Namen und Anreden

Weiter unten in den Kommentaren fragt Christiane:

    Wie verhält sich das denn in einer Übersetzung mit den Anreden und den Namen?
    Ist es wirklich so (wie ich gerade den Eindruck habe), dass sich nach dem Handlungsort die Anreden bestimmen? In England heißen dann also die Herren Mister und in Frankreich Monsieur? Oder kann es auch mal sein, dass in England ein „Herr“ herumläuft und handelt? Wovon hängt so etwas ab?
    Und wer bestimmt, ob Eigennamen übersetzt oder beibehalten werden? Der Übersetzer oder der Autor?

Ich fange mal hinten an: Eigennamen werden nicht übersetzt. Niemand käme auf die Idee, aus Harry Potter einen Harald Töpfer zu machen, und aus Jacques Meunier wird kein Jakob Müller.
Das ist erstmal die Regel, und von Regeln gibt es Ausnahmen. Etwa bei Städtenamen: Milano zum Beispiel würde ich durchaus zu Mailand machen, und Roma zu Rom. Aber Tokyo natürlich nicht zu „Hauptstadt im Osten“, und Monastir nicht zu Münster. Das sind einfach Gepflogenheiten, man macht es nach Üblichkeit. Eine Dauerfrage, vor der Englischübersetzer immer wieder stehen, sind zum Beispiel die durchnummerierten Straßennamen in New York: 42nd Street oder 42. Straße? Das bespreche ich dann meistens mit dem Lektorat. Ich persönlich finde, auch das ist ein Eigenname und gehört nicht übersetzt.
Ebenfalls mit dem Lektorat besprechen würde ich sogenannte „sprechende Namen“. Die kommen wahrscheinlich besonders häufig in Kinder- und Jugendbüchern und in Fantasy vor – beides Genres, mit denen ich noch kaum zu tun hatte. Auch da würde ich annehmen, dass Übersetzer und Lektor sich beraten, notfalls vielleicht sogar mit dem Autor. Und sie werden bei der Entscheidung sicher auch die Zielgruppe bedenken. Bei Büchern für kleine Kinder dürfte es wenig sinnvoll sein, sprechende Namen in der Fremdsprache stehenzulassen. Überhaupt: wenn die Ausgangssprache eine andere als Englisch ist, wird man sie wahrscheinlich eher übersetzen. Wenn die Ausgangssprache Englisch ist und man davon ausgehen kann, dass es von der Zielgruppe größtenteils verstanden wird, wird man so etwas eher auf Englisch stehenlassen.
Bei Harry Potter zum Beispiel wurden ein paar Namen anfangs übersetzt, später hat man das wieder rückgängig gemacht. Ich weiß nicht genau, warum, aber es wird Gründe gegeben haben, das auch in den ersten Bänden in Folgeauflagen wieder zurückzukorrigieren.
Es ist ein weites Feld und wird von einem Buch zum anderen, und manchmal von einer Figur zur anderen entschieden. Und die Entscheidung trifft der Übersetzer entweder erstmal allein oder zusammen mit dem Lektor.

Ein anderes Thema ist die Anrede. Ich glaube, da gibt es einfach Modeerscheinungen: Früher hat man versucht, ausländische Bücher so weit wie möglich hierher zu holen und „Herr Smith“ übersetzt, heute lässt man eher mehr „Fremdheit“ oder Lokalkolorit drin. „Herrn Smith“ gibt es nicht mehr. Ich glaube, nicht mal im Kinderbuch. Man schreibt heute eher Monsieur Dupont und Señora Garcìa. Wahrscheinlich sogar Tanaka-san, und nicht Frau Tanaka. Obwohl? Da bin ich schon nicht so sicher. Wahrscheinlich hat es immer damit zu tun, wieviel Fremdheit man dem Leser zumuten möchte. Bei einer Übersetzung aus dem Japanischen ist schon von allein relativ viel „fremd“, vielleicht würde man doch „Frau Tanaka“ sagen. England und die USA sind uns viel vertrauter, da kann viel mehr im Original stehenbleiben. „Mom“ und „Dad“ zum Beispiel auch. Man lässt die kleine CeeCee aus Savannah heute einfach nicht mehr „Mutti“ sagen. Möglich, dass das eine reine Modefrage ist und man das in 20 Jahren wieder tut. Glaube ich aber nicht.
Ich sollte wohl noch mehr Übersetzungen aus anderen Sprachen lesen, denn ich weiß es gerade wirklich nicht – in Übersetzungen aus dem Japanischen werden die Mütter wahrscheinlich nicht Okâsan gerufen, oder? Sondern? Mama?
Auch so eine Sache sind ja beispielsweise die Dienstgrade bei der Polizei (ein immer wieder gern genommenes Problem von Krimiübersetzern). Die lassen sich ganz schlecht übersetzen, denn die Systeme sind ja in den unterschiedlichen Ländern ganz unterschiedlich. Kann man einen Constable nun mit Wachtmeister übersetzen? Hat man früher gemacht, heute nicht mehr, heute bleiben die Dienstgrade auf Englisch stehen. Kennt man ja auch aus dem Fernsehen. Allerdings gilt auch das wieder nur für das Englische – in einem chinesischen, hebräischen oder arabischen Buch ist das wahrscheinlich eher schlecht, weil damit hier niemand etwas anfangen kann. Ich habe keine Ahnung, wie sowas dann gelöst wird.

Soll heißen: es gibt keine festen Regeln. Es ist, wie alles Übersetzen, immer ein Abwägen von Fürs und Widers, eine Geschmackssache auch, eine Modefrage teilweise, ein Bedenken der Zielgruppe, eine Gratwanderung. Und es wird bestimmt immer jemanden geben, der die getroffene Entscheidung dann falsch findet und durchaus gute Gründe dafür hat.

[Viel zu lange nicht übers Übersetzen geschrieben! Tst. Wenn Ihr Fragen habt, immer gern her damit.]

Save the date: Poeten im Park

Der Jenischpark ist wieder angerichtet: die Bäume sind grün, das Gras ist frisch, die Vöglein zwitschern, und die Elbe plätschert im Hintergrund wie schon vor Jahrhunderten. Es ist also alles bereit für die Poeten, die sich alljährlich in die Parklandschaft einpassen, um neue Texte zu lesen. Mit dabei sind in diesem Jahr: Cenk Bekdemir, Isabel Bogdan und Alexander Posch, Moderation: Friederike Moldenhauer.

Mit freundlicher Unterstützung der Freunde des Jenischparks e.V.

Sonntag, 10. Juni, 12 Uhr, Jenischpark
Treffpunkt: Freitreppe Jenisch-Haus,
Baron-Voght-Straße 50
Hamburg-Othmarschen

Eintritt frei, um eine Spende wird gebeten.
Eine Veranstaltung im Rahmen der Literatur-Altonale

S-Bahn (TMI)

Wir setzen uns in die S-Bahn, uns gegenüber auf dem Vierersitz sitzen ein junger Mann und eine junge Frau. Ob sie zusammengehören? Weiß man nicht. Alter und Styling lassen es möglich erscheinen, sie reden aber nicht miteinander.
Die Frau hat eine Medikamentenpackung in der Hand. VAGISAN steht drauf, in großen, roten Buchstaben auf weißem Grund, gut zu erkennen bis ans Ende des Wagens. Sie steckt die Packung nicht etwa verschämt in ihre Tasche, sondern betrachtet sie eingehend von allen Seiten. Auf allen Seiten steht groß und leuchtend VAGISAN und ein bisschen Kleingedrucktes. Der Mann tippt in sein Telefon, ruft jemanden an. „Na, alles fit?“ – „… im Schritt?“, denke ich und bekomme nur durch übermenschliche Anstrengung keinen Lachanfall.
Die Frau holt den Beipackzettel aus der Packung, verschließt die Packung umständlich wieder und steckt sie in ihre Handtasche. Der Mann beendet sein Telefonat. Die Frau liest den Beipackzettel, von unserer Seite aus sind prima die Zeichnungen zu erkennen, was man wo wie weit einführen soll. Der junge Mann macht den nächsten Anruf: „Na, alles fit?“ Sie liest den Beipackzettel, er sagt in sein Telefon: „Da kneif ich doch nicht gleich den Schwanz ein.“
Ich starre konzentriert aus dem Fenster.
Die Frau wirft den Beipackzettel in den S-Bahn-Mülleimer. Ich bin nicht sicher, ob das eine gute Idee ist.
Sie ruft ebenfalls jemanden an. „Na, alles klar?“
Wir steigen aus.

[vgl. Otto.]

Fundstück

„Übersetzer ist ein rätselhafter Beruf. Der Übersetzer soll das Unmögliche möglich machen: Inspiration auf Kommando eines fremden Textes! Eigentlich geht das nicht, und dennoch kommt es vor. Der Übersetzer ist der einzige Mensch, vor dem ich wirklich Angst habe. Bei der Arbeit an meinem Text durchleuchtet er mich. Wie ein Röntgengerät.
Mein deutsches Röntgengerät ist Beate Rausch. Beate ist meine deutsche Stimme, mit der ich vor mein deutsches Publikum trete. Warum man die Literaturübersetzer so schlecht bezahlt, verstehe ich nicht. Das heißt, doch, ich verstehe. Die so wenig bezahlen, verstehen nicht, wie schwer es ist, die Stimme eines Anderen zu sein, noch dazu in der eigenen Sprache.“

Viktor Jerofejew, übersetzt von Beate Rausch

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