Als dein Gesicht vor mir sich hob

Als dein Gesicht vor mir sich hob
und aufging über meinem Leben,
begriff ich erst: Erbärmlich arm
war ich. Nichts konnte ich dir geben.
Du schenktest mir den Wald, den Fluss,
das Meer in immer neuen Farben.
Durch dich erst war die Welt für mich
gemacht aus Regenbogengarben.
Jetzt hab ich Angst, es könnte sein,
der Sonnenaufgang geht zu Ende,
die Freudentränen trocknen ein.
Jetzt hab ich Angst. Und doch, ich wende
mich nicht dagegen, weil ich weiß:
Ich hab aus Liebe Angst. – Ich liebe.
Ich gäbe, gegen meine Art,
was drum, wenn diese Angst mir bliebe.
Von Angst bin ich gepackt. Von Angst,
wie schnell solch Augenblick vorüberweht.
Für mich sind alle Farben tot,
wenn dein Gesicht mir untergeht.

Jewgeni Jewtuschenko, Nachdichtung von Joachim Rähmer

Jewgeni Jewtuschenko ist gestorben.

Dieses Gedicht war einer meiner allerersten Blogeinträge, damals, 2005, weil der Rhythmus mich so begeisterte. Und heute ist ein guter Tag für ein Liebesgedicht im Blog, weil ich heute auf der Hochzeit eines Bloggers war. Lieber Bloggerfreund, wenn Du das hier liest, und deine zauberhafte Frau: Ich wünsche Euch, dass Ihr diese Angst nur im positiven Sinne habt.

12 Kommentare

  1. Tobias Wimbauer Samstag, 1. April 2017 um 22:22 Uhr [Link]

    Ich postete vorhin auf FB die 1963er Übersetzung bei Middelhauve von Gisela Drohla und Renate Heuer:
    \\\\\\\“Als dein Gesicht aufging
    über meinem verlumpten Leben,
    sah ich zum ersten Mal:
    Armseligkeit ist mein Besitz.
    Wälder, Flüsse, Meere, hast du mit Licht erfüllt, mit deinem Licht.\\\\\\\“ (…)
    (Hier zur kompletten Übersetzung.)

    Spannend, wenn man die von Dir gewählte Übersetzung/Nachdichtung von Rähmer mit der hier vergleicht. Die hier ist viel härter, von der Armut aus übersetzt, Deine Version im Fluss seiend und weicher, aus der Perspektive der Liebe. Und beide sagen das selbe

  2. Isabel Bogdan Samstag, 1. April 2017 um 22:35 Uhr [Link]

    Ja, das ist wirklich sehr anders. Ich habe keine Ahnung mehr, woher ich die Übersetzung von Rähmer damals hatte, und da stand ausdrücklich „Nachdichtung“ dabei, nicht „Übersetzung“. Sicher hat er sich die ein oder andere Freiheit genommen. Aber dagegen finde ich die von Drohla/Heuer saft- und kraftlos, sie lässt mich irgendwie kalt. Natürlich habe ich keine Ahnung, wie Rhythmus und Sound im Original sind.

  3. Isabel Bogdan Samstag, 1. April 2017 um 22:44 Uhr [Link]

    „Und für mich erlöschen die Farben,
    wenn Dein Gesicht versinkt.“

    vs.

    „Für mich sind alle Farben tot,
    wenn Dein Gesicht mir untergeht.“

    Wahnsinn. Sagt das gleiche, aber das eine macht einen Achselzucken, beim anderen muss man fast weinen.

  4. Jon Wetzlar Sonntag, 2. April 2017 um 00:16 Uhr [Link]

    ach je. (Wusste gar nicht, dass er noch lebte)

  5. Trixi Bücker Montag, 3. April 2017 um 08:27 Uhr [Link]

    Der Blog wurde heute in der Meldung zu Jewtuschenkos Tod in der Krautreporter-Morgenpost als Weiterleseempfehlung zitiert!!

  6. Isabel Bogdan Montag, 3. April 2017 um 10:53 Uhr [Link]

    Ist ja ein Ding. Dabei hab ich gar nicht wirklich was dazu geschrieben.

  7. Trixi Bücker Montag, 3. April 2017 um 10:54 Uhr [Link]

    Es war wohl der schnellste Link zu einem anderen Gedicht als Babi Jar ;-). Hier das Vollzitat: 3. Einflussreicher russischer Dichter Jewgeni Jewtuschenko gestorben
    Nach dem Tod des früheren Machthabers hatte in der Sowjetunion in den 50er und 60er Jahren die Entstalinisierung begonnen. Eine der wichtigsten kulturellen Stimmen dieser Zeit wurde der Dichter Jewgeni Jewtuschenko, weil er immer wieder die „Grenzen des Sagbaren in der Sowjetkultur“ auslotete, schreibt die Neue Zürcher Zeitung. Am Wochenende ist er in Oklahoma in den USA im Alter von 84 Jahren gestorben. Berühmt wurde er mit dem Gedicht „Babi Jar“ über den deutschen Mord an den Juden in Kiew, Auszüge daraus hier. Als ein weiteres schönes Beispiel seiner Arbeit gibt es das Gedicht „Als dein Gesicht vor mir sich hob“ im Blog von Isabel Bogdan. 1962 hatte auch der Spiegel Jewtuschenko eine Titelgeschichte gewidmet. [Krautreporter Morgenpost]

  8. Isabel Bogdan Montag, 3. April 2017 um 11:08 Uhr [Link]

    Danke!

  9. Vienne Mittwoch, 23. Dezember 2020 um 22:10 Uhr [Link]

    Wunderschön!
    Weiß jemand, wie das Gedicht original im Russischen heißt?

  10. hibisskuss Freitag, 30. Juli 2021 um 23:34 Uhr [Link]

    Intro zum Film. Der Text ist vermutlich älter als du – aber wunderschön.
    „Der Staatsanwalt hat das Wort: (Folge „Wer bist du? (1984))“ googeln by you Tube
    Ein Klassiker. Wer hat es gesungen?

  11. Isabel Bogdan Freitag, 30. Juli 2021 um 23:48 Uhr [Link]

    Hier hatte ich das vor ewigen Zeiten schon mal gepostet, da vermutet jemand in den Kommentaren Uschi Brüning. Lässt sich aber nicht verifizieren.

  12. Hannes Lindig Samstag, 17. Juni 2023 um 23:18 Uhr [Link]

    Im Abspann der 52. Folge der Sendereihe „Polizeiruf 110″ (Bonnys Blues) läuft ein Lied mit diesem Text, von einer Frau gesungen. Im Film wird es auch vom Hauptdarsteller „Bonny“ dargeboten. Im Abspann werden die „Hermann-Anders-Band“ sowie Gesang: „Uschi Brüning“ angegeben. Aktuell noch in der ARD-Mediathek abzurufen: https://www.ardmediathek.de/video/polizeiruf-110-im-mdr/bonnys-blues/mdr-fernsehen/Y3JpZDovL21kci5kZS9iZWl0cmFnL2Ntcy80M2Q4ZmQ2Mi04ODkxLTQ3ZGMtOTk5OS1kYzk1MzFiNmJhYmQ

Kommentieren:

Pflichtfeld

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Twitter