Film: Was vom Tage übrig blieb

Jaaa, ein Klassiker. Kennt ihr bestimmt alle, aber ich kannte ihn noch nicht, ich habe auch den Roman (Kazuo Ishiguro) nicht gelesen.
Es sind die dreißiger Jahre, und wir befinden uns in Darlington Hall, dem Anwesen von Lord Darlington (James Fox). Butler Stevens (Anthony Hopkins) stellt eine neue Haushälterin ein (Emma Thompson). Und wie auch die beiden selbst, kapiert man auch als Zuschauerin erst nach und nach, dass sie sich ineinander verlieben. Denn das geht natürlich nicht – Personal untereinander, das kommt nicht in Frage. (Heute würde man sagen: Don’t fuck the company.) Und was nicht in Frage kommt, das kommt nicht in Frage, da ist Stevens sehr streng. Sehr der englische Butler. Er hat das Haus und das Personal im Griff, er hat seine Gefühle im Griff, alles wird so gemacht, wie es sich gehört. Keine Emotionen, keine Abweichungen. Miss Kenton ist da ein kleines bisschen entspannter, aber das lässt Stevens nicht zu.
Lord Darlington kollaboriert derweil mit den Nazis. Stevens gestattet es sich nicht, auch nur darüber nachzudenken, was er davon halten soll. Er weigert sich, es ist nicht sein Job; sein Job ist es, dafür zu sorgen, dass das Silber poliert ist. Erst Jahre später merkt er, dass es ein Fehler war, der kapitale Fehler seines Lebens, keine Gefühle zuzulassen, immer nur zu funktionieren, nie etwas zu hinterfragen. Oder wie Markus Felsmann es auf Instagram so schön formuliert: „ Welche Verantwortung hat das Individuum vor der Geschichte, wie können wir Historie begreifen und bewältigen, wie fiktionalisieren wir unser Leben, erzählen es als Roman? All diese Fragen stellt mein heutiges Buch des Tages, das zugleich eine der wohl traurigsten Liebesgeschichten ist, die ich je gelesen habe.“ Dem habe ich nichts hinzuzufügen. Großartiger Film! (Gibts auf Netflix.)

Amos Oz

Einmal habe ich ihn am Geräteschuppen aufgehalten. Habe gefragt, was er liest.
Boas zuckte die Achseln und antwortete widerstrebend, „’n Buch. Warum?“
Ich wollte wissen, welches Buch.
„Sprachbuch.“
Das heißt?
„Grammatik für Mund und Ohr. Dass mit der Rechtschreibung und all dem mal Schluss ist.“
Kann man ein „Sprachbuch“ lesen, als sei es Unterhaltungslektüre zum Zeitvertreib?
„Worte und das“, er schenkt mir sein bedächtiges Lächeln, „das ist wie Menschen kennen. Woher sie stammen. Wer mit wem verwandt ist. Wie jeder sich in allen möglichen Situationen verhält. Und außerdem“ (er zögert, schickt die rechte Hand auf eine lange Reise um seinen riesigen Schädel, um sich damit die linke Schläfe zu kratzen, eine unlogische und doch fast königliche Geste), „und außerdem gibt’s das gar nicht: Zeit vertreiben. Die Zeit vergeht überhaupt nicht.“
Vergeht nicht? Was soll das heißen?
„Was weiß ich? Vielleicht isses umgekehrt. Dass wir in der Zeit weitergehen. Was weiß ich? Oder dass die Zeit die Menschen verbringt.“

Amos Oz: Black Box. Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama.

Jetzt ist auch noch Amos Oz gestorben, mit nur 79 Jahren. Ich hatte doch eigentlich gefunden, es sei mal wieder genug gestorben worden. Möge ihm die Erde leicht sein.

Vom Laufen

Beim Laufen im Park wurde mir soeben mitgeteilt, ich zitiere im Wortlaut:

„Dein Hintern ist Pudding!“

Ich bin schockiert. Ehrlich. Wie verroht muss man sein, um jegliche Achtung vor dem Gebrauch kontextadäquaten Vokabulars fahren zu lassen? Ich meine, wer wildfremden Leuten im Park gänzlich ungeniert mitteilt, dass er Teile ihres Körpers für eine süße Nachspeise hält, der benutzt doch bitte nicht so einen verschämten, um nicht zu sagen: verklemmten Ausdruck wie Hintern. Da kann man doch verfickt noch mal bitte Arsch sagen, wie sich das gehört! Wo kommen wir denn sonst hin – als nächstes wird man noch gesiezt oder was? „Verzeihung, gnädige Frau, Ihr Allerwertester ist Crème Brûlée“? Nee, nee, nee, da wollen wir doch mal bitte schön die Contenance bewahren.

Megumi Iwasa (Ü: Ursula Gräfe, I: Jörg Mühle): Viele Grüße, Deine Giraffe

Awwwww, ist das süß! Echtjetzma. Die Giraffe wohnt in der Savanne. Da hat sie es eigentlich gut, aber sie langweilt sich schrecklich. Anders gesagt: Sie sehnt sich nach einem Freund. Glücklicherweise hat der Pelikan gerade ein Postamt aufgemacht, denn ihm ist ebenfalls langweilig. Also schreibt die Giraffe einen Brief – und zwar an das erste Tier, das dem Pelikan hinter dem Horizont begegnet. Das erste Tier, das dem Pelikan hinter dem Horizont begegnet, ist eine Robbe, und wie es der Zufall will, ist auch die Robbe Postbotin. Sie bringt den Brief weiter an den einzigen, der jemals Post von ihr gebracht bekommt, nämlich den Pinguin, der am Kap der Wale lebt und dort beim letzten verbliebenen Wal in die Schule geht.
Die Giraffe hat sich in ihrem Brief selbst beschrieben, und jetzt fragen der Pinguin und der Wal sich, was wohl ein Hals ist. Das ist so bezaubernd! Und das, obwohl sie gerade noch mit der Farbe von Wasser beschäftigt waren. Jedenfalls beantwortet der Pinguin den Brief also, und die Giraffe ist ganz aufgeregt und weiß ihrerseits natürlich nicht, wie ein Pinguin aussieht, und so geht es immer weiter. Das ist alles wirklich wahnsinnig süß und lustig und rührend, falls noch jemand schnell ein Weihnachtsgeschenk für Kinder um die sechs Jahre sucht. Es geht um Freundschaft, ums Kommunizieren und darum, ganz unterschiedlich zu sein und sich zu mögen, obwohl man sich noch gar nicht richtig kennt. Hach. Einen zweiten Band gibt es auch, aber den kenne ich noch nicht.

Megumi Iwasa (Ü: Ursula Gräfe, I: Jörg Mühle): Viele Grüße, Deine Giraffe. Moritz Verlag, 10,95 €
(Link zur Buchhandlung Cohen und Dobernigg in Hamburg. Keine Werbekooperation, nur ein Vorschlag. Gibts auch in jeder anderen Buchhandlung.)

25 km/h

Filmbloggen habe ich genauso vernachlässigt wie alles andere. Dabei war ich ein paarmal im Kino, ich fand Gundermann total super, habe den Dreigroschenfilm sehr gemocht, fand den zweiten Teil des ABBA-Musicals entbehrlich, obwohl ich den ersten Teil mochte, habe mir sogar Mission Impossible angesehen, was nun wirklich überhaupt nicht meine Sorte Film ist, und habe schon wieder vergessen, was ich sonst noch gesehen habe. Jenun.

Jetzt war ich also in 25 km/h und habe mich selbstverständlich ordnungsgemäß in Lars Eidinger verliebt. Ja, ich weiß, wie originell das ist. Und darum geht es: Zwei Brüder sehen sich auf der Beerdigung ihres Vaters nach 30 Jahren zum ersten mal wieder. Ein Bruder (Bjarne Mädel) ist im Dorf geblieben, hat die Tischlerei übernommen und sich um den Vater gekümmert. Die Mutter ist schon länger tot. Der andere Bruder (Lars Eidinger) verdient einen Haufen Geld mit irgendwelchen internationalen Geschäften, zur Zeit lebt er in Singapur. Er kommt natürlich zu spät zur Beerdigung, es gibt eine Schlägerei auf dem Friedhof, und später sitzen die beiden im Elternhaus und schweigen sich an. Na, und dann reden sie natürlich doch, und dann spielen sie Tischtennis, wie früher, und dann fällt ihnen ein, dass sie doch immer eine Reise mit den Mofas längs durch Deutschland machen wollten. Einmal in die Ostsee pinkeln. Sie wollten auf dieser Reise Sex haben, Drogen nehmen, in einem griechischen Restaurant die komplette Speisekarte essen und dergleichen vernünftige Pläne mehr. Die Reise haben sie nie gemacht, also gucken sie jetzt in den Schuppen, ob die Mofas noch da sind, und dann geht das los.
Ich mag Roadstories. Weil da lauter so kleine Geschichten passieren, und dann geht es weiter, es gibt nicht nur den einen Handlungsstrang. Den natürlich auch, aber eben auch die kleinen Geschichten am Wegesrand, Begegnungen vor allem, mit Frauen (Franka Potente! Alexandra Maria Lara! Jördis Triebel! Sandra Hüller!) und Männern (Tischtennismatch – und dann wird’s etwas albern. Geschenkt). Die Geschichte selbst ist in diesem Fall nicht besonders ungewöhnlich für eine Roadstory, es wechseln sich komische und traurige, verzweifelte und vergnügte Momente ab, wie sich das gehört – allerdings immer mit diesem angenehm dezent ironischen Unterton, wo es nachdenklich wird, und mit Bierernst, wo es lustig ist. So muss das.
Das Besondere an diesem Film ist aber die Chemie zwischen Mädel und Eidinger. Die erwischt einen nämlich sofort, man möchte dauernd dem einen eine scheuern und den anderen in den Arm nehmen, und kurz drauf umgekehrt. Man möchte dazugehören, zu diesen beiden, möchte die große Schwester sein, oder vielleicht lieber die kleine, oder vielleicht doch die Liebhaberin, quasi egal von welchem, denn wenn die beiden ihren Charme auspacken, dann aber holla. Und man möchte dringend einfach mal wieder etwas total Bescheuertes machen. So ein schöner Film! Und so wahnsinnig schöne Bilder drin. Ach ja, SPOILER: Boys do cry.

Regie: Markus Goller, Drehbuch: Oliver Ziegenbalg.

Aber mal was ganz anderes: Hat jemand die Telefonnummer von Lars Eidinger?

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