Der Vollständigkeit halber:
An Tag 2 hat es den ganzen Tag geregnet. Ich habe in einer auszuräumenden Bürowohnung gesessen, gearbeitet und ins Grau geguckt, während Iris hinter mir Dinge, Sachen und Zeug in Kisten packte und aus den Kisten Stapel baute, die teilweise auch wieder abtransportiert wurden. Gelegentlich kam der Hotelier vorbei und brachte uns Kaffee.
Foto: Iris Binnewies
An Tag 3 hat es nicht mehr geregnet, war aber so neblig, dass man nicht mal die Düne sehen konnte. Ich habe in der Bürowohnung gesessen, gearbeitet und ins Grau geguckt, während Iris hinter mir Dinge, Sachen und Zeug in Kisten packte und aus den Kisten Stapel baute, die teilweise auch wieder abtransportiert wurden. Gelegentlich kam der Hotelier vorbei und brachte uns Kaffee. Abends war das Konzert von Achim Reichel in der Nordseehalle, dazu später mehr.
An Tag 4, nämlich heute, fuhr das Schiff nicht wie sonst am frühen Nachmittag, sondern schon morgens um neun, weil für nachmittags Sturm vorhergesagt war. Tag 4 ist also quasi ausgefallen.
Insgesamt habe ich ein bisschen was geschafft, aber quasi gar nichts von all den üblichen Inseldingen gemacht. Nur am ersten Tag bei der Ankunft um ein Drittel der Düne gegangen und eine Runde ums Oberland, danach vor allem am Schreibtisch gehockt. Schön war’s trotzdem, logisch, aber halt kein Blogcontent.
Ich habe hier eine Figur, die Kamila Marchewska heißt. Sie ist Polin, es spielt aber in den USA. Eine Zehnjährige fragt sie, warum sie so eine große Nase hat und sagt: „Your new name is Kamila Marjewska! Get it? Get it?“
Hat jemand einen Geistesblitz? Marjudska oder Judewska oder sowas funktionieren halt nicht so wie das Englische. Aber vielleicht geht es halt nicht besser.
Diesmal bin ich geflogen, zum ersten Mal. Mit einem winzigen Flugzeug, acht Plätze plus Pilot. Der Flug dauert nur zwanzig Minuten von Büsum, Flughöhe 400-500 Meter über dem Wasser, ich fand es wunderschön. Die Maschine rappelte und ratterte, ein bisschen beängstigend war es auch, aber nicht sehr, und so schön! Herrliches Wetter, blauer Himmel, blaues Wasser und viel zu schnell tauchte vor uns schon Helgoland auf. Wir landeten supersanft, alles war toll. Zehn Minuten später kam ein noch kleineres Flugzeug, das im Landeanflug beängstigend torkelte, da war ich froh, da nicht dringesessen zu haben.
Auf der Düne laufen wir erstmal ein bisschen am Strand entlang und gucken Robbenbabys. Sagte ich schon, dass die Sonne scheint? Herrlich. Ich traue mich kaum noch, jedes Mal denselben begeisterten Kitsch zu schreiben.
Um kurz nach zehn nehmen wir die Fähre von der Düne zur Hauptinsel (die Flugzeuge landen auf der Düne); normalerweise bin ich um die Uhrzeit zwar schon aufgestanden, aber noch nicht unbedingt angezogen und einsatzfähig, heute benutze ich schon das vierte Verkehrsmittel.
Im Hotel bin ich mutterseelenallein. Keine Gäste, kein Personal, kein W-LAN, niemand. Nur ich. Der Hotelier fragt, ob ich „The Shining“ gesehen habe. Habe ich nicht, und das ist vermutlich auch gut so. Aber die Aussicht vom Balkon (Balkon!) ist der Knaller, die fotografiere ich morgen.
Nach einem versehentlich etwas zu lang geratenen Mittagsschlaf drehen wir eine Runde ums Oberland, Iris und ich, und die Insel gibt wirklich alles. Perfekter Sonnenuntergang, our lives have gone Kitschpostkarte.
Beim Abendessen erfahren wir, dass der torkelnde Flieger, als er zum Rückflug abgehoben hatte, nach gut 20 Metern Flug abgestürzt ist. „Wie ein Stein“. Pilot und die drei Passagiere sind unverletzt, aber puh.
Jetzt sitze ich im altbekannten Aparthotel, wo außer Iris auch niemand ist, aber halt W-LAN. Bin gespannt, wie es später allein im Shining-Hotel wird. Wünscht mir Glück.
Sehr geehrter Herr Willis,
geht es Ihnen gut?
Mit freundlichen Grüßen
Tilman Rammstedt
Darauf folgt ein kleiner Absatz über den ehemaligen Bankberater, der ein eigenartiger Typ ist. Und so geht es immer weiter: eine Mail an Bruce Willis, ein kleiner Absatz über den Bankberater. Die Mails an Bruce Willis werden immer länger, die Absätze über den Bankberater sind jeweils nur wenige Zeilen lang.
Bruce Willis antwortet nie. Tilman Rammstedt hakt nochmal nach, sagt, dass das keine Floskel war, sondern er wirklich wissen will, ob es Bruce Willis gutgeht, denn, so stellt sich nach einigen Mails endlich heraus: Tilman Rammstedt braucht Bruce Willis. Er steckt nämlich mit seinem neuen Roman in einer ziemlich verzwickten Situation fest (Banküberfall!), beziehungsweise sein Bankberater steckt in dieser schwierigen Situation fest, und mit solchen Situationen kennt Bruce Willis sich natürlich aus. Im Gegensatz zu Tilman Rammstedt, der überhaupt nicht weiß, wie es weitergehen soll. Wenn einer das noch zu einem guten Ende bringen kann, dann Bruce Willis. Also fragt Tilman Rammstedt Bruce Willis per Mail, ob er nicht bitte eine Rolle in seinem neuen Roman spielen könne, denn: „Es geht um das glückliche Ende einer Geschichte. Darum geht es doch immer, nur darum geht es immer.“ (S. 34)
Und auch wenn Bruce Willis nie auf diese Mails reagiert, spielt er natürlich dann doch eine Rolle im Roman, in dem es zwar ein paar kleine Ausbrüche von action gibt, Tilman Rammstedt ansonsten aber meistens damit beschäftigt ist, irgendeine Art von Reaktion aus Bruce Willis herauszukitzeln. Beziehungsweise es zu versuchen. Denn Bruce Willis reagiert nicht nur nicht auf Tilman Rammstedts Mails, sondern ist auch in der Handlung eher ein Klotz am Bein als eine Hilfe. Der Autor, anders gesagt, ist nämlich so oder so auf sich allein gestellt, bei einer Schreibkrise hilft nicht mal Bruce Willis.
Und das ist dann auch das Problem: ich mag es nicht, wenn der Autor eine Rolle im Buch spielt, ich möchte keine Bücher über Schreibkrisen lesen, auch wenn das natürlich das Thema ist, das Autoren am allermeisten beschäftigt. (Das vermute ich jedenfalls. Aber ich bin ja auch keine Autorin, sondern quasi eine einzige Schreibkrise.) Ich möchte eine Geschichte erzählt bekommen, und die Geschichte soll nicht „mir fällt gerade nichts ein“ lauten.
Andererseits: andererseits bin ich die erste, die immer sagt, dass mir die Geschichte eigentlich herzlich egal ist. Ich lese der Sprache wegen. Wenn die Sprache stimmt und schön ist oder besonders und einen Rhythmus hat und einen Ton, dann kann man mir ruhig „boy meets girl“ oder einen Banküberfall erzählen. Meinetwegen sogar mit einem glücklichen Ende. Denn darum geht es doch immer. Und natürlich schreibt Tilman Rammstedt schon wieder dauernd so wundervolle Sätze, ich möchte ihn schon wieder dauernd zitieren, und deswegen ist das ein tolles Buch – trotz Schreibkrisenthema, und trotz leichter Längen, wo es halt mit der Story nicht vorangeht, aber das ist ja nun auch das Thema, in sofern passt das schon alles sehr gut. Außerdem ist die Idee, einen Schauspieler zu bitten, eine Rolle im Roman zu übernehmen, natürlich sensationell. Also auf jeden Fall eine dicke Empfehlung, denn das ist wieder alles unglaublich komisch. Anders gesagt: wenn schon Schreibkrise, dann bitte genau so.
„Ich wollte ihn gern trösten, aber ich war mir auf einmal nicht mehr sicher, wogegen Trost genau half.“ (S. 89)
Rammstedt wohnt im Regal zwischen Edgar Rai und Leif Rand. Keine schlechte Gesellschaft.