Anderswo

Lesen Sie doch mal Anke Gröner: „Warum ich meine eBooks durchaus auf ein Kaltgetränk einlade, sie aber nicht heiraten möchte“.

Ich habe noch kein eBook ausprobiert, nur mal in einer Buchhandlung daran herumgespielt, aber keines wirklich gelesen. Trotzdem bin ich sicher, dass es mir genauso gehen würde wie Anke. Ich mag es, wenn das Gewicht eines Buches während des Lesens langsam von der rechten in die linke Hand wandert. Ich blättere gern. Ich mag es, dass Bücher unterschiedlich aussehen. Und ich liebe, liebe, liebe das Gefühl, ein Buch ausgelesen zu haben und es an seinen Platz im Regal zu stellen. Das ist etwas anderes, als ein ungelesenes Buch ins Regal zu stellen; erst, wenn es gelesen ist, gehört es dort so richtig hin und ist zu Hause. Von einem eBook bleibt so wenig, man macht das Dokument zu, und das war’s.
Die Vorteile des eBooks sind eher was für den Kopf. Für’s Gefühl kann ich es mir nicht gut vorstellen.

Emily Gravett: Little Mouse’s Big Book of Fears

Die kleine Maus hat ganz schön viel Angst. Beziehungsweise viele Ängste. Angst vor Wasser (Hydrophobia) und Angst vor Vögeln (Ornithophobia) und Angst, sich zu verlaufen (Whereamiophobia). Und für jede dieser Ängste gibt Emily Gravett der kleinen Maus eine ganze Seite Platz, auf dem diese Angst illustriert ist, manchmal sind auch Dinge eingeklebt, zum Beispiel gegen die Angst vorm Verlaufen eine Landkarte der Isle of Fright. Und auf jeder Seite ist außerdem noch genügend Platz für Notizen über eigene Ängste.
Und am Ende hat natürlich auch noch jemand Angst vor der kleinen Maus. Die vor lauter Angst übrigens das Buch ein bisschen angeknabbert hat, keine Seite ist unbeschädigt. Aber das kann man ja auch verstehen, wenn sie immer so viel Angst hat.


Für jemanden, der nicht unter Phobien leidet, ist das sehr schön, die Illustrationen sind großartig, und kleine Gags wie die Whereamiophobia machen es erst recht charmant. Wer allerdings ohnehin schon unter ernsthaften Phobien leidet oder als Kind einfach mal Angst vor diesem oder jenem hat – ich weiß nicht. Keine Ahnung, wie man dann reagiert. Das Buch macht sich nicht über Ängste lustig, das nicht. Aber ist es tröstlich zu wissen, dass es noch andere Ängste gibt? Ist es tröstlich zu wissen, dass man selbst nicht alle Ängste hat, sondern nur ein paar? Will das Buch vielleicht gar nicht tröstlich sein? Bringt es einen womöglich auf Gedanken, wovor man sich sonst noch alles fürchten könnte? Ich habe keine Ahnung, glücklicherweise. Für mich ist das ein sehr schönes und liebevoll gemachtes Buch. Ob es für Kinder oder Phobiker geeignet ist, weiß ich nicht.

Englisch:
Emily Gravett: Little Mouse’s Big Book of Fears. Palgrave Macmillan, Taschenbuch, 8,99 €
Simon & Schuster Children’s Publishing, gebunden, 14,99 €

Deutsch:
Emily Gravett (Uwe-Michael Gutzschhahn): Mein Buch vom Angsthaben. Sauerländer, gebunden, 19,90 €

Warum ich keine englischen Bücher lese

Oder genauer: Warum ich englischsprachige Literatur nicht im Original lese.

Um es gleich zu sagen: Warum sollte ich?
Ich bin Übersetzerin, ich habe beruflich den ganzen Tag ein englisches Buch vor der Nase und befasse mich intensiv damit. Was ich darüber hinaus zum Spaß lese, muss nicht auch noch auf Englisch sein. Zum einen deswegen, weil ich mein Übersetzergehirn nicht einfach ausschalten kann – wenn ich Englisch lese, läuft in meinem Kopf immer die Übersetzung mit, wie Untertitel. Ich bleibe an Formulierungen hängen, weil ich überlege, wie ich sie übersetzen würde, ich will nachschlagen, wenn ich ein Wort nicht kenne, statt es einfach zu überlesen, und ich will mir eine Notiz machen, wenn mir spontan eine schöne deutsche Wendung einfällt. Das alles hält nicht nur auf, es hemmt nicht nur den Lesefluss, sondern es nervt auch kolossal.
Zweitens fällt es mir schlicht leichter, Deutsch zu lesen als Englisch. Fremdsprachenkompetenz hin oder her, Deutsch ist meine Muttersprache, natürlich liest sich das leichter. Ähnlich wie die Untertitel beim Englischlesen habe ich allerdings auch beim Deutschlesen immer den Rotstift im Kopf. Ich korrigiere in Gedanken, permanent. Auch im Deutschen denke ich ständig über Formulierungen nach, finde die eine hübsch und möchte sie mir merken, die andere gerade nicht. Aber es nervt nicht so wie das ewige Mitübersetzen beim Englischlesen.
Und drittens und wichtigstens schmort man als Übersetzer normalerweise sehr im eigenen Saft. Wir sitzen allein zu Hause am Schreibtisch und produzieren Text, Tag für Tag, Jahr für Jahr. Der wird dann zwar noch lektoriert, aber es besteht doch eindeutig die Gefahr, sich Macken anzugewöhnen, persönliche Vorlieben und Idiosynkrasien überhand nehmen zu lassen, immer dieselben Lieblingsformulierungen zu benutzen und immer dieselben Ungeschicklichkeiten zu begehen, weil man sie einfach nicht bemerkt. Und deswegen ist es umso wichtiger, regelmäßig das Deutsch anderer Leute zu tanken. Ob diese anderen Leute Autoren oder Übersetzer sind, ist dabei eigentlich egal, denn wichtig ist ja nicht, ob sie sich eine Geschichte ausdenken können, sondern ob sie Deutsch können. Und das, stellt der Rotstift in meinem Kopf immer wieder fest, können Autoren und Übersetzer gleich gut. Oder gleich schlecht. Es gibt Autoren, die ein wunderbares Deutsch schreiben, und es gibt Autoren, die den Konjunktiv nicht beherrschen oder Probleme mit Relativsätzen haben. Es gibt Übersetzer, die ein wunderbares Deutsch schreiben, und es gibt Übersetzer, die den Konjunktiv nicht beherrschen oder Probleme mit Relativsätzen haben. Den Übersetzern werden sprachliche Schwächen allerdings eher angekreidet als den Autoren; wer Probleme mit Relativsätzen hat, kann durchaus einen deutschen Buchpreis bekommen, aber keinen Übersetzerpreis.
Den Rotstift habe ich sowieso im Kopf, egal, ob ein Buch auf Deutsch geschrieben oder ins Deutsche übersetzt wurde. Und ich merke relativ schnell, ob ich ihn beiseite legen und mich entspannen kann, oder eben nicht. Bei vielen Autoren und Übersetzern kann ich es, bei manchen nicht, und wenn es ganz schlimm ist, kann ich das Buch nicht zu Ende lesen, weil ich zu pingelig bin und mich aufregen muss. Das gilt für deutsche Originale ebenso wie für übersetzte Bücher.
Viertens schließlich bin ich neugierig und möchte oft einfach mal etwas von einem bestimmten Kollegen lesen. Natürlich gibt es auch Kollegen, von denen ich nichts mehr lesen will. Es gibt ja auch Autoren, von denen ich nichts mehr lesen will.

Ja, aber!, höre ich es da rufen, große Autoren muss man doch! Im Original! Weil! – Ja, warum eigentlich? Weil, erstens, das Original so was Ähnliches wie heilig ist, und eine Übersetzung so was wie eine Fälschung. Als Übersetzer merkt man allerdings irgendwann, dass Originale gar nicht so heilig sind, dass auch große Autoren tatsächlich Menschen sind, die Fehler machen und Ungeschicklichkeiten begehen, und dass nicht jeder einzelne ihrer Sätze gut, wahr und schön ist. Man hat sogar schon von Übersetzungen gehört, die besser gewesen seien als das Original. Der zweite Grund, der gerne für das Original angeführt wird, ist, dass man vieles doch gar nicht übersetzen könne. Dass es doch Wortspiele und sprachliche Besonderheiten eines Autors und gewollte Ecken und Kanten gebe, die sich gar nicht direkt übertragen lassen. Das stimmt natürlich. Und stimmt natürlich auch nicht. Es ist nämlich so: man kann ja sowieso keine Wörter übersetzen, fast nie. Aber Texte kann man übersetzen. Fast immer (vgl. hier). Und wenn es ein wortspielreicher Text ist, bin ich umso gespannter, was der Übersetzer daraus gemacht hat.

Ich glaube an meinen Beruf. Und ich liebe meine Sprache. Deswegen lese ich gerne auf Deutsch.

Fundstück

„Translators also suffer from a lack of status, a situation reflected in the fact that only two of the Society of Authors‘ seven winners work as translators full time. Translation is considered by many universities to be insufficiently significant or original to add lustre to an academic CV, while publishers routinely sweep evidence of translation off the covers of books. „It’s weird,“ says Allen. „There’s no stigma attached to being an actor rather than a playwright, or a pianist rather than a composer, but there’s this horrible stigma attached to being a translator.“ Translations are often seen as second best because they are interpretations of an author’s work, but as Allen says, „It’s like saying ‚I‘m not going to see Hamlet because Shakespeare’s not playing it‘.“

Richard Lea im Guardian (schon etwas älter).

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