Bachmannpreis 2014

Seit Jahren sehe ich die Fotos aus Klagenfurt im Internet. Anfang Juli treffen sich dort Autoren, Lektoren, Agenten, Kritiker und zunehmend Leute, die „einfach so“ interessiert sind und am Rande des Wettbewerbs Quatsch machen. Der Wettbewerb (nein, ich werde nicht „Bewerb“ schreiben) geht so, dass jeder der sieben Juroren zwei Kandidaten einlädt, die je eine halbe Stunde lesen und dann eine halbe Stunde lang vor versammelter Fernsehnation zerpflückt werden. Eine dezent brutale Veranstaltung eigentlich, und die Juroren sind manchmal durchaus nicht zimperlich. Das Ganze geht drei Tage lang.
Dieses Jahr (nein, ich werde nicht „heuer“ schreiben) im Frühjahr sagte meine Freundin Karen Köhler plötzlich, dass sie nach Klagenfurt eingeladen ist. Wohoo! Und endlich ein echter Grund hinzufahren.
Nur, dass Karen dann punktgenau die Windpocken bekam und zu Hause bleiben musste. Man kann sich mit einer so ansteckenden Krankheit nicht in Menschenmengen begeben, das geht einfach nicht. Und der ORF befand die persönliche Anwesenheit der Autoren für unabdingbar, der Text konnte also weder von jemand anderem vorgelesen werden, noch von Karen selbst über Skype.

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Also flog ich ohne Karen nach Klagenfurt. Wie die Lesungen im Einzelnen waren und was die Jury dazu meinte, kann man alles im Internet nachlesen, entweder unter Bachmannpreis.eu oder bei der Kaltmamsell (1, 2, 3, 4), die nämlich auch dort war. Ebenso wie lauter andere nette Leute, die ich kannte oder nicht kannte oder aus dem Internet kannte, und die eigentlich der Grund waren, dorthin zu fahren. Denn die Lesungen, die kann man ja auch im Fernsehen verfolgen, die Lesungen allein wären kein Grund gewesen hinzufahren.
Ich verstehe diese Lesungen auch nicht ganz. Ist es ein Vorlesewettbewerb? Meistens wird der Vortrag in der Jurydiskussion nicht weiter beachtet. Dieses Jahr musste sich eine Vortragende anhören, sie hätte ihren Text kaputtgelesen und ihre Figuren damit denunziert. Starker Tobak. Bei einem anderen schieden sich die Geister, ob sie es toll fanden oder gerade nicht. Bei allen anderen wurde nichts weiter zum Vortrag gesagt. In wieweit der Vortrag also bei der Beurteilung eine Rolle spielt: man weiß es nicht. In meiner eigenen Wahrnehmung spielt er eine ziemliche Rolle. Ich muss zu meiner Schande nämlich gestehen, dass ich offenbar ein Problem mit Dialekten habe. Wenn Österreicher oder Schweizer lesen, kann ich dem Text kaum folgen, weil ich in Gedanken so sehr mit Dingen wie Satzmelodie oder dem Auskosten von Vokalen beschäftigt bin, dass ich den Text gar nicht voll mitkriege. Blöd ist das.
Aber die Juroren kennen die Texte ja vorher. Die nächste Frage, die sich manchmal aufdrängt, ist, ob es den Juroren wirklich darum geht, die besten Texte zu finden, oder ob es nicht manchmal auch darum geht, den eigenen Kandidaten durchzubringen. Manchmal kann man den Eindruck bekommen, dass sowas wie „du hast meinen Kandidaten schlechtgemacht, also mache ich deinen schlecht“ mit in die Beurteilungen einfließt. Und dann vergisst man womöglich, dass da jemand sitzt, der sich Mühe mit einem Text gegeben hat, und dem man jetzt um die Ohren haut, es sei ja doch etwas gewagt, sich mit einem so schlechten Text hierher zu trauen. Mit ein bisschen Pech wird einem als Autor da ganz schön was zugemutet.

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Das zum offiziellen Teil. Aber der inoffizielle! Klagenfurt liegt nämlich am Wörthersee. Und es ist herrlichstes Wetter. Alle haben Fahrräder gemietet und fahren nach den Lesungen zwischen Stadt und See hin und her, immer am Kanal entlang, auf einer breiten Fahrradstraße in der Sonne, man trifft immer bekannte Gesichter. An den See? Wo guckt Ihr nachher Fußball? Mal sehen, vielleicht komme ich da auch noch hin. So geht es vier Tage lang.
Am Mittwoch Abend ist die Eröffnung, vor dem Sendegebäude des ORF gibt es einen kleinen Garten mit Fernsehern und Bierbänken, man muss nicht in den ohnehin überfüllten Sendesaal, sondern kann draußen zugucken und nebenbei Schwätzchen halten. Nach dem offiziellen Teil gibt es Buffet und Regen, wir werden beim Heimradeln nass, macht nichts.

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Am Donnerstag Nachmittag nach den Lesungen hat der Hanser-Verlag tatsächlich eine Soli-Lesung für Karen organisiert, wie toll ist das denn! Hubert Winkels (der Juror, der sie eingeladen hat), Jo Lendle (Hanser-Verleger) und noch eine Frau (?) lesen Karens Text vor, und Karen hat eine Videobotschaft mit weiß markierten Windpocken (Zinksalbe) im Gesicht geschickt. Hinterher ist hier und da zu hören, das sei der beste Text bisher gewesen. Ach, was für ein Jammer. Abends ist der Empfang des Bürgermeisters im Schloss Maria Loretto, mit noch schickerem Büffet als am Mittwoch, und mit schickerer Aussicht über den See im Abendlicht. Sensationell. Herumstehen, Wein trinken, Leute treffen, die man kennt, neue Leute kennenlernen, mehr Wein. Ich trage die höchsten Schuhe, die ich je besessen habe, und sinke im Rasen ein.

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Am Freitag Nachmittag erst Schwimmen, dann Fußball, danach bin ich etwas unschlüssig. Am Samstag habe ich nämlich Geburtstag, da möchte ich gerne mit irgendwem reintrinken, aber meine Leute sind irgendwie gerade alle abhanden gekommen. Es sind nur noch zwei, drei Leute da, die ein bisschen wichtiger sind, sie gehen ins Maria Loretto essen, sagen sie, ob ich mitkomme. Ich weiß nicht recht, ich möchte mich da nicht reindrängen, gehe aber schließlich doch mit, und dann wird es ein bisschen bizarr, weil nämlich, wie ich erst am nächsten Tag höre, die ganze Haute Volée freitags abends immer ins Loretto essen geht und ich plötzlich an einem VIP-Tisch sitze, an den ich definitiv nicht gehöre. Nicht, dass es nicht nett wäre, im Gegenteil, aber ich fühle mich komplett deplaziert. Aber immerhin kann ich jetzt mitreden, wenn es um den betrügerischen Kellner geht, Küss-die-Hand.

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Später dann wieder am Lendhafen, habe ich den Lendhafen schon erwähnt? Der Lendhafen ist gar kein Hafen, sondern das Café am Ende des Lendkanals, ganz in der Nähe des ORF-Gebäudes, wo es Bachmannpreis-Public-Viewing im Freien mit Getränken und W-LAN gibt und wo folglich „immer“ „alle“ sind. Dort sind auch jetzt alle, oder jedenfalls alle, die nicht auch noch das zweite Fußballspiel sehen wollen.
Um zwölf Uhr singen die Damen Sopran und Passig mir zweistimmig im Kanon „Viel Glück und viel Segen“, und ich bin total gerührt.

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Am Samstag schließlich sind nur noch vormittags Lesungen, und meine Agentin schenkt mir eine original Klagenfurter Trachtenkette. Sie soll mir Glück bringen und mir vorschlagen, nächstes Jahr selbst in Klagenfurt zu lesen. Ha! Haha! Hahahaha! Egal, ich trage sie seitdem, die Literaturkette, himmelblau mit Herzchen. Möge sie literarisches Glück bringen.

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Am Nachmittag bricht der Freizeitstress aus. Es steht das wichtigste literarische Ereignis des Sommers an: Das Bachmannwettschwimmen. Das Wettschwimmen wird in zwei Kategorien ausgetragen, Forellen und Steine. Die Steine schwimmen mit einem aufblasbaren Gummitier (von einem winzigen Krokodil bis zu einem ausgewachsenen Einhorn) und müssen nur bis zur ersten Boje schwimmen, die Forellen schwimmen ohne Hilfsmittel und bis zur zweiten Boje. Mir ist das alles wurscht, klar schwimme ich mit, ich bin keine große Schwimmerin, ich will mich auch bei den Gummitieren nicht vordrängeln, also schwimme ich Forelle, Platzierung egal. Nur, als es losgeht, packt mich dann irgendwie doch ein kleiner Ehrgeiz, blamieren will ich mich doch auch nicht, also schwimme ich los und beeile mich und stelle kurz vor der Boje fest, dass vor mir nur noch eine Frau ist, nämlich die Wucht. Wir schwimmen zusammen zurück, aber kurz vor Schluss hänge ich sie noch ab und komme tatsächlich als erste Forellenfrau ins Ziel. Interessiert natürlich keinen, denn Männer und Frauen werden nicht getrennt gewertet, aber ich freu mich trotzdem.

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Um gleich kurz drauf noch die Wörtherseekreuzfahrt anzutreten, die ich mir mit einer Spende für den Preis der automatischen Literaturkritik erworben habe. Die Kreuzfahrt findet per Tretboot statt, ich habe drei reizende Mittreter, Clemens Setz, Susanne Englmayer und Frau Rossi, wir strampeln eine Stunde auf dem See herum und haben Spaß. Kinder, wie ist das alles herrlich hier. Wie Klassenfahrt.
Nach der Kreuzfahrt gehe ich mit meiner Agentin essen, und dann gibt es zum Abschluss noch einen Quizabend, den die Gruppe gewinnt, die die meisten Laptops dabei hat und am besten googeln kann. Oder, wie in irgendeiner Zeitung stand, „eine Gruppe von Schlaumeiern um …“ ich will ja hier keine Namen nennen. Großer Spaß jedenfalls, ich bin in alle verliebt und will nächstes Jahr gleich wiederkommen (bevor ihr fragt: nein, durchaus nicht zum Lesen, ich bin ja nicht irr). Ich hoffe natürlich, dass Karen nächstes Jahr wieder eingeladen wird, um die verpasste Chance nachzuholen. Dann halte ich ihr eben nächstes Jahr das Händchen.
Über die Vergabe des Preises ist viel geschrieben worden, ich halte mich mal zurück. Ich habe ein paar Lesungen verpasst und könnte über die anderen auch nur wenig Kompetentes sagen. Ich freu mich für Tex Rubinowitz, den ich mag und dessen Text ich auch sehr mochte. Herzlichen Glückwunsch, auch den anderen Gewinnern!

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Nach der Preisverleihung zerfasert alles, ich finde, der ORF oder ein befreundeter Winzer könnte noch ein Glas Sekt zum Anstoßen ausgeben, stattdessen stehen alle unschlüssig herum, die einen müssen schon los, die anderen wissen auch nicht recht, wir wollen mit drei Leuten noch ein letztes Mal schwimmen, aber dann lassen wir uns doch noch zum Essengehen überreden, schnell noch eben, bevor wir ein letztes Mal baden, und dann dauert das Essen so lang, dass das mit dem Baden nicht mehr klappt, sondern ich schon flitzen muss, um mein Fahrrad zurückzugeben und mein Gepäck zu holen und ein Taxi zum Flughafen zu nehmen.
Tschüss, Klagenfurt, das war so, so schön. Ich komme sehr gern nächstes Jahr wieder.

Tirili-Nachlese

Unser Tonmann Lars hat wieder ganze Arbeit geleistet und sogar eine komplett neue Webseite eingerichtet für die Aufnahme der Tirililesung, und so gibt es jetzt den ganzen gestrigen Abend zum Nachhören. Bitteschön: Tirili!
Es war ein wundervoller Abend, wie immer, mit wirklich tollen Texten und zauberhaftem Publikum. Danke Euch allen!

Wohnzimmerlesung mit Nunu Kaller

Und das kam so: KiWi bucht den Werbeplatz in meinem Blog für das Buch „Ich kauf nix“ von Nunu Kaller. Deswegen lese ich es, und beim Lesen denke ich: gute Person. Also quatsche ich sie bei Facebook an, wie das so meine Art ist, und wir geraten sofort ins Chatten – ja, das geht, man kann sich nach drei ausgetauschten Nachrichten mehr oder weniger sympathisch sein, und das hier ist eindeutig ein Fall von: mehr.

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Und während wir noch über „wenn du mal nach Wien kommst“ und „falls du mal in Hamburg bist“ witzeln, ergibt es sich, dass sie kurzfristig tatsächlich beruflich nach Hamburg soll. Und zwar ein bisschen zu kurzfristig, um noch eine „offizielle“ Lesung an einem der üblichen Veranstaltungsorte unterzubringen, also beschließen wir kurzerhand, eine private Wohnzimmerlesung bei uns zu Hause zu machen. Unser Wohnzimmer eignet sich dafür, wir denken schon länger über so etwas nach, und zack! passiert es quasi von ganz allein. Ebenso von-ganz-allein kommt dann auch noch RTL. Das schreiben wir auch in die Einladung, es glaubt aber niemand. Hihi.
Was sich übrigens auch mal wieder herausstellt: wenn man sich virtuell schon gut leiden kann, klappt es in Echt meist auch. Nunu ist in Wahrheit genauso super, wie man sie sich vorstellt.

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Unsere Vorstellung von Wohnzimmerlesung geht so: wir machen uns keine Arbeit und haben kaum Kosten. Wir kaufen Bier, Wasser und Erdnüsse, die Gäste bringen Wein mit. Fertig.
Und es funktioniert wunderbar. Die Leute von RTL kommen anderthalb Stunden früher, bauen Scheinwerfer und Kameras auf und interviewen Nunu erstmal, und dann kommen alle Gäste pünktlich und haben Wein dabei. Super Gäste!
Bei der Lesung selbst macht RTL sich dann unsichtbar, man bemerkt sie kaum. Einer der Gäste prangert hinterher an, seine Vorurteile gegen den bösen Sender seien geradezu hinterrücks gemeuchelt worden, denn, ich zitiere: die waren ja total nett! Womit er Recht hat. Schlimm.

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Nunu liest eine knappe Stunde, und zwar eine gute Mischung. Sie fängt an mit „wie alles anfing“, damit man erstmal weiß, worum es geht, und liefert dann eine sehr gute Mischung der Themen, die sie im Buch anspricht: wie sie sich an der Nähmaschine versucht, wie indische Baumwollbauern zu hunderttausenden erst in die Schulden und dann in den Selbstmord getrieben werden, und zum Schluss über eine Verhütungshose (Kurzfassung: selbstgenäht. Verhütung durch Hässlichkeit).

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Am Ende sind alle glücklich, kaufen Bücher, trinken noch ein Glas Wein oder vier, bleiben sitzen, halten Schwätzchen, landen in sonderbaren Ecken des Wohnzimmers, weil alles voller Stühle steht und der Couchtisch weggeräumt ist, oder stehen in der Küche vorm Kühlschrank im Weg, also genau so, wie es sein soll. Und wir, wir beschließen sofort, dass wir das demnächst öfter machen, denn das war ein wunderbarer Abend. Ich liebe es, die Bude voll zu haben. Danke, Nunu!

Wer am Montag Mittag (17. Februar) zu Hause ist, kann ja mal RTL „Punkt 12″ einschalten.
ACHTUNG: HEUTE! Dienstag, 18. Februar. Man könnte mal so um viertel vor eins einschalten.

So: hier ist die Sendung.

[Bilder, bis auf das zweite: Maximilian Buddenbohm. Er wird dann halt demnächst immer gleich mitgebucht. Ich liebe dieses letzte Bild von Nunu.]

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