Robert Williams (Brigitte Jakobeit): Luke und Jon

Oje, schon wieder eine tote Mutter. Beziehungsweise gleich zwei. Und jäi, schon wieder ein wundervolles Buch. Lukes Mutter kommt bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Der Vater fällt in ein tiefes Loch, trinkt, arbeitet nicht, kümmert sich nicht um Luke. Die beiden müssen ihr Haus verkaufen und in ein ziemlich heruntergekommenes Haus in einem gottverlassenen Kaff ziehen, in dem sie niemanden kennen, und wo klar ist, dass Luke ein Außenseiter sein wird.
Und dann lernt er Jon kennen, einen ebenfalls elfjährigen Jungen, der, wie sich herausstellt, noch schlimmer dran ist als er selbst. Die beiden freunden sich an, und langsam findet auch Lukes Vater wieder zu sich zurück. Ein großes Thema ist also neben dem Verlust auch die Freundschaft, das andere ist die heilsame Kraft der Kunst, denn Luke malt, und sein Vater stellt Holzspielzeug her. Und dann noch etwas Anderes, Großes.

In dieser Nacht drängte sich mir immer wieder eine Frage auf: wenn ich mir hätte aussuchen können, wer mich an jenem Tag vom Kunstunterricht abholt, hätte ich dann lieber Mum oder Dad das Auto fahren lassen? Es war ein schrecklicher Gedanke, aber ich konnte die Frage nicht abschütteln. Sie kam mir immer wieder in den Sinn, und es schien, als könnte ich nur eines tun, nämlich mich ihr stellen, damit sie mich endlich nicht mehr quälte und zur Ruhe kommen ließ.

Wundervolles Buch. Wer Tschick von Wolfgang Herrndorf mochte (das sind, soweit ich weiß, alle, die es gelesen haben), der wird das hier auch lieben. Die Jungs in „Tschick“ sind ein bisschen älter und machen sich auf den Weg, diese beiden hier, Luke und Jon, bemühen sich eher ums Ankommen, um einen Platz im Leben, trotzdem fühlte ich mich irgendwie daran erinnert. Vielleicht einfach, weil es ein Jugendbuch über zwei Jungs ist. Diesen beiden hier möchte man am liebsten mal einen ordentlichen Eintopf kochen. Sehr intensives und in all seinem Elend irgendwie schönes Buch. Man könnte ihm höchstens vielleicht vorwerfen, dass das Ende ein bisschen … ach, egal. Das ist schon alles richtig so. Lesen!
Robert Williams bekommt einen Regalplatz zwischen Oscar Wilde und Tennessee Williams.

Robert Williams (Brigitte Jakobeit): Luke und Jon. 186 Seiten. Berlin Verlag, Taschenbuch, 8,95 €.

Poets on the beach

31. Juli 2011, 18 Uhr
An der Strandperle / Oevelgönne

Writers‘ Room e.V. präsentiert: Poets on the beach

Endlich ist der Sommer da, und der Writers‘ Room verwandelt die Strandperle wieder in einen literarischen Salon unter freiem Sommerhimmel. Nach den Besucherrekorden im letzten Jahr hoffen die Dichter wieder auf gutes Wetter, um ihr Publikum an Hamburgs Riviera zu unterhalten. Seit 13 Jahren treffen sich Hamburgs junge Clubautoren zwei Mal im Jahr an dem beliebten Café, um vor sonnenhungrigem Publikum Gedichte, Kurzprosa und Romanauszüge zu lesen. Während es sich die Gäste auf mitgebrachten Wolldecken und Handtüchern bequem machen, nehmen die Akteure auf dem Barhocker Platz und präsentieren ihre neuesten Werke. Eine Mikrophonanlage sorgt dafür, dass man sie auch trotz tutender Pötte und schlagender Wellen gut verstehen kann.

Die Dichter im Juli:
Gunter Gerlach
André Bohnwagner
Hartmut Pospiech
Isabel Bogdan (fällt aus wegen ist nicht.)

Moderation: Friederike Moldenhauer
Ort: Elbstrand Övelgönne, Höhe Schulberg, rechts von der „Strandperle“
Eintritt frei, um Spenden wird gebeten.

Auch bei Regen lesen die Autoren – zur Not unter einem Regenschirm. Die Veranstaltung findet bei jedem Wetter statt!

Würde mich sehr freuen, wenn Ihr kämt! Ich lese wahrscheinlich Kolumnen.

Alina Bronsky: Scherbenpark

Der Roman beginnt so:
Manchmal denke ich, ich bin die Einzige in unserem Viertel, die noch vernünftige Träume hat. Ich habe zwei, und für keinen brauche ich mich zu schämen. Ich will Vadim töten. Und ich will ein Buch über meine Mutter schreiben. Ich habe auch schon einen Titel: „Die Geschichte einer hirnlosen rothaarigen Frau, die noch leben würde, wenn sie auf ihre kluge älteste Tochter gehört hätte.“ Vielleicht ist das nur ein Untertitel. Ich habe Zeit, es mir genau zu überlegen, denn ich habe noch nicht angefangen zu schreiben.
 
Die siebzehnjährige Sascha (ja, das ist ein Mädchenname! Sascha ist die Abkürzung für Alexander oder Alexandra. Dass sie das aber auch immer erklären muss!) lebt in Frankfurt im sogenannten Russenghetto und hat einen guten Grund, Vadim umbringen zu wollen: er hat nämlich, das erfahren wir bald, Saschas Mutter umgebracht. Zu Hause, vor den Augen Saschas und ihrer beiden kleinen Geschwister. Jetzt sitzt er im Knast, und die drei Kinder leben immer noch in derselben Wohnung, zusammen mit Maria, einer Verwandten von Vadim, die aus Russland gekommen ist, um sich um die Kinder zu kümmern. Wie genau dieses Kümmern auszusehen hat, das erklärt Sascha ihr schon. Sascha weiß nämlich ganz gut, wo es langgeht. Sie ist tough, allerdings vielleicht nicht ganz so tough, wie sie sich das einredet – und das macht einen Teil des Charmes dieses wundervollen Buchs aus: dass wir es mit einer Ich-Erzählerin zu tun haben, die sich aber, wenn sie denn mal in sich selbst reinguckt, genau so belügt, wie wir das wahrscheinlich immerzu alle tun. In ihrem Fall bedeutet das, nur keine Schwäche zuzugeben, auch vor sich selbst nicht.
„Show, don’t tell“ lautet eine wichtige Regel für literarisches Schreiben – man soll zeigen, was jemand tut, nicht groß drumherumerklären, warum und wieso und wie es dazu kam und was dahintersteckt. Bei Ich-Erzählern geht das manchmal ein bisschen verloren, glaube ich, und hier ist es wunderbar durchgehalten. Auch, als Sascha Volker und seinen Sohn kennenlernt und noch eine blöde Liebesverwirrung dazukommt. Wo sie doch Männer nicht leiden kann. Ganz tolles Buch, toll geschrieben, etwas rotzig, sehr geradeheraus, lakonisch und hier und da ironisch, tolle Geschichte, und spannend ist es auch. In anderthalb Tagen durchgelesen.
Mir hat ja auch Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche schon so gut gefallen, und so übe ich mich jetzt in Geduld im Warten auf Alina Bronskys nächstes Buch. (Nicht, dass eins angekündigt wäre.) Tolle Autorin.

Alina Bronsky wohnt im Regal zwischen André Brink und Charlotte Brontë.

Alina Bronsky: Scherbenpark. Kiepenheuer und Witsch. 289 Seiten.
Gebunden: 16,95 €
Taschenbuch: 8,99 €
Hörbuch (Katharina Schüttler): 19,95 €

Flattr this

Twitter