Vor knapp zwei Jahren war ich schwer beeindruckt von Angelika Klüssendorfs Das Mädchen. Darin beschrieb sie eine durch und durch beschissene Kindheit voller Gewalt und Grausamkeiten.
In diesem Roman ist das namenlose „Mädchen“ nun erwachsen geworden und nennt sich April. April ist, wie es im Klappentext so schön formuliert ist, „nach einer Jugend ohne Jugend auf dem Weg in ein eigenes Leben – das den Umständen abgetrotzt werden muss.“ Das trifft es sehr gut.
Nach einer so harten Kindheit kommt nicht im jungen Erwachsenenalter plötzlich der Prinz auf dem weißen Pferd und erlöst das Mädchen. April kämpft vielmehr ständig mit ihrer Vergangenheit und ihren Dämonen. Sie ist unsicher, verführbar, schwach und stark zugleich oder abwechselnd. Sie hat weiterhin häufig wechselnde Bezugspersonen, und sie bemüht sich weiterhin um Kontinuität, um ein geregeltes Leben, um Sicherheit. Manchmal klappt es für eine Weile, manchmal scheitert sie; manchmal lässt sie das Leben einfach geschehen, manchmal nimmt sie es in die Hand. Und dann wieder von vorn. Und sie stellt fest, wie grässlich schwer es ihr fällt, einfach glücklich zu sein. Manchmal ist sie es, und sobald sie das merkt, kommt ihre Wut wieder hoch, ein harter Knoten unterhalb der letzten Rippe, der manchmal aufplatzt und spitze, rote Pfeile verschießt, und dann bekommt sie diese Wutanfälle, die sie sich selbst nicht erklären kann, und die alles kaputtmachen. Wo Glück lauert, lauert immer auch der Wunsch nach Destruktion.
„April“ ist deutlich weniger hart und deutlich hoffnungsvoller als „Das Mädchen“. Aber es berührt einen genauso. Und zwar gerade deswegen, weil die Sprache extrem nüchtern und lakonisch ist, und vielleicht auch deswegen, weil keine wirkliche Geschichte erzählt wird. Es gibt keinen Spannungsbogen mit Anfang, Mittelteil und Ende, sondern wir begleiten einfach ein Stück Leben. Ein beschissenes Leben, das langsam, ganz langsam ein wenig besser wird. Inklusive einiger Rückschläge.
„April“ erscheint diese Woche. Es funktioniert für sich allein wunderbar, aber ich empfehle „Das Mädchen“ ausdrücklich auch dazu. Und jetzt gehe ich mal gucken, was Angelika Klüssendorf sonst noch so geschrieben hat. Ganz große Leseempfehlung!
Angelika Klüssendorf wohnt im Regal zwischen Alexander Kluge und Harriet Köhler.
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Angelika Klüssendorf liest morgen, am Mittwoch (12.02.) im Hamburger Literaturhaus, und ich verlose hier zwei mal zwei Karten. Schreibt mir einen Buchtipp in die Kommentare (hahahaha! Als hätte ich nicht sowieso tausend Bücher auf dem Stapel!), wenn Ihr zwei Karten gewinnen wollt, heute Abend gegen 24:00 Uhr wird dann ausgelost.
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Angelika Klüssendorf: April. Kiepenheuer und Witsch, 219 Seiten, 18,99 € (Partnerlink zur Buchhandlung Osiander)
Ach guck: im letzten Jahr wurde wieder mehr im stationären Buchhandel gekauft und weniger im Internet (ZEIT). Da war ich ja voll im Trend! Wobei ich natürlich schon viel länger keine Bücher mehr im Internet kaufe, ich Trendsetter.
Schon ein älterer Artikel, aber macht nix, man staunt doch über die Dreistigkeit: der Verlag der Internetausdrucker (taz).
In Köln wollen einige Kinderbuchautoren in Buchhandlungen mitarbeiten, während Jugendbuchauchtoren im Schaufenster sitzen und schreiben (Börsenblatt). Hallo, Hamburg? Hallo, stories? Ich wär dabei, logisch.
Die ZEIT über zwei Franzosen, die nachhaltige Turnschuhe produzieren. „In den meisten Unternehmen ist Nachhaltigkeit ein Thema für die Kommunikationsabteilung, sagt Kopp. Bei Veja ist Nachhaltigkeit der Unternehmenskern.“
Kaffee: „Fair Trade bringt den Bauern ein paar Cent mehr – nicht viel mehr als ein Almosen“. Es ist so scheißkompliziert, das alles.
Neue Reiseblogs:
Friederike und Philipp sind für neun Monate auf Weltreise. Los geht’s in Kuba: Nie ohne Seife waschen. Gerade aktuell eine sensationelle Geschichte über Alberto.
Nora und ihr Mann reisen im Moment durch Neuseeland.
Und dass Meike jetzt in Deutschland unterwegs ist, wisst Ihr ja, im Moment ist sie auf Spiekeroog.
Die kleine Hübschigkeit zum Schluss: Eine Uhr, die in einem Jahr einen Schal strickt. Großartig, wie sinnlos ist das denn! Ich liebe so beknackte Ideen.
Da sind die Nominierungen für den Preis der Leipziger Buchmesse! Nämlich
in der Belletristik:
Per Leo: Flut und Boden. Roman einer Familie
Katja Petrowskaja: Vielleicht Esther
Fabian Hischmann: Am Ende schmeißen wir mit Gold
Martin Mosebach: Das Blutbuchenfest
Saša Stanišić: Vor dem Fest
Bei den Übersetzungen:
Paul Berf mit Karl Ove Knausgård (Norwegisch): Spielen
Robin Detje mit William T. Vollmann (Englisch): Europe Central
Ursula Gräfe mit Haruki Murakami (Japanisch): Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki
Hinrich Schmidt-Henkel mit Denis Diderot (Französisch): Jacques der Fatalist und sein Herr
Ernest Wichner mit Varujan Vosganian (Rumänisch): Buch des Flüsterns
Im Sachbuch:
Diedrich Diederichsen: Über Pop-Musik
Jürgen Kaube: Max Weber: Ein Leben zwischen den Epochen
Helmut Lethen: Der Schatten des Fotografen
Barbara Vinken: Angezogen: Das Geheimnis der Mode
Willemsen, Roger: Das Hohe Haus: Ein Jahr im Parlament
Das klingt natürlich mal wieder alles spannend. Allerdings: In allen drei Kategorien sind vier Männer und eine Frau nominiert. Irrer Zufall.
Hurra, Facebook ist zehn Jahre alt geworden! Ich bin noch nicht seit zehn Jahren dort, aber hey: zehn Jahre! Das ist schon ganz schön groß. Groß genug, um mal eine Weile ohne mich zurechtzukommen, finde ich, und deswegen mache ich jetzt
facebookfreien Februar.
Wie es der Zufall so will, kommt mir die Kollateralzeitersparnis gerade zupass, immerhin bestand ja mal der Plan, bis zur Leipziger Buchmesse einen Roman fertiggeschrieben zu haben, und die Leipziger Buchmesse ist im März. Der Plan wurde minimal korrigiert in: bis zur Buchmesse ziemlich genau wissen, wie lange ich noch brauche. Damit meine Agentin das Manuskript dann schon einigermaßen konkret ankündigen kann. Ich möchte das, was ich bis dahin habe, gern in einer Form haben, die ich rausgeben kann. Was ich habe, sind im Moment knapp 150 Seiten und das Wissen, woran es noch hakt. Wie ich das beheben kann, ist mir noch nicht so klar, aber die Erkenntnis wird dann ja hoffentlich genau so vom Himmel fallen, wie der Rest des Textes bisher auch. Habe ich mir so überlegt.
Tschüss, Facebook, alter Zeitfresser, ich mach dich dann mal für ne Weile zu. Mach keine Dummheiten. Oder doch, mach Dummheiten, aber lass mich da raus.
Ich nämlich werde im Februar erstens unfassbar fleißig sein, und zweitens jeden Tag etwas wegwerfen.
Wir waren mal kurz weg, ein kleines Wochenende an der Ostsee. Es war erst eiskalt, dann regnerisch, und dann wunderschön. Ich hatte normale Schuhe an und konnte ganz okay laufen, aber natürlich noch nicht stundenlang. Also haben wir auch ausgiebig nichts getan (Sauna, Lesen), es war herrlich.
Auf dem Rückweg haben wir in Lübeck Station gemacht und dort die Buddenbohms getroffen – nicht komplett überraschend, denn ich hatte morgens auf Facebook gelesen, dass sie dort hinwollten, aber auch nicht verabredet. Und weil man mit Kindern dann doch langsamer ist als ohne, haben wir das meiste in Lübeck nur von außen gesehen. Holstentor und Buddenbrookhaus zum Beispiel. Von innen sahen wir die Marienkirche mit den im Krieg bei einem Bombenangriff heruntergestürzten Glocken und das Niedereggerhaus, wo wir wundervolle Torte (ohne Marzipan) aßen.
Und ein paar schöne Schiffe gab es auch.
PS: Gebucht haben wir das über eins dieser Internet-Reiseportale. Es heißt fast so wie die Überschrift hier, und das machen wir nie wieder. Ich bekam nämlich eine Mail, in der mir Buchungsbestätigung und Rechnung angekündigt wurden, die aber nicht anhingen. Ganze vier Werktage später bekam ich eine ausnehmend unhöflich gehaltene Mahnung, ich solle die Rechnung jetzt mal endlich zahlen.