Jemand – ich weiß leider nicht mehr, wer – hat mal gesagt, Übersetzen sei ein Mehlsack: man meint, man hätte das Mehl komplett ausgeleert, der Text sei also fertig, aber wenn man dann ein bisschen draufklopft, kommt doch immer noch eine Staubwolke raus. Wahrscheinlich gilt das nicht nur für Übersetzungen, sondern für alle Arten von Text; irgendein Staub kommt immer noch raus.
Und jetzt kommt’s: Es gibt ein Mehlsackmuseum. Das macht mich heute glücklich, es gibt ein MEHLSACKMUSEUM, wie großartig ist das denn! In Wittenburg bei Schwerin. Nicht zu fassen, ich bin ganz *hach*, es gibt ein Mehlsackmuseum! Da möchte ich hin. Ist auch einmal im Monat für drei Stunden geöffnet, und dort gibt es, ich kopier das mal: „Mehr als 2.700 Mehlsäcke aus über 122 Ländern – diese Zahlen muss man erst mal „sacken“ lassen. Die weltweit größte Mehlsacksammlung hat nun in der Sackothek des flour art museums ihr Zuhause gefunden.“
In der Sackothek. Ich bin ein bisschen verliebt.
Und es gibt einen Museumskatalog. Den wünsche ich mir. Das ist doch alles ganz und gar wundervoll.
Sandra Schöner schreibt eine kleine Reihe zum Thema „Essen ersetzen“. Natürlich nicht durch Lichtnahrung, sondern durch anderes Essen, also beispielsweise herkömmliche durch fair gehandelte Schokolade. Passt hier gerade gut zum Thema, ich bin sehr gespannt, wie es noch weitergeht. Geplant sind noch die Themen „Fast food, Fleisch, Marmelade, darum, nicht selber einkaufen zu müssen und um die Frage, ob ein Hackenporsche auch für unter 60jährige zugelassen ist.“ Bitte hier entlang.
Anke Gröner hat auf meine kleine Artikelreihe hier, beziehungsweise auf Jennys Versuch, sich vegan zu ernähren, mit einem Blogeintrag reagiert, den wiederum ich nicht unkommentiert stehenlassen kann. Denn es geht mir um etwas komplett anderes als das, was Anke beschreibt. (Ich ahne, dass dir das klar ist, Anke, aber ich will das doch gern noch einmal öffentlich klarstellen.)
Mir fällt beim Lesen von Ankes Artikel – und ich bitte um Entschuldigung, wenn das ein wenig kitschig klingt – sofort Michael Endes „Die unendliche Geschichte“ ein. Da bekommt Bastian dieses Amulett mit der Aufschrift „Tu, was Du willst“. Das ist gleichzeitig Erlaubnis und Verpflichtung, denn er ist damit quasi der Chef in Phantásien. Alles, was er will, wird wahr und kann gemacht werden. Bastian genießt diese Freiheit erstmal und tut alles, worauf er Lust hat. Bis er irgendwann merkt: das kann es nicht sein. Es kann nicht um die spontane Bedürfnisbefriedigung gehen, sondern es geht um etwas viel Größeres und Schwierigeres: Herauskriegen, was man wirklich will. Und das dann tun. Und um das zu tun – das, was man *eigentlich* will – muss man die spontanen Bedürfnisse womöglich manchmal sogar hintanstellen. Anders gesagt: Natürlich hätte ich gerade gern ein Stück Schokolade. Aber ich möchte nicht, dass dafür Kinder versklavt werden, also muss ich abwägen, was mir gerade wichtiger ist.
Es geht überhaupt nicht darum, mir irgendetwas zu verkneifen und Verzicht zu üben. Es geht darum, dass ich an ausbeuterischen Systemen nicht mehr teilnehmen möchte, oder jedenfalls so wenig wie möglich. Und was genau „möglich“ ist, für mich ganz persönlich, ist ein Thema, das mich gerade sehr beschäftigt, und mit dem ich hadere. Ich esse kein Fleisch mehr aus Massentierhaltung, weil ich weiß, wie es dort zugeht. Darauf muss ich nicht unter Qualen verzichten, ich möchte es ja gar nicht mehr essen. Dieses Fleisch ist mir kein Genuss mehr, und darum muss ich es mir auch nicht verkneifen.
Beim Fleisch ist das noch halbwegs einfach. Auch deswegen, weil die Alternativen einfacher zu finden sind. Bei Schokolade wird es schwieriger, natürlich möchte ein Teil von mir sie essen, der andere Teil wird an die Kinder denken, die den Kakao geerntet haben. Und ja, das ist manchmal scheißschwierig und manchmal schaffe ich es nicht, weil die spontane Bedürfnisbefriedigung sich dann doch kurz in den Vordergrund drängelt. Aber so richtig aus vollem Herzen genießen kann ich diese Schokolade dann nicht, eben weil ich weiß, dass ich das eigentlich nicht will. Ich will nicht, dass Kinder meine Schokolade ernten. Ich will nicht, dass für meine Klamotten Menschen knietief in Chemikalien waten. Auch wenn das Kleid wirklich hübsch ist und wirklich ein Schnäppchen.
Es geht mir darum, herauszufinden, was ich will, und vor allem: wie ich es umsetzen kann. Welche Kompromisse ich finden kann, mit denen ich umgehen kann, sowohl in praktischer Hinsicht, als auch was mein Gewissen angeht. Es geht nicht darum, „mir den Luxus zu erlauben, mir Dinge zu verkneifen“, wie Anke schreibt, sondern es geht um ganz altmodische Werte: um sowas wie Anstand.
Und wo ich schon dabei bin – was ich auch nicht möchte, ist, den Eindruck vermitteln, ich hätte es irgendwie schon „raus“ oder für mich gelöst. Ich glaube nicht mal, dass es eine „Lösung“ gibt, man kann nur immer weiter suchen und versuchen. Ich bin bekennender Großstadtfan, ich werde sicher nicht demnächst aufs Land ziehen und in Subsistenzwirtschaft leben. Will ich auch gar nicht. Ich suche Mittelwege, ich versuche es an allen Ecken und Enden, und ich weiß, dass es nicht gehen wird, ich weiß, dass ich als moderne Großstädterin kein ethisch einwandfreies Leben führen können werde. Aber das ist, wie schon im Einleitungsartikel geschrieben, kein Grund, es nicht immer wieder zu versuchen. Was ich hier aufschreibe, sind diese Versuche, und außerdem meine Versuche, die Balance zu finden. Zwischen es-immer-weiter-versuchen einerseits, und mich, wenn es nicht klappt, nicht zu sehr grämen andererseits.
Anke schreibt, ihr Kernsatz ist: „Du darfst essen, was du willst.“ Ich möchte auch essen, was ich will, und ich finde auch, jeder soll essen dürfen, was er will. Ich versuche nur gerade herauszubekommen, was ich denn überhaupt will, und wie das gehen kann. Und zwar grundsätzlich, nicht nur jetzt gerade im Moment. Ankes und meine Vorgeschichte in Sachen Essen könnte unterschiedlicher kaum sein; Anke hat sich Zeit ihres Lebens irgendwelches Essen verkniffen, ich habe Zeit meines Lebens gegessen, worauf ich gerade Lust hatte, ohne weiter darüber nachzudenken. Jetzt denke ich endlich darüber nach. Allerdings nicht im Zusammenhang mit meiner Figur, um die es hier überhaupt nicht geht, und es geht auch nicht darum, ob Biozeug gesünder für den Konsumenten ist. Sondern ich denke darüber nach, woher dieses Essen, diese Kleidung, diese sonstigen Konsumartikel kommen, unter welchen Umständen sie produziert wurden, und was ich davon mittragen möchte oder kann oder nicht will.
Es geht um den Versuch, verantwortungsbewusster zu konsumieren. Und damit – für mich – auch genussvoller.
(Bisherige Teile der Reihe:
1. Einleitung: Besser ist das
2. Fleisch
3. Gemüse
4. Schokolade und Kaffee)
Schon diesen Donnerstag! In drei Tagen! Mit der umwerfenden Pia Ziefle, extra eingeflogen aus dem tiefsten Süden der Republik, mit dem grandiosen Bov Bjerg aus der unvorstellbaren Kulturmetropole Berlin, mit dem einmaligen Stevan Paul, den man zum Backen, Braten und Dichten verwenden kann!
Moderiert durch Sir Buddenbohm und mich, ein Abend von geradezu rasender Charmanz erwartet Sie. Wir sehen uns.
Hier in Hamburg war gestern die „Lange Nacht der Museen“. Wir haben uns sozusagen für das kleine Paket entschieden, keine langen Wege: Kunstverein, Deichtorhallen, Haus der Fotografie. Liegt praktischerweise alles gleich nebeneinander, und das ist gut, denn die Schlangen an den Shuttlebussen sehen nicht nach einem großen Spaß aus.
Im Kunstverein ist im unteren Stockwerk eine Ausstellung von mehreren Künstlern, die sich alle mit demselben Roman auseinandersetzen: „Der Mann, der Donnerstag war“, von G. K. Chesterton. Wir erfahren nicht wirklich, worum es in dem Roman geht, wir erfahren nicht, welches Kunstwerk von wem ist, und wir erfahren schon gar nicht, was davon sich in welcher Weise auf den Roman bezieht. Alles komplett informationsfrei. Irgendwo liegt ein angegammeltes Bund Bananen auf dem Fußboden, wir sehen Tarotkarten, so ein Klappdings für Wischmops wird automatisch immer wieder ein Stückchen angehoben und fallengelassen, und woanders sagt eine Stimme „Ein Sack Zweifel, zwei Sack Eifel“. Wir sind zur Abwechslung mal wieder ratlos. Der Text am Eingang ist einer dieser Museumstexte: klingt schlau, lässt sich auch irgendwie ganz flüssig lesen, aber wenn ich hinterher reproduzieren sollte, was da steht: äh … also … irgendwas mit Geheimdiensten und Anarchie und Bedrohlichkeit? Nun denn.
Immerhin, den Raum mit den Fotografien finde ich imposant. Wir sind mit unserer alten Freundin Andrea da, sie versteht etwas von Kunst, sie macht das beruflich, sie erkennt, dass die Bilder von Gilbert und George sind. Steht aber natürlich nicht dran.
Im oberen Stockwerk ist eine Ausstellung von Norbert Schwontkowski: großformatige Gemälde, von denen mir einige wirklich gut gefallen. (Die älteren Leser erinnern sich vielleicht: ich unterteile Kunst meist in „schön“ und „nicht so schön“, ich Banausin.)
Als wir eigentlich gerade gehen wollen, kündigt sich Großes an: ein Auftritt von „Tulip, die singende Tulpe“. Und das ist keineswegs so schlimm, wie es erstmal klingt, sondern noch viel schlimmer. Ein Mann mit einer selbstgebastelten Papptulpe um den Kopp? Seriously? Im Museum?
Wir gehen weiter in die Deichtorhallen zur Ausstellung von Hans-Peter Feldmann, die mir gut gefällt. Mir sagte der Name natürlich nichts, aber Andrea sagt, er ist berühmt. Ich mochte da vieles. Lieblingsobjekt: eine ganze Reihe sich drehender, vielleicht schallplattengroßer Scheiben, auf denen allerhand Puppen, Tiere, Schneebesen und sowas montiert sind, und die so angestrahlt werden, dass sie auf die dahinterliegende Wand große Schatten werfen. Diese tanzenden Schatten sind sehr schön, sehr meditativ, da hätte ich eine Weile zugucken können. Auch sonst viel Schönes, auch Quatsch (manipulierte bekannte Gemälde, „Der Ursprung der Welt“ mit Bikinihosenabdruck, klassische Portraits mit roter Nase oder blauem Auge), eine Reihe Fotos von Autoradios während gute Musik läuft; Fotos, Gemälde, Objekte, Readymades, ich finde das sehr vielseitig und schön. Blöd nur, dass irgendwelche Kasper herumturnen und über Verstärker „lustige“ Sachen machen, in die sie das Publikum „einbeziehen“, was bedeutet, dass man immer mindestens auf der Hut, schlimmstenfalls auch auf der Flucht ist. Was, bitte, soll der Quatsch, ich möchte da in Ruhe gucken und nicht bekaspert werden. (Okay. Man könnte jetzt sagen, wer in Ruhe gucken will, soll nicht zur langen Nacht gehen. Ist was dran.)
Unsere letzte Station ist das Haus der Fotografie, wo eine Harry-Callahan-Retrospektive gezeigt wird und außerdem irgendwelche Kasper herumkaspern. Ich mag die Fotos, vor allem die von Callahans Frau Eleanor, schöne Fotos einer schönen Frau, und dann ist auch der Kasper weg und stattdessen kommt eine Jazzband. Auch recht. Wir sind aber jetzt schon ziemlich voll im Kopf und erschöpft, vier Ausstellungen in drei Häusern reichen, wir wollen nach Hause.
Auf dem Weg zum Bahnhof kommen wir noch am Kunsthaus vorbei, wo eine Fotoausstellung über Künstlerateliers gezeigt wird. Da gehen wir dann doch auch noch durch – ganz interessant, wie unterschiedlich Künstler arbeiten. Einer in einer Art Ballsaal, manche eher in Rumpelkammern, manche verblüffend aufgeräumt, andere so chaotisch, wie man es sich vorstellt. (Den Versuch, Männer und Frauen zu zählen, habe ich aufgegeben.)
Tatsächlich hatten wir uns vorher auch schon den ganzen Tag mit Kunst beschäftigt. Da wir selbst nämlich irgendwie zu blöd zum Bilderaufhängen sind, und schon erst recht für eine Petersburger Hängung, fragten wir Andrea, ob sie nicht eine Idee hätte. Es ging eigentlich vor allem um die leere Wand überm Bett und die fast leere Wand hinter meinem Schreibtisch. Und so wühlten wir den ganzen Tag in Bildern und Rahmen, hielten hier etwas hin und dort etwas nebeneinander, wischten Glasscheiben ab und schlugen Nägel in die Wand. Herausgekommen ist natürlich weder für die eine Wand, noch für die andere etwas, stattdessen haben wir jetzt eine neue Wand im Wohnzimmer. Voilà, die Sammlung Bogdan:
Im Uhrzeigersinn von links: Christoph Niemann, „Brooklyn Bridge“, Druck (auf Facebook gewonnen); Maximilian Buddenbohm, „Termin“, Fotografie (Geschenk des Künstlers); Gerd Brunzema, „Plantage“, 2007, und „In die Brombeeren gehen“, 2009, Druckgrafiken (Geschenke des Künstlers); Ellen Dressler, „Tordurchgang Richardstraße 3“, Aquarell, 1946 (Erbstück); Wolf Erlbruch, „Turnschwein“ (Kalenderblatt); Torsten W. Schneider, „Fußballer, zerrissen“, Fotografie (Geschenk des Künstlers).