Neuerscheinung! Jane Gardam: Ein untadeliger Mann

Gardam_24924_mit_BS_MR1.inddFrisch erschienen: „Ein untadeliger Mann“ von Jane Gardam. So ein tolles Buch! Das bekommt in der Liste meiner Übersetzungen einen der obersten Lieblingsplätze. Vielleicht den obersten. Das Leseexemplar ist schon seit einigen Wochen da, die Buchhändler lieben es, die ersten Kritiker auch, und zwar vollkommen zu Recht. Ich sitze gerade an der Übersetzung des zweiten Bandes, der wird im Frühjahr erscheinen, und der dritte dann nächstes Jahr im Herbst.
Daniel Schreiber hat für das Leseexemplar ein Vorwort geschrieben, und weil er das viel besser kann als ich, soll er nun hier das Anpreisen übernehmen. Glaubt ihm ruhig, er ist ein kluger Mann. Lest Jane Gardam!
 
 

Lesen Sie Jane Gardam!
Von Daniel Schreiber

Nur wenige Schriftsteller werden von ihren Lesern so leidenschaftlich verehrt wie die Britin Jane Gardam. Ihrer Mischung aus Leichtigkeit und Tiefgang wegen stellt die englischsprachige Literaturkritik sie regelmäßig in eine Reihe mit Katherine Mansfield und Alice Munro, mit Jane Austen und Charles Dickens. In den vergangenen 35 Jahren hat sie 32 Romane, Erzählungsbände und Kinderbücher geschrieben und große Literaturpreise gewonnen. Es ist geradezu verrückt, dass sie in Deutschland kaum jemand kennt. Mit der Veröffentlichung von Ein untadeliger Mann kann sie nun auch hier entdeckt werden.
Lesen Sie Jane Gardam! Ihre Bücher werden Ihnen eine Lektüreerfahrung schenken, die Sie aus Ihrer Jugend kennen und seither immer wieder gesucht haben: Sie sorgen dafür, dass man alles aus der Hand legt, seine Pläne für den Tag verwirft, seine Arbeit komplett vergisst. Sie ermöglichen eine Flucht, wie sie nur die Literatur bietet, hypnotisch und stilsicher, leichtfüßig und menschlich.
Als Jane Gardam 1928 geboren wurde, umspannte das Vereinigte Königreich noch ein Drittel des Erdballs und war das größte Imperium der Menschheitsgeschichte. »Das Empire ist das, worum sich viele meiner Bücher eigentlich drehen«, sagte die zurückgezogen lebende Schriftstellerin dem Guardian. »Als ich jung war, begann es sich aufzulösen. Das war ein völlig unglaublicher Vorgang. Vor allem für uns Kinder. Uns wurde noch beigebracht, dass wir in einem Reich leben, in dem die Sonne niemals untergeht.«
Ein untadeliger Mann ist Jane Gardams bekanntestes Buch und der Auftakt einer Trilogie, die den Niedergang des British Empire unmittelbar beschreibt. Im Zentrum steht die schwierige Liebesgeschichte zwischen dem selbstbeherrschten Anwalt Sir Edward Feathers, der mit seinen makellosen Anzügen, Einstecktüchern und Seidensocken wie aus der Zeit gefallen wirkt, und seiner gelassenen und klugen Ehefrau Betty, die Möbel entstaubt, chinesische Antiquitäten sammelt und Tulpen pflanzt, während um sie herum das Weltreich untergeht. Und dann ist da noch der schillernde Veneering, Feathers‘ Rivale – nicht nur in beruflicher Hinsicht. Gardam erzählt die Geschichte der drei Protagonisten aus der Perspektive von Sir Edward, der von seinen Kollegen einst Old Filth getauft wurde, weil er als Urheber des sardonischen Akronyms »Failed in London, Try Hong Kong« gilt.
Als wir ihn kennenlernen, lebt Filth im Ruhestand in Dorset an der Südwestküste Englands. Nach und nach setzt der Roman seine erstaunliche Lebensgeschichte zusammen: Die Geburt in der Kolonie British Malaya, die seine Mutter das Leben kostet. Der Vater, ein kriegstraumatisierter, alkoholkranker Regierungsbeamter, der seinen Sohn erst der Obhut einer Einheimischen überlässt und mit fünf Jahren einer sadistischen Pflegemutter in Wales, die den Jungen und die anderen Kinder misshandelt. Das Internat, wo er eine Ersatzfamilie findet. Seine Begegnung mit Queen Mary, der nur knapp überlebte Zweite Weltkrieg und seine Karriere als Anwalt für Baurecht in Hongkong, die ihn zu einem sehr wohlhabenden Mann macht. Ein Leben, das äußerlich so reich ist, innerlich aber oft arm bleibt.
Jane Gardam sind Männer wie Edward Feathers vertraut. David Gardam, ihr Mann, war als Rechtsanwalt viel in Singapur, Hongkong und Malaysia unterwegs und wie Old Filth ein Waise des Raj – eines jener Kinder britischer Kolonialbeamter in Indien und Südostasien, die, wie es die Tradition forderte, mit vier oder fünf Jahren »nach Hause« geschickt wurden, um eine englische Erziehung zu erhalten. In eine Heimat, die sie noch nie gesehen hatten, zu Pflegeeltern, die sie nicht kannten.
Ein untadeliger Mann umspannt fast ein ganzes Jahrhundert. Nuanciert und bildhaft porträtiert der Roman das Ende einer Ära – und das Ende der Generation, die diese Ära verkörperte. Sein besonderes Augenmerk liegt auf den Auswirkungen des Schicksals, in das Menschen durch historische und persönliche Umstände geworfen werden, und auf den Strategien, die sie entwickeln, um damit umzugehen. Strategien der Höflichkeit und Repression, Strategien einer formbewussten Haltung, mit der sich auch so unberechenbare innere Regungen wie Trauer und Begehren überdecken lassen.
Jane Gardam ist erst spät zur Literatur gestoßen. Aufgewachsen in Yorkshire im Norden Englands, hatte Gardam zwar schon als Kind Geschichten geschrieben und sie im Kamin ihres Zimmers versteckt. Ihre Eltern zeigten jedoch wenig Interesse an ihren literarischen Ambitionen. Mit 17 erhielt sie ein Stipendium für das Bedford College in London, wo sie ihren Mann kennenlernte. Sie heirateten 1954, und bis auf kleinere Redaktions- und Bibliotheksarbeiten konzentrierte sich Gardam auf die Erziehung ihrer Kinder. »Ich konnte erst schreiben, als auch mein jüngster Sohn zur Schule ging«, erzählt sie der New York Times. »Ich habe gleich am Morgen des ersten Schultags angefangen und seitdem nicht mehr aufgehört. Ohne zu schreiben, hätte ich mich gelangweilt oder wäre untreu geworden, vielleicht beides, und meine Kinder wären furchtbar überbehütet gewesen.« Zunächst schrieb Gardam Kinderbücher. Ihr erster Erzählungsband, Black Faces, White Faces, der in Jamaika spielte, erschien 1974.
Aller zeitgeschichtlichen und schweren Stoffe zum Trotz war Gardams Stil von Anfang an modern. Ihre Sprache erinnert an kühles, sanft perlendes Mineralwasser – so klar ist sie und frisch. Menschen werden geboren und sterben, Kriege beginnen und enden, exotische Krankheiten sorgen für Unglück, die Geographie ganzer Kontinente verändert sich – und doch strahlt Gardams Stil sie durchgehend aus, jene Tschechow’sche Leichtigkeit. Es gelingt ihr, den Leser glauben zu machen, dass das, was auf der Buchseite steht, wirklich so passiert ist. Jede Figur, die sie beschreibt, wird vor dem inneren Auge zu einem lebendigen Menschen.
Hinzu kommt eine erzählerische Kunstfertigkeit, die singulär ist. Auf nicht weniger als fünf Zeitebenen erzählt Gardam die Geschichte von Filth, Betty und Veneering. Sie gehen ineinander über und lösen sich für den Leser fast unmerklich ab. Wie Gardam alle diese narrativen Fäden in der Hand hält, ist ungeheuer kunstvoll – und erscheint dabei völlig anstrengungslos. Wie bei einem Origamikunstwerk passt sie Kante auf Kante und faltet Ecke auf Ecke, ohne dass ersichtlich wird, in welche Richtung sie den Leser führt. Bis am Ende ein präzises und exotisches Meisterwerk vor einem steht.
Seit 1987 lebt Jane Gardam in Sandwich, einer malerischen Kleinstadt an der Südostküste Großbritanniens, zwei Zugstunden von London entfernt. Das historische Backsteinhaus, in dem sie wohnt, ist von einem Blumengarten mit Rosenbüschen und Buchsbaumhecken gesäumt. 2010 starb ihr Mann, seitdem lebt sie allein und verbringt den Großteil ihrer Zeit mit Schreiben und Besuchen bei Kindern und Enkelkindern in Dorset, Oxford und Boston. Sie blickt auf fast neun Jahrzehnte Leben zurück. Und was sie sagt, wenn sie sich in seltenen Interviews zu ihren Büchern äußert, ist von einer großen Gelassenheit und von ebenso großer Freundlichkeit geprägt.
Vielleicht muss man das Glück haben, so alt zu werden, um dem Leben mit einer solchen Haltung begegnen zu können. Ein untadeliger Mann ist nicht zuletzt ein Roman über das Alter, über das Gefühl einer Lebensphase, in der ein Mensch mehr Vergangenheit als Zukunft besitzt. Es ist ein Roman über die letzten Szenen des letzten Aktes, nicht nur eine Meditation über das Lieben, sondern eben auch eine über das Sterben und das, was es mit uns macht. Als Betty stirbt, bricht der betagte Filth trotz aller Warnungen seiner Haushälterin und seines Gärtners zu einer Reise durch England auf, um den Spuren seiner späten Kindheit und frühen Jugend zu folgen. Er gesteht es sich erst nicht ein, doch ihn treiben nicht nur die Trauer an und das vage Gefühl, nicht mehr viel Zeit zu haben, sondern auch schreckliche Erfahrungen, die viele Jahrzehnte zurückliegen und über die er nie sprechen konnte. Und so begreift der Leser, dass Filth – zu Deutsch: Schmutz – mehr war als ein Witz, dass Eddie Feathers sich tatsächlich lange zutiefst schmutzig gefühlt haben muss.
Lesen Sie Jane Gardam! Ihr Blick auf das Leben ist gnadenlos und liebevoll zugleich. Nur wenige Schriftsteller sind imstande, die Unsicherheiten und Selbsttäuschungen, die Verwirrungen und Verblendungen der Menschen des zurückliegenden Jahrhunderts so souverän auszuleuchten wie sie. Menschen, die ein oder zwei Weltkriege miterlebten, den Zusammenbruch aller bestehenden Ordnungen, und die sich dennoch verliebten, Karrieren hatten, Familien gründeten und Gemeinschaften aufbauten. Wenn Jane Gardam eine Botschaft hat, dann die, dass das, worauf es im Leben letztlich wirklich ankommt, Freundlichkeit und Empathie sind, Gemeinschaft und innere Integrität. Das ist nicht neu. Aber auf eine so berührende Art und Weise wie in Gardams Romanen hat man diese Botschaft noch nie gelesen.

Daniel Schreiber, 1977 geboren, ist freier Autor und schreibt u.a. in der Zeit, dem Philosophie Magazin, der Weltkunst und der taz. Er lebt in Berlin. 2015 erschien sein Buch Nüchtern bei Hanser Berlin.

Jane Gardam (Isabel Bogdan): Ein untadeliger Mann. Hanser Berlin, 345 Seiten, 22,90 €.
Als E-Book 16,99 €.

Deutscher Buchpreis

Die Nominierungen für den Deutschen Buchpreis sind da! Hier ist die Longlist. Ein paar davon habe ich in Klagenfurt gehört, von ein paar anderen früher mal etwas gelesen, von den nominierten Titeln habe ich aber noch keinen einzigen gelesen. Trotzdem hier meine Prognose für die Shortlist: Trojanow, Zaimoglu, Setz, Erpenbeck, Kopetzki. Nachrücker: Lappert.

Schade, dass „Auerhaus“ von Bov Bjerg nicht draufsteht, ich hätte es ihm gegönnt. Und habe ein ganz schlechtes Gewissen, dass ich nichts drüber geschrieben habe. Dana Grigorcea fehlt auch (nicht gelesen, aber Klagenfurt).

Daniel Schreiber: Nüchtern

HB Schreiber_978-3-46-24650-8_MR.inddWow. Was für ein Buch. Ein Buch über Alkoholismus. Ich habe es gelesen, weil Daniel Schreiber ein Vorwort zu meiner demnächst erscheinenden Übersetzung geschrieben hat, und ich war so begeistert von diesem Vorwort, dass ich ihm erstens schnurstracks meine Facebookfreundschaft angetragen habe und meine Lektorin mir zweitens sagte, sie könne mir auch sein Buch schicken, das sei nämlich ebenfalls großartig.
So. Und damit habe ich mich jetzt quasi gerechtfertigt, warum ich ein Buch über Alkoholismus lese, denn ich will natürlich nicht, dass ihr denkt, ich hätte etwa ein Alkoholproblem. Ihr sollt nicht denken, dass ich zu viel trinke, und ihr sollt auch nicht denken, dass ich gar nicht trinke, denn trinken, das tut man doch, und zwar gerne, aber vernünftig und in Maßen, nicht wahr. Aber man trinkt, natürlich trinkt man, man genießt das ja, ein schönes Glas Wein zum Essen, Sekt zum Feiern, Bier zum Grillen und so weiter. Man gönnt sich was. Und wer nicht trinkt, ist entweder ein genussfeindlicher Spießer und verklemmter Spielverderber, oder, was vermutlich noch schlimmer ist: trockener Alkoholiker. Beides irgendwie verdächtig.
Das ist ein ziemliches Dilemma: dass die Gesellschaft – und jeder von sich selbst – erwartet, dass man trinkt, aber bitte nur so viel, wie es „Spaß“ macht und irgendwie vertretbar ist. Zum „Problem“ soll es bitteschön nicht werden. Nur: Je mehr man trinkt, desto mehr lernt das Gehirn das Trinken und wird krank. Dieses Paradoxon arbeitet Daniel Schreiber in seinem Buch sehr viel eloquenter heraus als ich das hier kurz nacherzählen kann. Ebenso wie die damit zusammenhängende Tatsache, dass es sich beim Alkoholismus um eine Krankheit handelt, nicht um eine blöde Angewohnheit.

Von einer Gesellschaft, die sich kollektiv den Genuss eines Rauschmittels erlaubt, würde man eigentlich erwarten, dass sie nicht auf die Menschen herabschaut, die ein Problem mit dem Konsum dieser Droge haben und davon krank werden. Vielleicht kommen wir als Gesellschaft, wie bei unserem Verständnis von Krebs und Tuberkulose, irgendwann einmal tatsächlich an diesen Punkt. Doch zurzeit ist Alkoholismus bei uns immer noch eine der Krankheiten, für die man sich schämen muss. Was tragisch ist. Denn möchte man die Chance haben, diese Krankheit zu überleben, muss man als Erstes aufhören, sich dafür zu schämen, dass man sie hat. (S. 77)

Schreiber legt die Soziologie und die Neurologie des Trinkens dar, und und das tut er anhand seiner eigenen Trinkergeschichte. Diese eigene Geschichte ist aber nie Selbstzweck, sondern ausschließlich Mittel zum Zweck – Schreiber schont sich dabei nicht, macht sich aber auch nicht unnötig nackig, er bleibt immer sachlich. Was dem Buch natürlich ausgesprochen guttut. Gleichzeitig schafft er es, über Scham zu schreiben, ohne dass man sich fremdschämen muss; auch das geht nämlich durchaus sachlich. Überhaupt ist das alles sehr, sehr klug, hervorragend recherchiert, mutig, klar und glänzend geschrieben. Wirklich beeindruckend.
Als ich fertig war mit Lesen, fragte der lustige Mann: Und? Er sagt bestimmt, wir sind auch schon Alkoholiker, hm? Nein, tut er nicht. Schreiber sagt überhaupt nicht, was man ist oder nicht ist, was man tun oder lassen soll, wieviel man trinken „darf“ oder was „normal“ ist, oder wo womöglich irgendeine Grenze verläuft. Er stellt die Folgen des Trinkens dar, die irreversiblen Auswirkungen von Alkohol auf das Gehirn, die Entwicklung, die sich daraus unvermeidlich ergibt, ebenso wie diejenige, die sich schlimmstenfalls ergeben kann. Daran koppelt er aber weder Urteile noch Ratschläge. Das ist nämlich ein sehr, sehr kluges Buch, sagte ich das? Lest es ruhig. Freundlicherweise hat es auch nur 150 Seiten, das geht prima an zwei Abenden. Und hinterher ist man garantiert klüger.

Daniel Schreiber: Nüchtern. 150 Seiten. Hanser Berlin, 16,90 €
Auch als E-Book, 12,99 €

Indiebookday

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Der Indiebookday war eine hervorragende Gelegenheit, endlich das neue Ladenbüro von mairisch und devilduckrecords zu besuchen. Immerhin stammt die ganze Idee zum Indiebookday von den mairischs, wir waren also in the very heart of indiebookday, bei About songs and books in der Schwenkestraße, wo großartige Leute großartige Bücher machen und verkaufen, andere großartige Leute großartige Platten (nehme ich an; ich kenne weder die Leute, noch die Platten, aber sie sehen auch toll aus), und wo Siebdrucke von Grace Helly an der Wand hängen, die man am liebsten alle sofort haben möchte, und wo überhaupt alles schön und cool ist. Und Saft und Kekse gab es auch, und Stevan und seine Frau waren da, und Peter Reichenbach von mairisch sowieso, und überhaupt: alles so, wie es soll. Ich bin mit drei Büchern wieder rausgekommen und sehr glücklich.

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Indiebookday geht so:
Geht am 21.03.2015 in einen Buchladen Eurer Wahl (gerne einen unabhängigen) und kauft Euch ein Buch aus einem unabhängigen/kleinen/Indie-Verlag. Was Indie-Verlage sind, wird z.B. im Blog von Wibke Ladwig erklärt.

Danach postet Ihr in Euren Blogs und in den sozialen Netzwerken (Facebook, Twitter, Google+, instagram) ein Foto des Covers, des Buches, oder von Euch selbst mit dem Buch. Hashtag #Indiebookday.

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