Laufen-schnaufen

In einem Augenblick finsterer geistiger Umnachtung – oder vielleicht auch in einem Augenblick besonders heller Klarheit und Weitsicht, wer weiß das schon immer so genau, und vielleicht ist es auch das gleiche – habe ich mich zum Alsterlauf angemeldet. Der findet am 8. September statt und geht über 10 km. ZEHN! KILOMETER! Das ist ganz schön krass. So weit bin ich noch nie gelaufen, glaube ich. Im Moment laufe ich eine knappe Dreiviertelstunde.
Vor vier Tagen meldete Runtastic, ich sei in 43 Minuten 6,89 km gelaufen. Es war sehr heiß, ich bin ein paarmal ein paar Schritte gegangen, um wieder zu Atem zu kommen. Heute war es gefühlte 10°C kühler und lief richtig gut. Ich bin, vielleicht überhaupt zum allerersten Mal, die ganze Strecke durchgelaufen, ohne eine einzige Gehpause, ohne Stretchingpause, und bin im Park noch eine zusätzliche Runde gelaufen. Das doofe Runtastic meldet, es seien zwanzig Meter mehr gewesen, 6,91 km was vermutlich daran liegt, dass dauernd das GPS-Signal nicht gefunden wurde (was das Telefon dann lautstark aus meiner Hose raus verkündet. Irgendwann kriege ich noch raus, wie man das abstellt, denn ich möchte nicht, dass meine Hose mit mir spricht, wenn ich laufe). In Wahrheit ist eine Parkrunde deutlich mehr als eine Sportplatzrunde, ich schätze, mindestens zwei Sportplatzrunden, also 800 Meter mehr müssten es schon sein. Oder noch mehr? Keine Ahnung. Vielleicht hat es auch vor vier Tagen nicht gestimmt, sondern war viel weniger, es stimmt sowieso nie, ich laufe immer dieselbe Strecke, und Runtastic meldet immer andere Zahlen. Jedenfalls habe ich heute also exakt dieselbe Zeit gebraucht, 43 Minuten, für ein bisschen mehr Strecke. Wie lange ich wohl für 10 km bräuchte? Siebzig Minuten? Hui.
Am Samstag fahre ich für ein paar Tage nach Berlin, Dienstag komme ich wieder und gehe abends steppen. Nächste Woche Mittwoch oder Donnerstag also das nächste Mal. Bis zum 8. September kann ich vielleicht noch acht- bis zehnmal laufen. „Trainieren“, sagt man wohl. Ob das reicht? Bin ich irr? Zehn Kilometer laufen? Am Stück? Mit ein paartausend anderen Leuten? Mit meinen Schrottfüßen? Ich bin irr. Aber irgendwie auch cool. Glaube ich. Dochdoch. Huah.

Post!

Aus Uganda, wie aufregend! So richtig von Hand geschrieben, per Luftpost geschickt, mit Briefmarken drauf und allem.

Uganda

„Dear fellow Christian“,
oh mein Gott, das ist ja wirklich tragisch. Der Brief kommt von Maria. Maria ist die älteste von drei Geschwistern. 2003 ist ihr Vater nach langer Krankheit an Lungenkrebs gestorben, sodass ihre Mutter, Grundschullehrerin, die Kinder allein großziehen musste. Und dann ist sie auf dem Heimweg von der Schule eines Tages überfahren worden.
Die armen Waisenkinder leben jetzt bei ihrer Tante, die arbeitslos ist und es sich nicht leisten kann, die Kinder zur Schule zu schicken. Aber glücklicherweise war Sr. Mary Lucy zur Stelle und hat seit 2010 die Schulgebühren übernommen. Dank dieser Hilfe konnte Maria ihr Advanced Certificate of Education machen und wurde in einen Kurs für Hebammen und Säuglingspflege aufgenommen. Aber Sr. Mary Lucy ist nun dummerweise auch schon 74 und kann die Geschwister nicht weiter unterstützen.
Du lieber Himmel, so viele Tragödien für die armen Kinder! Und das, wo Maria doch nur noch die zwei Jahre bräuchte, um Hebamme zu werden und ihre drei Geschwister, ihre Tante und Sr. Mary Lucy ernähren zu können. (Wir erinnern uns, weiter oben war sie die älteste von drei Geschwistern, aber wer wird da kleinlich sein.)
Also, um es kurz zu machen, my dear fellow Christian, sie braucht 2980 Pfund, mit denen sie ihren Kurs beenden kann, inklusive aller benötigten Schulmaterialien.

Uganda2

So viel Geld habe ich leider nicht. Aber wenn wir vielleicht zusammenlegen? Hier, ich hab ne Idee: Ihr überweist mir einfach so viel Geld, wie Ihr könnt, auf mein Konto, und ich schicke ihr das dann. Dochdoch, würde ich ehrlich machen! (Oder möchtest Du Dich darum kümmern, Sue?)

Neuigkeiten aus dem Hamburger Literaturhaus

„Liebe Freunde des Literaturhauses,

kurz vor dem Wochenende gibt es aus dem Literaturhaus sehr gute Nachrichten: Denn für das Literaturhauscafé, das im Mai dieses Jahres Insolvenz angemeldet hatte, wurde in dieser Woche ein neuer Pächter gefunden: Vijay Sapre, Herausgeber und Chefredakteur des Food- und Gastro-Magazins Effilee, wird das Literaturhauscafé ab sofort übernehmen.

Das Literaturhauscafé ist seit knapp 24 Jahren fester Bestandteil der Hamburger Gastronomie-Szene. Unzählige Lesungen und Festlichkeiten wie Empfänge und Hochzeiten wurden hier zelebriert. Auch das Frühstück à la carte bis 18.00 Uhr zählt zu den vielen Vorzügen des Traditionshauses. Eine solche Institution darf nicht verloren gehen“, sagt Vijay Sapre, der die Gastronomie in dem denkmalgeschützten, von Architekt Jean David Jolasse im Jahre 1868 erbauten Stadthaus nun übernommen hat. Zusammen mit dem bestehenden Team möchte der Gastronom und Kulinarik-Experte aus Leidenschaft ein neues Küchenkonzept erarbeiten. „Zunächst einmal geht es darum, eine Bestandsaufnahme der aktuellen Situation zu machen, um herauszufinden, wo Optimierungsbedarf besteht. Das Ziel ist, eine gehobene Bistroküche anzubieten“, so Sapre, der sich mit der Pachtung des Literaturhauscafés einen Traum erfüllt. Ein logischer Schritt im Leben des Self-made Man, der seiner Kochleidenschaft auch beruflich immer näher kommt: Nach einem Praktikum beim Sternekoch Gutbert Fellert, wo er sein Talent am Herd einem Praxistest unterzog, gründete er das Foodmagazin Effilee, in welchem er Geschichten über Fische im Amazonasbecken, Kaffeehäuser in Neu-Delhi, Straßenimbisse in Singapur und aussterbende Nutztierrassen publiziert.

Auch Dr. Rainer Moritz, Leiter des Literaturhauses, freut sich, Vijay Sapre als neuen Pächter des Literaturhauscafés gewonnen zu haben: „Wir sind voller Zuversicht, dass es uns gelingen wird, zusammen mit Herrn Sapre das Literaturhaus als literarischen und kulinarischen Treffpunkt zu erhalten und seine Attraktivität zu steigern.

Wir wünschen Herrn Sapre und seinem Team einen guten Start, und wir würden uns freuen, wenn Sie ganz häufig im Literaturhauscafé auf einen Kaffee, ein Glas Wein oder auch zum Essen vorbei schauen!“

***

Ich freu mich auch, ich glaube, das ist eine sehr gute Nachricht für alle Beteiligten. Dann wird demnächst probegegessen werden müssen, hm?

Liebes Tagebuch,

was war das gestern für ein schöner Abend! Eigentlich wollten wir zu Falk und der schönen, klugen Frau. Aber dann war das Wetter so schön, dass wir beschlossen haben, lieber zusammen rauszugehen und ein Picknick zu machen.
Und so saßen wir irgendwo in Planten un Blomen auf dem Rasen (und zwar nicht beim japanischen Teehaus, um auch gleich einen Insiderwitz unterzubringen), picknickten lauter leckere Sachen, tranken Sekt und Wein und Wasser, sahen den Gänsen beim Watscheln und einem bemerkenswert winzigen Hund beim Gänsejagen zu, redeten dies und das, erzählten vom Urlaub, aßen weiter, tranken weiter und fanden alles toll und wären da gerne noch sehr, sehr lange sitzengeblieben.
Allein, es sollte nicht sein: viel zu früh kamen zwei ausnehmend freundliche Security-Herren und baten uns, den Park zu verlassen. Weil es nämlich gleich ein Feuerwerk gebe, und da wollten wir sicher nicht zu nah dran sein. Der Park würde dazu geschlossen. Also packten wir unser Zeug zusammen und gingen. Richtung Michelwiese, dachten wir, da könne man doch auch noch ein bisschen sitzen und vielleicht erstmal von irgendwo aus das Feuerwerk angucken. Und als wir so auf den Michel zugingen und zum Turm hochsahen …
Okay, 10,50 € sind ein stolzer Eintrittspreis für einen Kirchturm. Aber dafür bekommt man auch einen Becher Orangensaft dazu! Wir nehmen den Aufzug, zack! ist man da oben und tritt aus der Tür, und: boah, wow. Es ist kurz vor zehn, im Norden ist der Himmel noch nicht ganz dunkel, ein wunderschöner Abendhimmel, davor der blinkende bunte Dom, zu unseren Füßen die Stadt. Auf der anderen Seite die Elbe, der Hafen, man merkt ja in der Stadt sonst oft gar nicht, wie groß dieser Hafen ist, weil man immer nur bis zur Elbe kommt, aber dahinter geht’s natürlich noch viel weiter, und das ganze Hafengelände ist noch viel heller erleuchtet als die Stadt. Es ist wunderschön, ich gucke sowieso so gerne von oben auf Städte, und außerdem ist es herrlich warm, hier oben weht aber ein leises Windchen. Es ist, anders gesagt, perfekt. Freunde, Hamburg, Sommer, ich bin ganz ergriffen und grinse nur noch blöd und sage ungefähr sechshundert Mal „ist das schön“. Es schlägt zehn Uhr.

Hafennacht

Freundliche Mitarbeiter des Kirchturms bringen kleine Bänke und schließen die Wendeltreppe auf, die noch weiter nach oben führt, und von der aus man auch einen tollen Blick aufs Feuerwerk haben soll. Es wird langsam ganz dunkel, ich kann mich gar nicht sattsehen an der Stadt und den Lichtern. Und dann das Feuerwerk – normalerweise höre ich das immer nur und denke immer „schon wieder verpasst“, ich mag Feuerwerk nämlich gerne, gehe aber nie gezielt hin, sondern verpasse es immer. Und jetzt also vom Kirchturm, einige Raketen steigen sehr hoch, andere sehen von hier oben aus aus, als würden sie ganz da unten zwischen den Häusern bleiben. Der Dom macht zum Feuerwerk übrigens die Lichter aus, oder zumindest einen Teil, ich frage mich, wie es wohl ist, das Feuerwerk von diesem riesigen Kettenkarussell aus zu sehen, das so wahnsinnig hoch fährt. Nix für mich. Aber vom Riesenrad aus ist es bestimmt toll. Aber nicht so toll wie vom Michel, denn hier sind wir, und ich kann gar nicht aufhören, „ist das schön“ zu sagen. Wir sind immer noch in T-Shirt und Flip-Flops, obwohl es schon mitten in der Nacht ist und der Wind auffrischt, und es ist überhaupt nicht kalt. Ich liebe den Sommer, mir macht auch die Hitze tagsüber nichts, ich komme auch mit der Schwitzerei klar – dann isses halt nass, na und, am dritten Tag hört man ja auf zu stinken, dann ist der Dreck ausgeschwitzt, und dann geht eben alles etwas langsamer, aber das macht ja nichts, es entspannt und wärmt einen so richtig durch vor dem Winter, ich liebe, liebe, liebe das. Ich liebe diese Stadt, und ich liebe den Sommer. Die Turmuhr schlägt elf.
Erst kurz bevor sie zwölf schlägt, fahren wir wieder runter. Danke für den schönen Abend, Falk und die schöne, kluge Frau.

Feuerwerk

(Doof: keine Kamera dabei. Und die im iPhone taugt halt nicht.)

Anderswo

- Helge Malchow erklärt in der FAZ, warum die Buchpreisbindung ein Segen ist, und warum sie auch für E-Books und auch im grenzüberschreitenden Handel bestehen bleiben muss. Mir ist ja überhaupt nicht klar, wie man auf die Idee kommen kann, dass sie für E-Books nicht gelten sollte. Es denkt doch wohl niemand, die Preisbindung hätte etwas mit dem Papier zu tun? Ich verstehe auch nicht, wieso auf E-Books 19% Mehrwertsteuer sind. Es ist doch nur das Trägermedium ein anderes.

- In den USA zum Beispiel bestimmt im Prinzip Amazon den Preis von Büchern schreibt die ZEIT, und die Buchhandlungen gehen pleite. Das ist ein sehr alarmierender Artikel, mein Unmut gegenüber Amazon wächst. Meine Frage von oben wird dort folgendermaßen beantwortet: „E-Books seien keine kulturellen Waren, sondern eine Dienstleistung und müssten demgemäß besteuert werden.“ Man möcht mit dem Kopf auf den Tisch knallen. Außerdem: hallo, Bürokraten? Macht Ihr eigentlich was, da in Brüssel, oder redet ihr nur?

- Die FAZ berichtet ebenfalls.

- Anderes Thema: „It’s time we authors were paid, not in promises of better sales and high profiles, but in money. Yes, actual cash. Is that too much to ask?“ fragt Guy Walters im Literary Review.

- Der „Shades-of-grey“-Effekt: Vermehrte Feuerwehreinsätze nach Sexspielen. Die Süddeutsche mit einem bemerkenswerten Schlusssatz.

- Jippie! KiWi stellt wieder einen kostenlosen E-Book-Download mit Leseproben aus dem Herbstprogramm zur Verfügung. 600 Seiten, mit exklusiven Vorab-Leseproben, Hintergründen zu den Büchern, mit Weblinks zu Autorenseiten, mit Terminen und Videos – und mit der Möglichkeit, die vorgestellten Bücher zu gewinnen. Sensationell.

- Nachdem der Indiebookday im Frühjahr ja ganz wunderbar gelaufen ist, gibt es jetzt ein ganzes Blog, das sich nur mit Büchern aus unabhängigen Verlagen befasst: We read Indie. Sehr schöne Sache.

- Und noch was Nichtliterarisches: Eine Sammlung von Bildern aus Google-Streetview. So sieht die Welt aus. Unglaubliche Bilder dabei, teilweise verstörend, ein paar wenige auch lustig, ganz oft möchte man die Geschichte dahinter wissen. Sehr, sehr beeindruckend.

- Und hier ist Herbert bei Rowohlt:

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