Jaaaaaa, ich weiß: ganz schön großes Bild. Das ist aber auch richtig so, denn das ist auch ein ganz schön großes Buch. Es ist 32 cm hoch, 22 cm breit und 4 cm dick. Und es wiegt 2372 g.
Darin befindet sich, was der Titel sagt: Äpfel und Birnen. Das Gesamtwerk. 800 Aquarelle von unterschiedlichen Apfel- und Birnensorten. Ich wiederhole das gern noch mal: Acht. hundert. Aquarelle. von Äpfeln und Birnen. In allen denkbaren Farben, Formen und Musterungen, und zwar originalgetreu. So exakt, dass diese Aquarelle heute noch von Pomologen (jaaa!) konsultiert und benutzt werden.
Gemalt wurden sie von Korbinian Aigner (1885-1966), einem katholischen Priester, der sich für Obstbau, vor allem für die Pomologie interessiert. Und für Politik. Nach dem Hitlerattentat im November 1939 soll er gesagt haben: „Ich weiß nicht, ob das Sünde ist, was der Attentäter im Sinn hatte. Dann wäre halt vielleicht eine Million Menschen gerettet worden.“ (Wikipedia.) Dafür kam er erst ins Gefängnis, dann ins KZ Dachau, dann nach Sachsenhausen, dann wieder nach Dachau. Dort arbeitete er in der Landwirtschaft und züchtete vier neue Apfelsorten (KZ 1-4). Im April 1945 konnte er auf einem Fußmarsch Richtung Südtirol fliehen und sich in einem Kloster verstecken.
Nach dem Krieg kehrte er als Pfarrer in seine Gemeinde zurück und beschäftigte sich wieder mit Äpfeln. Er malte jeweils zwei Stück von jeder Sorte in Postkartengröße, also: in Originalgröße. Was für ein Projekt. Was für ein Leben.
Die Aquarelle wurden auf der 13. documenta (2012) gezeigt und sind jetzt in diesem prachtvollen Band bei Matthes und Seitz erschienen, herausgegeben von Judith Schalansky in der Reihe „Naturkunden“. Was für ein schönes Buch. Verblüffend, wie unterschiedlich Äpfel aussehen! Außerdem bekommt man beim Betrachten sofort Hunger. Und kann nicht aufhören zu staunen.
Korbinian Aigner: Äpfel und Birnen. Das Gesamtwerk. Matthes und Seitz, 98,- €. (Partnerlink zur Buchhandlung Osiander.)
Jens ist vierzehn Jahre alt und darf zum letzten Mal mit ins Ferienlager „Schneckenmühle“. Dort werden Freundschaften geschlossen, Nachtwanderungen gemacht, Tischtennis und Skat gespielt, Sprüche geklopft, nachts wird zu den Mädchen rübergeschlichen und allgemein wird das Coolsein geübt. Und das Erwachsenwerden. Der erste Alkohol wird getrunken, und Jens lernt im Laufe des Ferienlagers endlich, Karten zu mischen. Nur Tanzen in der abendlichen Disko, das ginge dann doch zu weit, Tanzen kann er nicht, das hat er nie gelernt, er weigert sich auch, es zu versuchen, gleichzeitig würde er aber gern. Jens fragt sich, woher die anderen das alle können. Es ist 1989, der letzte Sommer der DDR.
Und da habe ich dann wohl einiges an Anspielungen nicht verstanden, glaube ich. Wohin verschwinden die beiden Leiter? „Rübergemacht“? Oder was? Habe ich nicht verstanden. Aber vielleicht ist es auch gar nicht zu verstehen, vielleicht erfährt man es auch dann nicht, wenn man die Verhältnisse besser kennt. Und das Ende habe ich auch nicht verstanden – aber das macht rein gar nichts, denn bis dahin ist das alles ganz und gar wundervoll.
Es wird keine große Geschichte erzählt. Eine Gruppe von Kindern und Jugendlichen ist im Ferienlager, das reicht. Aber die Art und Weise, wie dieses Ferienlager und die unterschiedlichen Typen darin beschrieben werden, macht einfach ganz großen Spaß. Die coolen Sprüche der 14jährigen Jungs, ihre Lebensweisheiten, ihr irgendwo aufgeschnapptes und nachgeplappertes Weltwissen; das alles führt über Gedankensprünge und Assoziationsketten und Durcheinanderreden zu wahnsinnig komischen Gesprächen.
„Vielleicht ist er ja zu den Partisanen gegangen? Warum hat er das mit den Fallschirmspringern erzählt?“
„Partisanen gibt’s doch gar nicht mehr. Es gibt doch keinen Faschismus.“
„Der ist bestimmt rüber“, sagt Holger.
„Rüber? Wie denn?“
„Na, über Ungarn.“
„Und die Mauer?“
„Was denn für ne Mauer?“
„Na, in Budapest, das ist doch die Hauptstadt von Ungarn.“
„In jeder Hauptstadt ist doch nicht ’ne Mauer.“
„In Ungarn gibt’s Danone-Joghurt“, sagt Dennis.
„Und Schweppes.“
„Quatsch, Ungarn ist doch sozialistisch.“
„Trotzdem gibt’s da Danone. Da sind unten Früchte drinne, zum Umrühren.“
„Wieso muss man den denn unrühren?“
„Ist doch toll.“
„Aber warum muss man das selber machen?“
„Mein Vater hat solchen Zweikomponenten-Kleber, den rührt man auch selber zusammen, das hält dann ewig.“
„Aber Joghurt ist doch nicht zum Kleben.“
„Die werden sich schon was dabei gedacht haben.“
Sowas macht mich froh. Ehrlich jetzt, genau so laufen solche Gespräche doch, und ich finde das unglaublich komisch. Überhaupt hat Jochen Schmidt einen sehr genauen Blick auf die Komik im Alltag dieser Ferienlagerkinder, aber er denunziert sie dabei nicht eine Sekunde lang, er macht sich nie über sie lustig, sondern nimmt seine Helden immer ernst. Und das macht dieses Buch so charmant und wundervoll.
Jochen Schmidt bekommt einen Regalplatz zwischen Harald Schmidt und Kathrin Schmidt.
NACHTRAG: Stefan Möller mochte es auch und hat die Anspielungen auch verstanden. Und viel eloquenter drüber geschrieben als ich.
Jochen Schmidt: Schneckenmühle. C.H.Beck, 220 Seiten, 17,95 €.
E-Book 13,99 €.
(Partnerlinks zur Buchhandlung Osiander. Wenn Ihr es dort kauft, werde ich unfassbar reich.)
Wie bescheuert kann man eigentlich sein, an die Ostsee zu fahren und die Kamera zu vergessen? Jetzt gibt es nur blöde Handyfotos, bei denen mir schon fast die Finger abgefroren sind – so gesehen vielleicht ganz gut, dass die Versuchung nicht allzu groß war. (Die Enten sind übrigens nicht festgefroren. Sie sitzen da auf dem Eis und sehen als, als wäre ihnen auch kalt. Denn was hier so harmlos wie Wasser aussieht, ist alles gefroren.)
ACHTUNG: Die Veranstaltung fällt leider aus. Sehr schade, aber hoffentlich gibt es einen Nachholtermin.
Vor fast genau einem Jahr postete das Hamburger Literaturhaus auf seiner Facebookseite irgendeine Frage, und wer sie beantworten konnte, konnte zwei Karten für die Veranstaltung „Nora Gomringer meets Wortart Ensemble“ gewinnen. Ich habe reflexhaft geantwortet, Maximilian auch, und so gewannen wir jeder zwei Karten. Erst dann habe ich nachgeguckt, was Nora Gomringer denn eigentlich genau macht, ich kannte den Namen, aber wusste ihn nicht recht einzusortieren. Aha, Lyrik also. Na super, das wird ja ein anstrengender Abend, dachte ich. Lyyyyyrik! Puh. Schwyrik. Und dann waren wir zu viert dort und haben, um mich mal kurz selbst zu zitieren, anderthalb Stunden am Stück vorne auf der Stuhlkante gesessen und gebannt zugehört. Es war, anders gesagt, sensationell super, und die gute Nachricht ist: Nora Gomringer und das Wortart Ensemble sind nächste Woche, am Mittwoch, dem 5. Februar, wieder im Hamburger Literaturhaus. Und diesmal kann ich hier zwei Karten verlosen!
Wer die beiden Karten gewinnen möchte, muss mir ein selbstgedichtetes kleines Gedicht in die Kommentare schreiben. Am Freitag Morgen (31. Januar) um halb zehn ist Schluss, dann schmeiße ich den Zufallsgenerator an und lose aus. Das heißt, es gewinnt nicht unbedingt das tollste Gedicht, sondern irgendwer. Gebt Euch trotzdem Mühe!
Allen Nicht-Gewinnern sei gesagt: es lohnt sich auch mit gekauften Karten. Sehr.
PS: Man kann auch schon hier bei Facebook zusagen. Wenn man möchte.
Padám, padám, padádadadám! Ein Dokumentarfilm von Gitta Gsell über das Bödälä, einen perkussiven schweizer Volkstanz. Ein klassischer Balztanz, mit dem der Mann um die Frau wirbt, indem er rhythmisch mit den Füßen aufstampft und auch sonst allerlei Kaspereien veranstaltet. Die Dame tanzt dabei deutlich dezenter um ihn herum und besieht sich das Spektakel. Jábada, jábada, jábada.
Parallel zum Bödälä werden in wechselnden Schnitten und Zusammenhängen andere perkussive Tänze vorgestellt: Wir begegnen einem saucoolen Steptänzer, einer jungen Frau, die für die Weltmeisterschaft im Irish Dance trainiert, und einer Flamencotänzerin, die ihre eigene Kunstform entwickelt hat und auf einem speziell für sie angefertigten Boden aus unterschiedlich gestimmten Brettern tanzt. Letzteres ist dann schon eine höchst raffinierte und kunstvolle Form des perkussiven Tanzes – fast möcht ich es die intellektuelle Variante nennen. Ein sehr schöner Bogen vom bodenständigen Bödälä bis hierher. Die vorgestellten Tänzer sind allesamt Schweizer, was es teilweise etwas schwierig macht, ihnen zuzuhören. Jedenfalls muss ich mich konzentrieren und verstehe längst nicht alles. Aber freundlicherweise wird gar nicht so viel geredet, die meiste Zeit sprechen die Füße – und das genügt auch vollkommen, mehr braucht man gar nicht zu wissen. Klackediklack. Überraschenderweise ist es wirklich keine Sekunde langweilig. Ehrlich, selbst als Stepperin hätte ich gedacht, anderthalb Stunden reine Doku nur übers Füßeklappern würden irgendwann langweilig werden, aber das wird es nicht, kein bisschen. Wie unterschiedlich diese perkussiven Tänze sind, und was für unterschiedliche Typen sie tanzen! Ich mochte sie alle sehr, die Bödädlä-tanzende Friseurin vielleicht besonders, sie hat so ein ganz besonderes Lächeln. Was mir auch sehr gut gefallen hat, ist die Herausarbeitung der Tatsache, dass es sich bei all diesen Tänzen um eine Mischform aus Tanz und Musik handelt. Dass die Füße ein Instrument sind. Besonders natürlich bei der Flamencotänzerin mit dem gestimmten Boden, aber auch bei den anderen: es ist nie nur Tanz, sondern immer auch Musik, mal mehr das eine, mal mehr das andere, und genau deswegen sind diese Tänze so toll. Weil sie Musik sind. Jabba-dabba-duschschsch! Man möchte sofort anfangen, mit den Füßen zu klappern und aufzustampfen, der Film macht immer noch mehr Lust darauf, weil Leidenschaft und Begeisterung ansteckend sind, und Rhythmus sowieso. Bisschen blöde Idee vielleicht, mir sowas anzugucken, wenn ich noch mindestens zwei Monate nicht steppen kann. Hmpf. Sehr schöner, sehr ansteckender, mitreißender Film.
Und das Beste ist: Der komplette Film ist in acht Teilen bei Youtube zu sehen. Keine Ahnung, wie legal das ist. Hier ist der erste Teil, von dort aus findet Ihr ja allein weiter: