In 66 Tagen ist Weihnachten. Wer Kinder zu beschenken hat, kann ja mal beim netten, kleinen Monterosa-Verlag meiner Kollegin Claudia Gliemann gucken:
Ohne Oma: Früher war Oma noch da, ist mit in den Zoo gegangen und hat Gutenachtgeschichten vorgelesen. Dann wurde sie immer älter und schwächer. Und jetzt?
Kleiner großer Berg: Der kleine große Berg vergleicht sich mit seinen Nachbarn, dem blauen See, in dem Fische leben, und der grünen Wiese, auf der Tiere grasen. Und der Berg? Der ist nur so grau. Och je.
Paula ist glücklich: Ich sach mal: na, wenigstens eine. Wäre ich auch, wenn ich so hübsch illustriert wäre! (Oh, bin ich natürlich. Aber anders.)
Jedenfalls: sehr schöne Bücher, alle von Claudia Gliemann geschrieben und von unterschiedlichen Illustratoren gestaltet. Sehr sympathischer kleiner Verlag. Könnte man zum Beispiel in der Lieblingsbuchhandlung bestellen und die Buchhändlerin ermuntern, gleich noch mehr davon einzukaufen. Auf der Webseite gibt es Leseproben und noch ein paar mehr Bücher.
[Und wenn ich wüsste, wieso die Bilder hier jetzt nicht scharf sind … naja.]
Da führe ich doch die Reihe der Nicht-Lese-Outings mal weiter. Zuerst schrieb Patschbella darüber, wie sie nach einer Zeit des Nichtlesens jetzt wieder zum Bücherlesen zurückkehrt. Dann kam Journelle mit dem „Geständnis“, dass sie im Moment gar keine Bücher liest. Und Excellensa, und inzwischen sicher noch mehr Leute. Und jetzt komme ich.
Ich bin die Frau, die annähernd fünfzehn Jahre lang so gut wie gar nichts gelesen hat. Aber das ist jetzt auch schon wieder genauso lange her.
Als Kind habe ich viel gelesen. Aber dann, so erkläre ich es mir im Nachhinein, war ich eher eine Spätentwicklerin, und die Schullektüre wurde von heute auf morgen erwachsen. Lange bevor ich erwachsen wurde. Zu Hause las ich Pferdebücher oder die Burg-Schreckenstein-Sammlung meines Bruders, in der Schule gab es Kleist, Droste-Hülshoff und Storm. Das hat mich alles überhaupt nicht interessiert, ich quälte mich nur irgendwie durch, weil es nun mal sein musste. Beziehungsweise: es musste ja nicht mal sein. Ich habe soundsoviele Deutscharbeiten geschrieben, ohne die betreffenden Bücher wirklich gelesen zu haben. Das ging nicht besonders gut, aber es ging irgendwie; ich war zwar noch ein wenig kindlich, aber nicht doof. Zum Durchmogeln hat es gereicht.
Ich werde nicht vergessen, wie wir im Deutschunterricht mal Bücher vorstellen sollten. Siebte oder achte Klasse, je drei Leute in einer Stunde. Die erste stellte Frederick Forsyth vor, „Die Akte Odessa“. Einen Thriller. Ich kannte nicht mal das Wort „Thriller“, geschweige denn hätte ich sowas gelesen. Die zweite hatte Stefans Zweigs „Verwirrung der Gefühle“ dabei, ebenfalls ein richtiges Erwachsenenbuch. Eine Dreiecksgeschichte! Du lieber Himmel. Und dann kam ich mit „Britta und ihr Pony“. So war das in der Mittelstufe.
Und mein Elternhaus? Naja – mein Elternhaus ist zwar voller Bücher, aber ich habe meine Eltern nie mit einem Buch in der Hand gesehen. Wir waren vier Kinder und meine Mutter hat ebenfalls gearbeitet, da war vermutlich einfach keine Zeit zum Lesen. Wenn meine Mutter in ein Buch geguckt hat, dann war es Arbeit (Lehrerin), und mein Vater las Zeitung. Ich kann mich nicht erinnern, dass sie einfach so zum Spaß Bücher gelesen hätten.
In der Oberstufe hatte ich dann einen Deutschlehrer, der mich ebensowenig leiden konnte wie ich ihn, und so habe ich Deutsch nach der zwölften Klasse abgewählt. Und war fortan erstmal überzeugt, sogenannte „Literatur“ wäre langweilig, uninteressant, schwierig, schwer und düster. Man müsse sich das alles „erarbeiten“, und puh, wer wollte schon übermäßig arbeiten.
Dann habe ich zwei philologische Fächer studiert. Weil Sprachen mir lagen und ich nicht wirklich wusste, was ich jetzt mit meinem Leben anfangen sollte. Da musste man natürlich auch gelegentlich Bücher lesen, aber auch im Studium habe ich das nur unter Protest und Qualen getan. Oder eben gar nicht. Wahrscheinlich halte ich irgendeinen Rekord für „am wenigsten Bücher gelesen bei höchster Semesterzahl in einem philologischen Studium“. Ich habe das komplette Anglistikstudium ohne ein Wort Shakespeare geschafft. Nee, interessiert hat mich das alles nicht. Privat habe ich alle halbe Jahr mal einen lustigen Frauenroman gelesen, und das ist auch fast gar nicht übertrieben.
So richtig angefangen zu lesen habe ich erst nach dem Studium. Irgendwann mit Ende zwanzig. Eigentlich bin ich erst übers Übersetzen wieder ans Lesen gekommen: weil mich die Sprache interessierte. Weil ich Deutsch tanken wollte und sehen, was deutsche Autoren und meine Übersetzerkollegen mit der deutschen Sprache machen. Und dann war ich ganz schnell angefixt und habe so ziemlich von heute auf morgen wieder mit dem Lesen angefangen. Das ist jetzt 15 Jahre her, und seitdem hat sich mein Lesepensum langsam gesteigert – mit leichten Ups und Downs – und ist, seit ich darüber blogge, relativ konstant bei einem Buch pro Woche. Das Lesen macht mir großen Spaß, ich liebe es, Sprache aufzusaugen und Geschichten zu entdecken und zu erfahren, was in anderer Leute Köpfen vorgeht. Und ist das gar nicht schwer und schwierig, und wenn es mal düster ist, dann ist es auch meistens gut so und berührt irgendwas in mir, und das ist total toll. Wenn ich danach dann was Leichteres brauche, dann lese ich eben was Leichteres, so einfach ist das. Es gibt so unfassbar viele Bücher da draußen – man „muss“ nicht irgendwas Bestimmtes gelesen haben. Man kann sich einfach aussuchen, was man möchte. Und wenn einen etwas nicht interessiert, dann legt man es eben beiseite, nach 20 oder 200 Seiten, und liest es nicht zu Ende. Na und? Es wird etwas anderes geben, was einen mehr interessiert. Das ist doch großartig!
Aber ich habe immer noch das Gefühl, riesige Lücken zu haben. Die ganzen Klassiker, quasi alle toten Autoren, all die Bücher, die „man“ mit 16 gelesen hat oder in den 20ern – die fehlen mir alle. Irgendwann habe ich mal den Fänger im Roggen nachgeholt, hat mir nichts gesagt. Hermann Hesse – keine Ahnung, nie gelesen. Ich bin quasi eine einzige Bildungslücke. Und die Schule ist schuld! Echt wahr. Vor allem die toten Autoren hat sie mir wirklich verleidet. Blöd, oder? So langsam könnte ich mich mal davon emanzipieren. Aber es gibt doch so tolle lebende Autoren, die will ich immer gerade dringender lesen als die ollen Schinken. Morgen muss ich unbedingt los, den neuen Rammstedt kaufen.
Na sowas, da ist doch glatt jetzt *noch* ein Stückchen vom großen Hafeninterview online. Ich glaube, das war auch der Rest, Ihr habt’s dann jetzt geschafft.
Wie und warum wird man Blogger?
(Anmerkungen: 1. Ich überlege gerade mal wieder, ob ich nicht doch Werbung schalten will. Zusätzlich zum Osiander-Affiliate-Dings.)
2. Der Wunschzettel ist jetzt doch wieder bei Amazon, weil das bei stories irgendwie kompliziert war.
3. Hey, ich kommuniziere nicht, damit sich das auszahlt. Sondern weil es Spaß macht.)
Wow. Was für ein Buch! Ganz erstaunlich. Weil man hinterher irgendwie auch nicht wirklich klüger ist als vorher, man hat vielmehr das Gefühl, dass die Geschichte jetzt erst so richtig anfangen würde, aber da ist das Buch schon zu Ende. Und das ist ganz wunderbar so, denn der wichtigste Schritt der beiden Protagonistinnen ist da wahrscheinlich schon getan. Wenn die klassische Heldenreise damit anfängt, dass der Held nach anfänglichem Zögern aufbricht, um dann X weitere Stationen zu durchlaufen – dann hört es hier mit dem Aufbruch quasi auf.
Die beiden Schwestern Margarete und Fritzi sind, was ihr Alter angeht, irgendwo an der Schwelle von der Jugend zum Erwachsensein. Sie leben im „Gebiet“, einem ehemaligen Kohlerevier; im Laufe des Buchs erfahren wir, dass es dort unterirdische Feuer gibt, die Kohleflötze brennen schon seit Jahrzehnten, das Gebiet ist anscheinend zum großen Teil verwüstet und verlassen, aber so ganz genau erfahren wir es nicht. Der Vater ist Polizeichef der verschwindenden Stadt, die Mutter nicht mehr da. Es gibt in der Umgebung noch ein paar weitere bewohnte Ortschaften, aber auch das bleibt ein wenig unklar, wir erfahren nicht genau, was passiert ist, und wer noch da ist, und warum. Das vor allem: warum. Warum geht fast niemand weg, aus diesem tristen und offenbar begrenzten Gebiet? Da draußen ist die Welt, ganz normal, aber irgendwie bleiben die Leute, die noch da sind, zum größten Teil da. Man weiß nicht, warum. Man erfährt überhaupt ziemlich wenig, das aber auf eine unglaublich poetische Weise, die die ganze Geschichte ebenso klaustrophobisch wie hoffnungsvoll macht. Die beiden Schwestern suchen nämlich nach einem Fluss, den es einmal gegeben haben soll, und der möglicherweise unter der Erde verschwindet. Sie brechen auf, immer wieder, durchsuchen das gesamte Gebiet nach diesem Fluss, erleben Rückschläge und Krankheiten – und am Ende kommen sie, auch wenn ich eingangs etwas anderes behauptet habe, doch irgendwo an. Oder auch nicht. Ganz, ganz großartiges Buch, große Leseempfehlung.