Anderswo. Das Feuilleton

- Katharina Herrmann über die ganzen spektakulären Neuerungen im Literaturbetrieb. Doch, doch. Alles neu.

- Marc Reichwein hält den Welttag des Buches für Leseaktivistenkitsch. Man begreift nicht recht, warum. Leute zum Lesen zu bringen, ist doch was Gutes? Oder jedenfalls nichts, was man blöd finden müsste? Spontane Reaktion: Mach dich mal locker, du bist doch gar nicht die Zielgruppe.

- Meine Lieblingskaty im Interview über ihre Übersetzung von Clemens Meyers Im Stein.

- Da wurde nun also ein unbekanntes Manuskript von Walt Whitman entdeckt, und weil er schon über 70 Jahre tot ist, ist es gemeinfrei, jeder kann es übersetzen und veröffentlichen. Und prompt geht ein unwürdiges Wettrennen los.

- Andreas Rosenfelder hat seine Reclam-Bibliothek weggeworfen und bereut das jetzt. Mir persönlich entlockt das höchstens ein Achselzucken. Reclam war billig für Schüler, und die Schule hat mir das Lesen gründlich verdorben. Ich kann mich nicht erinnern, je ein Reclamheft gern gelesen zu haben. Natürlich ist mir klar, dass der Verlag tolle Sachen macht. Aber geht mir weg mit den gelben Heften.

- Konzentrieren. Pausen machen. Zwei von den Dingen, die ich nicht gut hinkriege. Hier ist ein Artikel in der ZEIT, und ich habe jetzt mal wieder gute Vorsätze.

- Und Christoph Niemann, der dort erwähnt wird, verehre ich sowieso. Hier ist noch ein Interview mit ihm.

- Zum Abschluss die höchste Eisenbahn über Isi.

Takis Würger: Der Club

JA! Jajaja! Endlich mal wieder bis mitten in der Nacht noch auslesen müssen und dann mit Herzklopfen im Bett liegen. Was für ein Spannungsaufbau! Dabei fängt es so leise und zart an mit der Geschichte eines Jungen, Hans, der seine Eltern verliert und ins Internat kommt. Nach dem Abitur verschafft seine Tante Alex ihm einen Studienplatz in Cambridge, wo sie Professorin ist. Im Gegenzug soll er in einem Club etwas für sie herausfinden, weiß aber nicht mal, was eigentlich. Und in so einen Club in Cambridge spaziert man auch nicht einfach so rein, sondern da muss man die richtigen Leute kennen und eingeladen werden und so weiter. Clubs für die reichen Söhne reicher Väter, Frauen sind bestenfalls schmückendes Beiwerk, Clubs fürs Leben, „man kennt sich“ und schanzt einander die wichtigen Posten in Wirtschaft und Politik zu. Alles höchst elitär und männerbündisch. Einige dieser Clubs sind offiziell, es gibt eigene Clubblazer und -fliegen, die man aber nur unter bestimmten Bedingungen tragen darf, und was auf jeden Fall hilft, ist, außerdem im Boxclub zu sein. Glücklicherweise ist Hans sowieso Boxer, und außerdem hat er Charlotte an seiner Seite, die aus den entsprechenden Kreisen stammt und ebenfalls ein Interesse daran hat, dass er etwas herausfindet. Auch sie sagt ihm zunächst nicht, worum genau es geht, verhilft ihm aber zum Eintritt in den Club. Und dann gibt es noch einen geheimen Club, dessen Mitglieder auf der Rückseite ihrer Fliegen einen Schmetterling eingestickt haben, aber das weiß niemand. Und spätestens beim Aufnahmeritual für diesen speziellen Club wird es dann richtig ekelhaft. Und eben so, dass man es kaum aushält, weil man nicht möchte, dass das passiert, was passiert – dabei ist nichts davon besonders explizit geschildert, aber man fühlt sich so nah dran, dass man am liebsten eingreifen möchte. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass die Figuren so plastisch sind, es gibt wechselnde Perspektiven, hauptsächlich die von Hans, aber auch alle anderen kommen zwischendurch immer mal wieder als Ich-Erzähler zu Wort, manche mehr, manche weniger. Dadurch lässt einen gar nichts kalt, keine Figur ist einem egal. Man mag sie, man verachtet sie, man möchte sie in den Arm nehmen oder schütteln und manchmal beides. Großartig ist das, ich bin wirklich begeistert.
UND! Es ist in gestreifte Seide in den Clubfarben gebunden! Und hat ein Lesebändchen. Ausdrückliche Leseempfehlung auch für Männer, die sonst nicht viel lesen.

Takis Würger: Der Club. Kein und Aber, 240 Seiten, 22,- €. Auch als Hörbuch und E-Book.

Hier ein Bericht von Takis Würger über seine eigene Zeit in Cambridge.
Und hier ein Gespräch im Deutschlandradio.

Anderswo. Das Feuilleton

- „Das ist, um es mit einer aggressiven Alliteration anzuprangern, ganz gemeine Gehirnwäsche! Verzweifelte Vorleseväter fordern: Lasst Leo einen Loser sein.“ Leidende Eltern über die schlimmsten Kinderbücher. Hihi.

- Iris Radisch findet auch was blöd, und zwar, dass Autoren ihre eigenen Bücher besprechen.

- Peter Bichsel über Verschiedenes. Man möchte sofort etwas von Peter Bichsel lesen, kann da jemand was empfehlen?

- F. W. Bernstein in der ZEIT über Sinn und Unsinn.

- Mein Kollege Frank Heibert hat Hausbesuch bekommen.

- Katy Derbyshire und Clemens Meyer sind für den Man Booker International Prize nominiert! Wooohoo, Katy, ich drücke alle Daumen! Hier sprechen die beiden über den Roman, der auf Englisch Bricks and Mortar heißt.

Anderswo. Das Feuilleton

- Jochen Bittner regt sich über das Deppen Leer Zeichen auf. Zu Recht, wenn Ihr mich fragt.

- Und jetzt auch noch das: Der Punkt verschwindet angeblich auch, sagt Tilman Prüfer! Wo soll das noch hinführen?

- In Bristol kümmert sich jemand um falsche Apostrophe: The Banksy of Punctuation.

- Ein alter Artikel von 1993: Dieter E. Zimmer über den Übersetzerskandal um Lemprières Wörterbuch. Und dann gleich über Literatur- und Übersetzungskritik. Lang, aber sehr interessant, auch wenn ich ihm hier und da widersprechen würde.

- Nochmal lang, interessant und alt (na gut, vom letzten Oktober): Marcel Hartges war Verleger bei Piper, jetzt hat er sich mit einer Agentur selbständig gemacht. Was das bedeutet, hier im Gespräch mit Angelika Klammer.

- Erwin Magnus (1881-1947) übersetzte in den 20er-Jahren fast das gesamte Werk von Jack London. Sein Honorar war an die Verkäufe gekoppelt. Dann kamen die Nazis, und Magnus war Jude. Ein Radiofeature von Christian Blees.

- Wer nicht auf der Leipziger Buchmesse war, kann hier drei Stunden Blaues Sofa nachgucken. Leider steht nirgends, wer auf dem Sofa sitzt und man wen zu welchem Zeitpunkt im Video ansteuern kann. Es fängt an mit: Wladimir Kaminer, Nora Bossong, Aslı Erdoğan, Sharon Dodua Otoo, Jostein Gaarder, weiter habe ich noch nicht geguckt.

- Bei „Round not Square“ ist ein Rollcomic erschienen: Paul Rietzl: Shipwreck. Schon die Rezension vom Timur Vermes macht Spaß zu lesen.

- Und das hier ist auch rund.

Als dein Gesicht vor mir sich hob

Als dein Gesicht vor mir sich hob
und aufging über meinem Leben,
begriff ich erst: Erbärmlich arm
war ich. Nichts konnte ich dir geben.
Du schenktest mir den Wald, den Fluss,
das Meer in immer neuen Farben.
Durch dich erst war die Welt für mich
gemacht aus Regenbogengarben.
Jetzt hab ich Angst, es könnte sein,
der Sonnenaufgang geht zu Ende,
die Freudentränen trocknen ein.
Jetzt hab ich Angst. Und doch, ich wende
mich nicht dagegen, weil ich weiß:
Ich hab aus Liebe Angst. – Ich liebe.
Ich gäbe, gegen meine Art,
was drum, wenn diese Angst mir bliebe.
Von Angst bin ich gepackt. Von Angst,
wie schnell solch Augenblick vorüberweht.
Für mich sind alle Farben tot,
wenn dein Gesicht mir untergeht.

Jewgeni Jewtuschenko, Nachdichtung von Joachim Rähmer

Jewgeni Jewtuschenko ist gestorben.

Dieses Gedicht war einer meiner allerersten Blogeinträge, damals, 2005, weil der Rhythmus mich so begeisterte. Und heute ist ein guter Tag für ein Liebesgedicht im Blog, weil ich heute auf der Hochzeit eines Bloggers war. Lieber Bloggerfreund, wenn Du das hier liest, und deine zauberhafte Frau: Ich wünsche Euch, dass Ihr diese Angst nur im positiven Sinne habt.

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