Keine Entschädigung für die Opfer in Bangladesch
Tschuldigung, schon wieder ein Video. Aber es macht mich alles so wütend.
Tschuldigung, schon wieder ein Video. Aber es macht mich alles so wütend.
„Eine Packung Krabben reicht aus, um eine Ratte zu töten.“
„Auf ein Kilo Krabben kommen sieben bis neun Kilo Beifang.“ (Das ist quasi das gleiche wie bei anderen Tieren: um tausend Kalorien Rindfleisch zu gewinnen, muss man auch sieben- bis neuntausend Kalorien verfüttern. Ich mag ja hinkende Vergleiche.)
Nunu Kaller war schon halb auf dem Weg in die Shoppingsucht. Zumindest war sie so weit, dass sie sich damit selbst auf die Nerven ging, und so hat sie sich ein Jahr Auszeit verordnet: sie hat beschlossen, ein Jahr lang keine Klamotten zu kaufen. Ihr kluger Freund hat sie außerdem ermuntert, sich in dieser Zeit mit den Herstellungsbedingungen konventionell produzierter Kleidung zu beschäftigen. Über dieses Jahr hat sie ein Blog geführt, und daraus ist nun dieses Buch entstanden.
Ehrlich gesagt: als KiWi die Werbung da rechts gebucht hat, dachte ich, nun ja, so ein Blogger-Selbsterfahrungsbuch, ich sehe ein, dass sie das für meinen Werbeplatz ausgesucht haben, aber muss ich das wirklich lesen? Shoppingsucht hatte ich nie (im Gegenteil, ich hasse Shoppen, schon immer. Wohl liebe ich neue Kleider!), und mit den Abgründen der Textilindustrie habe ich mich sowieso schon immer wieder beschäftigt. In sofern passt es hier natürlich auch hin, und natürlich habe ich reingelesen.
Und dann fand ich es so charmant geschrieben, dass ich Nunu Kaller spontan auf Facebook kontaktiert und ihr die Blogwerbung gezeigt habe. Was soll ich sagen – wir haben ein bisschen gechattet und uns gleich gemocht (doch, das geht nach ein paar Zeilen), und dann habe ich das Buch in zwei oder drei Rutschen durchgelesen. Weil es wirklich Spaß macht und oft so schön selbstironisch ist. Dass ich es so zügig weggelesen habe, kann allerdings auch daher kommen, dass ich dauernd das Gefühl hatte, das auch schon alles selbst gedacht zu haben. Mit Ausnahme der Shoppingsucht und des erklärten Verzichts, aber ansonsten passierte uns ungefähr das gleiche: je mehr ich über die Zustände in der Textilindustrie wusste, desto weniger wollte ich an diesem System teilnehmen. Erst piepst nur irgendwas im Kopf leise „eigentlich sollte man das nicht kaufen“, aber dann kommt das Gefühl irgendwann nach und sagt sehr entschieden: Nein. Man will dann gar nicht mehr.
Oder die Szene „ich will gar nicht missionieren, aber es beschäftigt mich halt so!“ – die habe ich gleich dem lustigen Mann zum Lesen rübergereicht, weil ich mich so erwischt fühlte. Er hat nur „tja“ gesagt und gelacht. Hihi.
Oder dieses Gefühl der Überforderung, weil man gerne alles so richtig wie möglich machen würde, aber dauernd daran scheitert. Weil es eben nicht so einfach ist.
Was mir hingegen vollkommen abgeht, ist der Wunsch, Dinge selbst zu machen. Nunu versucht es mit unterschiedlichem Erfolg mit Nähen und Stricken – für mich vollkommen unvorstellbar, ich weiß genau, was dabei rauskäme.
Und dann sind natürlich auch noch eine ganze Menge Informationen eingestreut. Zwar habe ich mich auch immer wieder mit dem Thema befasst, aber vieles wusste ich trotzdem nicht. Etwa, wie die Firma Monsanto indische Baumwollbauern durch ihre skrupellosen Geschäftsmethoden in den Selbstmord treibt. Und zwar nicht ein paar einzelne, sondern 250.000 Bauern. Zweihundertfünfzigtausend! Oder dass die Deutschen im Jahr 2011 geschlagene sechs Milliarden Kleidungsstücke gekauft haben, das sind im Schnitt 75 Kleidungsstücke pro Person. In einem Jahr. Wer um alles in der Welt kauft so viele Klamotten? (Ich weiß es: ein Teil meiner Facebookfreundinnen, die sich gleich geoutet haben. 75 Kleidungsstücke jedes Jahr! Wahnsinn.)
Kurzfassung: das Tolle an dem Buch ist, dass Nunu Kaller das Thema natürlich ernst nimmt, sich selbst aber nicht. Dass ihr trotz aller fürchterlichen Erkenntnisse der Humor nicht abhandenkommt. Deswegen macht das so einen Spaß. Ich würde jedenfalls sehr gern ein Gurkengesöff mit ihr trinken gehen. Irgendwann machen wir das mal.
Es liegt bei jedem selbst, ein kritischer Konsument zu werden. Vor mir, nur weil ich an Sprechdurchfall leide und permanent reden muss über das, was mich bewegt, gibt’s nix zu beweisen. (S. 235)
Nunu Kaller bekommt im Regal einen Platz zwischen Mascha Kaléko und Wladimir Kaminer.
Nunu Kaller: Ich kauf nix. KiWi Taschenbuch, 8,99. Auch als E-Book.
(Partnerlinks zur Buchhandlung Osiander. Wenn Ihr es dort kauft, macht ihr mich unermesslich reich.)
Ihr erinnert Euch an den Regionalulf? Ich hatte ihn und seinen Regionalwarenladen hier vor einer Weile vorgestellt.
Jetzt soll eine ganze Aktiengesellschaft zur Vermarktung regionaler Produkte gegründet werden: Voilà, die
„Ganz einfach: Die Regionalwert AG verbindet Bürger, Landwirte, Weiterverarbeiter, Gastronomen und Händler. Und zwar durch einen regionalen Wertschöpfungsverbund:
Die Regionalwert AG investiert in regionale Unternehmen – von der Landwirtschaft bis zum Handel und verwandten Branchen.
Die Unternehmen verpflichten sich, hohe soziale und ökologische Standards einzuhalten – und dazu, sich untereinander möglichst viele Erzeugnisse abzunehmen.
So werden hochwertige Lebensmittel erzeugt – und direkt in der Region vermarktet. Kleine, nachhaltig wirtschaftende Betriebe bekommen wieder eine Perspektive.
Mit eigenen Dienstleistungen wie Betriebsführung, Vermarktung oder Logistik will die Regionalwert AG ihre Betriebe weiter stärken.
Bürger können sich als Aktionäre daran beteiligen – und damit aktiv Verantwortung für ihre Region übernehmen. Für die erste Kapitalerhöhung wird die Regionalwert AG Hamburg nach Gründung einen Wertpapierprospekt vorbereiten.
Das Ziel: Eine regionale Lebensmittelkette vom Acker bis zum Teller. Transparent, sozial und ökologisch – und mit möglichst hoher eigener Wertschöpfung.“
Vorbild ist die Freiburger Regionalwert AG, die sich hier vorstellt:
Find ick jut! Eine Facebookseite gibt es auch schon, und auf der oben verlinkten Webseite kann man einen Newsletter bestellen. Und dann bin ich gespannt, was noch kommt, wenn die AG erstmal gegründet ist und das Kapital erhöht wurde. Ich habe schon von total tollen Ideen gehört.
Vor einem halben Jahr schrieb ich hier über die Schwierigkeiten, ethisch und moralisch anständige Kleidung zu kaufen. Die Wertschöpfungsketten im Textilbereich sind dermaßen lang und komplex, dass man als Verbraucher unmöglich alles im Auge behalten kann. Es gibt ein paar wenige größere Unternehmen, die von sich behaupten, ethisch einwandfreie Kleidung zu produzieren; die andere Möglichkeit ist, regional produzierte Kleidung von ganz kleinen Herstellern zu kaufen. Und deswegen stelle ich jetzt hier eine meiner hamburger Lieblingsdesignerinnen vor, tadaa!
Annette verkauft seit 1997 ihre eigene Kollektion in einem kleinen Laden in der Bartelsstraße im Hamburger Schanzenviertel. Zunächst mit ein paar anderen zusammen, inzwischen nur noch mit der Hutmacherin Silvia Bundschuh. In dieser Zeit ist die Kollektion langsam gewachsen; einige Schnitte bleiben und werden in Variationen immer wieder neu aufgelegt, aber es kommen auch immer wieder ganz neue hinzu. Annette entwirft ihre Kleider zusammen mit ihrer Assistentin und einer Schnittdirectrice, und dann wird das meiste in Hamburg genäht, ein paar Serien auch in Stettin. Die Stoffe kommen zum größten Teil aus Italien und Großbritannien (Tweed!); alles hat also im Vergleich zur „großen“ Textilindustrie relativ kurze Wege. Okay, Baumwolle wächst in Europa nicht, aber irgendwas ist ja immer. Alle weiteren Verarbeitungsschritte finden zumindest in Europa statt, die letzten in Hamburg.
Dummerweise könnte ich immer gleich den ganzen Laden leerkaufen. Für Leute wie mich, die sogenanntes „Shoppen“ wirklich aus tiefstem Herzen verabscheuen, aber schöne Kleider mögen, sind solche Läden ja fatal: da hat man seinen Stil gefunden, also guckt man immer mal wieder in diese zwei-drei Läden rein, wenn man gerade in der Nähe ist, und muss ansonsten nie wieder shoppen gehen, weil man halt immer was findet. Was man meistens gar nicht gesucht hat. Und zack! ist der Kleiderschrank voll mit lauter schönen Sachen. Und das Beste ist: die haben die Komplimente quasi mit eingebaut. Weil Qualität und Verarbeitung wirklich super sind, und das sieht man gleich. Und weil die Schnitte immer gleichzeitig klassisch und modisch sind; nie so, dass man sie nach einer Saison nicht mehr sehen kann, aber halt auch nicht klassisch im Sinne von „bieder“. Sondern genau perfekt, wenn man beispielsweise ich ist.
Ich weiß doch, was Euch auf der Zunge liegt: Die Preisfrage. Natürlich gibt es diese Kleider nicht zu H&M-Preisen. Aber dafür wurden sie auch nicht für entwürdigendes Geld in Fabriken in Bangladesh zusammengetackert, die keine Fluchtwege und … ach, ihr wisst schon, ich reg mich schon wieder auf. Und es ist ja so: Wenn man etwa in größeren Bekleidungshäusern die etwas „besseren“ Marken kauft, dann kommen die Sachen auch aus China und sind kein Stück billiger als die von Annette Rufeger. Hosen kosten bei Annette normalerweise ca. 150,- €, Röcke knapp darunter, Blusen um die 100,- €, Kleider um die 200,- €, Jacken und Blazer um 280,- € und Mäntel ab 400,- €. Und manchmal ist auch Schlussverkauf, aber da muss man mit den Größen dann natürlich Glück haben.
Ein entscheidender Nachteil ist: das ist alles tolle Qualität, die Sachen gehen nicht dauernd kaputt. Man hat also leider nie triftige Gründe, dringend etwas Neues zu brauchen. Außer dass dieses eine Kleid ja wohl ganz eindeutig meins ist, das kann ich gar nicht nicht kaufen. Zum Beispiel dieses hier. Das seht ihr ja wohl ein.
Alle Fotos: Maximilian Buddenbohm. Großer Spaß, dieser Nachmittag mit Annette, ihrer Assistentin Henrike und dem lustigen Mann an der U-Bahnstation Hafencity Universität. Danke, Maximilian!
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Annette Rufegers und Silvia Bundschuhs Laden ist in Hamburg in der Bartelsstraße 2. Es gibt die Kleider außerdem bei Etage eins am Überseeboulevard in der Hafencity, und in Berlin bei „wertvoll“ in der Marienburger Strasse 39.
Hier nochmal der Link zu Annettes Webseite und zu ihrem Online-Shop.