Megumi Iwasa (Ü: Ursula Gräfe, I: Jörg Mühle): Viele Grüße, Deine Giraffe

Awwwww, ist das süß! Echtjetzma. Die Giraffe wohnt in der Savanne. Da hat sie es eigentlich gut, aber sie langweilt sich schrecklich. Anders gesagt: Sie sehnt sich nach einem Freund. Glücklicherweise hat der Pelikan gerade ein Postamt aufgemacht, denn ihm ist ebenfalls langweilig. Also schreibt die Giraffe einen Brief – und zwar an das erste Tier, das dem Pelikan hinter dem Horizont begegnet. Das erste Tier, das dem Pelikan hinter dem Horizont begegnet, ist eine Robbe, und wie es der Zufall will, ist auch die Robbe Postbotin. Sie bringt den Brief weiter an den einzigen, der jemals Post von ihr gebracht bekommt, nämlich den Pinguin, der am Kap der Wale lebt und dort beim letzten verbliebenen Wal in die Schule geht.
Die Giraffe hat sich in ihrem Brief selbst beschrieben, und jetzt fragen der Pinguin und der Wal sich, was wohl ein Hals ist. Das ist so bezaubernd! Und das, obwohl sie gerade noch mit der Farbe von Wasser beschäftigt waren. Jedenfalls beantwortet der Pinguin den Brief also, und die Giraffe ist ganz aufgeregt und weiß ihrerseits natürlich nicht, wie ein Pinguin aussieht, und so geht es immer weiter. Das ist alles wirklich wahnsinnig süß und lustig und rührend, falls noch jemand schnell ein Weihnachtsgeschenk für Kinder um die sechs Jahre sucht. Es geht um Freundschaft, ums Kommunizieren und darum, ganz unterschiedlich zu sein und sich zu mögen, obwohl man sich noch gar nicht richtig kennt. Hach. Einen zweiten Band gibt es auch, aber den kenne ich noch nicht.

Megumi Iwasa (Ü: Ursula Gräfe, I: Jörg Mühle): Viele Grüße, Deine Giraffe. Moritz Verlag, 10,95 €
(Link zur Buchhandlung Cohen und Dobernigg in Hamburg. Keine Werbekooperation, nur ein Vorschlag. Gibts auch in jeder anderen Buchhandlung.)

25 km/h

Filmbloggen habe ich genauso vernachlässigt wie alles andere. Dabei war ich ein paarmal im Kino, ich fand Gundermann total super, habe den Dreigroschenfilm sehr gemocht, fand den zweiten Teil des ABBA-Musicals entbehrlich, obwohl ich den ersten Teil mochte, habe mir sogar Mission Impossible angesehen, was nun wirklich überhaupt nicht meine Sorte Film ist, und habe schon wieder vergessen, was ich sonst noch gesehen habe. Jenun.

Jetzt war ich also in 25 km/h und habe mich selbstverständlich ordnungsgemäß in Lars Eidinger verliebt. Ja, ich weiß, wie originell das ist. Und darum geht es: Zwei Brüder sehen sich auf der Beerdigung ihres Vaters nach 30 Jahren zum ersten mal wieder. Ein Bruder (Bjarne Mädel) ist im Dorf geblieben, hat die Tischlerei übernommen und sich um den Vater gekümmert. Die Mutter ist schon länger tot. Der andere Bruder (Lars Eidinger) verdient einen Haufen Geld mit irgendwelchen internationalen Geschäften, zur Zeit lebt er in Singapur. Er kommt natürlich zu spät zur Beerdigung, es gibt eine Schlägerei auf dem Friedhof, und später sitzen die beiden im Elternhaus und schweigen sich an. Na, und dann reden sie natürlich doch, und dann spielen sie Tischtennis, wie früher, und dann fällt ihnen ein, dass sie doch immer eine Reise mit den Mofas längs durch Deutschland machen wollten. Einmal in die Ostsee pinkeln. Sie wollten auf dieser Reise Sex haben, Drogen nehmen, in einem griechischen Restaurant die komplette Speisekarte essen und dergleichen vernünftige Pläne mehr. Die Reise haben sie nie gemacht, also gucken sie jetzt in den Schuppen, ob die Mofas noch da sind, und dann geht das los.
Ich mag Roadstories. Weil da lauter so kleine Geschichten passieren, und dann geht es weiter, es gibt nicht nur den einen Handlungsstrang. Den natürlich auch, aber eben auch die kleinen Geschichten am Wegesrand, Begegnungen vor allem, mit Frauen (Franka Potente! Alexandra Maria Lara! Jördis Triebel! Sandra Hüller!) und Männern (Tischtennismatch – und dann wird’s etwas albern. Geschenkt). Die Geschichte selbst ist in diesem Fall nicht besonders ungewöhnlich für eine Roadstory, es wechseln sich komische und traurige, verzweifelte und vergnügte Momente ab, wie sich das gehört – allerdings immer mit diesem angenehm dezent ironischen Unterton, wo es nachdenklich wird, und mit Bierernst, wo es lustig ist. So muss das.
Das Besondere an diesem Film ist aber die Chemie zwischen Mädel und Eidinger. Die erwischt einen nämlich sofort, man möchte dauernd dem einen eine scheuern und den anderen in den Arm nehmen, und kurz drauf umgekehrt. Man möchte dazugehören, zu diesen beiden, möchte die große Schwester sein, oder vielleicht lieber die kleine, oder vielleicht doch die Liebhaberin, quasi egal von welchem, denn wenn die beiden ihren Charme auspacken, dann aber holla. Und man möchte dringend einfach mal wieder etwas total Bescheuertes machen. So ein schöner Film! Und so wahnsinnig schöne Bilder drin. Ach ja, SPOILER: Boys do cry.

Regie: Markus Goller, Drehbuch: Oliver Ziegenbalg.

Aber mal was ganz anderes: Hat jemand die Telefonnummer von Lars Eidinger?

F. W. Bernstein

Bilanz

Hab keine Romane geschrieben;
keine einzige Sinfonie.
Mein Umsturz ist Stückwerk geblieben;
wie meine Tanztheorie.

Nicht eine Kathedrale!
Kein Dachgeschoß ausgebaut!
Und wenn ich mal male,
wird’s Mist.

Nie im Puff und keine Visionen,
kein Sieg, keine Oper, kein Mord.
Kein Starkult und keine Millionen,
kein Hit, kein Hut, kein Rekord.

Nobelpreis? Nix draus geworden.
Kein Kriegsheld, Konzernherr, null Orden.
Tor des Monats, Befreiungskampf, Geige?
Macht? Schönheit? Genie? – Fehlanzeige.

Nur dieses kleine Gedicht.
Reicht das nicht?

(F. W. Bernstein: „Die Gedichte. Das heißt in diesem Falle alle.“ Verlag Antje Kunstmann.)

Nein, das reicht nicht. Wir hätten noch mehr davon gewollt. Ja, NOCH mehr.
Ach Mann. Ist mal genug gestorben jetzt, ja? Danke. Bitte hört damit auf.

Wilhelm Genazino

Ich setze mich auf eine Holzbank und schaue auf das Gestrüpp neben der Bank. Es gefällt mir sehr gut, weil es nichts als sein eigenes Ausharren ausdrückt. Ich möchte so sein wie dieses Gestrüpp. Es ist täglich da, es leistet Widerstand, indem es nicht verschwindet, es klagt nicht, es spricht nicht, es braucht nichts, es ist praktisch unüberwindbar. Ich empfinde Lust, meine Jacke auszuziehen und sie in hohem Bogen in das Gestrüpp zu werfen. Auf diese Weise hätte ich vielleicht Anteil an der Beharrungskraft des Gestrüpps. Schon das Wort Gestrüpp beeindruckt mich. Es ist vielleicht das Wort für die Gesamtmerkwürdigkeit allen Lebens, nach dem ich schon so lange suche. Das Gestrüpp drückt meinen Schmerz aus, ohne mich anzustrengen. (Ein Regenschirm für diesen Tag, S. 93/94)

Wilhelm Genazino ist gestorben. Sehr traurig. Er war erst 75 Jahre alt. Gerade habe ich das Wort „Gestrüpp“ in meine Übersetzung geschrieben.

(Hier ist ein schöner Nachruf von Jo Lendle.)

Anderswo: Das Feuilleton

- „Dass es jetzt überall Rollstuhlrampen gibt, heißt ja nicht, dass niemand mehr Treppen benutzen darf.“ Kristof Magnusson auf HR2 über Literatur in einfacher Sprache.

- Die besten Outfits für Leute, die zu Hause arbeiten.

- Katja Lange-Müller und Teresia Enzensberger im Gespräch über Literatur von Frauen im klassischen Kanon im Deutschlandfunk.

- Gleiches Thema, aber diesmal statistisch untermauert: Nina George und einige andere Frauen haben Frauen in der Literaturkritik gezählt. Die Uni Rostock hat die wenig überraschenden Ergebnisse jetzt ausgewertet. Spoiler: „Nur ein Drittel der Rezensionen befasste sich mit Büchern von Autorinnen. In zwei Dritteln der Beiträge ging es um die Werke von Autoren.“

- Alex Capus über das Schreiben:

Ich bin keiner dieser Schriftsteller, die gefühlt immer zu wenig Zeit haben, ihre vielen Ideen zu Papier zu bringen. Ich schöpfe nicht aus dem Vollen. Ich lebe seit Jahrzehnten mit der Angst, dass mir nichts mehr einfällt, dass ich eines Tages sagen muss: Das wars!

Ehrlich, mich beruhigt sowas. Ich lebe nicht mal nur mit der Angst, sondern sogar mit der Überzeugung, dass mir nichts einfällt. Deswegen habe ich nie geschrieben. (Bis mir halt doch was begegnet ist. Aber doch nicht eingefallen!)

- Mein Verleger Helge Malchow geht in Ruhestand und zieht vorher nochmal Bilanz. Wenn man sich den Verlag Kiepenheuer und Witsch so anguckt, möchte man wohl sagen: Alles richtig gemacht. Thank you for the music, Herr Malchow.

- Und zum Schluss noch ein Interview mit Helge Malchow und seiner Nachfolgerin Kerstin Gleba. Sie ist schon seit Ewigkeiten im Verlag und rückt ganz organisch nach. Ich ich möchte sagen: Schon wieder alles richtig gemacht, sie ist toll.

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