Romreport, Teil 2

Ostermontag
Nachdem der Sonntag ganz privat war, soll es am Montag mit der Touristerei losgehen. Wir fahren zum Kolosseum und Forum Romanum, und als wir dort aus der U-Bahn kommen, regnet es erstens in Strömen, zweitens hatten die gefühlt acht Milliarden Menschen, die am Tag vorher auf dem Petersplatz waren, genau dieselbe Idee. Wir stehen kurz unschlüssig vor dem Kolosseum herum, erwehren uns der pakistanischen Regenschirmverkäufer, die beim ersten Tropfen wie die Pilze aus dem Boden schießen und durchaus finden, zwei Menschen bräuchten zwei Schirme, und zwar dingend, dann beschließen wir, dass wir keinen Bock haben, im Regen mit diesen Menschenmassen zusammen durch alte Steine zu stolpern.

Wir fahren zurück in die Stadt, es hört langsam auf zu regnen, und wir verbringen den Tag im Wesentlichen mit Herumlaufen. Auf der Piazza del Popolo müssen wir die Flucht vor einer großen Gruppe Free-Hugs-Verteiler ergreifen, das Pantheon macht gerade zu, als wir dort ankommen, irgendwo sehen wir uns eine Kirche an, irgendwo liegen alte Steine herum. Wir essen jeder ein Panino und trinken dazu einen Tee, das kostet zusammen 20,- €. Danach wissen wir, dass man sich nicht hinsetzen darf und nehmen fürderhin alles nur noch to take out, weil, also echt.

Wir beschließen, eine Flussfahrt auf dem Tiber zu machen, denn so ein Schiff hat wahrscheinlich ein Dach und darin regnet es nicht. Wir essen ein Eis. Das Boot sieht doof aus, und überhaupt verläuft der Tiber meist zwischen hohen Mauern, wir machen doch keine Flussfahrt. Sondern gehen noch einmal durch Trastevere, diesmal bei Tag, ich will mir das Portemonnaie doch noch kaufen, dass ich am Samstag Abend gesehen hatte, aber wir finden den Laden nicht mehr oder er hat zu. Weiter durchs jüdische Ghetto, wo leider die meisten Cafés und Bäckereien geschlossen sind. Am Teatro di Marcello spielt ein alter Herr Akkordeon, das ist sehr schön. Wir sehen Straßen und Plätze und Brunnen und laufen uns die Füße platt. Und essen Eis. Schokolade. Das Schokoladeneis ist überall toll. Die Fotos leider nicht, bei so grauem Wetter.

Dienstag
Petersdom. Die Schlange geht einmal fast um den Petersplatz herum, es geht aber relativ schnell voran. Man muss durch eine Sicherheitsschleuse, durch so ein Piepsding wie am Flughafen. Dann wird man gegen den Uhrzeigersinn einmal durch den ganzen Petersdom geleitet, in dem gerade ein Gottesdienst stattfindet; ein Jugendgottesdienst offenbar, lauter junge Leute mit den gleichen bunten Halstüchern. Pfadfinder oder so. Sie singen das Taizé-Halleluja in der langsamsten Version aller Zeiten, und der Kardinal (oder was auch immer er ist) predigt über Mutter Teresa. Und drumherum laufen die Touristenströme, zum Teil wenig rücksichtsvoll. Die Soundanlage ist aber auch hier so gut, dass man überall alles gut versteht. Der Petersdom ist überwältigend. Unfassbar riesig. Und … protzig.

Und dann wollen wir oben auf die Kuppel, um runterzugucken, ich gucke immer gern von oben runter. Wenn es irgendwo einen Kirchturm zu besteigen gibt, einen Aussichtsturm, sonstwas Hohes: bin ich immer dafür. Die Schlange sieht kurz aus, geht aber drinnen noch ewig weiter, wir stehen mindestens eine Stunde an. Irgendwann kommt man dann an die Kasse und erfährt erst dort, dass man, selbst wenn man mit dem Aufzug fährt, immer noch mehr als 300 Stufen hochsteigen muss, und dass Alte, Herzkranke und Gehbehinderte das bitte berücksichtigen mögen. Super, hätte man ihnen auch eher sagen können. Was man unten gar nicht erfährt: dass der Aufstieg auch nicht besonders geeignet ist für Klaustrophobiker oder sehr dicke Leute. Diese schmalen, schrägen Gänge um die Kuppel herum sind schon etwas speziell. Bzw. halt sehr eng. Erst kommt man innen in die Kuppel und kann noch einmal in den Dom runtergucken, wo die Messe zu Ende ist und schon alle Stühle weggeräumt sind, dann geht es noch weiter hoch und raus.

Die Aussicht! Aber mei, sind das viele Leute da oben. Ziemliches Gedränge. Aber! Die Aussicht! Es ist nicht mehr ganz so grau wie vorher, es regnet nicht, man hat einen herrlichen Blick auf Urbs et Orbis (dafür möchte ich bitte Klugscheißerpunkte haben) und überhaupt: Runtergucken ist super.
Die Vatikanischen Museen sparen wir uns, zu lange Schlange. Erstmal ein Eis.

Am Nachmittag wollen wir ins Maxxi, das Museo Nazionale delle Arti del XXI Secolo, ein bisschen was Modernes angucken zwischen all den alten Steinen. Und wat is? Geschlossen. Ausnahmsweise. Weil normalerweise montags geschlossen ist, diesmal aber wegen Ostermontag ausnahmsweise geöffnet war, da machen sie heute mal dienstags zu. Hmpf. Essen wir halt ein Eis.
Rom ist toll, man kann in jeder Straße staunen. Alles so alt! Und alles so dezent heruntergekommen, eine Straße schöner als die andere. Nur die Metrostationen, die sind wahrscheinlich die hässlichsten der Welt.

Abends kaufen wir uns Salami und Käse und Oliven und Brot und Wein und wollen uns damit an die Fontana di Trevi setzen und Abendbrot picknicken. Aber auch hier ist so unfassbar viel los, kein Sitzplatz zu kriegen, sodass wir schließlich einfach nach Hause fahren und im Bett picknicken.
Dazu gucken wir zum hundertsten Mal das hier und lachen uns kaputt.



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Romreport, Teil 1

Ostersamstag
Nachmittags angekommen, Zimmer an der Piazza del Risorgimento bezogen. Das bedeutet zweierlei: erstens, es ist superzentral, dreihundert Meter zum Petersplatz, zweitens, es ist superlaut, Schlafen bei offenem Fenster unmöglich. Hande schickte uns zur Begrüßung per Mail sofort zu Pizzarium, einem kleinen, unscheinbaren Take-away-Pizzaladen in der Nähe einer uninteressanten Metro-Station, den wir im Leben nicht gefunden hätten, und der die beste Pizza der Stadt macht.
Abends blaue Stunde auf dem Petersplatz, dann ein ausgiebiger Bummel durch Trastevere, was sehr hübsch ist, lauter kleine Kneipen und Restaurants und Läden, wir aßen schon wieder Pizza und das erste Eis.
Auf dem Petersplatz und auch auf unserem Platz und an den meisten großen Kirchen stehen riesige Leinwände, auf denen in Endlosschleife ein Imagevideo über Papst Johannes Paul II läuft. Es ist auch die ganze Stadt mit seinem Konterfei plakatiert, er wird nämlich heute seliggesprochen. In dem Film immer wieder Bilder des verstorbenen Papstes, wie er ins Gebet versunken ist, ich finde das ungehörig, es ist mir zu intim, ich will das nicht sehen. Übrigens steht, wenn ich mich recht erinnere, sogar irgendwo in der Bibel, dass man sein Gebet nicht so demonstrativ verrichten soll, sondern bitte hübsch im stillen Kämmerlein. Aber da kann der Johannes Paul nun nichts mehr für, dass sie ihn so vorführen. (Allerdings kann er für alles mögliche andere was, und ich finde diese ganze Selig- und Heiligkeitsnummer im einundzwanzigsten Jahrhundert vollkommen grotesk. Wisst Ihr, dass er noch schnell ein Wunder vollbracht hat, direkt nach seinem Tod, damit das mit dem Seligsprechen überhaupt möglich ist? Mannmann.)

Ostersonntag
Kurz zum Petersplatz, Ostermesse gucken. Unfassbare Menschenmengen, wir kamen gar nicht auf den Platz, standen irgendwo dahinter. Wahnsinnig gute Soundanlage, man hätte jedes Wort verstanden, wenn man Latein könnte. Sehen konnten wir nicht viel, nur dass da vorne irgendwo was los war und einer dieser ganzen Leute Herr Ratzinger sein musste.

Nach zehn Minuten gingen wir, denn wir hatten ein Date, gleich das erste Highlight der Reise:
Osteressen bei Hande Leimer und ihrem Mann. Ich kenne Hande aus dem Internet, von Twitter, irgendwie ist sie aus dem Foodbloggeruniversum zu mir rübergeschwappt. Hande ist in Instanbul aufgewachsen, hat lange in Deutschland gelebt und ist jetzt in Rom, wo sie Weinverkostungen anbietet (dazu später mehr). Sie hat mir vor einer Weile bei der Übersetzung eines Romans geholfen, der in der Türkei spielt. Da hatte ich Fragen, und sie hat sie mit einer Engelsgeduld und ebensolcher Kompetenz beantwortet.
Jetzt also unsere erste Begegnung, und das gleich zum Osteressen, bei dem traditionell noch Freunde aus München da sind. Und immer wieder sind es erstaunliche und beglückende Momente mit diesen Menschen aus dem Internet: man hat gleich das Gefühl, man würde sich kennen. Stimmt ja auch, irgendwie. In dem Fall kommt noch Handes (und ihres Mannes) Herzlichkeit und Gastfreundschaft dazu, und noch dazu ist sie beruflich Sommelière und privat eine hervorragende Köchin. Und da habe ich ihre Wohnung noch gar nicht erwähnt, die ist nämlich auch herrlich, mit handbemalten Bodenfliesen und einer Dachterrasse, auf der wir den Aperitif einnahmen.

Ich bin keine Foodbloggerin und habe nicht mitgeschrieben, was es gab. Als Aperitiv jedenfalls Prosecco Franciacorta und Salami und Käse und Saubohnen und Erbsen und Sonne und Blick auf ganz Rom und Kennenlernen und erste Glücksgefühle. Dann, am Tisch in der Wohnung, Artischocken (noch nie gegessen) mit einer sensationellen selbstgemachten Mayonnaise (noch nie gegessen). Dann Nudeln mit Tomatengemüse (schon oft gegessen). Und dann tatsächlich ein ganzes halbes Milchferkel (noch nie gegessen) mit Namen Kurt, 6 Stunden bei 150°C gegart, mit knuspriger Schwarte und butterzartem Fleisch, dazu so grünes Fadengemüse, das es hier nicht gibt (noch nie gegessen), und Kartoffeln. Über die Kartoffeln möchten manche Menschen nicht sprechen, ich fand sie prima, alles andere fanden alle prima, wie überhaupt sowieso alles toll war und ich mich sofort in Hande und in Rom und ins Essen und Trinken und in das Leben verliebt habe und alles gut war. Ich weiß nicht, wieviele Stunden wir dort gesessen und gegessen und geredet haben. Oh, und getrunken. Getrunken haben wir. Wein. Zum Nachtisch selbstgemachtes Eis. Woah. Und getrunken.

Dann ein Spaziergang zur Spanischen Treppe, wo man nichts weiter tut, als auf der Treppe zu sitzen und zu gucken. Herrlich.
Auf dem Rückweg unterwegs ein schneller Kaffee im Stehen, wie man es in Italien macht, dann wieder zu den Leimers, wo Hande Pizza buk, als hätten wir nicht den ganzen Tag gefuttert. Oh, und möglicherweise gab es noch einen winzigen Schluck Wein. Nachts um zwölf wankten wir nach zwölf Stunden bei diesen wunderbaren Menschen aus dem Internet glücklich, satt und müde nach Hause.
Wo wir am nächsten Morgen erstaunlicherweise ohne Kopfschmerzen aufwachten.

Danke, Hande.


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Erlend Loe (Hinrich Schmidt-Henkel): Naiv. Super.

Der Roman beginnt so:

Ich habe zwei Freunde. Einen guten und einen schlechten. Außerdem habe ich einen Bruder.
Er ist vielleicht nicht so sympathisch wie ich, aber so weit ganz okay.
Ich bekomme die Wohnung von meinem Bruder, wenn er verreist ist. Eine hübsche Wohnung. Mein Bruder hat ganz gut Geld. Gott weiß, woher, ich habe das nicht so genau mitgekriegt. Er kauft oder verkauft irgendwas. Und jetzt ist er verreist. Er hat mir erzählt, wohin. Ich habe es auch aufgeschrieben. Vielleicht nach Afrika?

Dass der mitte-zwanzig-jährige Erzähler seinen Bruder gerade nicht ganz so sympathisch findet, hängt damit zusammen, dass der ihn beim Krocket besiegt hat. Das wirft ihn irgendwie aus der Bahn. Er schmeißt sein Studium hin, wohnt in der Wohnung seines Bruders und erzählt in durchgehend superkurzen Sätzen von seinen Versuchen, wieder Fuß zu fassen. Er wirft einen Ball an die Wand. Er schreibt sich Faxe mit seinem Freund Kim (dem guten), der weit weg auf einer Wetterstation arbeitet. Sie tauschen Listen aus, was sie als Kinder mochten und was nicht, welche Tiere sie schon gesehen haben, was sie als Erwachsene mögen. Überhaupt, Listen. Er kauft sich ein Hämmerbrett und hämmert. Er findet einen neuen Freund, einen kleinen Jungen aus seinem Wohnblock. Er wünscht sich eine Freundin. Mädchen findet er ziemlich wunderbar. Und seltsam. Aber sie machen, dass alles gut ist. Und er liest ein Buch über Zeit und Einstein und Relativität und das Weltall, und dass es die Zeit möglicherweise gar nicht gibt, und das macht ihn auch irgendwie fertig.
Auf den ersten paar Seiten dachte ich, das nervt. Aber dann kommt man rein, und diese abgehackten Sätze entwickeln ihre ganz eigene Poesie (was natürlich bedeutet: wunderbar übersetzt), ganz zart und filigran. Und hinter allem steht die Erkenntnis, die den Erzähler irgendwann trifft: worauf es ankommt, das ist die Liebe. Und er möchte ein Mensch sein, der die Welt ein bisschen besser macht. Naiv? Und wenn schon. Wenn das naiv ist, dann ist dieses Buch geradezu ein Plädoyer für Naivität. Super ist es auf jeden Fall. Lesen!

Nachdem wir miteinander geredet haben, liege ich auf dem Sofa und lächele. Es ist genauso, als hätte es eben aufgehört zu regnen. Es regnet und regnet endlos, und irgendwann hört es auf. Alles duftet intensiv, und das Laub in den Bäumen hat alle möglichen Grünschattierungen. Es ist so was von komisch mit den Mädchen.
Erst sind sie nicht da, und alles ist etwas anstrengend. Aber dann sind sie da, und alles wird etwas leichter. Es geht unglaublich schnell. Nur ein paar Sekunden, und alles wird leichter.

Erlend Loe bekommt einen Regalplatz zwischen David Lodge und Loriot.

Erlend Loe (Hinrich Schmidt-Henkel): Naiv. Super. KiWi Paperback, 233 Seiten, 7,95 €.
(Das Buch ist 1998 schon mal erschienen unter dem Titel „Die Tage müssen anders werden. Die Nächte auch“.)

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