Work in Progress

So ganz glaube ich es selbst immer noch nicht, aber ich bin tatsächlich dabei, einen Roman zu schreiben. Das ist, stellt sich heraus, verblüffend viel Arbeit. Wer hätte das gedacht!

Ein Gedicht ist rasch gemacht
Schnell auch reimt ein Lied sich.
Aber so ein Zeitroman –
Mein lieber Mann, das zieht sich!

Na gut, Robert Gernhardt hätte das also gedacht, und schätzungsweise auch sonst der ein oder andere. (Aus dem Gedächtnis zitiert, keine Garantie für den exakten Wortlaut.) Dabei ist es ja nicht mal ein Zeitroman, was ich da schreibe. Was dann? Leute fragen mich nach dem Genre – keine Ahnung. Muss immer alles in eine Schublade passen? Ich erzähle halt eine Geschichte. Und wie diese viele Arbeit aussieht, die das macht, weiß ich auch noch nicht wirklich, es ist jedenfalls sehr, sehr anders als das Übersetzen. Ich starre quasi auf den leeren Platz neben dem Monitor, wo sonst der Buchständer mit dem Original steht, und da ist nichts, das muss ich mir da selbst hindenken – die Geschichte, die Charaktere, Recherchen, Erzählperspektiven, ich weiß noch gar nicht so richtig, wie das alles geht.
Recherche ist plötzlich viel weniger zielgerichtet – beim Übersetzen muss ich normalerweise irgendeine Gegebenheit verifizieren, verstehen und dann vor allem: das eine Wort finden, das ich in der Übersetzung gerade brauche. Jetzt heißt Recherche: ein bisschen drumherumlesen und hoffen, dass mich etwas anspringt, das ich gebrauchen kann, das irgendwie in meine Geschichte passt. Oder ganz anders – es muss nicht mal Lesen sein, es kann auch Bildersurfen im Internet sein oder ein Spaziergang im Wald oder ein Telefonat mit einer Kollegin oder Pfauenfotografieren und mal gucken, was die so machen.
Und natürlich die Allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Schreiben, das habe ich ja beim Übersetzen auch nicht, dass ich erst bei der Arbeit merke, was ich da eigentlich mache. Beim Übersetzen geht es immer in erster Linie um die sprachliche Gestaltung, und um die mache ich mir jetzt bei meinem eigenen Roman am wenigsten Sorgen, der Ton der Geschichte war von Anfang an so klar und eindeutig, da gab es keine Sekunde drüber nachzudenken.
Schwieriger ist sowas wie die Erzählperspektive, ich habe einen allwissenden Erzähler (falls man das so nennt, ich kenne mich da nicht aus), der weiß auch, was die Leute so denken, aber ich möchte trotzdem nicht, dass er zu sehr zwischen den Gehirnen hin- und herspringt, oder vielleicht doch, ich weiß es nicht. Ich glaube, ich habe eine Lösung gefunden, und die muss ich jetzt nicht nur fürderhin anwenden, sondern auch die bisherigen 50 Seiten nochmal durchgehen und entsprechend anpassen.
So ähnlich geht es auch mit den Figuren, die mir langsam immer klarer werden, und die von einer diffusen „Gruppe“ nach und nach zu eindeutigen Charakteren heranwachsen. Fange ich jetzt wieder von vorne an und füge Charakterzüge ein, wo nenne ich sie zum ersten Mal beim Namen, oder mache ich erstmal hinten weiter mit der Geschichte und fange erst dann wieder von vorn an, wenn ich schon deutlich weiter bin als jetzt?
Überhaupt, die Geschichte selbst, das bin ich ja am allerwenigsten gewohnt, selbst eine Geschichte zu erzählen, mir etwas auszudenken, und ich habe immer noch die Befürchtung, dass mir nichts einfällt, was wahrscheinlich totaler Quatsch ist, um jetzt noch Thomas Mann zu zitieren:

Fantasie bedeutet nicht, dass man sich etwas ausdenkt, sondern dass man sich aus dem Vorhandenen etwas macht.

(Ebenfalls aus dem Gedächtnis zitiert und ohne Gewähr.) Bei den wenigen literarischen, also: fiktionalen Texten, die ich bislang geschrieben habe, habe ich immer die Erfahrung gemacht, dass die Geschichte dann schon von selbst kommt, wenn man nur erstmal anfängt, aber mir fehlt noch ein bisschen das Vertrauen, dass das auch weiterhin so funktionieren wird. Im Moment weiß ich, was den Plot angeht, nur die nächsten Schritte und eine ungefähre Richtung, aber noch nicht, wo es hingeht.

Zusammenfassend lässt sich sagen: ich komme tatsächlich voran, aber es geht ganz schön langsam. Was wohl total normal ist. Und ich muss mich noch daran gewöhnen, dass ein Großteil der Arbeit nicht aus Tippen besteht, sondern aus Denken, Ideenhaben, Verwerfen, Löschen, Neuanfangen. Wobei, gelöscht habe ich bisher wenig. Aber ich kann auch nicht dauernd stolz neu geschaffte Seitenzahlen verkünden wie beim Übersetzen. Dafür sehe ich insgesamt schon ein bisschen klarer als vor zehn Tagen, als wir hier ankamen und erstmal mit anderen Dingen als Arbeit beschäftigt waren. Eigentlich bin ich ganz zufrieden. Es geht langsam, aber es geht voran, ich bin guter Dinge. Beharrlichkeit ist vermutlich das Stichwort. Und um jetzt auch noch mit einem Zitat abzuschließen, ich habe leider vergessen, von wem:

Writing is five percent inspiration and ninety-five percent transpiration.

Heute habe ich Geburtstag. Und ich schenke mir diesen Satz: Jawohl, ich schreibe einen Roman. Puh. Crazy.

Anderswo

- Die VG Wort hat eine Kampagne zum Urheberrecht gestartet: Wir geben 8 aufs Wort. Ich habe noch nicht alles angeguckt, weiß also nicht, wie das ist. Und mich überhaupt sträflich wenig mit dem Thema befasst. (Bei der Kampagne aber schon mal Frauen gezählt, hmpf.)

- Nagelneuer Trend aus Berlin: inhabergeführte Buchhandlungen! Jippie!

- Friederike Mayröcker ist eigentlich gegen den Tod.

- Der Geschäftsführer der ZEIT im taz-Interview über die Honorare für freie Autoren.

- Die Reihe „Was macht eigentlich ein Verlag?“ bei Mairisch geht weiter mit den Themen Korrektorat und Pressearbeit. Eine großartige Reihe, finde ich!

- Felicitas von Lovenberg in der FAZ über die belletristische Überproduktion

- Die Zeit über Gemüseanbau.

Elisabeth Rank: Bist du noch wach?

RankWachLisa Rank schreibt schon wieder über Abschied. In ihrem ersten Roman, Und im Zweifel für dich selbst, ging es um einen plötzlichen Abschied, um den überraschenden Tod eines jungen Mannes und wie seine Freundin und deren beste Freundin damit umgehen – nämlich indem sie einfach erstmal losfahren, wegfahren, irgendwohin. Reden, weinen, nicht reden, verzweifeln.
Diesmal geht es um schleichende, langsame Abschiede. Protagonistin Rea ist eine moderne Großstädterin, Ende zwanzig, sie arbeitet in einer Werbeagentur, geht auf hippe Partys und in hippe Clubs und hat hippe Freunde, unter anderem ihre beiden Mitbewohner Konrad und Pelle. Konrad ist außerdem ihr bester Freund – und entfernt sich gerade von ihr. Oder sie sich von ihm? Jedenfalls leben sie sich auseinander, Rea merkt, dass er innerlich weiter und weiter weg ist, und kann nichts dagegen tun. Konrad, darf man annehmen, geht es damit auch nicht gut – wenn auch vielleicht etwas besser, denn er hat eine neue Freundin – und man fragt sich, wo eigentlich die Grenze zwischen Freundschaft und Liebe verläuft, ob das immer so klar ist. Rea jedenfalls hat, als diese innige Freundschaft zu Ende geht und ihr entgleitet, einen ebensolchen Kater wie nach einer zu Ende gegangenen Liebe.
Außerdem liegt auch noch ihr Vater im Sterben, zu dem sie ein deutlich herzlicheres Verhältnis hat als zu ihrer Mutter. Und sie entdeckt ein Familiengeheimnis, über das sie mit niemandem sprechen kann. Denn Konrad ist nicht da, und wenn, dann höchstens körperlich anwesend. Oder, wie es im Klappentext heißt: „Mit wem soll man darüber reden, dass es niemanden mehr gibt, mit dem man über alles reden kann?“ Der Vater nicht, Konrad nicht, nur die beste Freundin ist noch da. Immerhin.
Was für ein trauriges Buch. Trotz lustiger Momente. Zwar bekommt Rea nach aller emotionalen Gelähmtheit am Ende doch noch die Kurve, sie rafft sich auf und fängt ein neues Leben an, aber dennoch: da ist kein „allem Anfang wohnt ein Zauber inne“, sondern vor allem das schmerzhafte, langsame Akzeptieren, dass Dinge zu Ende gehen. Puh. Keine Riesenstory, keine Explosion, aber viele kluge Sätze, viele Perlen, die bestimmt irgendjemand anderes irgendwo zitiert hat (Anke z.B.) – ich schreibe dies in Schottland und habe das Buch nicht dabei, deswegen müsst Ihr es jetzt selbst lesen, um die schönsten Zitate zu finden. Was ich sowieso für eine gute Idee halte.

Elisabeth Rank: Bist Du noch wach? Berlin Verlag, 256 Seiten, 17,99 €.
Als E-Book 13,99 €.

Und hier ist Lisas Blog.

Liebes Tagebuch,

am Montag sind wir losgefahren nach Schottland – mit der Fähre von IJmuiden nach Newcastle, wie immer, das ist total praktisch. Wir fahren ganz entspannt irgendwann vormittags zu Hause los, sind nachmittags in Amsterdam, das Schiff fährt über Nacht, die Kabinen sind gemütlich und haben ein eigenes Bad, und morgens kommt man ausgeschlafen in Newcastle an. Vor dort aus sind es noch viereinhalb Stunden zu fahren, das ist alles sehr schön stressfrei. Dienstag Nachmittag sind wir also angekommen und seitdem irgendwie beschäftigt. Wir waren schon auf drei verschiedenen Sessions, wo der Mann immer gleich rote Bäckchen und dieses glückliche Grinsen im Gesicht bekommt. Ich sitze dann quasi allein in der Kneipe, was ich normalerweise einigermaßen doof finden würde, aber dann rede ich entweder mit den Umsitzenden oder lese ein Buch, das ist beides gleichermaßen nett. Wir waren bei den einen Freunden und bei den anderen und bei den dritten, haben ein nagelneues und ein halbfertig umgebautes altes Haus besichtigt (beide so, dass man sofort einziehen möchte), waren zum Abendessen und zum Frühstück eingeladen, waren schon zweimal laufen, haben ein 500-Teile-Puzzle gemacht, einen neuen Hund kennengelernt und die bereits bekannten Tiere begrüßt, waren einkaufen und so weiter, und weil hier irgendwie alles etwas langsamer geht und etwas länger dauert, ist die erste Woche schon vorbei, und ich habe noch nicht mal mit dem Schreiben angefangen. So geht das eigentlich nicht! Ich wollte doch vorankommen.
Unsere Gastgeber sind jetzt erstmal für eine Woche weg, das ist für die Arbeitsmoral vielleicht gar nicht so schlecht. Die Begrüßungsrunden sind gemacht, jetzt kann die Arbeit losgehen. Tschakka! Wenn ich die Bemerkungen meiner Twitter- und Facebookumgebung richtig deute, haben wir hier übrigens deutlich besseres Wetter als Ihr in Deutschland. Tagsüber sind die Temperaturen sogar zweistellig! Nachts habe ich noch nicht aufs Thermometer geguckt. Aber jetzt ist es sieben Uhr Abends, und ich sitze im T-Shirt draußen in der Sonne. (Allerdings bin ich auch froh um die warmen Sachen, die ich dabei habe.)

PfauUnscharf

Plan für die Zeit hier: der Pfau muss schärfer werden.

Erlend Loe (Hinrich Schmidt-Henkel): Jens. Ein Mann will nach unten.

loe - ein mann will nach unten.inddFvonk ist ziemlich am Ende. Seine Freundin ist weg, das Verhältnis zu seiner Tochter nicht gerade innig, und seine Arbeit hat er auch verloren, wegen der Unkultur. Und dann verfolgen ihn auch noch die Schwangeren.
Eines Tages kommt eine mysteriöse Frau und mietet die beiden möblierten Zimmer in seinem Untergeschoss an. Stellt sich raus: der da einzieht, ist niemand Geringeres als Jens Stoltenberg, der norwegische Premierminister. Er braucht zwischendurch mal Zeit für sich, zum Abschalten und Runterkommen, er ist nämlich ganz schön ausgebrannt. Anders gesagt: fast genauso am Ende wie Fvonk, nur dass er nach außen hin noch funktioniert und weiterregiert.
Die beiden Männer freunden sich an, reden über alles mögliche, vor allem schüttet Jens Fvonk das Herz aus, sie unternehmen zusammen Skitouren, fahren zum Einkaufen nach Schweden, geben sich ihren respektiven Depressionen oder Psychosen hin und werden nach und nach etwas gesunder oder kranker, je nachdem. Und brechen einem zwischendurch das Herz. Zum Beispiel, weil der eine nie allein ist, und der andere immer:

Ich bin ja nie allein. Das ist wahrscheinlich der Kern des Problems. Viele, viele Jahre lang bin ich nie allein gewesen, dabei ist es wichtig, allein zu sein, sagt die Regierungsärztin, sehr wichtig, irgendwas passiert mit dem Gehirn, wenn man nie allein ist und nie mal gar nichts tut, ich weiß nicht mehr, was sie genau sagte, aber es war etwas mit dem Gehirnstoffwechsel, der gerät aus dem Gleichgewicht, und das ist nicht gut.
Nein, das ist sicher nicht gut.
Wie ist das bei dir, schaffst du es, dir etwas Zeit zum Alleinsein freizuschaufeln?
Ja.
Magst du es?
Nein, sagte Fvonk, alles andere als das.

Was mit dem lustigsten Titel der Saison anfängt und dann lange zwischen Tragik und skurriler Komik changiert, wird im Laufe des Lesens dann doch eindeutig traurig. Herrje, man möchte die beiden am liebsten einfach mal in den Arm nehmen. Ein Buch über Männerfreundschaft und Einsamkeit. Und auf jeden Fall eine Leseempfehlung! Auch wenn es einen am Ende nicht gerade glücklich macht.

(Auch super: Naiv. Super.)

Erlend Loe (Hinrich Schmidt-Henkel): Jens. Ein Mann will nach unten. KiWi Taschenbuch, 8,99 €. Auch als E-Book.

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