Ein Geschenk, ein Geschenk!

LiepmanGlueckDa bin ich ja jedes Mal wieder platt: wenn einfach so ein Geschenk im Briefkasten liegt, wegen nix. Ganz herzlichen Dank, Pociao! Ich bin ja immer wieder überrascht, wer hier so alles mitliest, und freu mich sehr.
Meine Kollegin Pociao hat auf meinem Wunschzettel gesehen, dass ich mir dieses Buch wünsche; und weil die Herausgeberin der edition fünf, Karen Nölle, ebenfalls eine Kollegin von uns ist, hat sie Karen einfach direkt gebeten, mir das Buch und ihr die Rechnung zu schicken. Was natürlich gerade bei so einem kleinen Verlag die allerschönste Lösung ist. Also zweitens: Danke, Karen! Ich bin gespannt auf „Vielleicht ist Glück nicht nur Zufall“ von Ruth Liepman. Ich bin ja ziemlich sicher, dass „Glück“ zu einem beträchtlichen Teil self-fulfilling ist – aber ich bin auch nicht „Jüdin, Kommunistin und Widerstandskämpferin“ und habe nicht zwei Weltkriege erlebt. Was auch schon wieder ein Glück ist. Und ein Zufall.
Danke Euch beiden! Sehr!

Susann Pásztor: Die einen sagen Liebe, die anderen sagen nichts

EB_U1_978-3-462-30701-6Der Titel ist eigentlich verkehrt herum, es fängt nämlich damit an, dass erstmal alle nichts sagen. Drei Tage lang. Die ersten drei erzählten Tage finden auf einem Schweigewochenende statt, auf dem die Ich-Erzählerin Mila versucht, runterzukommen, sich zu sortieren, die Stille auszuhalten, nicht zu denken. Nach diesem Wochenende nimmt sie einen der anderen Teilnehmer ein Stück im Auto mit und landet für die nächsten drei Tage in seinem Hotelbett. Und dann kommt das mit der Liebe.

Ich hatte erstmal verschiedene Befürchtungen. Da rechts mache ich Werbung für dieses Buch. Das ist natürlich so eine Sache – was, wenn ich es nicht mag? Ich hatte mir das Buch ausdrücklich gewünscht für die Werbung, weil ich Susann Pásztors ersten Roman Ein fabelhafter Lügner so gern mochte. Aber dann hatte ich ein bisschen Angst, dass es so ein typischer Frauenroman sein könnte, wegen des Titels und des Covers und des Klappentexts. Und zweitens hatte ich Esoterikbefürchtungen, wegen des Schweigeseminars. Und nun ist es so:
Na klar ist das ein Liebesroman. Aber vor allem ist es eine Charakterstudie, oder ein Entwicklungsroman. Jegliche Kitschangst ist unbegründet, und die Esoterikangst hat Mila selbst, die brauche ich nicht auch noch zu haben. Mila ist zu Beginn eine der einsamsten Romanfiguren, an die ich mich erinnern kann. Man möchte sie dauernd in den Arm nehmen. Und nein, man möchte nicht „heul doch“ sagen, denn sie heult gar nicht, sie jammert nicht, sie ist vielmehr höchst reflektiert und hat ein verblüffend gesundes und realistisches Selbstbild – endlich! Danke! Ich mag nicht mehr von diesen Protagonistinnen lesen, die sich dauernd irgendwas einreden. Außerdem hat sie einen guten Humor, sodass sie sich das „heul doch“ schon selbst sagt. Ach ja, sie heult natürlich auch. Aber das ist auch völlig in Ordnung, manchmal muss man halt heulen.
Und dann ist da Simon und diese urplötzliche Leidenschaft – die beiden landen im Bett und bleiben da für die nächsten drei Tage. Und da passiert die zweite große Wunderbarkeit dieses Buchs: sie haben Sex, und es ist schön. Fertig. Mila fragt sich nicht, ob ihre Brüste hängen, ob sie zu alt, zu dick, zu faltig, zu wenig hübsch, zu sonstwas ist, nichts davon. Und Simon auch nicht. Sie machen auch keine Turnübungen im Bett und vollbringen nicht irgendwelche Leistungen. Das finde ich unglaublich wohltuend, geradezu eine Erleichterung. Zwei erwachsene Menschen haben Sex, und es ist schön. Das Leben kann so einfach sein.
Außer dass es das natürlich keineswegs kann, denn die drei Tage gehen unweigerlich zu Ende, und es war nicht nur Sex, sondern Liebe. Und dann kommt der dritte Teil des Buches, über den ich jetzt nichts mehr sage, denn Ihr sollt bitte alle gleich morgen in die Buchhandlung gehen und das kaufen. So ein schönes, warmes, kluges, vorne trauriges und hinten glücklichmachendes Buch. Denn am Ende … dafür hätte ich jetzt einen schönen Satz parat, mit dem auch klar wäre, warum das ein Entwicklungsroman ist, aber damit hätte ich dann leider auch das Ende einigermaßen ausgeplaudert, und das tue ich natürlich nicht.

Susann Pásztor: Die einen sagen Liebe, die anderen sagen nichts. KiWi, 256 Seiten, Taschenbuch oder E-Book, 8,99 €.

Alan Bennett (Ingo Herzke): Schweinkram

BennettSchweinkramAch, herrlich, Kinder! Ich bin ja sowieso Bennett-Fan (und Herzke-Fan), aber jetzt bin ich auch noch Schweinkram-Fan, denn das ist einer seiner besten. Wie gewohnt bei Wagenbach in einem schmalen Bändchen in rotem Leinen, und zwar diesmal, passend zur letzten Woche in diesem kleinen Kuschelblog, mit zwei unziemlichen Geschichten: Mrs. Donaldson erblüht, und Mrs. Forbes wird behütet. Beide ganz wundervoll.
Mrs. Donaldson hat nach dem frühen Tod ihres Mannes weniger Geld als gedacht und muss irgendwie Geld reinkriegen. Das tut sie auf zweierlei Weisen: sie vermietet ein Zimmer an ein Studentenpärchen, und sie nimmt einen Job im Krankenhaus an, wo sie jungen Medizinstudenten verschiedenste Krankheiten vorspielen muss. Die Studenten führen unter der Oberaufsicht eines Arztes erstmal ein Anamnesegespräch mit ihr, dann untersuchen sie sie. Wie es zugeht, dass Mrs. Donaldson schließlich erblüht, verrate ich natürlich nicht. Aber es kommt überraschend, und es ist herrlich.
Und Frs. Forbes in der anderen Geschichte ist eine alte Zicke, wird aber trotzdem von allen behütet – vor allem von ihrem über alles geliebten Sohn, aber auch von Mann und Schwiegertochter. Dabei haben alle gleichermaßen ihre Geheimnisse, und so geheim sind die gar nicht mal. Dafür aber ziemlich ungehörig, nach gängigen Maßstäben.
Ich mochte die erste Geschichte schon sehr, und die zweite fast noch mehr, weil da ein paar richtig gute Lacher drin sind. Beide Geschichten sind voll mit Sex, aber ohne jegliche Pornografie, sie sind sehr Bennett, mit Distanz und Ironie wie immer, mit diesem wundervollen Humor und vor allem: so wohltuend entspannt gegenüber dem Thema. Auch wenn nicht alle Figuren von Anfang an entspannt sind. Aber am Ende wollen sie natürlich alle nur das eine. Herrlich, ganz wunderbar. Geht hin und kauft dieses Buch und lest und habt Spaß!

Alan Bennett (Ingo Herzke): Schweinkram. Wagenbach, 139 Seiten, 15,90 €.

Amazon

Wer die Sendung über Amazon und den Umgang mit den Leiharbeitern dort gestern verpasst hat: Bitte hier nachgucken. Wirklich. Guckt Euch das an. Das ist alles so unfassbar. Moderner Sklavenhandel. Beaufsichtigt von (mutmaßlichen) Neonazis.
Irgendwer sagte mal: Es gibt keine billige Kleidung. Es fragt sich nur, wer den Preis zahlt.
Gilt auch für alles andere, schätze ich. Auch für „aber ist doch so praktisch“.

(Und meinen Wunschzettel verlege ich jetzt auch wieder zu stories.)

Mehr dazu: Pia Ziefle
Stellungnahme von Amazon im Buchreport
Frank Lübberding in der FAZ
Verlag Ch. Schroer kündigt die Geschäftsbeziehungen zu Amazon
Amazon will Vorwürfe prüfen lassen (Börsenblatt)
Offener Brief der Krimiautorenvereinigung Das Syndikat
Nochmal FAZ: Amazon im Ausnahmezustand
Süddeutsche: Amazon im Shitstorm
New York Times: Amazon to investigate claims of worker intimidation at German centers
Die Welt: Amazon-Umsätze überraschen Analysten. Neun. Milliarden. Dollar. In Deutschland. Die Steuern darauf werden in Luxemburg gezahlt, nicht hier.
FAZ: Der Amazon-Studentendienst erwartet euch. Gleiches Thema im Buchreport.
SZ: Amazon feuert Sicherheitsdienst
VAT-Verlag André Thiele kündigt die Zusammenarbeit mit Amazon

Petition unterzeichnen

Twitter