr sie, gefällt mir besonders der Gedanke, dass die Turbanmädchen miteinander kommunizieren. Das tun sie, ganz bestimmt.

  5. TomInMuc Sonntag, 20. Januar 2019 um 15:40 Uhr [Link]

    ?

  6. Katharina Robke Sonntag, 20. Januar 2019 um 16:51 Uhr [Link]

    Schockverliebt. Das war ich auch! Ich habe es immer wieder auf fb geteilt:“ Schaut her!!!!“. Manchmal, einfach so, hatte ich meine ‚Mädchen- mit -Turbaphase‘ und musste sie mir wieder ansehen. Diese Phasen hab‘ ich auch immer noch. Erst kürzlich überlegte ich, wie man so ein Bild von dort nach hier transportieren könne. Es dürfe nicht kaputt gehen. Sie ist wertvoll und das strahlt sie aus!
    Eine Wand hätte ich für sie. Den perfekten Platz.

    Der bleibt .

  7. LiFe Mittwoch, 23. Januar 2019 um 11:02 Uhr [Link]

    Für Kinder war nach der Haarwäsche, die furchtbar waren das Wickeln eines Turbans mit Handtüchern der Highlight! So erkläre ich mir die Idee zur Entstehung des Bildes.

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