Kleines Bloggerprivileg: es gab eine Sonderführung durch die Ausstellung über Schwedisches Design im Hamburger Völkerkundemuseum für ein paar Bloggerinnen und einen Journalisten. Ich finde Museumsführungen ja immer außerordentlich hilfreich, man erfährt doch Vieles, was man nicht von allein weiß und was auch nicht auf den Erklärtäfelchen steht (die ich sowieso eher erratisch lese oder nur überfliege).
Schwedisches Design kennen wir alle von IKEA, und in der Tat gibt es in Schweden eine ziemliche Tradition, ein Interesse an Design und sogar staatliche Förderung und Preise. In der Ausstellung werden die Gewinner der Wettbewerbe „Design S“ und „Ung Svenks Form“ gezeigt. In diesen Wettbewerben gibt es wenig Regeln und Grenzen, aber es darf gern nachhaltig und ökologisch sein.
Mich überzeugt – natürlich, wie immer – nicht alles gleichermaßen. „Design“ ist ein weiter Begriff. Jemand hat den leichtesten Rollstuhl der Welt entwickelt; super Sache natürlich, aber hätte ich jetzt nicht unbedingt bei einem Designpreis vermutet. Oder der Brailledrucker: klar ist ein Brailledrucker toll, aber ist das neu? Gab es das nicht schon? Vom rein gestalterischen Anspruch her fand ich ihn jetzt nicht so außergewöhnlich.
Meine Lieblinge sind ganz andere Objekte. Da hängen zwei wildgemusterte Stoffbahnen. Erstmal nur bunt, aber dann erklärt man uns, der Designer habe das Alphabet in Blumen und kleine Grafiken umgesetzt, und auf den Stoffen sei jetzt gewissermaßen Text zu sehen. Liebesbriefe. Wie wundervoll! Man könnte sie womöglich dechiffrieren, aber das hat anscheinend noch niemand versucht. Aber tolle Idee.
Und dann mag ich ja sowas wie diese kleinen Plastikdingelchen, mit denen man Kartonpappe zusammenstecken kann. Es gibt sie in drei Varianten: 180°, 90° und Scharnier. Damit kann man aus einfachen Pappen ganze Spielhäuser bauen, supereinfache Idee, superbillig herzustellen und mit unendlichen Möglichkeiten. Ein bisschen schade ist, dass das Museum ein kleines Haus damit gebaut und es in eine Vitrine gestellt hat. Wo man doch so schön einen Stapel Pappen und diese Dinger hätte hinlegen können, damit kann man Kinder (und Erwachsene) im Museum doch stundenlang beschäftigen. So hingegen kann man es nicht mal fotografieren, weil die Vitrine spiegelt.
Sehr toll fand ich auch die Objekte, die an Lösungen für Probleme in ärmeren Ländern arbeiten. Etwa eine Lampe, an der mit einem Flaschenzug über sechs Rollen sehr schwere Sandsäcke hängen. Man kann sie einfach hochziehen, sie sinken dann ganz langsam wieder hinunter und erzeugen eine Dreiviertelstunde lang Strom für eine Lampe, allein durch ihr Gewicht. Dann muss man sie wieder hochziehen. Sowas finde ich sensationell, so einfach und so wirkungsvoll. Allerdings habe ich nicht die leiseste Ahnung, wie praktikabel sowas ist. Womöglich wird in Slums überall auf der Welt schon etwas Ähnliches gemacht; womöglich ist es auch aus Gründen, die mir Luxuskind nicht einfallen, gar nicht umsetzbar.
Oder die kompostierbaren Toilettentüten mit dem zauberhaften Namen Peepoo zu sein. Man kann sie nach der Benutzung einfach verbuddeln und dann sein Gemüse darauf anbauen.
Und schließlich etwas, das einfach nur ein hübscher Gag ist: Bieretiketten, die bei der richtigen Trinktemperatur die Farbe wechseln. Wenn die Sonne scheint, die Blumen blühen oder die Bäume ausschlagen, hat das Bier die richtige Temperatur. Das ist wirklich hübsch. Allerdings fand ich auch hier, man hätte es zeigen können, man hätte einen Kühlschrank nehmen und zeigen können, wie es dann aussieht.
Aber auch wenn ich finde, dass an Ausstellungsgestaltung ein bisschen mehr dringewesen wäre: wir haben wirklich tolle Objekte gesehen. Und hatten eine reizende Führung und wurden sehr nett empfangen, und dann tat es uns leid, dass wir allesamt keine Zeit mehr hatte, uns noch die Vorträge des Nachmittags anzuhören oder wenigstens noch kurz durch die Dauerausstellung zu gehen. Wir kommen einfach nochmal wieder. Bis dahin: Heißa-hopsa, schwedisches Design!
Die Ausstellung Schwedisches Design läuft noch bis So 27. April 2014.
Anderswo: Die Frische Brise war auch dabei.
Wolf Erlbruch bekommt den e.o.plauen-Preis 2014. Zu Recht, behaupte ich, denn Wolf Erlbruch kann gar nicht zu Unrecht Preise bekommen. Ihr habt das Erlbruch’sche Gesamtwerk alle zu Hause? Gut. (Hier im Blog vorgestellt: Ente, Tod und Tulpe und Frau Meier, die Amsel.)
Und Judith Schalansky bekommt den Preis der Literaturhäuser, genauso berechtigt.
Und Glückwunsch zum Dritten: Nicholson Baker und Eike Schönfeld bekommen den Internationalen Hesse-Preis. Das ist eine sehr, sehr tolle Sache, dass gefühlt immer mehr Literaturpreise an Autor *und* Übersetzer gehen.
Gideon Lewis-Kraus über sein Verhältnis zu seinem Übersetzer Thomas Pletzinger und die Zusammenarbeit. Steile These gleich am Anfang, aber dann sehr interessanter Artikel.
Margaret Atwood über Übersetzungen.
Jakob Meiners Keynote zum Recruiting Day 2014: „Die Zukunft des Buches ist zu wichtig, um sie Arschlöchern zu überlassen.“
Das ist ja mal eine vernünftige Idee: mit MyBookshop können Verlage, die keinen eigenen Webshop haben (und warum eigentlich nicht auch jeder andere?), die Kunden jetzt auf ihre eigene Lieblingsbuchhandlung leiten. Bislang verlinken viele Verlage ausgerechnet auf Amazon, die eigentlich niemand wirklich mag, auch wenn sie einen Haufen Bücher verkaufen.
Ein Interview mit dem Verleger von Diogenes, Philipp Keel, in der FAZ.
Und am Schluss was ganz anderes: Verzweiflungspommes. Ein Tumblr mit Fotos von Pommes, die Veganer und Vegetarier aus Verzweiflung essen, weil es sonst mal wieder nix für sie gibt. Hervorragende Idee von der hervorragenden Serotonic. Man möcht glatt Pommes essen gehen, nur um ihr ein Bild schicken zu können.
Alexander Poschs namenloser Protagonist ist Hausmann und Vater, bzw. „Herr über drei Kinder“. Seine Frau arbeitet als Ornithologin und schafft das Geld ran, was zu Beginn des 21. Jahrhunderts immer noch eine erstaunlich ungewöhnliche Konstellation ist. Der Erzähler hadert aber erfreulicherweise gar nicht so sehr mit seiner Männerrolle, sondern vielmehr mit genau dem, womit Generationen von Frauen auch schon gehadert haben: mit der Frage „War’s das jetzt?“ Er ist zu Hause bei den Kindern, hat abends nicht unbedingt das Gefühl, irgendwas „geschafft“ zu haben, aufräumen oder sowas, und seine Frau fragt ihn, was er eigentlich den ganzen Tag gemacht hat. Also quasi wie im wirklichen Leben.
Es passiert auch nicht untendrunter noch eine große Geschichte im Sinne eines Handlungsverlaufs, sondern das Leben geht eben so vor sich hin. Eine alte Nachbarin stirbt, der Getränkehändler ist ein komischer Typ, und zwischendurch ruft der alte Freund Henni an und man trinkt zusammen ein Bier. Und bei all dem philosophiert der Erzähler mit einer dermaßen tragikomischen Verzweiflung vor sich hin, dass es einem ganz weich ums Herz wird. Dabei hat er manchmal ganz große Gedanken, manchmal ganz kleine, und manchmal denkt er einfach kompletten Unsinn, wie man eben so vor sich hindenkt. Frau und Kinder sind dabei eigentlich eher Staffage, er hat sie gern, natürlich, aber in diesem Buch geht es nicht um sie. Was mich am Anfang etwas irritiert hat, aber dann habe ich es verstanden und war plötzlich mit dem Protagonisten zusammen ganz komisch-verzweifelt. Ein wundervolles Buch. Kostprobe:
Was wollte ich doch besorgen, überlege ich, während ich noch die Beklemmung abzuschütteln versuche. Mein innerlich leerer Blick wendet sich nach außen, wo mir ein Kondomautomat auffällt. Er hängt „Bei Kurt“ an der Außenwand. Daneben ein Kaugummiautomat wie in meiner Kindheit. Lächelnd steige ich vom Rad. Bunte Kugeln oder Kondome? Ich schaue auf den Einkaufszettel. Nichts davon steht auf der Liste. Kurt heißt auch nicht Kurt, überlege ich weiter. Auch mein Freund Henni ist in Wirklichkeit nicht Henni. In seinem Pass steht Andreas. Ich bin gegen ausgedachte Namen. Ich bin gegen die Idee, dass man sein Schicksal selbst in die Hand nimmt. Ich schließe das Rad an. Es heißt Melencolia II. Tote Materie darf man benennen. Melencolia I und II sind die Titel von zwei Dürerwerken. Das erste Rad haben sie mir geklaut. Warum Dürer? Warum nicht Dürer, habe ich mir gedacht.
Alexander Posch liest bei unserer Tirili-Lesung am 24. April, das wird natürlich super. Und zu Hause bekommt er einen Regalplatz zwischen Katerina Poladjan und John Preston.
Alexander Posch: Sie nennen es Nichtstun. LangenMüller, 184 Seiten, 17,99 €
Und als E-Book, ACHTUNG: 2,99 €. (Ehrlich gesagt, das finde ich beknackt. Was soll das? Den Kunden das Gefühl geben, bei einem Buch würde man ansonsten fürs Papier bezahlen? Aber gut für Euch jetzt, wenn Ihr es quasi geschenkt bekommt.)
Künstliche Befruchtung sei widerwärtig, ein Onanieverbot weise, sagt Sibylle Lewitscharoff. Und:
Mit Verlaub, angesichts dieser Entwicklungen kommen mir die Kopulationsheime, welche die Nationalsozialisten einst eingerichtet haben, um blonde Frauen mit dem Samen von blonden blauäugigen ss-Männern zu versorgen, fast wie harmlose Übungsspiele vor. Ich übertreibe, das ist klar, übertreibe, weil mir das gegenwärtige Fortpflanzungsgemurkse derart widerwär- tig erscheint, dass ich sogar geneigt bin, Kinder, die auf solch abartigen Wegen entstanden sind, als Halbwesen anzusehen. Nicht ganz echt sind sie in meinen Augen, sondern zweifelhafte Geschöpfe, halb Mensch, halb künstliches Weißnichtwas. Das ist gewiss ungerecht, weil es den Kindern etwas anlastet, wofür sie rein gar nichts können. Aber meine Abscheu ist in solchen Fällen stärker als die Vernunft.
Hier ist die ganze menschenverachtende Rede, die Sibylle Lewitscharoff am Staatsschauspiel Dresden gehalten hat.
Und hier der offene Brief von Robert Koall, Chefdramaturg am Staatsschauspiel Dresden, als Reaktion darauf.
Ich glaube, Dirk Knipphals in der taz war der erste, der in den großen Medien reagiert hat.
Richard Kämmerlings in der Welt.
Im Börsenblatt des Buchhandels wiegelt Kai Mühleck ab und bekommt in den Kommentaren sofort Gegenwind von seinem direkten Kollegen Michael Roesler-Graichen.
Georg Dietz im Spiegel.
Nochmal der Spiegel, ich bin zu blöd, den Namen der Autorin zu finden.
In der ZEIT erklärt Jo Lendle was über Liebe, Sex und Fortpflanzung, was mir irgendwie bekannt vorkommt.
Der Verlag Suhrkamp habe sich von Frau Lewitscharoff distanziert, heißt es. Die Formulierung kommt mir allerdings ein wenig weich vor.
Die Sopranisse wird ein bisschen persönlich und bleibt dabei erstaunlich sachlich. (Jetzt auch in der taz.)
Lewitscharoff selbst mit einem halbherzigen Relativierungsverusch in der FAZ und „man wird ja wohl noch sagen dürfen“. Na klar darf man sagen, aber wenn man so dermaßen dummes Zeug redet, dann muss man halt auch mit Reaktionen rechnen.
In der ZEIT macht sich David Hugendick lustig.
Judith Schalansky, die gerade mit einem solchen „Halbwesen“ schwanger ist, reagiert in der Süddeutschen kurz und knackig.
Und zum Schluss noch mal Robert Koall auf 3sat. Sehr sachlich und unaufgeregt und daher umso überzeugender. Respekt.
Und ich habe gerade keine Zeit und keinen Nerv, mich noch in wohlgesetzten Worten dazu auszulassen. Für wohlgesetzte Worte bin ich sowieso zu entsetzt, und inhaltlich habe ich den verlinkten Artikeln vermutlich nichts Großes mehr beizufügen.
… dass auf Literaturveranstaltungen und in allen anderen Darreichungsformen und Packungsgrößen von Autorengesprächen die Frage nach dem autobiografischen Anteil im jeweiligen Buch esse delendam.
Ehrlich. Immerzu werden Autoren gefragt, ob ihre Geschichte autobiografisch ist, wie viel von ihnen selbst im Protagonisten steckt usw. Ich denke dann reflexartig: das ist doch eine Schülerzeitungsfrage. Natürlich ist man ein bisschen neugierig, aber die Grenzen zwischen Neugier und Voyeurismus sind fließend und schnell überschritten. Wenn eine Autorin über eine richtig beschissene Kindheit schreibt, muss man sie dann fragen, wie viel davon autobiografisch ist? Reicht es nicht, sich zu denken, dass man mit solchen Fragen möglicherweise in Wunden bohrt? Wenn jemand mit einem Buch etwas verarbeitet: gut. Das gibt einem aber nicht automatisch das Recht nachzufragen, zumal dann nicht, wenn es so intime Fragen sind, dass man sie anderen Leuten normalerweise nicht stellen würde.
Aber es braucht nicht mal Intimes zu sein. Wenn ein junger Mann aus Ich-Erzählerperspektive über einen jungen Mann schreibt, egal was für eine Geschichte, muss man dann fragen, ob das seine Geschichte ist? Nein, muss man nicht. Es hat nämlich nichts damit zu tun, ob das ein gutes Buch ist. Oder, wie Per Leo gestern bei der Vorstellung der fünf Nominierten für den Preis der Leipziger Buchmesse im Hamburger Literaturhaus sagte (aus dem Gedächtnis zitiert):
Ob ein Text literarisch ist oder nicht, ist eine Frage der sprachlichen Gestaltung. Nicht eine Frage des Fiktionalisierungsgrads.
Ganz abgesehen davon ist die Frage nach der autobiografischen Komponente so dermaßen abgedroschen, dass ich mich schon deswegen immer winde, wenn sie kommt. Und sie kommt nachgerade zuverlässig, andauernd.
Man könnte jetzt einwenden, dass Menschen am besten über das schreiben, was sie kennen, und dass die Frage, wie gut sie das Beschriebene kennen, daher durchaus legitim sei. Geschenkt. Ich glaube, es ist für die Bewertung eines literarisches Texts unerheblich. Man kann den Text einigermaßen unabhängig von seinem Autor betrachten (mit Einschränkungen, klar). Die Fragen, die man einer Autorin über ihr Leben stellt, sollten sich jedenfalls an die üblichen Grenzen halten. Es gibt Dinge, die man einfach nicht jeden fragt, und die man nicht jedem erzählt. Das Privatleben des Autors geht die Leserin nur sehr bedingt etwas an. Außerdem möchte ich zu dem Thema zum einemillionsten Mal James Krüss zitieren:
Wenn eine Geschichte einen Sinn hat, dann ist sie wahr, auch wenn sie nicht wirklich passiert ist.
Lasst doch bitte die Autoren mit der Frage in Ruhe, ob das ihre eigene Geschichte ist.