Wolfenbütteler Gespräch 2014

Im späten Frühjahr findet die Jahrestagung des Übersetzerverbands statt, seit elf Jahren in Wolfenbüttel. Es gibt Workshops, Vorträge, ein Lesefest, eine Party und was das Übersetzerherz sonst begehrt. Normalerweise geht es von Freitag bis Sonntag, dieses Jahr einen Tag länger, weil der VdÜ außerdem seinen 60. Geburtstag feierte. Und wer konnte schon wieder nicht dabeisein? Ich. Menno. (Ich war stattdessen „kurz mal eben“ auf einer Hochzeit in Schottland, das ist also ein „Menno“ auf hohem Niveau.)
Aber Jenny Merling war da, und zwar zum ersten Mal, und deswegen tut es mir doppelt leid, nicht dabeigewesen zu sein: weil ich ihre Begeisterung nicht live mitbekommen habe. Hier ist ihr Bericht:

***

Dieses Jahr war ich das erste Mal auf der Jahrestagung der Literaturübersetzer, dem „Wolfenbütteler Gespräch“. Ich übersetze seit drei Jahren, bin also noch nicht sehr lange dabei, und war entsprechend aufgeregt und gespannt, wie es wohl werden würde. Würde ich mich inmitten der „Großen“ überhaupt wohlfühlen? War das Ganze eine Party und ich außen vor? Oder würde es eine ernste Angelegenheit werden, bei der man sein Können unter Beweis stellen muss, um dazugehören zu dürfen?
Von manchen Teilnehmer*innen hatte ich lediglich den Namen schon mal gehört; andere kannte ich schon und hatte mich so auf das Wiedersehen gefreut, dass ich ihnen einfach um den Hals fallen musste; manche (so wie die Übersetzerin, der ich mit einem Augenzwinkern die beiden Semikola in diesem Satz widme) kannte ich vorher nicht, erfuhr dann, dass sie einen meiner Lieblingsautoren übersetzt hatten, und konnte kaum fassen, wen ich da tatsächlich vor mir hatte.
Meine Sorgen stellten sich als völlig unbegründet heraus. Es kam ganz schnell der Eindruck auf: Egal, ob man sich kennt oder nicht, egal, wie verschieden wir sind, egal, wie stark die Sympathie ist, da ist immer dieses Band zwischen allen Anwesenden, weil wir alle das gleiche machen und lieben. Das mit dem „machen“ trifft vielleicht auch auf jede andere berufsspezifische Tagung zu, das mit dem „lieben“ wohl nicht immer. Es ist schon eine besondere Stimmung. Man ist nicht in allem einer Meinung, hat teilweise ganz unterschiedliche Übersetzungsmethoden und Herangehensweisen an Literatur, aber man gehört zusammen. We are family.
Genauer betrachtet ist es aber eigentlich noch viel besser als Familie, wo man ja nicht vorher gefragt wird, ob man dabei sein will. In Wolfenbüttel waren wir nicht bunt zusammengeworfen, weil wir etwas miteinander teilen, das uns von äußeren Umständen willkürlich übergeholfen wurde, sondern wir waren alle aus Überzeugung da, weil uns eine Sache verbindet, die wir uns ausgesucht haben. Wir alle lieben Übersetzen und niemand war zufällig auf dieser Tagung. Das ist vielleicht zum Teil das Geheimnis? Ich habe mich dabei ertappt, während der Workshops die Tischreihen entlangzusehen, in die Gesichter von Leuten, die ich erst seit kurzem kenne oder schon länger, und zu denken: „Ich weiß vielleicht nicht viel über dich, aber die Tatsache, dass dir Übersetzen so viel bedeutet, dass du Übersetzer*in geworden und heute hier dabei bist, heißt für mich, dass wir eine mir sehr wichtige Sache gemeinsam haben, und das macht mich froh.“ Und dann unauffällig nach einem Taschentuch kramen musste.
Überhaupt: Die Workshops. Beim gemeinsamen Übersetzungssudoku („Ja, das Wort passt auf den ersten Blick hier wirklich gut, aber das haben wir in der Zeile schon mal, tut mir leid.“), fragte man sich vielleicht gelegentlich: „Nerve ich eigentlich die anderen gerade, wenn die gern weiter im Text wollen, ich aber den 27. Vorschlag mache, wie man den Satz umstellen könnte, damit er noch besser, rhythmischer, wasauchimmer klingt?“ Doch aus dem Chaos sprach dann eine Stimme zu einem, die sagte: „Ja, du nervst gerade total, aber lächle und sei froh, denn hier darfst du das, hier bist du unter deinesgleichen.“ Man erinnerte sich wieder daran: Ich kann ja nichts dafür, dass ich so verliebt ins Übersetzen bin, ich bin’s nun mal. Und mit einer Mischung aus fast lutherhafter Gewissheit, das Richtige zu tun, und columbomäßiger Gelassenheit meldete man sich schon wieder. „Entschuldigung, eine ganz kleine Frage hätte ich da noch …“
Auf die Arbeit folgte das Vergnügen, es wurde zusammen gegessen, getrunken und auch sehr lange und ausgiebig getanzt. Ich habe selten mehr Spaß gehabt als inmitten dieses einerseits so gebildeten, ernstzunehmenden und andererseits so ausgelassenen, liebenswürdig-verrückten Haufens.
Wir alle waren auf dieser Tagung, weil wir Lust auf die Workshops und auf die Leute und aufs Feiern hatten. Und es war eine Tagung, während der es – zumindest für mich – die Außenwelt mit ihrer doofen Realität und Geld und Stress nicht gab. Everything was translation and nothing hurt. Immer wieder diese Dankbarkeit gegenüber denjenigen, die sich das alles ausgedacht, organisiert und veranstaltet haben. Und auch immer wieder dieser Respekt und die Bewunderung gegenüber anderen Übersetzer*innen: Wie machen die das so gut? Wie geht das? Das ist doch alles völliger Wahnsinn. Angesichts des Könnens mancher Menschen bin ich ebenso davon fasziniert, dass sie aus einer Sprache übersetzen, die ich nicht spreche, wie von der Tatsache, dass sie in dieselbe Sprache übersetzen, die ich spreche. Aber – und das ist das wirklich, wirklich Wertvolle und Wunderbare für mich bei allen Zusammenkünften dieser Art, sei es ein E-Mail-Austausch mit lieben Kolleginnen zu aktuellen Übersetzungsherausforderungen, seien es die wundervollen Straelenseminare – nie lässt mich der Kompetenzgraben, der sich teils tatsächlich, teils vielleicht nur von mir persönlich so wahrgenommen zwischen „den anderen“ und mir manchmal auftut, wirklich verzweifeln. Denn immer fühle ich mich beim Aufeinandertreffen mit anderen Übersetzer*innen auch gleichzeitig so angekommen, so getragen von dem Gefühl: Hier gehöre ich hin. Hier will ich nicht mehr weg. Übersetzen ist mein Ding. Und in Wolfenbüttel war es nicht anders. Ich habe so viel Herzlichkeit erlebt, ich wurde so freundlich auf- und angenommen! Literaturübersetzer*innen sind einfach die besten – das behaupten zwar viele von sich, aber hier stimmt’s nun mal wirklich, jetzt mal absolut objektiv und hundertprozentig rational betrachtet.
Und dann die Erkenntnis: Ich darf da mit rein, ich darf aus dem „die“ ein „wir“ machen.

Wir waren da, weil uns eine gemeinsame Sache sehr am Herzen liegt, weil uns etwas verbindet und wir diese Verbindung (und auch ein bisschen uns selbst) feiern wollten. Nein, Wolfenbüttel versank nicht im Schlamm. Ja, nur wenige unter uns haben in Schlafsäcken übernachtet. Und der Nacktheitsfaktor war eher gering (wobei man das mit der richtigen Einstellung sicher auch noch ändern kann!). Aber es war ein Fest Gleichgesinnter, es fand im Sommer statt und es war viel Liebe dabei. Deshalb sage ich: Dass beide mit den gleichen Buchstaben anfangen, ist sicher kein Zufall – Wolfenbüttel ist Woodstock für Übersetzer.

7 Kommentare

  1. Anke Burger in Berlin, Germany Dienstag, 1. Juli 2014 um 18:37 Uhr [Link]

    Liebe Jenny, ich bin komplett und völlig objektiv deiner Meinung! Wolfenbüttel ist ein Fest der Liebe, nur das Woodstocker Schlammwälzen fehlte. Es tut mir leid, dass wir uns nicht kennengelernt haben, aber es hat sehr viel Spaß gemacht, dir und anderen Jüngeren (und Älteren und überhaupt allen) beim Tanzen zuzugucken.
    We missed you, Isa! Nächstes Jahr keine Hochzeit, okay?

    • Jenny Dienstag, 1. Juli 2014 um 20:52 Uhr [Link]

      Liebe Anke,

      dann lass uns dafür sorgen, dass wir uns nächstes Jahr kennenlernen! Ich freu mich drauf.

  2. Ebba Dienstag, 1. Juli 2014 um 23:19 Uhr [Link]

    Jepp, Isa. Und auch keine runden Geburtstage, Kindstaufen, Lesungen, Umzüge, Renovierungen, Flüge ans Nordkapp, Fahrradtouren mit Brad Pitt oder was Dein reiches soziales Leben sonst noch an Gegenprogramme zwischen Dich und uns schiebt. Nächstes Jahr sind wir dran.

    • Isabel Bogdan Dienstag, 1. Juli 2014 um 23:32 Uhr [Link]

      Ach, Ihr seid süß. Hätt‘ ich geahnt, dass ich so begehrt bin!
      Fahrradtour mit Brad Pitt wäre natürlich kein Grund. Aber wenn vielleicht Colin Firth … man weiß es nicht.

  3. Katrin Harlaß Mittwoch, 2. Juli 2014 um 15:04 Uhr [Link]

    Liebe Jenny,

    ich glaube, du bist eine Art Medium. Du kannst nämlich Gedanken lesen, auch über die Zeiten hinweg. Und Gefühle. Vieles von dem, was du schreibst, spiegelt genauestens wider, was fühlte und dachte, als ich mich vor einigen Jahren selbst zum allerersten Mal nach Wolfenbüttel „wagte“. Und wenn heute das Gespräch darauf kommt, schildere ich das immer wieder so ähnlich. Dein Bericht ist der wildestes Kopfnicken auslösende Schlusspunkt hinter vier herrlichen Tagen. Danke ans Team, schade für Isa – du kannst gar nicht anders, als im nächsten Jahr dabei zu sein. Um sicher zu gehen, könnten wir ja Colin Firth einladen zu einem Gespräch über „The King’s Speech“. Na, wär‘ das was?

    • Jenny Donnerstag, 3. Juli 2014 um 09:30 Uhr [Link]

      Ach Katrin, danke!!! Es macht mich so froh zu wissen, dass es anderen auch so geht/ging; wobei es ja auch gar nicht anders möglich ist, denn sonst hätte ich mich ja nicht so wohlgefühlt, nehme ich an…
      Und ich hab mich sehr gefreut, dass wir uns gesehen haben.

  4. Wibke Dienstag, 8. Juli 2014 um 10:11 Uhr [Link]

    Wenn Colin Firth nächstes Jahr nach Wolfenbüttel kommt, sattele ich noch dieses Jahr aufs Übersetzen um (hey, Anglistin bin ich immerhin!), damit ich auch kommen darf! (Und ausserdem würde ich dann natürlich auch gerne Isa treffen, die dann schon eine gefeierte Autorin mit dem Weltbestseller ‚Der Pfau‘ ist…)

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