Jetzt gleich um 17:00 Uhr gibt es im Kulturradio rbb eine Sendung über das „literarische Übersetzen zwischen Sprachkunst und Vergütungskampf“. Es diskutieren Susanne Schüssler (Leiterin des Verlags Klaus Wagenbach), Gabriele Leupold (Übersetzerin aus dem Russischen u. Polnischen) und Karin Krieger (Übersetzerin aus dem Italienischen u. Französischen). Alles weitere findet sich hier. Die Sendung trägt den Titel „In Ketten tanzen“ und wird sicher interessant. Was ich aber eigentlich sagen möchte, ist etwas ganz anderes:
„In Ketten tanzen“ ist eine der gängigen Metaphern für das Übersetzen. Schreiben ist wie Tanzen, beim Übersetzen tanzt man in Ketten. Weil wir ja beim Übersetzen sehr enge Vorgaben und nur wenig Spielraum haben.
Wann immer mir diese Formulierung begegnet, gruselt es mich. Ich sehe das bildlich vor mir: In Ketten tanzen. Wenn jemand früher in Ketten gelegt wurde, dann waren das keine dekorativen Perlencolliers oder Armbändchen. Unter „in Ketten“ stelle ich mir dicke, schwere Eisenketten vor, mit denen man kaum einen Schritt gehen kann. Was ja auch Zweck der Übung war. Zum Tanzen kann man in der Situation höchstens gezwungen werden, freiwillig tut man das sicher nicht. Da muss man demjenigen schon vor die Füße schießen, damit er herumhüpft, aber vielleicht geht da auch meine Phantasie mit mir durch.
Jedenfalls finde ich das Bild vom „In Ketten Tanzen“ richtig brutal. Wenn ich mich bei der Arbeit als in Ketten empfände, dann würde ich den Beruf nicht ausüben, dann würde er mich unglücklich machen, dann würde ich ihn auch sicher nicht gut machen können.
Einen Text als Tanz anzusehen, finde ich als Metapher aber sehr schön und passend. Es gibt viel Gemeinsames zwischen Text und Tanz, auch ein Text muss einen Rhythmus haben, ein Tempo, er braucht Abwechslung und Wiederholung, eine Struktur, er muss sich in bestimmten Dingen treu bleiben, in anderen die „Regeln“ brechen, und so weiter. Der Textproduzent als Tänzer gefällt mir als Bild sehr. Aber ich sehe es eher so: Der Autor entwickelt seine eigene Choreographie. Der Übersetzer tanzt nach der Choreographie des Autors. Aber in Ketten? Nein. Ich möchte nicht in Ketten tanzen müssen, und das Gefühl hatte ich auch nie. Zum Glück.
Ich mag es sehr, nach einer Choreographie zu tanzen. Die Choreographie gibt mir Halt, sie sorgt dafür, dass ich weiß, was noch kommt und worauf ich mich einlasse, es macht die Sache wunderbar planbar. Manchmal muss man dann Dinge tanzen, die man nicht so richtig überzeugend findet, oder solche, die man so toll findet, dass man fürchtet, ihnen nicht gerecht werden zu können. Das gehört dazu, man tanzt sie alle so gut wie möglich. Man weiß, was man hat und woran man ist.
Jetzt habe ich kürzlich gemerkt, dass es auch Spaß macht, selbst zu choreographieren. Es ist völlig anders, hat andere Herausforderungen, ist aber auch toll.
Wenn ich tanze, übrigens, dann sehr gern nach einer Choreographie. Auf Partys hüpfe ich auch so herum, aber beim Steppen zum Beispiel liebe ich es, eine Choreographie zu lernen und sie am Ende durchzutanzen. In Ketten fühle ich mich dabei kein bisschen.
[Vor einem halben Jahr habe ich hier Annette Rufeger vorgestellt, jetzt sind die Kolleginnen von garment dran. Disclosure: Ich bekomme für diesen Eintrag etwas. Und wie bisher immer bei Blogwerbung war es meine Idee. Ich trage schon seit Jahren vorzugsweise garment-Kleider, tue das hier also aus reinster Überzeugung. Und außerdem, weil es in meine Reihe Besser ist das passt. Buy local.]
Mode und ich, das war immer eine etwas distanzierte Beziehung. Ich war lange der Jeans-und-Pulli-Typ, habe nie etwas gewagt, wäre zwar gern cooler gewesen, aber irgendwie hat es nie geklappt. Ich habe nie kapiert, was genau die Coolen anders machen als ich. Ich sah langweilig und brav aus, nichts dran auszusetzen, aber eben öde. Ich erinnere mich noch genau, wann und wo ich das erste Mal Stiefel zum Rock getragen habe, da habe ich mich geradezu verrucht gefühlt. Heute frage ich mich, wie ich je etwas anderes tragen konnte als Rock und Stiefel, inzwischen wohne ich quasi darin. Eine Zeitlang habe ich mich beim Einkaufen immer mal gefragt „würde Gesine das tragen“, denn Gesine sieht immer sensationell aus. Toller Trick, hat manchmal geholfen.
2005 zogen wir nach Hamburg. Gerade mal nachgeguckt: im alten Blog steht am 24. April 2006 als kurze Notiz: Mein neuer Lieblingsladen wird mit sofortiger Wirkung garment in der Marktstraße. Da war ich zum ersten Mal zufällig in den Laden geraten und hatte vom ersten Blick an das Gefühl: das ist meins. So will ich aussehen, das möchte ich tragen, das ist genau meine Kleidung. Klassisch, schlicht, aber nie langweilig. Endlich.
Ein halbes Jahr später hörte ich auf zu rauchen und nahm in rasantem Tempo sieben Kilo zu. Ich habe quasi von heute auf morgen nur noch Röcke getragen, weil meine Hosen mir nicht mehr passten. Bei Röcken ist es egal, dann rutschen sie halt ein Stückchen weiter hoch. Die Röcke kamen von garment, fast alle. Ich bekam so viele Komplimente wie noch nie.
Kurz drauf ging dann auch der lustige Mann mit und kauft seither ebenfalls bei garment. Und ist ebenfalls so überzeugt von den Sachen, dass er jetzt nach geschlagenen neun Jahren is a blog zum ersten Mal hier auftaucht.
garment sind Ullinca Schröder und Kathrin Müller. Wir waren mit Ullinca und Maximilian in der Hafencity und haben Quatsch gemacht. Tadaaa!
Was garment macht, hat eigentlich nicht viel mit Mode zu tun, sondern vielmehr mit Stil. Und der Stil ist extrem reduziert, die Schnitte sehr schlicht, meist schmal, ein bisschen Sixties, ein bisschen britisch. Und alles in hochwertigen, alltagstauglichen Materialien und in einer leider so unfassbar guten Verarbeitung, dass einfach nie irgendwas kaputtgeht. Man hat also selten Grund, etwas Neues zu kaufen, außer dass eben alles so schön ist. Die Kleider! Und die Jacken! Mit diesen Kapuzen! (Hier nicht im Bild, es war zu warm.) Und die Röcke sowieso, Röcke hat man ja eh nie genug. Und Hosen. Die meisten Hosen nähen sie unten erst um, wenn man sie kauft – ich verstehe nicht, warum das nicht alle so machen, es macht die Sache so viel einfacher. Und habe ich schon die Kleider erwähnt? Die KLEIDER!
Für Herren ist es genauso: Hemden, Hosen, Jacken, Anzüge, Mäntel, alles super. Ich bin vor allem immer wieder verliebt in die Details. Die kontrastfarbig eingefassten Knopflöcher. In der verdeckten Knopfleiste. Die schrägen, quasi unsichtbaren Eingrifftaschen in den vorderen Kleidernähten. Die dezent versenkten Reißverschlüsse. Die Kragen. Hach.
Und das Beste ist, es ist genau das Gegenteil von fast fashion. Nichts wird unmodern, nichts geht kaputt. Man wirft nicht alle Naselang etwas weg. Die Stoffe kommen vor allem aus England und Italien, entworfen und zugeschnitten wird in Hamburg, genäht teils hier, teils in Polen. Die Sachen sind logischerweise nicht ganz billig, aber wirklich jeden Cent wert. Und ich freue mich außerdem, weil ich sogenanntes Shoppen nicht leiden kann. „Bummeln“ womöglich, von einem Laden in den nächsten, der Horror. Also gucke ich immer mal in die beiden Lieblingsläden, wenn ich gerade in der Nähe bin (oder wenn sie Schlussverkauf machen), dazu ein paar Basics vom Ökodealer, fertig. Das Leben kann so einfach sein. Ein-zwei echte Lieblingsläden, immer gut angezogen. Und ich muss nie wieder zu H+M oder P+C.
2006 hat es angefangen und sich bis heute nicht geändert. garment macht immer noch haargenau die Kleidung, die ich tragen will. Und die der lustige Mann tragen will. Und in der ich plötzlich nicht mehr die Uncoole bin, sondern die, die gerne mal einen Hauch overdressed ist, und zwar aus Überzeugung. Die Komplimente bekommt, weil sie „immer so stylische Sachen“ hat. Ich! Das muss man sich mal vorstellen. Wir haben hier schon so einen running gag, wenn wir zu zweit vorm Kleiderschrank stehen und einer sagt: „Was soll ich denn anziehen?“, dann sagt der andere: „Was von garment“, und wir müssen lachen. Keine Sorge, in Wahrheit laufen wir natürlich nicht im Partnerlook herum.
garment-Kleider gibt es in Shops in Hamburg, München und Köln und im Onlineshop.
Alle Bilder: Maximilian Buddenbohm
Alle Kleidungsstücke: garment
Danke, Axel, Maximilian und garment! Das hat großen Spaß gemacht.
Stevan Paul war einer der ersten Menschen, die ich im Internet kennenlernte. Und einer der ersten, die ich dann in Hamburg „in echt“ traf. Wir haben jahrelang zusammen Kaffee.Satz.Lesen organisiert (zu dritt mit Sven Heine), haben ziemlich genau gleichzeitig angefangen zu bloggen und haben schon sehr viel und sehr gut zusammen gegessen.
Essen ist auch sein Beruf, er hat Koch gelernt und arbeitet heute als Foodstylist und Autor. Er denkt sich – beispielsweise für Zeitschriften – Rezepte aus, bereitet sie zu, sorgt dafür, dass es hübsch aussieht, und Andrea Thode fotografiert das Ergebnis. Normalerweise machen sie das in der Redaktion, aber die zog just gerade um, sodass sie ausnahmsweise bei Stevan zu Hause arbeiteten, als wir zu Besuch kamen. Das Schönste war, dass wir die Sachen danach essen durften. Nein, halt, das Schönste war zu sehen, wie entspannt und professionell die beiden zusammen arbeiten. Bitte aufs Bild klicken:
PS: Meistbenutztes Kochbuch in diesem Haushalt seit einem halben Jahr: Deutschland Vegetarisch von Stevan Paul.