Dieses Jahr könnte man meinen, ich wäre wahnsinnig fleißig. Dauernd erscheint irgendwas Neues. Stimmt natürlich nicht, ich habe gar nicht so viel auf einmal gearbeitet, sondern es erscheint nur irgendwie alles gleichzeitig. Jetzt also: Der Hamburger Ziegel 13.
Der „Ziegel“, das Hamburger Jahrbuch für Literatur, erschien zum ersten Mal vor 20 Jahren, damals in den Maßen des, genau, Hamburger Ziegels. Inzwischen ist das Buch etwas größer geworden, heißt aber immer noch „Ziegel“ und erscheint alle zwei Jahre. Darin versammelt findet sich die aktuelle Hamburger Literatur: Mit dabei sind unter anderem Stevan Paul, Katrin Seddig, Gunter Gerlach, Mirko Bonné, Alexander Posch, Tanja Schwarz, und naja, ungefähr die komplette Hamburger Literaturszene halt. Oder jedenfalls ein großer Teil. Und ich! Meine erste eigene literarische Veröffentlichung! Alles andere war bisher ja eher journalistisch. Und dann gleich zwei Geschichten, „Brombeeren“ (S. 28) und „Der Pfau“ (S. 473). Hurra! *plopp*
Jürgen Abel / Wolfgang Schömel (Hg.): Hamburger Ziegel 13. Dölling und Galitz, 555 Seiten, 14,80 €.
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In einer Museumsbuchhandlung kurz durchgelesen und sofort gekauft. Ging gar nicht anders.
Es gibt ein Land, in dem die Menschen fast gar nicht reden. Das ist das Land der großen Wörterfabrik. In diesem sonderbaren Land muss man die Wörter kaufen und sie schlucken, um sie aussprechen zu können. […] Es gibt Wörter, die sind wertvoller als andere. Man sagt sie nicht oft. Eigentlich nur, wenn man sehr reich ist. Denn im Land der großen Wörterfabrik ist Sprechen teuer. Diejenigen, die kein Geld haben, durchsuchen manchmal die Mülleimer. Aber die weggeworfenen Wörter sind meist wertlos: Man findet nur Hundekacka und Hasenpipi.
Was es in diesem Land aber auch gibt, ist die Liebe. Und die Eifersucht, die gibt es auch. Und es ist natürlich ganz unglaublich reizend, was dann wegen der Liebe passiert. Paul ist nämlich in Marie aus dem Nachbarhaus verliebt, aber das kann er ihr nicht sagen, denn er hat kein Geld. Am Ende wird aber alles gut, versprochen. Also gut, es schrammt vielleicht stellenweise hart am Kitsch vorbei, ebenso wie die Illustrationen – aber wer ein Herz hat, wird diesem kleinen Büchlein sofort erliegen. Ehrlich. Absolut zauberhaft.
Agnès de Lestrade (Anna Taube) / Valeria Docampo: Die große Wörterfabrik.
Gebunden, kleines Format, 8,95 €.
Gebunden, großes Format, 13,90 €.
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Jaaaa! Endlich mal wieder ein Buch, das mich so richtig begeistert. (Die Mumins sind natürlich auch super, laufen aber irgendwie außer Konkurrenz.) Jedenfalls:
Zum hundertsten Geburtstag ihres verstorbenen Vaters Joschi treffen sich die drei Halbgeschwister Marika, Hannah und Gabor. Marika und Hannah sind auch sonst in engem Kontakt, Gabor lebt weiter weg, und das nicht nur im wörtlichen Sinne. Bei den dreien ist außerdem Marikas Tochter, die sechzehnjährige Ich-Erzählerin. Zu viert fahren sie nach Buchenwald, wo Joschi inhaftiert war. Joschis erste Frau und die beiden ersten Kinder wurden in Auschwitz ermordet.
Den drei Frauen, von denen diese drei noch lebenden Kinder stammen, hat Joschi, wie sich herausstellt, ganz unterschiedliche Geschichten über seine Herkunft aufgetischt. Zu stimmen scheint nur, dass er Jude und in Buchenwald war. Ansonsten hat er frei drauflos erzählt, hat zwei Frauen quasi gleichzeitig geschwängert, hatte nach einem missglückten Selbstmordversuch drei Frauen an seinem Krankenbett stehen, hat gelogen und betrogen oder geschwiegen, hat irgendwie doch alle um den Finger gewickelt und schafft es am Ende, dass man ihn sogar als Leser irgendwie mag, trotz allem. Seine drei Kinder und seine Enkelin jedenfalls sind mit einem dermaßen umwerfenden trockenen Humor gesegnet, dass man ihnen sofort erlegen ist. Was dabei rauskommt: ein ganz wundervoll tragikomisches und warmherziges Buch; tatsächlich ein Buch mit Holocaust und Humor. Bemerkenswert. Ganz dicke Leseempfehlung, ich möchte eigentlich, dass Ihr das sofort alle kauft und lest und super findet und das weitersagt.
Susann Pásztor: Ein fabelhafter Lügner. 204 Seiten. Kiepenheuer und Witsch,
Gebundene Ausgabe, 17,95 €
Taschenbuch, 7,99 €
E-Book 7,99 €
Audio-CD, 12,99 €
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Alle kennen die Muminfamilie, also: gefühlt alle, außer mir. Irgendwie sind die Bücher in meiner Kindheit komplett an mir vorbeigegangen, aber es spricht ja auch nichts dagegen, das noch nachzuholen. „Herbst im Mumintal“ war also mein erstes Muminbuch, und gleichzeitig auch nicht, denn es kommen gar keine Mumins darin vor. Obwohl alle solche Sehnsucht nach der Muminfamilie haben, als es Herbst wird. Da ist der Hemul, der immer für alle irgendwas organisiert und allen sagt, was sie tun sollen. Weil er eigentlich nur will, dass es allen gut geht. Die Filifjonka, die dauernd putzt und auch ganz gut kochen kann, sich aber fürchterlich vor kleinen Krabbeltieren ekelt. Und die gern ein bisschen mehr wie die Muminmutter wäre. Oder der ängstliche und schüchterne kleine Homsa, der tolle Geschichten erzählt. Der griesgrämige Schnupferich, der so schön Mundharmonika spielen kann. Und der uralte Onkelschrompel, der froh ist, dass er einfach alles vergessen kann. Und die Mymla, die ihre kleine Schwester Mü mal wieder sehen möchte. Sie alle brechen zum Herbstanfang auf ins Mumintal, weil es dort so schön ist, aber die Mumins sind gar nicht da. Und so richtet diese bunt zusammengewürfelte Gesellschaft von mehr oder weniger einsamen Eigenbrötlern sich im Haus der Mumins ein. Und das ist alles unglaublich warm und schön und gleichzeitig irgendwie traurig, und so voller kleiner Lebensweisheiten und Melancholie und Herzlichkeit. Und mal ehrlich: wer nicht schon von dem Namen „Onkelschrompel“ hingerissen ist, dem ist wohl nicht zu helfen. Onkelschrompel. Wundervolle Figur. Genau wie der Schnupferich. Und die Mymla. Und … naja, alle halt. Ganz großartiges Buch, davon kommen sofort noch ein paar mehr auf den Wunschzettel. Dann vielleicht welche *mit* Mumins, denn jetzt habe ich so viel über die Mumins gelesen, dass ich auch was über sie lesen will, wenn Ihr versteht, was ich meine.
Ganz herzlichen Dank an Nils Mohl für die Empfehlung und an Giardino für das Geschenk!
Tove Jansson (Birgitta Kicherer): Herbst im Mumintal. Arena-Verlag. Gebunden, 12,95 €
Taschenbuch, 4,99 €
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Ruths gut durchorganisiertes Leben gerät ein bisschen in Wallung, als erstens ihr Mann für längere Zeit beruflich nach Australien entschwindet, und zweitens ihr 87-jähriger Vater Edek aus Australien zu ihr nach New York zieht. Er besteht darauf, ihr bei der Arbeit zur Hand zu gehen: Ruth schreibt nämlich Briefe für andere Leute – Kondolenz-, Liebes- und Glückwunschbriefe, was auch immer die Leute sich selbst nicht so recht zutrauen; Ruth findet immer die richtigen Worte und verdient damit ganz gut Geld. Edek allerdings will sie nun unterstützen und bestellt wie weiland Loriots Pappa ante Portas große Mengen von Büroartikeln, die sie nicht braucht.
Das hört allerdings einigermaßen schnell wieder auf, Edek hat plötzlich dauernd „zu tun“, und Ruth wird etwas misstrauisch. Tatsächlich tauchen bald zwei Urlaubsbekanntschaften aus Polen auf (Katastrophe!), zwei ältere Damen, wenn auch 20 Jahre jünger als der Vater, und beabsichtigen offenbar, in New York zu bleiben (Katastrophe!). Edek nimmt die beiden bei sich auf und plant, mit ihnen ein Restaurant zu eröffnen. Ka-ta-stro-phe! Man kann ja nicht einfach so mit fast keinem Geld ein Restaurant in New York eröffnen. So weit zur Story.
Im Klappentext steht: „Lily Brett schreibt, wie Woody Allen Filme gedreht hat.“ (Brigitte Woman) Das trifft es haargenau: Neurotische New Yorker Juden machen sich entweder entsetzlich viele Sorgen über alles und nichts (vor allem über nichts), oder sie haben eben Chuzpe. Alle reden aneinander vorbei und schaffen es nicht, einfach mal zu sagen, was Sache ist. Und das geht mir spätestens nach der Hälfte einigermaßen auf den Zwirn. Da denke ich nämlich dauernd: verdammte Axt, dann sag es doch einfach! Oder: ja, wir haben den Witz / die Neurose jetzt verstanden, können wir jetzt mit der Story weitermachen?
Dazu kommen viele Redundanzen; dauernd wird das gleiche noch mal mit anderen Worten gesagt, und dann noch mal, und dann vielleicht noch mal mit denselben Worten wie beim ersten Mal. Puh. Und dann sind auch noch manchmal so logische Ungereimtheiten drin – da ruft eine der Damen an und fragt, ob Ruth ihnen einen Gefallen tun und mit zum Tai-Chi gehen könnte. Ruth ist natürlich mal wieder entsetzt („was, Ihr macht Tai-Chi?“), und dann geht sie mit, und dann … nichts. Weder wird klar, in wiefern das ein Gefallen für die anderen war, die da sonst allein hingehen, noch bringt es die Story auf irgendeine andere Weise voran.
Trotzdem habe ich es zu Ende gelesen, obwohl auch das Ende absehbar war (nein, der alte Vater stirbt nicht! Niemand stirbt! Sorry für den Spoiler). Also, irgendwie ist das schon nett, sind auch gute Typen drin, aber alle einen Tick zu dick aufgetragen, und man hätte viele Redundanzen rauskürzen und dafür die Geschichten der Leute, für die Ruth die Briefe schreibt, ein bisschen ausführlicher erzählen können. Denn da werden quasi lauter Geschichten angefangen, die dann aber versickern.
Fazit: ja, nett. Stellenweise auch wirklich lustig. Aber kein Muss. Wobei ich es deswegen gelesen habe, weil ein paar Leute total begeistert waren, unter anderem die Lieblingsbuchhändlerin. Und die sind ja auch nicht doof, ist also wohl auch Geschmackssache. Wie Woody Allen eben. Wer auf Woody Allen steht, wird auch dieses Buch lieben.
Lily Brett bekommt einen illustren Regalplatz zwischen Brecht und Brillat-Savarin.
Lily Brett (Melanie Walz): Chuzpe. Insel Taschenbuch, 10,00 €
Gebunden, Suhrkamp, 19,80
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