Und gleich noch eins!

Weil es gestern so schön war, habe ich hier gleich noch einen flotten Vierzeiler.

I‘d like to be a langur
sitting by a stupa
eating chips and bang-ur
wouldn’t it be supa?

Freundlicherweise reimt sich das auf, äh, „Deutsch“ alles genauso. Languren sind Schlankaffen, und das Wort „Schlankaffe“ kannte ich bisher auch nicht. Ein Stupa ist ein buddhistisches Bauwerk, wir befinden uns übrigens kurz mal in Bhutan. Bang-ur klingt wie ein Gericht, ich habe aber nichts gefunden. Nur einen Stadtteil von Kalkutta. Jedenfalls ist die Übersetzung erstmal nicht schwierig, fand ich, aber vielleicht wollt Ihr ja noch mitspielen.

Ich wär so gern ein Langur
Neben einem Stupa
Äße Chips und Bang-ur,
wäre das nicht supa?

Ein Gedicht, ein Gedicht!

Endlich wieder was zum Mitdichten!

If I were a cassowary
On the plains of Timbuctoo,
I would eat a missionary,
Blood and bones and hymn-book too.

Ein cassowary ist ein Kasuar, ein anscheinend gefräßiger, flugunfähiger Laufvogel, der vor allem in Neuguinea vorkommt. Was nicht direkt neben Timbuktu liegt, aber hey. Das Gedicht kursiert in England offenbar in verschiedenen Varianten seit Anfang des 19. Jahrhunderts, mehr dazu hier, wenn es Euch interessiert. Und es wird in meiner aktuellen Übersetzung zitiert.

Wäre ich ein Kasuar
irgendwo in Afrikar
fräß ich einen Missionar
mit Liederbuch Gesangbuch, Haut und Haar.

Äh, ja. Und jetzt Ihr. Timbuktu muss nicht, der Bezug zum Missionar schon. Also Gesangbuch, Gebetbuch, Bibel, irgendsowas.

Post!

Wir haben eine neue Briefträgerin, sie ist ist sehr jung und trägt zum Post-Uniform-Polohemd gern Hot Pants, gemusterte Strumpfhosen mit Löchern und Springerstiefel. Ihre Haare sind oben lila, darunter türkis. Sie ist der Postpunk!

Flashback

Ich sitze auf dem Balkon und arbeite und werde von Mücken zerstochen. Irgendwo müssen doch noch … es gibt wahrscheinlich nur ein einziges Wort, das ich nur auf Japanisch kenne, aber nicht auf Deutsch oder Englisch. Irgendwo müssten doch noch Katorisenkô sein, nicht mehr aus Japan, sondern von Korfu vor ein paar Jahren. Ich suche sie, und tatsächlich ist da eine ganze Packung, auf Englisch heißen sie also mosquito coil, und jetzt sitze ich mit Katorisenkô auf dem Balkon und es riecht total intensiv nach Japan. Das passt ein bisschen, weil ich in der Übersetzung gerade in Hongkong bin, ich war noch nie in Hongkong, aber vielleicht riecht es da auch nach Katorisenkô.
Jetzt hätte ich vielleicht gern ein paar Sushi oder eine schöne Nudelsuppe, dazu würde man das Ding-ding-ding des nahegelegenen Bahnübergangs und die Zikaden hören.

Daniel Schreiber: Nüchtern

HB Schreiber_978-3-46-24650-8_MR.inddWow. Was für ein Buch. Ein Buch über Alkoholismus. Ich habe es gelesen, weil Daniel Schreiber ein Vorwort zu meiner demnächst erscheinenden Übersetzung geschrieben hat, und ich war so begeistert von diesem Vorwort, dass ich ihm erstens schnurstracks meine Facebookfreundschaft angetragen habe und meine Lektorin mir zweitens sagte, sie könne mir auch sein Buch schicken, das sei nämlich ebenfalls großartig.
So. Und damit habe ich mich jetzt quasi gerechtfertigt, warum ich ein Buch über Alkoholismus lese, denn ich will natürlich nicht, dass ihr denkt, ich hätte etwa ein Alkoholproblem. Ihr sollt nicht denken, dass ich zu viel trinke, und ihr sollt auch nicht denken, dass ich gar nicht trinke, denn trinken, das tut man doch, und zwar gerne, aber vernünftig und in Maßen, nicht wahr. Aber man trinkt, natürlich trinkt man, man genießt das ja, ein schönes Glas Wein zum Essen, Sekt zum Feiern, Bier zum Grillen und so weiter. Man gönnt sich was. Und wer nicht trinkt, ist entweder ein genussfeindlicher Spießer und verklemmter Spielverderber, oder, was vermutlich noch schlimmer ist: trockener Alkoholiker. Beides irgendwie verdächtig.
Das ist ein ziemliches Dilemma: dass die Gesellschaft – und jeder von sich selbst – erwartet, dass man trinkt, aber bitte nur so viel, wie es „Spaß“ macht und irgendwie vertretbar ist. Zum „Problem“ soll es bitteschön nicht werden. Nur: Je mehr man trinkt, desto mehr lernt das Gehirn das Trinken und wird krank. Dieses Paradoxon arbeitet Daniel Schreiber in seinem Buch sehr viel eloquenter heraus als ich das hier kurz nacherzählen kann. Ebenso wie die damit zusammenhängende Tatsache, dass es sich beim Alkoholismus um eine Krankheit handelt, nicht um eine blöde Angewohnheit.

Von einer Gesellschaft, die sich kollektiv den Genuss eines Rauschmittels erlaubt, würde man eigentlich erwarten, dass sie nicht auf die Menschen herabschaut, die ein Problem mit dem Konsum dieser Droge haben und davon krank werden. Vielleicht kommen wir als Gesellschaft, wie bei unserem Verständnis von Krebs und Tuberkulose, irgendwann einmal tatsächlich an diesen Punkt. Doch zurzeit ist Alkoholismus bei uns immer noch eine der Krankheiten, für die man sich schämen muss. Was tragisch ist. Denn möchte man die Chance haben, diese Krankheit zu überleben, muss man als Erstes aufhören, sich dafür zu schämen, dass man sie hat. (S. 77)

Schreiber legt die Soziologie und die Neurologie des Trinkens dar, und und das tut er anhand seiner eigenen Trinkergeschichte. Diese eigene Geschichte ist aber nie Selbstzweck, sondern ausschließlich Mittel zum Zweck – Schreiber schont sich dabei nicht, macht sich aber auch nicht unnötig nackig, er bleibt immer sachlich. Was dem Buch natürlich ausgesprochen guttut. Gleichzeitig schafft er es, über Scham zu schreiben, ohne dass man sich fremdschämen muss; auch das geht nämlich durchaus sachlich. Überhaupt ist das alles sehr, sehr klug, hervorragend recherchiert, mutig, klar und glänzend geschrieben. Wirklich beeindruckend.
Als ich fertig war mit Lesen, fragte der lustige Mann: Und? Er sagt bestimmt, wir sind auch schon Alkoholiker, hm? Nein, tut er nicht. Schreiber sagt überhaupt nicht, was man ist oder nicht ist, was man tun oder lassen soll, wieviel man trinken „darf“ oder was „normal“ ist, oder wo womöglich irgendeine Grenze verläuft. Er stellt die Folgen des Trinkens dar, die irreversiblen Auswirkungen von Alkohol auf das Gehirn, die Entwicklung, die sich daraus unvermeidlich ergibt, ebenso wie diejenige, die sich schlimmstenfalls ergeben kann. Daran koppelt er aber weder Urteile noch Ratschläge. Das ist nämlich ein sehr, sehr kluges Buch, sagte ich das? Lest es ruhig. Freundlicherweise hat es auch nur 150 Seiten, das geht prima an zwei Abenden. Und hinterher ist man garantiert klüger.

Daniel Schreiber: Nüchtern. 150 Seiten. Hanser Berlin, 16,90 €
Auch als E-Book, 12,99 €

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