


Ich habe meinen Arbeitsplatz mal kurz in ein Ferienhäuschen verlegt, beziehungsweise in eine Ferienhaushälfte, die an Schnuckeligkeit kaum zu überbieten ist. Vorne raus guckt man direkt auf den Deich, hinten ist ein Garten von ebenbürtiger Schnuckeligkeit, mitsamt zwei Strandkörben, Decken, Stühlen, Tischen und Kissen, man blickt über Felder und Wiesen, Schafe und Pferde und gelbleuchtenden Raps. Zu hören sind Vögel, Schafe und die Kinder, die drei Gärten weiter spielen. Dann und wann fährt hinten auf der Straße ein Auto vorbei oder ein Motorrad. Ich möchte behaupten, dass der Vollidiotenanteil unter Motorradfahrern signifikant über dem Durchschnitt liegt.


Ich betone die Schnuckeligkeit der Wohnung so, weil wir eigentlich nach Amrum wollten und dort nur schauderhafte Ferienwohnungen gesehen haben. Sofas von Poco Domäne auf weißem oder beigem Fliesenboden. Jetzt sind wir in Tönning, weil die Wohnung schon auf den Bildern hübsch aussah, aber in Wahrheit ist sie noch viel hübscher. Es ist zwar nicht direkt am Meer, aber am Eiderdeich, kurz vor dem Eidersperrwerk. Wir werden also gelegentlich ans Wasser fahren, auch ans richtige, nach St. Peter Ording zum Beispiel, und ansonsten wird gearbeitet. Auch gerne im Strandkorb in der Sonne, mit dem Blick auf Felder und Wiesen, Schafe und Pferde und gelbleuchtenden Raps. Heute ist geradezu eine Affenhitze, herrlich. Endlich wieder Luft an der Haut!
Eine Woche Klausur. Das Internet funktioniert prächtig, ich bin noch nicht sicher, ob das eine gute Nachricht ist. Grundsätzlich natürlich ja. Möglicherweise schließe ich Facebook ab und werfe den Schlüssel weg. Der Pfau muss jetzt endlich fertig werden. Der Roman spielt in Schottland, es schadet sicher nicht, wenn ich bei der Arbeit ein paar Schafe blöken höre.



heute ist Welttag des Buches. Man könnte an der Aktion „Blogger schenken Lesefreude“ teilnehmen, man könnte an x anderen Aktionen zum Welttag teilnehmen, man könnte irgendetwas zum Thema Bücher oder Welttag schreiben, wenn man nicht Kopfschmerzen hätte. Außerdem ist auch Welttag des Urheberrechts und Welttag des Bieres. Bier mag ich nicht, ich könnte auch darüber schreiben, dass ich kein Bier mag und das manchmal total doof finde.
Morgen ist „Fashion Revolution Day“, Jahrestag des Einsturzes von Rana Plaza, darüber könnte man etwas schreiben, man könnte x Webseiten zum Thema verlinken und überhaupt mal wieder etwas zum Thema „Besser ist das“ machen und faire Kleidung und so weiter. Es gibt eine Aktion, dass man seine Kleidung morgen auf Links tragen soll, um sichtbar zu machen, woher sie kommt, aus Bangladesh zum Beispiel, oder eben nicht. Das könnte man alles erst nochmal nachlesen und dann entsprechend verlinken und zum Mitmachen aufrufen und was man nicht sonst noch alles könnte, wenn man nicht Kopfschmerzen hätte und irgendwie total k.o. wäre.
Ich weiß nicht, was das soll, wir haben irre viel für „Was machen die da?“ gemacht, aber das wäre ja nicht unbedingt ein Grund, so kaputt zu sein, und vor allem gibt es keinen vernünftigen Grund für Kopfschmerzen, niemals, Kopfschmerzen sind ja immer sinnlos. Aber so ist es nun, ich bin platt. Die normale Arbeit ist ja auch noch, ein Roman will fertiggeschrieben werden, und ich habe auch schon wieder mit dem Übersetzen angefangen, ganz zaghaft erstmal, aber der erste Abgabetermin dräut schon wieder, irgendwo da hinten am Horizont.
Statt also Welttage und Aktionen zu bloggen, werde ich jetzt meine Restkraft aufwenden, um ein gutes Kilo Spargel zu schälen und mich nach dem Verzehr desselben für den Rest des Tages in die Badewanne zu legen. Oder vielleicht noch ein bisschen zu schreiben, mal sehen. Einer muss ja.
Ach so, morgen ist Tirili, da kommt ihr ja alle, ne? Gut.



Und das kam so: KiWi bucht den Werbeplatz in meinem Blog für das Buch „Ich kauf nix“ von Nunu Kaller. Deswegen lese ich es, und beim Lesen denke ich: gute Person. Also quatsche ich sie bei Facebook an, wie das so meine Art ist, und wir geraten sofort ins Chatten – ja, das geht, man kann sich nach drei ausgetauschten Nachrichten mehr oder weniger sympathisch sein, und das hier ist eindeutig ein Fall von: mehr.

Und während wir noch über „wenn du mal nach Wien kommst“ und „falls du mal in Hamburg bist“ witzeln, ergibt es sich, dass sie kurzfristig tatsächlich beruflich nach Hamburg soll. Und zwar ein bisschen zu kurzfristig, um noch eine „offizielle“ Lesung an einem der üblichen Veranstaltungsorte unterzubringen, also beschließen wir kurzerhand, eine private Wohnzimmerlesung bei uns zu Hause zu machen. Unser Wohnzimmer eignet sich dafür, wir denken schon länger über so etwas nach, und zack! passiert es quasi von ganz allein. Ebenso von-ganz-allein kommt dann auch noch RTL. Das schreiben wir auch in die Einladung, es glaubt aber niemand. Hihi.
Was sich übrigens auch mal wieder herausstellt: wenn man sich virtuell schon gut leiden kann, klappt es in Echt meist auch. Nunu ist in Wahrheit genauso super, wie man sie sich vorstellt.

Unsere Vorstellung von Wohnzimmerlesung geht so: wir machen uns keine Arbeit und haben kaum Kosten. Wir kaufen Bier, Wasser und Erdnüsse, die Gäste bringen Wein mit. Fertig.
Und es funktioniert wunderbar. Die Leute von RTL kommen anderthalb Stunden früher, bauen Scheinwerfer und Kameras auf und interviewen Nunu erstmal, und dann kommen alle Gäste pünktlich und haben Wein dabei. Super Gäste!
Bei der Lesung selbst macht RTL sich dann unsichtbar, man bemerkt sie kaum. Einer der Gäste prangert hinterher an, seine Vorurteile gegen den bösen Sender seien geradezu hinterrücks gemeuchelt worden, denn, ich zitiere: die waren ja total nett! Womit er Recht hat. Schlimm.



Nunu liest eine knappe Stunde, und zwar eine gute Mischung. Sie fängt an mit „wie alles anfing“, damit man erstmal weiß, worum es geht, und liefert dann eine sehr gute Mischung der Themen, die sie im Buch anspricht: wie sie sich an der Nähmaschine versucht, wie indische Baumwollbauern zu hunderttausenden erst in die Schulden und dann in den Selbstmord getrieben werden, und zum Schluss über eine Verhütungshose (Kurzfassung: selbstgenäht. Verhütung durch Hässlichkeit).

Am Ende sind alle glücklich, kaufen Bücher, trinken noch ein Glas Wein oder vier, bleiben sitzen, halten Schwätzchen, landen in sonderbaren Ecken des Wohnzimmers, weil alles voller Stühle steht und der Couchtisch weggeräumt ist, oder stehen in der Küche vorm Kühlschrank im Weg, also genau so, wie es sein soll. Und wir, wir beschließen sofort, dass wir das demnächst öfter machen, denn das war ein wunderbarer Abend. Ich liebe es, die Bude voll zu haben. Danke, Nunu!
Wer am Montag Mittag (17. Februar) zu Hause ist, kann ja mal RTL „Punkt 12″ einschalten.
ACHTUNG: HEUTE! Dienstag, 18. Februar. Man könnte mal so um viertel vor eins einschalten.
So: hier ist die Sendung.
[Bilder, bis auf das zweite: Maximilian Buddenbohm. Er wird dann halt demnächst immer gleich mitgebucht. Ich liebe dieses letzte Bild von Nunu.]
„Wahrscheinlich bin ich homophob wie mein Freund, und das ist auch gut so“, schreibt Matthias Matussek in der Welt. Der ganze Artikel ist von vorne bis hinten indiskutabel, man möchte dem Herrn eigentlich jeden einzelnen Absatz um die Ohren hauen, aber dann denke ich wieder, dass er die Mühe nicht wert ist. Deswegen will ich hier nur einen Satz herausgreifen:
Was für ein Eiertanz um die einfache Tatsache, dass die schwule Liebe selbstverständlich eine defizitäre ist, weil sie ohne Kinder bleibt.
Vielleicht wollen wir mal drei Dinge auseinanderhalten: Fortpflanzung, Sex und Liebe.
Zur Fortpflanzung braucht man Sex, und zwar gemischtgeschlechtlichen, das ist klar (schon gut, es geht hier nicht um die Möglichkeiten der modernen Medizin). Ein Charakteristikum des Menschen ist es allerdings – und da unterscheidet er sich von den meisten anderen Tieren –, dass er nicht ausschließlich zum Zwecke der Fortpflanzung Sex hat, sondern auch einfach so zum Spaß. Weil wir das als angenehm empfinden. Fortpflanzung benötigt also Sex, aber man braucht keinen Fortpflanzungswunsch, um Sex zu haben.
Und die Liebe? Die Liebe mag sich evolutionsgeschichtlich irgendwann aus dem Fortpflanzungstrieb entwickelt haben. Daraus kann man aber nicht den Umkehrschluss ziehen, dass für die Liebe heute noch Fortpflanzung notwendig wäre. Es gibt diese historisch gewachsene Idealvorstellung, dass Menschen nur Sex hätten, wenn sie sich lieben, oder je nach Grad des religiösen Fundamentalismus sogar nur dann, wenn sie sich lieben UND ein Kind möchten; doch die Verhältnisse, sie sind nicht so.
Menschen haben Sex, wenn es sich gerade so ergibt, weil sie betrunken sind, weil sie sich lieben, weil die Stimmung gerade danach ist, um sich zu trösten, und manchmal sogar, obwohl sie sich gar nicht besonders mögen, aber gerade Lust dazu haben. Manche haben sogar keinen Sex, obwohl sie sich lieben. Sex ist ein körperlicher Vorgang, ebenso wie Fortpflanzung. Sex braucht keine Liebe. Je nach eigenen Vorlieben ist er mit Liebe schöner. Oder womöglich gerade nicht.
Sex und Liebe werden in unserer Kultur dennoch gerne zusammen gedacht, das ist ja auch in Ordnung, die meisten Liebenden werden auch Sex miteinander haben, zumindest am Anfang. Das Sichverlieben geht meist mit einer körperlichen Anziehung einher. Klassischerweise ist in einer festen Liebesbeziehung der Sex mit anderen unerwünscht. Mit dem Wunsch nach Fortpflanzung haben Liebe, Sex und Begehren oft nur am Rande zu tun.
Aber was ist nun die Liebe? Sie ist nicht zwangsläufig an Sex gebunden, und schon gar nicht an Fortpflanzung. Sämtliche Formen der Kunst und Kultur versuchen seit Jahrhunderten immer wieder aufs Neue, die Liebe zu beschreiben. Liebe ist etwas zwischen Menschen, Liebe ist etwas, das man zuallererst geben muss. Es gibt sie in tausend Abstufungen, von „jemanden mögen“ bis zur langjährigen festen Beziehung mit Herzklopfen. Was ich für meine Freunde empfinde, ist auch eine Art von Liebe. Die Übergänge sind fließend. Wenn man Glück hat, geht mit einer besonderen Liebe ein gegenseitiges körperliches Begehren einher, und wenn man noch mehr Glück hat, lässt beides nicht nach. Die Liebe ist schwer zu definieren, aber eins ist sie auf jeden Fall: Für jeden Menschen etwas anderes und für jede Beziehung etwas anderes. Sie ist individuell. Wenn zwei Menschen (oder mehr) zusammenfinden und ihre Liebe und ihr Begehren so leben können, wie es ihnen guttut, dann ist das wundervoll. Wenn dazu Kinder gehören: prima. Wenn nicht: auch prima. Selbst wenn jemand (für sich selbst) ein Leben ohne Kinder als defizitär empfindet, ist doch die Liebe nicht defizitär. Eine Liebe, die für alle Beteiligten gut und schön ist, ist gut und schön. Da kann doch keiner daherkommen und allen Ernstes pauschal die Liebe anderer Menschen für *defizitär* erklären, das ist nicht nur vollkommen grotesk, sondern anmaßend, herablassend und selbstgerecht.
Menschen lieben einander, und das ist toll. Liebe ist nicht defizitär. Etwas, was man jemandem schenkt, kann nicht defizitär sein. Sie ist unterschiedlich, und niemand kann bestimmen, dass seine eigene Form des Liebens die einzig „richtige“ wäre.
Man kann Menschen doch nicht dafür verachten, dass sie lieben, das will mir nicht in den Kopf. Und dann, um noch einen draufzusetzen, auch noch mit dieser Verachtung kokettieren.