Jaja, ich bin spät dran – wer die anderen Blogs auch alle liest, die schon drüber geschrieben haben, kann hier aufhören zu lesen, ich schreibe jetzt nämlich auch nur dasselbe. Also erstens: blöder Titel, zweitens: super Buch. Mannmann, der Titel klingt echt wie eine Witzesammlung. (Und dann noch der Untertitel, „Teutonische Abenteuer“, was für ein Quark.)
Alexandra, genannt Ola, wächst in Polen auf. Eines Tages findet sie im Keller ihrer Oma einen Quellekatalog, und seitdem hat sie eine sehr genaue Vorstellung vom Paradies. Und dann kombiniert sie schnell, dass dieses Paradies viel mit den Buchstaben B, R und D zu tun hat, und mit dem Wort „rausfahren“.
Und genau das tut ihre Familie irgendwann auch: rausfahren, in die BRD, ins Paradies. Wo jeder seine eigene Coladose hat, wo es rosa Jogginganzüge mit Mickey Mouse drauf gibt und unfassbar viele Sorten Haribo und Fruchtjoghurt.
Und wo, wie sich dann natürlich herausstellt, auch nicht alles so super ist. In der Aussiedlerbaracke, wo es plötzlich für die gesamte Familie ein Zimmer gibt, und nicht mehr ein Haus, wie in Polen. Wo der Vater keine Arbeit findet, weil er nicht genug „angeben“ kann. Und wo Ola in der Schule nur schwer Freunde findet – unter anderem, weil „Made in China“ in Deutschland eben nicht der Gipfel des luxuriösen Chics ist. Und so weiter.
Man macht sich das ja nicht immer so klar. Also, ich jedenfalls. Wie es ist, „Ausländer“ zu sein, in einer anderen Kultur zu leben, Dinge nicht zu verstehen, weil sie eben zu Hause anders waren, und teilweise gar nicht auf die Idee zu kommen, dass es sich um eins dieser kulturellen Missverständnisse handelt. (Immerhin habe ich ein Jahr in Tokyo gelebt – wie es sich anfühlt, anders auszusehen, weiß ich also, aber als Deutsche in Japan hat man natürlich mit vollkommen anderen Vorurteilen zu tun als als Polin in Deutschland.) Vollends zieht es einem die Schuhe aus, als Ola zu einer Klassenkameradin nach Hause eingeladen wird, weil deren Eltern finden, ihre Tochter „solle auch mal mit Ausländern spielen“. Und da nicht nur Ola, sondern auch Alexandra Tobor als Kind nach Deutschland gekommen ist, nehme ich an, dass diese Geschichte möglicherweise nicht frei erfunden ist.
Der Kulturschock eines Kindes und seiner Familie wird mit soviel Herz und Witz beschrieben, dass man beim Lesen nicht nur seinen Horizont erweitert, sondern auch noch bestens unterhalten wird. Sehr schönes Buch!
Alexandra Tobor: Sitzen vier Polen im Auto. Ullstein, 272 Seiten, 9,99 €. Als E-Book 8,99 €.
(Die Links führen zum Osiander-Webshop.)
NACHTRAG: In ihrem Blog gibt die Autorin noch ein paar Hintergrundinformationen.
Ich stehe ja auf Gerbrand Bakker (und Andreas Ecke, der ihn so toll übersetzt). „Oben ist es still“ ist immer noch eins meiner Lieblingsbücher der letzten Jahre; „Juni“ fand ich auch großartig. Der aktuelle Roman, „Umweg“, liegt auf dem SuB und ist demnächst dran. Zwischendrin habe ich erstmal „Komische Vögel“ gelesen, eine Sammlung von Kolumnen und Blogtexten, in denen es um Tiere geht. Die kurzen Nicht-Geschichten sind mal komisch, mal nachdenklich und oft voll mit interessantem Tier- und Pflanzenwissen. Und vor allem mit einer beträchtlichen Tierliebe, und zwar der Sorte Tierliebe, bei der man selbst nicht tierverrückt sein muss, um sie zu schätzen zu wissen und zu mögen. Und nicht zuletzt strotzt es vor eigenartigen Einfällen und Gedankengängen, die dafür sorgen, dass man Bakker selbst vielleicht für einen etwas komischen Vogel hält, aber für einen, den man unbedingt mögen muss. Und hinten drin ist sogar noch ein Register aller erwähnten Tierarten, dessen Umfang einen dann doch noch mal verblüfft. Super zum Immer-mal-wieder-zwischendurch-Lesen, ein großer Spaß.
Gerbrand Bakker (Andreas Ecke): Komische Vögel. Insel Verlag, 106 Seiten. 8,99 €.
Auch als E-Book.
(Die Links führen zum Osiander-Webshop.)
Nochmal zur Buchpremierenfeier: mein Gespräch mit Sabine Langohr ist jetzt ebenfalls hier online. Und der zweite Teil der Wacken-Geschichte ist jetzt auch auf der Interviewlounge, und dann kommt demnächst noch ein Interview am Hamburger Hafen, bei dem ich, glaube ich, schlimmes Zeug geredet habe. Aber die Kulisse ist bestimmt schön.
EDIT: Jetzt sind auch „Kindheitstraum“ und „Aqua Bouncing“ in der Interviewlounge!
Da waren wir also auf dem Horizon Field des britischen Künstlers Antony Gormley in den Hamburger Deichtorhallen („die Deichtorhallen“ gibt es irgendwie nur im Plural, aber das Horizon Field ist natürlich nur in einer der Hallen): Das ist eine riesige begehbare Fläche, die in siebeneinhalb Metern Höhe aufgehängt ist und einen schwarz-spiegelnden Boden hat. Ein irres Gefühl, darauf herumzulaufen. Durch den Spiegeleffekt wirkt es ein bisschen wie bodenlos; und weil die Fläche hängt, schwingt sie auch noch, und zwar genau im richtigen Maß. Nicht wie Kirmes, aber deutlich spürbar. Wenn jemand springt, schwingt die ganze Fläche mit, man spürt also immer auch die Bewegung aller anderen, die gerade auf der Fläche sind. Wenn man sitzt oder liegt, kann man das genießen oder sich jedenfalls darauf konzentrieren, es zu spüren – wenn man geht, ist es ein bisschen gruselig, man hat das Gefühl, gleich einzubrechen, als würde man auf Wasser gehen oder so. Verstärkt wird der Effekt dadurch, dass man die Fläche nur auf Socken oder barfuß betreten darf, also einen unmittelbareren Bodenkontakt hat als mit Schuhen. Ich kann nicht über Kunst schreiben, ich verstehe nix davon, fand das aber sehr toll. Großartiges Raumgefühl auch, so schwebend in siebeneinhalb Metern Höhe in dieser riesigen, schönen Halle.
(Dönchen am Rande: wir waren am Dienstag dort, nach meiner Buchpremiere am Montag Abend. Als ich die Fläche betrat, kam mir eine Frau entgegen und sagte: „Ich war gestern auf Ihrer Lesung. Und heute mache ich Sachen.“ – Und ich: „Ach. Ach was. Aber doch nicht deswegen?“ – Sie: „Nein, nein, das war schon vorher geplant.“ Aber kurz habe ich mich ganz prominent gefühlt!)
Noch bis 9. September, Eintritt frei.