Habe ich schon oft genug erwähnt, wie sehr ich Nadia Budde liebe? Ich finde ihre Bücher absolut wundervoll, diese schrägen Figuren, die nie nach gängigen Idealen „schön“ sind, sondern immer ganz anders als andere, alle individuell, aber unverkennbar, und eben auf ihre eigene Weise schön. „Und außerdem sind Borsten schön“ behandelt nun genau dieses Thema: Schönheits- oder andere Ideale, und dass jeder gern ein bisschen anders wäre, als er ist. Dicker, dünner, jünger, älter, größer, kleiner, heldenhafter, irgendwie jedenfalls anders. Außer Onkel Parzival, dem ist sein Äußeres egal. Und das aller anderen auch.
Und das Schönste ist: Nadia Budde kann nicht nur wundervoll zeichnen, sondern auch reimen. In manchen Kinderbüchern zieht der Nicht-Rhythmus einem ja die Schuhe aus, aber nicht bei Nadia Budde, da stimmt alles. So sehr, dass ich mir immer wieder ihre Bücher kaufe oder wünsche, auch wenn ich nicht direkt zur Zielgruppe gehöre (ab 3). Es ist einfach immer zu schön. Vielen Dank an Bücher am Lambertiplatz in Lüneburg, die mir das nach meiner Lesung dort schenkten! Jetzt ist es für mich nicht einfach nur so ein schönes Buch, sondern auch noch eins mit Erinnerung.
Nadia Budde: Und außerdem sind Borsten schön. Peter Hammer Verlag, 14,90 €
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Hier in Hamburg war gestern die „Lange Nacht der Museen“. Wir haben uns sozusagen für das kleine Paket entschieden, keine langen Wege: Kunstverein, Deichtorhallen, Haus der Fotografie. Liegt praktischerweise alles gleich nebeneinander, und das ist gut, denn die Schlangen an den Shuttlebussen sehen nicht nach einem großen Spaß aus.
Im Kunstverein ist im unteren Stockwerk eine Ausstellung von mehreren Künstlern, die sich alle mit demselben Roman auseinandersetzen: „Der Mann, der Donnerstag war“, von G. K. Chesterton. Wir erfahren nicht wirklich, worum es in dem Roman geht, wir erfahren nicht, welches Kunstwerk von wem ist, und wir erfahren schon gar nicht, was davon sich in welcher Weise auf den Roman bezieht. Alles komplett informationsfrei. Irgendwo liegt ein angegammeltes Bund Bananen auf dem Fußboden, wir sehen Tarotkarten, so ein Klappdings für Wischmops wird automatisch immer wieder ein Stückchen angehoben und fallengelassen, und woanders sagt eine Stimme „Ein Sack Zweifel, zwei Sack Eifel“. Wir sind zur Abwechslung mal wieder ratlos. Der Text am Eingang ist einer dieser Museumstexte: klingt schlau, lässt sich auch irgendwie ganz flüssig lesen, aber wenn ich hinterher reproduzieren sollte, was da steht: äh … also … irgendwas mit Geheimdiensten und Anarchie und Bedrohlichkeit? Nun denn.
Immerhin, den Raum mit den Fotografien finde ich imposant. Wir sind mit unserer alten Freundin Andrea da, sie versteht etwas von Kunst, sie macht das beruflich, sie erkennt, dass die Bilder von Gilbert und George sind. Steht aber natürlich nicht dran.
Im oberen Stockwerk ist eine Ausstellung von Norbert Schwontkowski: großformatige Gemälde, von denen mir einige wirklich gut gefallen. (Die älteren Leser erinnern sich vielleicht: ich unterteile Kunst meist in „schön“ und „nicht so schön“, ich Banausin.)
Als wir eigentlich gerade gehen wollen, kündigt sich Großes an: ein Auftritt von „Tulip, die singende Tulpe“. Und das ist keineswegs so schlimm, wie es erstmal klingt, sondern noch viel schlimmer. Ein Mann mit einer selbstgebastelten Papptulpe um den Kopp? Seriously? Im Museum?
Wir gehen weiter in die Deichtorhallen zur Ausstellung von Hans-Peter Feldmann, die mir gut gefällt. Mir sagte der Name natürlich nichts, aber Andrea sagt, er ist berühmt. Ich mochte da vieles. Lieblingsobjekt: eine ganze Reihe sich drehender, vielleicht schallplattengroßer Scheiben, auf denen allerhand Puppen, Tiere, Schneebesen und sowas montiert sind, und die so angestrahlt werden, dass sie auf die dahinterliegende Wand große Schatten werfen. Diese tanzenden Schatten sind sehr schön, sehr meditativ, da hätte ich eine Weile zugucken können. Auch sonst viel Schönes, auch Quatsch (manipulierte bekannte Gemälde, „Der Ursprung der Welt“ mit Bikinihosenabdruck, klassische Portraits mit roter Nase oder blauem Auge), eine Reihe Fotos von Autoradios während gute Musik läuft; Fotos, Gemälde, Objekte, Readymades, ich finde das sehr vielseitig und schön. Blöd nur, dass irgendwelche Kasper herumturnen und über Verstärker „lustige“ Sachen machen, in die sie das Publikum „einbeziehen“, was bedeutet, dass man immer mindestens auf der Hut, schlimmstenfalls auch auf der Flucht ist. Was, bitte, soll der Quatsch, ich möchte da in Ruhe gucken und nicht bekaspert werden. (Okay. Man könnte jetzt sagen, wer in Ruhe gucken will, soll nicht zur langen Nacht gehen. Ist was dran.)
Unsere letzte Station ist das Haus der Fotografie, wo eine Harry-Callahan-Retrospektive gezeigt wird und außerdem irgendwelche Kasper herumkaspern. Ich mag die Fotos, vor allem die von Callahans Frau Eleanor, schöne Fotos einer schönen Frau, und dann ist auch der Kasper weg und stattdessen kommt eine Jazzband. Auch recht. Wir sind aber jetzt schon ziemlich voll im Kopf und erschöpft, vier Ausstellungen in drei Häusern reichen, wir wollen nach Hause.
Auf dem Weg zum Bahnhof kommen wir noch am Kunsthaus vorbei, wo eine Fotoausstellung über Künstlerateliers gezeigt wird. Da gehen wir dann doch auch noch durch – ganz interessant, wie unterschiedlich Künstler arbeiten. Einer in einer Art Ballsaal, manche eher in Rumpelkammern, manche verblüffend aufgeräumt, andere so chaotisch, wie man es sich vorstellt. (Den Versuch, Männer und Frauen zu zählen, habe ich aufgegeben.)
Tatsächlich hatten wir uns vorher auch schon den ganzen Tag mit Kunst beschäftigt. Da wir selbst nämlich irgendwie zu blöd zum Bilderaufhängen sind, und schon erst recht für eine Petersburger Hängung, fragten wir Andrea, ob sie nicht eine Idee hätte. Es ging eigentlich vor allem um die leere Wand überm Bett und die fast leere Wand hinter meinem Schreibtisch. Und so wühlten wir den ganzen Tag in Bildern und Rahmen, hielten hier etwas hin und dort etwas nebeneinander, wischten Glasscheiben ab und schlugen Nägel in die Wand. Herausgekommen ist natürlich weder für die eine Wand, noch für die andere etwas, stattdessen haben wir jetzt eine neue Wand im Wohnzimmer. Voilà, die Sammlung Bogdan:
Im Uhrzeigersinn von links: Christoph Niemann, „Brooklyn Bridge“, Druck (auf Facebook gewonnen); Maximilian Buddenbohm, „Termin“, Fotografie (Geschenk des Künstlers); Gerd Brunzema, „Plantage“, 2007, und „In die Brombeeren gehen“, 2009, Druckgrafiken (Geschenke des Künstlers); Ellen Dressler, „Tordurchgang Richardstraße 3“, Aquarell, 1946 (Erbstück); Wolf Erlbruch, „Turnschwein“ (Kalenderblatt); Torsten W. Schneider, „Fußballer, zerrissen“, Fotografie (Geschenk des Künstlers).
Ein paar Tage hatte ich so richtig schlechte Laune. Einigermaßen grundlos eigentlich, ich habe halt mal wieder weniger geschafft, als ich mir vorgenommen hatte, ich will Frühling, ich war zu wenig draußen. Also Jammern auf hohem Niveau, aber manchmal ist man eben scheiße drauf. Vorgestern Abend las ich dann im Jazzlog den Eintrag über die Virtuelle Möhre. Hat mir sofort eingeleuchtet. Natürlich ist das ein alter Trick gegen schlechte Laune, sich auf irgendwas zu freuen, aber das Bild von der virtuellen Möhre kannte ich nicht, und es hat mir so gut gefallen, dass ich es gleich twittern musste.
Was für ein bescheuerter Scheißtag. Ich hätte eine virtuelle Möhre brauchen können, habe ich aber zu spät entdeckt. jazzlog.de/jazzlounge/201…
Das Internet ist einer der besten Orte der Welt. Und das liegt an Leuten wie Giardino. Heute bekam ich nämlich Post, ein kleines, weiches Päckchen. Danke, lieber Giardino, ich bin mal wieder sehr gerührt. Und werde mir etwas einfallen lassen, wie ich sie mir vor die Nase hänge, die unvirtuelle Möhre.
Dokumentarfilm über Harry Belafonte. Oder anders gesagt: Dokumentarfilm über Harry Belafontes Kampf gegen Rassismus, Hunger und andere himmelschreiende Ungerechtigkeiten auf der Welt.
Ich war ja vor genau einem Jahr schon schwer beeindruckt von Harry Belafonte, und mit Musik hatte das wenig zu tun. Wobei ich seine Musik auch mag.
Um Musik geht es auch im Film eher am Rande. Die Musik hat Harry Belafonte berühmt gemacht, und weil er berühmt ist, kann er sich für anderes einsetzen. So kämpfte er an der Seite Martin Luther Kings (den er immer noch respektvoll „Dr. King“ nennt) für die Gleichberechtigung der Schwarzen in den USA, unter anderem auch durch Fernsehauftritte mit weißen Künstlern zusammen, die immer wieder für Skandale sorgten (Petula Clark hat ihn berührt! Öffentlich, im Fernsehen!), überzeugte Bobby Kennedy, trommelte Märsche zusammen, wurde diskriminiert, natürlich, stellte riesige Konzerte für Frieden und Bürgerrechte auf die Beine, stellte sich zusammen mit Sidney Poitier dem Klan entgegen und sorgte dafür, dass auch in den Südstaaten schwarze Wähler registriert werden konnten. Er hat in Südafrika mit Nelson Mandela gekämpft, und er hat sich gegen den Hunger in Äthiopien engagiert. Und. so. weiter, die Liste ist quasi endlos.
Harry Belafonte ist 1927 geboren, berühmt wurde er Anfang der 50er Jahre, und seitdem hat sein politisches und soziales Engagement nicht nachgelassen. Heute arbeitet er mit Menschen in Gefängnissen und kämpft gegen die immer noch anhaltende Kriminalisierung von Schwarzen in den USA.
Seit 60 Jahren macht dieser Mann Musik und engagiert sich, er kämpft und kämpft und kämpft für Gerechtigkeit, erreicht unfassbar Großartiges, und dann kämpft er weiter, weil es nicht reicht, weil es nie reichen kann, weil die Ungerechtigkeit auf der Welt immer noch himmelschreiend ist und er das nicht zulassen kann. Es macht ihn wütend, und dann tut er etwas, er hat Ideen, er kannte schon immer einflussreiche Politiker und Künstler, und er lässt sich nicht verbiegen, lässt sich nichts einreden, lässt sich keinen Maulkorb verpassen. Ich hatte schon bei der Lesung vor einem Jahr das Gefühl, dass seine auffallend aufrechte Körperhaltung (der Mann ist 86!) mit seiner geistigen Haltung einhergeht.
Und bei allem Engagement und aller gerechten Wut hat er es irgendwie geschafft, nicht verbittert zu werden. Der Mann strahlt immer noch, er lächelt, er verströmt eine Freundlichkeit, die einem ans Herz geht, und er sagt (aus dem Gedächtnis zitiert): Ich bin immer optimistisch, ich habe immer Hoffnung, und Hoffnung ist das, was die Welt am dringendsten braucht.
Wie geht das, wie kann jemand, der dermaßen diskriminiert und erniedrigt wird, so positiv bleiben und so stark, und immer weitermachen? Keine Ahnung.
Man hat zwischendurch übrigens kurz den Eindruck, dass seine Familie bei all dem politischen Aktivismus ein bisschen zu kurz gekommen ist. Um hier wenigstens noch irgendetwas Negatives über den Mann zu sagen.
Ich habe keine Ahnung, ob das nach irgendwelchen Filmkunst-Kriterien ein „guter Film“ ist. Wahrscheinlich schon, denn er verwebt sehr geschickt Belafontes musikalische Karriere mit seinem politischen Engagement. Mich hat der Film jedenfalls sehr bewegt. Sehr. Die Bilder aus dem Kampf um Bürgerrechte, Bilder von Diskriminierung, brutalen Prügeleien, von Ungerechtigkeiten und Gewalt, Bilder von verhungernden Kindern in Äthiopien und all das haben mich wirklich fassungslos gemacht. Natürlich wusste ich das alles, aber es noch mal geballt zu sehen, hat mich wirklich erschüttert, ich habe nicht nur einmal geweint. Und mitten in all dem Elend steht dieser imponierende Mann mit dem umwerfenden Lächeln und der Hoffnung und der Aufrichtigkeit und nicht zuletzt der Musik; ein Mann, dessen Hoffnung auch Hoffnung für wahrscheinlich Hunderttausende bedeutet.
Mir egal, ob das pathetisch klingt. Ein bewegender, erschütternder Film über einen großen Mann. Guckt ihn euch an.