Alle kennen die Muminfamilie, also: gefühlt alle, außer mir. Irgendwie sind die Bücher in meiner Kindheit komplett an mir vorbeigegangen, aber es spricht ja auch nichts dagegen, das noch nachzuholen. „Herbst im Mumintal“ war also mein erstes Muminbuch, und gleichzeitig auch nicht, denn es kommen gar keine Mumins darin vor. Obwohl alle solche Sehnsucht nach der Muminfamilie haben, als es Herbst wird. Da ist der Hemul, der immer für alle irgendwas organisiert und allen sagt, was sie tun sollen. Weil er eigentlich nur will, dass es allen gut geht. Die Filifjonka, die dauernd putzt und auch ganz gut kochen kann, sich aber fürchterlich vor kleinen Krabbeltieren ekelt. Und die gern ein bisschen mehr wie die Muminmutter wäre. Oder der ängstliche und schüchterne kleine Homsa, der tolle Geschichten erzählt. Der griesgrämige Schnupferich, der so schön Mundharmonika spielen kann. Und der uralte Onkelschrompel, der froh ist, dass er einfach alles vergessen kann. Und die Mymla, die ihre kleine Schwester Mü mal wieder sehen möchte. Sie alle brechen zum Herbstanfang auf ins Mumintal, weil es dort so schön ist, aber die Mumins sind gar nicht da. Und so richtet diese bunt zusammengewürfelte Gesellschaft von mehr oder weniger einsamen Eigenbrötlern sich im Haus der Mumins ein. Und das ist alles unglaublich warm und schön und gleichzeitig irgendwie traurig, und so voller kleiner Lebensweisheiten und Melancholie und Herzlichkeit. Und mal ehrlich: wer nicht schon von dem Namen „Onkelschrompel“ hingerissen ist, dem ist wohl nicht zu helfen. Onkelschrompel. Wundervolle Figur. Genau wie der Schnupferich. Und die Mymla. Und … naja, alle halt. Ganz großartiges Buch, davon kommen sofort noch ein paar mehr auf den Wunschzettel. Dann vielleicht welche *mit* Mumins, denn jetzt habe ich so viel über die Mumins gelesen, dass ich auch was über sie lesen will, wenn Ihr versteht, was ich meine.
Ganz herzlichen Dank an Nils Mohl für die Empfehlung und an Giardino für das Geschenk!
Tove Jansson (Birgitta Kicherer): Herbst im Mumintal. Arena-Verlag. Gebunden, 12,95 €
Taschenbuch, 4,99 €
(Die Links führen zum Webshop der Buchhandlung Osiander. Wenn Ihr das Buch dort bestellt, werde ich unermesslich reich.)
Ruths gut durchorganisiertes Leben gerät ein bisschen in Wallung, als erstens ihr Mann für längere Zeit beruflich nach Australien entschwindet, und zweitens ihr 87-jähriger Vater Edek aus Australien zu ihr nach New York zieht. Er besteht darauf, ihr bei der Arbeit zur Hand zu gehen: Ruth schreibt nämlich Briefe für andere Leute – Kondolenz-, Liebes- und Glückwunschbriefe, was auch immer die Leute sich selbst nicht so recht zutrauen; Ruth findet immer die richtigen Worte und verdient damit ganz gut Geld. Edek allerdings will sie nun unterstützen und bestellt wie weiland Loriots Pappa ante Portas große Mengen von Büroartikeln, die sie nicht braucht.
Das hört allerdings einigermaßen schnell wieder auf, Edek hat plötzlich dauernd „zu tun“, und Ruth wird etwas misstrauisch. Tatsächlich tauchen bald zwei Urlaubsbekanntschaften aus Polen auf (Katastrophe!), zwei ältere Damen, wenn auch 20 Jahre jünger als der Vater, und beabsichtigen offenbar, in New York zu bleiben (Katastrophe!). Edek nimmt die beiden bei sich auf und plant, mit ihnen ein Restaurant zu eröffnen. Ka-ta-stro-phe! Man kann ja nicht einfach so mit fast keinem Geld ein Restaurant in New York eröffnen. So weit zur Story.
Im Klappentext steht: „Lily Brett schreibt, wie Woody Allen Filme gedreht hat.“ (Brigitte Woman) Das trifft es haargenau: Neurotische New Yorker Juden machen sich entweder entsetzlich viele Sorgen über alles und nichts (vor allem über nichts), oder sie haben eben Chuzpe. Alle reden aneinander vorbei und schaffen es nicht, einfach mal zu sagen, was Sache ist. Und das geht mir spätestens nach der Hälfte einigermaßen auf den Zwirn. Da denke ich nämlich dauernd: verdammte Axt, dann sag es doch einfach! Oder: ja, wir haben den Witz / die Neurose jetzt verstanden, können wir jetzt mit der Story weitermachen?
Dazu kommen viele Redundanzen; dauernd wird das gleiche noch mal mit anderen Worten gesagt, und dann noch mal, und dann vielleicht noch mal mit denselben Worten wie beim ersten Mal. Puh. Und dann sind auch noch manchmal so logische Ungereimtheiten drin – da ruft eine der Damen an und fragt, ob Ruth ihnen einen Gefallen tun und mit zum Tai-Chi gehen könnte. Ruth ist natürlich mal wieder entsetzt („was, Ihr macht Tai-Chi?“), und dann geht sie mit, und dann … nichts. Weder wird klar, in wiefern das ein Gefallen für die anderen war, die da sonst allein hingehen, noch bringt es die Story auf irgendeine andere Weise voran.
Trotzdem habe ich es zu Ende gelesen, obwohl auch das Ende absehbar war (nein, der alte Vater stirbt nicht! Niemand stirbt! Sorry für den Spoiler). Also, irgendwie ist das schon nett, sind auch gute Typen drin, aber alle einen Tick zu dick aufgetragen, und man hätte viele Redundanzen rauskürzen und dafür die Geschichten der Leute, für die Ruth die Briefe schreibt, ein bisschen ausführlicher erzählen können. Denn da werden quasi lauter Geschichten angefangen, die dann aber versickern.
Fazit: ja, nett. Stellenweise auch wirklich lustig. Aber kein Muss. Wobei ich es deswegen gelesen habe, weil ein paar Leute total begeistert waren, unter anderem die Lieblingsbuchhändlerin. Und die sind ja auch nicht doof, ist also wohl auch Geschmackssache. Wie Woody Allen eben. Wer auf Woody Allen steht, wird auch dieses Buch lieben.
Lily Brett bekommt einen illustren Regalplatz zwischen Brecht und Brillat-Savarin.
Lily Brett (Melanie Walz): Chuzpe. Insel Taschenbuch, 10,00 €
Gebunden, Suhrkamp, 19,80
(Die Links führen zum Webshop der Buchhandlung Osiander. Wenn Ihr dort bestellt, bekomme ich ein paar Cent.)
Christoph Niemann ist ein deutscher Illustrator und Designer, der lange in New York gelebt hat, und bisher fand ich alles, was ich von ihm gesehen habe, sensationell. Ich verstehe nichts von Kunst und Design, bin aber vor allem beeindruckt, wie er es schafft, immer wieder überraschend zu sein, immer wieder etwas vollkommen Neues und Anderes zu machen, das aber trotzdem immer unverkennbar Niemann ist. Außerdem ist er klug und hat einen guten Humor, ich muss immer lachen und würde schrecklich gern mal ein Bier mit ihm trinken gehen.
In diesem Buch sind die Sachen versammelt, die er im Laufe von ein paar Jahren für sein Blog bei der New York Times gemacht hat. Ein paar davon hatte ich auch hier im Blog verlinkt; eine meiner Lieblingsnummern ist immer noch Let it dough.
Das Buch ist durchgehend farbig und durchgehend wundervoll, und ich schlage ausnahmsweise mal vor, es auf Englisch zu kaufen, statt auf Deutsch. Und zwar vor allem wegen der Biodiversity, denn das dürfte schwer zu übersetzen sein. Aber was verstehe ich schon vom Übersetzen, vielleicht hat es ja wunderbar funktioniert. Ich nehme an, Niemann hat sich selbst übersetzt, jedenfalls ist bei Amazon kein Übersetzer angegeben. Dann dürfte er seinen Humor zumindest gut getroffen haben, und dann ist es auf Deutsch doch vielleicht genauso wunderbar.
Christoph Niemann: Abstract City – Mein Leben unterm Strich. Deutsche Ausgabe. 256 Seiten. Knesebeck, 19,95 €
Christoph Nieman: Abstract City. Englische Ausgabe. Harry N Abrams. 267 Seiten, 18,25 €.
(Englische Ausgabe ausnahmsweise bei Amazon verlinkt, weil schneller und billiger. Gibt’s aber auch beim kleinen Buchhändler Eures Vertrauens.)
Zur Webseite von Christoph Niemann.
Hey, Wolf Haas! Bin ich Fan von. So sehr, dass ich ihm auch den bescheuerten Titel und das unschöne Cover verzeihe. Beides erklärt sich natürlich im Laufe des Buchs und ist dann doch nicht mehr so bescheuert. Der Titel sowieso, und auch das Cover wird klar: tatsächlich ist es nämlich so, dass der Autor sozusagen mitspielt, er schreibt einen Roman im Roman über einen Freund, der dann sowohl im Roman-im-Roman, als auch in der Rahmenhandlung auftaucht.
Dieser Freund, Benjamin Lee Baumgartner, hat sich in seinem Leben dreimal Hals über Kopf verliebt. Einmal in England, als dort gerade BSE ausbrach, beziehungsweise Menschen damit angesteckt wurden. Und dann in China, als die Vogelgrippe grassierte und man fürchten musste, dass sie die Menschheit ausrotten würde. Und dann schließlich war Benjamin Lee Baumgartner das erste registrierte Opfer der Schweinegrippe, aber das hatte nicht so viel mit Verliebtheit zu tun.
Und mittenrein schreibt der Autor seine Anmerkungen darüber, was er noch in den Text einfügen oder an eine andere Stelle verschieben will – und da haben wir es nicht mit einer fiktionalen Autorenfigur zu tun, sondern durchaus mit Haas selbst (er ist das auch auf dem Cover). Und dann gibt es gelegentlich auch noch typografische Spielereien. Und dann dreht er die Schraube immer noch einen weiter.
Und wenn das alles nicht von Wolf Haas wäre, dann wäre es höchstwahrscheinlich doof. Aber es ist Wolf Haas, und der ist bei all dem einfach so dermaßen hemmungslos, dass es eben doch wieder gut ist, vor allem aber deswegen, weil er so toll erzählt, und weil er so toll Dinge weglassen kann, die dann irgendwann später in einem Nebensatz wieder auftauchen wie nebenbei, einem dadurch aber erst so richtig eine scheuern. Und weil er immer wieder so schön diese vorne eingestreuten Nebensächlichkeiten hinten wieder aufgreift, beispielsweise diese Hausarbeit über temporale und kausale Konjunktionen. Großes Kino, ehrlich.
Dummerweise … tja. Wie sag ich das jetzt? Irgendwie fand ich, dass es im letzten Drittel plötzlich ziemlich abfällt, und das Ende fand ich dann geradezu blöd. Wie schade ist das denn! Herr Haas! Das können Sie doch besser! Komische Sache. Vielleicht habe ich es auch nur nicht kapiert, vielleicht konnte ich auf die siebzehnte ironische Metaebene dann doch nicht mehr folgen? Ich habe halt gar nicht bemerkt, dass da eine ist.
Insgesamt also: Zwei Drittel lang ganz große Begeisterung, mehrfach schallend gelacht. Allerdings in der Tat eher trotz als wegen der Maniriertheiten mit dem stets präsenten Autor. Und dann am Ende – könnt Ihr das bitte auch lesen und mir sagen, dass ich beim Lesen nur zu erschöpft war, um das Ende goutieren zu können? Das wäre nett, danke. Weil, ich würde doch gerne Haas-Fan bleiben.
Eine von ganz vielen Lieblingsstellen:
Jedem von ihnen fiel auf, dass der andere ein bisschen rot wurde. Was sehr peinlich war, denn schließlich waren sie erwachsene Menschen. Und so wurden sie eigentlich rot, weil sie rot wurden. Ihm fiel auf, dass ihren unmerklich nach oben wandernden Pupillen auffiel, dass ihm auffiel, dass sie ein bisschen rot wurde, während ihr auffiel, dass ihm auffiel, dass ihr auffiel, dass er ein bisschen rot wurde, und obwohl jeder von ihnen noch hoffte, dass nur die Errötung des anderen sichtbar, das eigene Gesichtsgefühl aber noch eine unsichtbare, bloß farblose Wangenerhitzung sein möge, war der Prozess der unendlichen gegenseitigen Errötungshochschaukelung nicht mehr zu stoppen, bis ihnen nichts anderes mehr übrigblieb, als so zu tun, als wäre nichts.
Wolf Haas: Verteidigung der Missionarsstellung. 239 Seiten. Hoffmann und Campe, 19,90
Anscheinend nicht als E-Book erhältlich.
Danke nochmal an Pia für das Geschenk!
Kennt sich jemand mit dem Sony Reader aus? Auf meinem sind plötzlich sämtliche gekauften Bücher zwar noch da, lassen sich aber nicht mehr öffnen, wegen DRM. Irgendwas muss ich falsch gemacht haben. Ich habe es nicht gleich gemerkt, weil ich im Moment vor allem eigene pdfs darauf lese, kann also nicht mehr rekonstruieren, was passiert sein könnte. Da war neulich mal ein Software-Update, kann es damit zusammenhängen? Was kann ich tun?
Außerdem sind ein paar Bücher jetzt doppelt und dreifach drauf. Bzw. vierfach. Aber nur ein paar. Keine Ahnung, wie das passiert ist, aber diese Software ist auch wirklich sensationell unübersichtlich.
(Na, wer schreibt als erster „nänänä, mit Papierbüchern wär das nicht passiert“?)