Ein Essay über inkompatible Beziehungen und deren wohlverdientes Ende.
„Falls du darüber nachdenkst, dich zu trennen“, sagt der befreundete Buchhändler, „überleg dir gut, ob du das lesen willst. Weil, danach trennst du dich auf jeden Fall.“
Spoiler: Ich habe vorher nicht darüber nachgedacht, mich zu trennen, und tue es auch jetzt nicht. Verstehe aber, was der Buchhändler meinte, denn das ist schon alles sehr überzeugend. Normalerweise gibt es ja regalmeterweise Ratgeber darüber, wie man eine angeschlagene Beziehung doch noch retten kann. Thomas Meyer sagt das Gegenteil, er sagt: Warum soll man denn unbedingt retten wollen, was offensichtlich nicht funktioniert? Trennt euch! Es ist nämlich so, dass Liebe allein für eine Beziehung nicht reicht. Das meint man immer, aber tatsächlich muss man auch zueinander passen. Lieben kann man auch jemanden, der gar nicht zu einem passt, aber für eine Beziehung reicht das halt nicht. Und da hat er ja wohl recht.
Allerdings wird es dann ein bisschen problematisch, denn er spricht fürderhin nur noch über passende, beziehungsweise eben über nichtpassende Beziehungen, als wäre das eine Frage von An oder Aus, schwarz oder weiß, als gäbe keine graduellen Unterschiede. Als könnte es nicht mehr oder weniger gut passen. Als wäre „passend“ immer etwas Hundertprozentiges, und alles, was weniger als 100% passt, würde nur Leid verursachen. Ich glaube ja, dass es ein hundertprozentig „passendes“ Gegenüber wahrscheinlich gar nicht geben kann, vielleicht wäre das sogar langweilig. Aber das ist alles nicht das Thema, es geht nicht darum, was denn nun passt und wieviel Unpassendes man aushalten oder überbrücken kann und wo genau Schluss sein muss. Sondern es geht darum, dass nichtpassende Beziehungen nicht passend gemacht werden können. Dass man nicht darauf zu hoffen braucht, dass irgendwann alles besser wird oder der Partner oder man selbst sich ändert und dann alles gut ist. Das wird nämlich nicht passieren.
Und wenn man in seinem tiefsten Inneren, seinem „heilen Kern“, wie Meyer es nennt, eigentlich längst zu der Erkenntnis gelangt ist, dass eine Beziehung einem nicht (mehr) passt – dann sind diese 100 Seiten auf jeden Fall ein hervorragender Pep Talk, um es endlich zu tun. Sich zu trennen. Man hat dann einfach keinen Grund mehr, noch zusammenzubleiben. Warum denn auch?
Thematisch kommen mir eventuelle Kinder ein bisschen zu kurz, und das ganze große Thema Sex wird komplett ausgespart, was eine ziemlich prominente Lücke ist. Dafür gibt es andere gute Gedanken, auch solche, die man in einer funktionierenden, „passenden“ Beziehung mal weiterdenken kann.
Insgesamt liest sich das jedenfalls sehr gut und überzeugend, wenn man noch den letzten Schubs braucht, um das zu tun, was man längst hätte tun sollen. Und vor allem ist es ein wahnsinnig schönes Buch, in dunkelrotes Leinen gebunden, mit Lesebändchen. Auf dem Vorsatzpapier steht vorne groß Einatmen, hinten Ausatmen. Das ist wirklich schön.
Sie sind verzweifelt, glauben nicht mehr an die Liebe und finden, niemand auf der ganzen Welt sei schlimmer dran? Saufen Sie! Es gibt gute Getränke und Musik für Liebeskummer. Unternehmen Sie nichts gegen ihn – feiern Sie ihn. Manch einer gäbe viel dafür, wieder mal ein gebrochenes Herz zu haben.
Und hier geht’s zur Beschreibung des Verlags.
Thomas Meyer: Trennt euch!, Salis Verlag, 110 Seiten, 18,00 €
Als E-Book 9,99
Das Taschenbuch erscheint im August.
(Die Links gehen zum befreundeten Buchhändler, das Buch gibt’s aber auch in jeder anderen Buchhandlung.)
Was für ein umhauendes Buch, was für eine rohe Wucht. Ich bin noch ganz erschüttert und weiß nicht, ob ich das alles so richtig in Worte fassen kann.
Eine recht junge Frau ist plötzlich gestorben. Ihr Mann und die beiden kleinen Söhne trauern. Wenige Tage nach dem Unglück platzt eine überlebensgroße Krähe in ihr Leben, die fortan bei ihnen bleibt, sie begleitet und ihnen immer wieder das Herz aufhackt und ihnen die Eingeweide rausreißt. Brutal, schonungslos, heilsam. Es wird aus wechselnden Perspektiven erzählt – Dad, Krähe, Jungs –, in ganz kurzen Szenen, Träumen, Geschichten; manchmal rhythmisiert, immer karg, assoziativ, wild, im Fall der Krähe stellenweise voller Neologismen und Lautmalereien. Ein Sprachkunstwerk, absolut fantastisch übersetzt von Uda Strätling und Matthias Göritz. Es ist hochliterarisch, ohne auch nur im Geringsten hermetisch oder schwer zugänglich zu sein; im Gegenteil, es ist eher so, dass es einen ohne Umweg über den Kopf gleich mitten in die Seele trifft.
Der Roman ist ganz kurz, 125 Seiten im kleinen Format. Die meisten Kapitel sind nicht länger als eine Seite. Aber das reicht. Man muss die meiste Zeit nicht mal weinen beim Lesen, weil der Schmerz noch viel tiefer geht, weil jeder zweite Satz einem mit voller Kraft in die Magengrube donnert, denn die Krähe hackt nicht nur dem Vater und den Jungs das Herz auf, sondern auch dem Leser. Es tut viel zu weh, als dass man weinen könnte, es raubt einem den Atem. Unmittelbar, roh, bildhaft, ohne Erklärungen oder Beschreibungen, man stürzt vollkommen ungeschützt mit der Familie in tiefschwarzen Schmerz und Verzweiflung. Und das tut überraschenderweise irgendwie gut, man fühlt sich hinterher fast ein bisschen geheilt und ein bisschen schwer und sehr dankbar. Und Humor hat der Roman auch noch.
Ich werde jetzt tun, was Rezensenten immer gern behaupten, was ich aber tatsächlich noch nie gemacht habe: Ich werde es direkt noch mal lesen. Das kommt auf meine ungeschriebene Liste der besten Bücher aller Zeiten. Bitte lest das Buch und verschenkt es und sagt es weiter.
Max Porter (Uda Strätling und Matthias Göritz): Trauer ist das Ding mit Federn. Hanser, 125 Seiten, 16,90 €
Taschenbuch, Kein und Aber, 9,- €
E-Book 6,99 €
(Links zur Buchhandlung Cohen und Dobernigg. Keine Werbekooperation, nur ein Vorschlag. Gibt’s auch in jeder anderen Buchhandlung.)
JUNGS
Auf meinem Kopfkissen liegt eine Feder.
Kissen sind aus Federn, schlaf jetzt.
Es ist eine große, schwarze Feder.
Dann komm zu mir ins Bett.
Auf deinem Kissen liegt auch eine Feder.
Dann lassen wir die Federn eben Federn sein und schlafen auf dem Boden.
Ich habe schon wieder Edgar Rai gelesen, und es war schon wieder spannend.
Stefano Ferrante, genannt Lucky, Sohn eines korsischen Eisenbiegers und ehemaliger Profiboxer, wird nach dreieinhalb Jahren aus dem Knast entlassen. Der korsische Eisenbieger hat als Vater (und auch sonst) nichts getaugt; Luckys Ersatz-Vaterfigur war schon von Kind an sein Boxtrainer Helmut. Den will er jetzt auch als allererstes sehen. Dummerweise wird Helmut just in diesem Moment erschossen, und alles deutet darauf hin, dass Lucky das getan hat. Lucky kann fliehen – was mit Fußfessel erstmal nicht so richtig vielversprechend ist – und versucht auf der Flucht außerdem noch herauszubekommen, wer ihn damals gelinkt und ins Gefängnis gebracht hat. Weil, er hat die tote Nutte, die in seinem Bett lag, nicht umgebracht. Und so rast er durch Berlin: zu Fuß, mit der U-Bahn oder mit einem alten Klapprad, er sucht alle auf, die er früher kannte, und die Polizei ist ihm immer haarscharf auf den Fersen. Anders gesagt, die Geschichte ist eine veritable Räuberpistole und passt nicht wirklich in mein Beuteschema.
Aber: Lucky ist eine großartige Figur. Ein bisschen tumb. Ein bisschen lieb, ein bisschen brutal. Ein Beschädigter. Einer, dem übel mitgespielt wurde, einer auf der Suche – nach Liebe, nach Anerkennung und nach Sinn. Im Knast hat er sich die Zelle mit einem buddhistischen Mönch geteilt, der den ganzen Tag die Wand anstarrte und Sinnsprüche über das Loslassen und über das Leben im Jetzt von sich gab. Über die denkt Lucky immer noch viel nach, denn er ist zwar nicht übertrieben fix im Kopf, aber das heißt nicht, dass er nicht nachdenken würde. Und es kommt auch immer wieder was dabei raus. Was daraus für sein Handeln folgt, ist noch eine andere Frage.
Und dann gibt es in einem Nebenstrang noch den jungen Kommissar Florian Siebold und seine Chefin Frau von Engelbrecht, und da haben wir dann auch noch richtig was fürs Herz. Wie es ausgeht, verrate ich natürlich nicht, aber es ist wirklich zu schön. Oder wie eine andere großartige Nebenfigur sagen würde: Is richtig. Alles.
Edgar Rai: Halbschwergewicht. Piper Verlag, 20,00 €. Auch als E-Book.
Das erste Buch, das ich übersetzt habe, hieß „Gärten auf kleinstem Raum. Ideen für die Fensterbank, Balkon, Hof und Hauseingang.“ Nicht wirklich mein Thema, aber es war der Moment, in dem ich zum ersten Mal in meinem Leben dachte: Das ist es, was ich machen will. Ich will Bücher übersetzen. Da habe ich ein bisschen Zeit, mich in ein Thema einzuarbeiten, kann mit der Sprache arbeiten, und am Ende habe ich ein Produkt in der Hand, das schön aussieht und in dem mein Name drinsteht. Das will ich machen. An Literatur habe ich damals noch nicht gedacht, Literatur war etwas „Großes“, was große Leute machten, die etwas konnten. Ich doch nicht. Aber ich wollte übersetzen, und ich hatte das Gefühl, dass ich darin eines Tages ganz gut werden könnte. Dass es mir liegt und mir Spaß macht. Und dass ich gut werden wollte. Ich hatte zum ersten Mal im Leben Ehrgeiz.
Der Übersetzerverband nahm einen damals erst auf, wenn man schon zwei Bücher übersetzt hatte. Mein zweites hieß „Selbstgemachte Kerzen und Potpourris“. Sobald ich es fertig hatte, trat ich in den VdÜ ein und bewarb mich auch sofort auf mein erstes Seminar: Sachbuchübersetzen bei Irene Rumler und Klaus Stadler. Das Seminar fand im Europäischen Übersetzerkollegium in Straelen statt, und ich war komplett geflasht. Erstens davon, dass es da ein Arbeitszentrum für Übersetzer gibt, wo man für eine begrenzte Zeit wohnen und arbeiten kann und die größte Übersetzer-Spezialbibliothek der Welt zur Verfügung hat. Und Kolleginnen, die ebenfalls übersetzen. Und dann natürlich vom Seminar, mit richtigen Übersetzerinnen, die teilweise schon zehn Bücher oder so übersetzt hatten, und zwar richtige! Nicht nur so Potpourriquatsch. Ich telefonierte jeden Abend mit dem lustigen Mann und blubberte ihn stundenlang voll damit, was ich alles Tolles gelernt hatte und wie großartig alles war.
Seit diesem Seminar wartete ich darauf, ein Buch zum Übersetzen zu bekommen, mit dem ich mich ins EÜK traute, ohne Seminar, um dort einfach an meiner eigenen Übersetzung zu arbeiten. Nach ein paar eher unaufregenden Jugendsachbüchern bekam ich einen sehr schönen Bildband über Bar- und Clubdesign. Das war doch etwas Vorzeigbares, fand ich, und fuhr für zwei Wochen zum Arbeiten nach Straelen.
Eine der ebenfalls dort arbeitenden Kolleginnen war Maria Csollány. „Die Mau“. Sie hat mir sofort das Du und das „Mau“ angeboten, wir waren ja Kolleginnen und ich ganz gerührt, dass sie das so sah. Eine ältere Dame, die für ihre Lyrik-Übersetzungen aus dem Niederländischen gerade erst den Preis der Stadt Münster für Europäische Poesie bekommen hatte. Eine große alte Dame. Eine kleine alte Dame mit einem sehr feinen, leisen Humor und einer unglaublich liebevollen Zugewandtheit und großem Interesse an mir jungem Hüpfer. Ich gestand, dass ich mich kaum hergetraut hatte, mit meinen popeligen Potpourribüchern, wo doch lauter so große Leute wie sie dawaren. „Ach, weißt du“, sagte sie, „ich habe in den siebziger Jahren angefangen mit Büchern über Makramee und Kochen aus der Tiefkühltruhe.“
Jetzt ist Maria Csollány im Alter von 86 Jahren gestorben.
Gute Reise, Mau. Wir haben uns danach nur noch ein, zweimal irgendwo gesehen, aber ich habe immer wieder an dich gedacht. Wie viel Mut mir dieser kleine Satz gemacht hat.
Seit Montag bin ich in Schreibklausur.
Zuletzt habe ich sowas im November auf Helgoland gemacht, allein. Ich bin für 14 Tage hingefahren und nach 10 Tagen schon zurückgekommen, weil mir die Decke auf den Kopf fiel. Alleinsein ist nichts für mich. (Außerdem war in Hamburg eine Party, auf die ich wollte, sonst hätte ich die vier Tage natürlich auch noch bleiben können, aber ich wollte nicht mehr.) Ich war auch schon ein paarmal für drei oder fünf Tage zu zweit auf Helgoland, das war immer sehr toll und produktiv und immer zu kurz.
Jetzt sind wir zu dritt in Schleswig-Holstein auf dem Land, wo nichts ist. Geplant war eine Schreibklausur mit Susann Pásztor, die ich als Autorin genauso liebe wie als Freundin, und dann stieß aus verschwommenen Gründen noch Julia Karnick dazu; wir kannten uns kaum, fanden aber alle drei, dass wir es trotzdem versuchen wollten.
Und jetzt wohnen wir hier seit Montag in einem wunderhübschen, liebevollst renovierten Häuschen irgendwo im Nichts. (Bevor Ihr fragt: Nein, kann man nicht. Ist privat und wird nicht vermietet.) Das Wetter ist feuchtgrau und novembrig. Macht nichts, wir sind ja zum Arbeiten hier, und das klappt so wundervoll, dass wir alle drei total beglückt sind und gleich nach einem nächsten Termin geguckt (und leider keinen gefunden) haben. Julia ist genauso super wie Susann, wir sitzen im Wohn-Ess-Küchen-Bereich, klappern mit den Tastaturen, wechseln zwischendurch ein paar Sätze, gucken den Vögeln im Garten dabei zu, wie sie Vögeldinge tun, fahren zwischendurch mal einkaufen oder machen einen Spaziergang, zwei von uns laufen gelegentlich eine Runde, und ansonsten sind wir wirklich fleißig. Die Abende verbringen wir vor allem mit Kichern, es ist alles wahnsinnig entspannt und produktiv, wir reden über das, was wir schreiben, oder auch nicht, wir erzählen uns unsere Leben, wir denken nach und schreiben und lesen und albern und sind sehr, sehr froh.
So soll das immer sein, ich glaube, das ist meine liebste Arbeitsform: Wegfahren mit einer Kleingruppe. Das geht natürlich nicht mit jedem, ein bisschen riskant war es auch, zehn Tage mit zwei Frauen zu planen, die man nicht wirklich gut kennt. Aber was für ein Glück es ist, mit diesen beiden Superfrauen in diesem Superhaus sitzen und schreiben zu dürfen. Nur noch bis Mittwoch, dann müssen wir wieder nach Hause. Schade, das war zu kurz, wie immer alles Schöne zu kurz ist, aber irgendwann tun wir es wieder, und darauf freue ich mich jetzt schon. Danke, Ladies.