Hurra! Lange keine Gedichte zum Mitdichten mehr im Blog gehabt. Hier kommt mal wieder was. Und ja, das ist ein höchst seriöser, literarischer Roman! Aber auch darin gibt es Jugendliche. Und die singen folgendes:
My friend Billy
Had a ten-foot …
He showed it to the boy next door
Who thought it was a snake
And hit it with a rake
And now it’s only two foot four.
Es gibt verschiedene Versionen dieses hübschen Lieds; in fast allen zeigt Billy seinen Willy einem girl next door, aber hier ist es ein Junge. Wir sind in den dreißiger Jahren. Bitteschön, tobt Euch aus.
In meiner aktuellen Übersetzung geht es mehrfach darum, dass ein älteres Ehepaar nach London fährt, to the family solicitor to make their wills, und ich übersetze den solicitor immer schön als Anwalt – vielleicht macht man sein Testament in Deutschland eher beim Notar, ich weiß es nicht, aber ein solicitor in England ist ein Anwalt. Genauer gesagt, einer, der nur vor niederen Gerichten zugelassen ist, aber das führt zu weit und ist für mich gerade nicht relevant, in der Übersetzung bleibt er „Anwalt“, ohne dieses Detail. Und bei der ich-weiß-nicht-wievielten Erwähnung dieses Anwalts, als das Ehepaar nicht mehr nur plant, dort einen Termin zu machen und dort hinzufahren und sich dort zu treffen und so weiter, steht da plötzlich folgendes:
The solicitor had muddled her diary oder had had to stay at home with sick children or her mobile phone was out of order or a mixture of the three, which had meant their trip to Bantry Street had been for nothing.
Anders gesagt: Reingefallen. Der Anwalt ist eine Anwältin. Ich muss mal kurz mein Unterbewusstsein zur Ordnung rufen, denn daran habe ich tatsächlich nicht gedacht. Bei allen cousins und servants und so überlege ich, ob es nun Männer oder Frauen sind, warte auf Hinweise, markiere mir die Stellen, aber der Anwalt war in meinem Kopf ein Anwalt. Das hängt möglicherweise damit zusammen, dass der Protagonist ebenfalls Anwalt ist, allerdings ein deutlich höherer, und seine Lebensgeschichte zurückgeht bis vor dem zweiten Weltkrieg. Da waren die Kronanwälte, die für das British Empire in Fernost arbeiteten, durch die Bank Männer. Diese Szene hier spielt aber um die Jahrtausendwende, als er schon sehr alt ist.
Dann korrigier ich diesen Anwalt jetzt mal rückwärts durch zu einer Anwältin.
(Gebt’s zu: Wer von euch hat beim ersten Lesen sofort „oder Anwältin“ gedacht?)
Es wurde mehrfach angemahnt, ich solle wieder öfter übers Übersetzen schreiben. Hier hab ich was:
After that, he would go to his father’s old Prep school and then his father’s old Public school.
Die „Prep school“ ist eine Privatschule. Sie bereitet auf den Besuch der sogenannten „Public school“ vor, was ebenfalls eine Privatschule ist. Aus beidem einfach „Privatschule“ zu machen, funktioniert in diesem Satz also nicht, das würde ja sinnlos.
Das Problem ist ein Grundsätzliches, das immer wieder auftaucht, wenn in verschiedenen Ländern Dinge unterschiedlich organisiert sind, wenn die Strukturen anders sind. Das gilt beispielsweise auch für Militär- oder Polizeiränge, man kann einen „Constable“ nicht wirklich mit „Wachtmeister“ übersetzen. Da sind wir es bei Übersetzungen aus dem Englischen inzwischen gewohnt, dass Dienstgrade auch im Deutschen Text auf Englisch stehenbleibem.
In diesem Fall hier kann ich „Prep school“ und „Public school“ aber nicht gut auf Englisch benutzen, denn bei „Public school“ denken die allermeisten Leser automatisch, es handle sich um eine öffentliche, also staatliche Schule. Aber das ist es eben nicht, es hört sich nur so an.
Ich bin jetzt auf „private Mittelschule“ und „private Oberschule“ ausgewichen. Das ist natürlich auch nicht ganz befriedigend, weil die Systeme in England und Deutschland eben unterschiedlich sind. Die „Prep school“ besucht man von ca. 8 bis 11 Jahren, das ist nicht ganz das, was bei uns die Mittelschule oder Mittelstufe ist. Aber eine bessere Lösung habe ich nicht.
Ach, herrlich, Kinder!
Es gibt ja zwei Sorten Buchmessenbesucher: die, die nur unter Protest hinfahren und nur, wenn sie unbedingt müssen, und die, dich sich das ganze Jahr über darauf freuen, die gerne hinfahren und gar nicht genug bekommen. Ich gehöre eindeutig zur letzten Kategorie.
So viele Leute getroffen oder wiedergetroffen, verabredet oder zufällig, so viele neu kennengelernt, ganz unbekannte oder Facebookfreunde endlich in Echt erlebt, und viel zu viele andere nicht getroffen. Leuten vorgestellt worden, Leute einander vorgestellt. Verblüffend viel Wein und Sekt getrunken und verblüffend wenig (nämlich gar keine) Kopfschmerzen gehabt. Jeden Abend auf einer Party gewesen, einmal deswegen, weil ich fünf Minuten vor Messeschluss am Stand eines Verlages, für den ich nie gearbeitet habe, eine Freundin traf, die dort auch nicht arbeitet, mich aber fragte, ob ich am Abend bei der Party ebendieses Verlages sein würde, woraufhin ich mich beschwerte, dass ich in 15 Jahren Buchmesse noch kein einziges Mal zu einer dieser sagenumwobenen Partys eingeladen war, woraufhin wiederum eine mir völlig unbekannte Dame dieses Verlags eine Einladung hervorzauberte und sagte dochdoch, das sei schon in Ordnung. Danke, liebe unbekannte Dame vom Dumont Verlag, das war wirklich sehr nett.
Ich verließ die respektiven Partys allabendlich gegen zwei Uhr nachts, und ab halb sieben morgens lärmten die Kinder meiner Gastgeberin vor meiner Tür herum. Machte aber nichts, ich war verblüffend unmüde, und dass ich nach all dem Wein und all den Partys so unverkatert war, lag womöglich zum einen daran, dass niemand mehr in Räumen raucht, und zum anderen daran, dass ich sowieso die ganze Zeit voll auf Endorphinen war.
Es ist nämlich so: Mein Verlag – mein Verlag! – war ja schon immer mein Lieblingsverlag als Übersetzerin. Jetzt erscheint mein eigener Roman – mein Roman! – bei KiWi, und ich bin vollends verliebt. Ich war eine ziemliche Weile am Stand, am Donnerstag Abend durfte ich mit zum komplett verkicherten Autorenessen, und einer nach dem anderen kam zu mir, stellte sich vor und sagte, er habe den Pfau schon gelesen und fände ihn toll, und alle würden sich freuen, dass ich bei ihnen gelandet sei. Hallo? Ich habe noch nicht mal den Vertrag! Das ist doch nicht normal, dass gefühlt drei Viertel des Verlags den Roman schon gelesen haben. Und auch noch alle behaupten, sie würden ihn super finden und sich freuen. Fast hätte ich ein kleines Tränchen verdrückt vor lauter Rührung, ich kann das auch alles immer noch nicht richtig glauben, ich warte vielmehr fast darauf, dass sie merken, dass das alles ein Irrtum war. Aber bis dahin: Große KiWi-Liebe.
Überhaupt große Literaturszenenliebe, so viele tolle Menschen, und die Doofen kriege ich irgendwie immer gar nicht mit, aber ich muss dort auch keine Geschäfte machen. Ich treffe meine Lektorinnen, Freunde, Kolleginnen, Bekannte, ich verabrede mich mit den Leuten, die ich sehen will, und sagte ich schon, dass ich zu viele Leute gar nicht gesehen habe? Wann denn auch? Ich war ja dauernd verabredet. Nicht mal im Übersetzerzentrum war ich so richtig, nur am Samstag, als ich mich da kurz zum Obst machen musste, es gab einen „Translation Slam“, bei dem die Kollegen Ingo Herzke, Peter Torberg und ich spontan literarische Zitate und Sprichwörter übersetzen sollten. Es war ein Experiment, ein erstes Mal, nicht geprobt. Vorbereitet und moderiert von Annette Kopetzki, wir drei Teilnehmer waren einigermaßen ahnungslos, was auf uns zukommen würde, aber es hat gut geklappt, wir hatten unfassbar viele Zuschauer, und sie sind alle bis zum Ende geblieben und wurden immer mehr. Den Buchmessensamstag habe ich ansonsten ausgelassen, den Vormittag habe ich mit meiner Gastgeberin verbracht, und nach dem Slam bin ich gleich nach Hause gefahren. Die Besuchertage auf der Messe sind dann doch kein Spaß mehr, da ist es nur noch anstrengend.
Ich quassel zu viel auf Facebook, dort hatte ich nämlich einen Tag vorher geschrieben, dass ich mir aus Versehen noch ein Kleid für die Buchmesse gekauft habe, und so wurde ich drei Tage am Stück gefragt, ob das das neue Buchmessenkleid sei. Das war es nur am Donnerstag, und zwar dieses hier. Neben mir steht Mona Lang, KiWi-Lektorin, und wir halten aktuelle KiWi-Titel hoch. An den anderen Tagen trug ich ebenfalls schöne Kleider, ich freu mich ja über solche Gelegenheiten. Katy war noch besser ausgestattet, sie hatte drei Kleider für tagsüber und drei für abends dabei. Respekt! Überhaupt gab es auf der Messe viele schöne Kleider zu sehen.
Aber verblüffend, wie viele Leute meinen Facebookquatsch lesen und sich auch noch merken, was ich geschrieben habe. Ich hingegen vergesse ja alles, das ist manchmal sehr schlimm und sehr peinlich. Zum Beispiel vergesse ich Leute. Wie sie aussehen, wie sie heißen, woher ich sie kenne. Auf der Messe behauptet jeder, das ginge ihm genauso, aber so schlimm wie ich ist natürlich niemand.
Ansonsten habe ich es mal wieder geschafft, keine Bücher wahrzunehmen und keine Veranstaltungen mitzubekommen, keine Vorträge, keine Gespräche, keine Lesungen. Ich weiß nicht, wie andere das machen, im Halbstundentakt Termine zu haben, zwischendurch womöglich noch von Halle 3 in Halle 6 zu müssen, und dann auch noch irgendwelche Lesungen zu hören, die Gastlandhalle zu besichtigen und Bücher zu entdecken. Ich bekomme auf der Messe schlagartig einen Tunnelblick und nehme die Bücher höchstens als Tapete wahr. Was ich auch nicht beherrsche: hübsche kleine Giveaways mitnehmen. Von Büchern ganz zu schweigen. Aber die würde ich eh nicht für den Rest des Tages über die Messe schleppen wollen.
Vorsätze fürs nächste Jahr:
- Vielleicht einen Tag länger? Schon Mittwoch auf die Messe? Dann könnte ich mehr Leute treffen. Und womöglich nach Büchern gucken (hahahaha!), oder wenigstens mal die Gastlandhalle gehen. Finnland soll toll gewesen sein, hört man. Ich war nur kurz im Mumins-Bus, aber der hat mich nicht vom Hocker gerissen. Ich habe mir nicht mal ein Gehirnströme-Gedicht generieren lassen.
- Endlich selbst zu Partys eingeladen werden, statt mich immer als irgendjemandes „+1“ durchzuschnorren. Mit wem muss man dafür schla
- Mehr Fotos machen, mehr instagrammen, twittern, facebooken, livebloggen oder meinetwegen mit Gänsekiel auf Bütten notieren, denn ich vergesse ja alles. Jedenfalls mehr Momente festhalten, wie etwa den, als ich am Samstag in Halle 3.1 kam, wo am Anfang die christlichen Verlage sind. Hinter mir gingen zwei Frankfurter Muttis, von denen eine nur einen Blick in die Halle warf und feststellte: „Nee, hier simmä katholisch, des brauche mä net.“
Oder den, als mir Thomas Hettche vorgestellt wurde, und ich ihm gleich mit meinem ersten Satz mitteilte, dass ich ihn ein bisschen hasse. Das hat natürlich nichts mit ihm zu tun, sondern damit, dass ich das Cover seines aktuellen Romans so wunderschön finde und deswegen schlicht neidisch bin. So hätte meiner aussehen können.
***
Wen ich, außer der bereits im Text zweimal verlinkten Katy noch getroffen habe:
Unter anderem die Herren Stefan Möller und Stefan Mesch. Und endlich Wibke Ladwig – es muss sich irgendwie um ein Versehen des Universums handeln, dass wir uns vorher noch nie getroffen hatten.
Nora Bossong habe ich auch kurz kennengelernt.
Und natürlich noch viel mehr, aber die haben alle (noch) nicht gebloggt. Glaube ich. Wenn doch, sagt Bescheid, wird alles verlinkt.
Heute ist der Gedenktag des heiligen Hieronymus, der die Bibel vor vielen Jahren als erster ins Lateinische übersetzt hat und der deswegen als Schutzpatron der Übersetzer gilt. Seit einigen Jahren wird mit allen möglichen Aktionen auf diesen Tag und damit auf die Übersetzer aufmerksam gemacht, und das wird zunehmend auch in er Presse wahrgenommen. Zum Beispiel hier:
Ein Interview mit Patricia Klobusicsky auf Radio Eins.
Ein Gespräch mit Larissa Bender, die aus dem Arabischen übersetzt, im WDR.
Hier hören wir Natalie Mälzer und the one and only Katy Derbyshire auf Deutschlandradio.
Und ebendort die zauberhafte Maria Hummitzsch.
Und schriftlich: ein Interview mit Tobias Scheffel in der BZ:
BZ: Und was ist mit den Lesern?
Scheffel: Das sind Verbündete, die nicht wollen, dass Kultur an der eigenen (Sprach-)Grenze endet.
Thomas Gunkel bei Rowohlt:
Viel schlimmer finde ich Rezensionen, in denen der Kritiker zwei, drei einzelne Begriffe herausgreift, die er für schlecht übersetzt hält, und anhand dessen die ganze Übersetzung verwirft. Als Rezensent sollte man sich klarmachen, dass es die wichtigste Aufgabe des Übersetzers ist, den Ton und Stil des Originalautors zu treffen, und nicht jedes Wort eins zu eins zu übersetzen, was ohnehin nicht geht
Michael Kleeberg auf Deutschlandradio Kultur:
Was wir uns oft gar nicht klarmachen: Der Text des englischen, chinesischen oder brasilianischen Romanciers oder Dichters, den wir lesen, ist das Werk des deutschen Übersetzers. Der Rhythmus, die Sprachmelodie, die Metaphern – jedes einzelne Wort ist die Schöpfung des Übersetzers.
Übersetzer sind keine Dolmetscher, Übersetzer sind Schriftsteller.
Und dann gibt es einen Übersetzungswettbewerb beim NDR: Wer kann „Night and Day“ besser übersetzen als Google?
Anlässlich des Hieronymustags gibt es weltweit gläserne Übersetzer, das heißt, Kollegen übersetzen live vor Publikum, die entstehenden Übersetzungen werden auf große Bildschirme übertragen. Einmischungen und Gespräche sind erwünscht. In Hamburg übersetzen heute Abend drei Kollegen einen Comic von Ralf König ins Französische, Italienische und Spanische. Alle Hamburger Termine hier.