Noch ein Zitat

Aus einer Zugfahrt mit Juli Zeh. Peter Ertle im Schwäbischen Tagblatt.

„Wir sprechen über das europäische Übersetzerfestival, auf dem sie war. In 30 Sprachen werden ihre Bücher übersetzt. Und die wenigsten Übersetzer kennt man? „Nein, ich bin mit den meisten in Kontakt!“ Und dann schwärmt sie, was das für wunderbare gebildete Menschen seien, alle sträflich unterbezahlt, aber deswegen mache das eben nur jemand, der es aus Leidenschaft mache. Als Autor begreife man durch den Austausch mit den Übersetzern erst richtig, wie Denken und Sprechen zusammenhingen. Wenn die Übersetzerin ins Chinesische mit dem deutschen Wort „gesunder Menschenverstand“ nichts anfangen kann. Wenn es das Wort „Spieltrieb“ nur im Deutschen gibt. „Was es als Wort nicht gibt, gibt es auch als Phänomen nicht, das ist das Spannende.““

Autorenstimme des Monats

„Wenn ein Buch veröffentlicht wird, müsste es eigentlich vorher übersetzt werden, das wäre dann ein richtiges Lektorat. Denn weder Autor noch Verlags-Lektor nehmen so wie ein Übersetzer jedes einzelne Wort in die Hand und machen sich Gedanken darüber, ob es passt. Für mich ist die Zusammenarbeit mit Übersetzern immer ein Geschenk, schon weil ich so vieles über die Möglichkeiten wie die Begrenzungen des Deutschen erfahre, die mir zuvor nicht bewusst waren, es auch gar nicht sein konnten – und ich erlebe mit, wie aus „meinem“ Buch dann „unser“ Buch wird.“

Ingo Schulze

(Aus dem VdÜ-Pressenewsletter.)

Autorenstimme des Monats

„Jede noch so kritische Frage eines Übersetzers ist Ausdruck von Respekt – nur in der Hinterfragung liegt die Erfahrung von Sprache, die Möglichkeit zur Bildung jenseits der Einbildung: zur gegenseitigen Aus- und Fortbildung, daraus wächst manchmal innige Freundschaft. Es gibt wohl keinen genaueren Leser als den Übersetzer, der durch seine Zweifel jedes Luftloch eines Textes aufspürt. Wäre da nicht das Herr-Diener-Gefälle und die Unzulänglichkeit jeder Analogie, so würde ich den Schriftsteller gern als Don Quichotte und seinen Übersetzer als Sancho Pansa bezeichnen. In Wirklichkeit aber hat der Übersetzer mit seinem Werk in seiner Sprache eine weit größere Macht: er kann einem Text Eleganz verleihen, er kann ihn ebenso zerstören.“
Julia Franck

(Aus dem VdÜ-Pressenewsletter.)

Kunst

„Was Kunst ist, wissen Sie ebensogut wie ich, es ist nichts weiter als Rhythmus. Wenn das aber wahr ist, so beschwer ich mich nicht mit Imitation oder mit Seele, sondern gebe schlicht und einfach Rhythmus mit jedem beliebigen Material, Straßenbahnfahrscheinen, Ölfarbe, Holzklötze, ja, da staunen Sie Bauklötze, oder mit dem Wort in der Dichtung, dem Ton in der Musik, oder wie Sie wollen. Darum sehen Sie sich nicht das Material an, denn das ist unwesentlich. Suchen Sie nicht versteckt irgendeine Imitation von Natur, fragen Sie nicht nach Seelenstimmungen, sondern suchen Sie trotz des ungewöhnlichen Materials, den Rhythmus in Form und Farbe zu erkennen. Mit Bolschewismus hat das ebensowenig zu tun wie der moderne Bubikopf. Dafür ist es die Essenz aller Kunst, das heißt, jedes Kunstwerk aller Zeiten musste diese primäre Forderung erfüllen, Rhythmus zu sein, sonst war es nicht Kunst.“??

Kurt Schwitters, 1926

(Schon mal gebloggt. Aber egal. Kann man nicht oft genug sagen.)

Autorenstimme des Monats

„Führt man im Englischen jemanden in die Irre, schickt man ihn nicht auf den Holz-, sondern auf den Gartenweg: lead someone down the garden path. Übersetzen wird für mich immer mehr zu einem solchen Gartengehen, und zwar im zweifachen Sinne. Einerseits kommt es mir darauf an, mit und neben dem Originalgedicht zu spazieren, das heißt sein Laufen, Schreiten, Springen wichtiger zu nehmen als sein Sagen, Rätseln, Rufen. Ich meine damit nicht objektiv zählbare Verse und Füße (aber auch), sondern den rhythmisch-gestischen Abdruck, den eine Zeile mit ihrem Auf und Ab, ihren Kadenzen, in meinem Körper hinterlässt. Going for a walk with an English poem heißt für mich zum Beispiel: Versuche so oft wie möglich, die Endstellung des Verbs zu verhindern! Das macht mich zuweilen ganz kirre. Als würde Mark Twain höchst persönlich in meinem Nacken keuchen. („Deutsche Bücher sind recht einfach zu lesen, wenn man sie vor einen Spiegel hält oder sich auf den Kopf stellt, um die Konstruktion herumzudrehen.“) Dass Mark Twain mir nicht im Nacken sitzt, sondern keucht, hat mit dem zweiten interessanten Aspekt des Gartengehens zu tun, nämlich mit der Irre, oder mit breathing down my neck, also damit, dass hier etwas vermischt wurde, was beim Übersetzen normalerweise säuberlich getrennt wird, nämlich verschiedene Sprachen, Ausdrucksweisen etc. Heimlich träume ich davon, das Ideal einer sauberen, reinen usw. Übersetzung hinter mir zu lassen und stattdessen dort, wo gar nichts mehr und alles geht, mit einer „Unreinheit“ zu spielen, die in meinen Gedichten schon länger um sich greift. Dirty Bird Translation. Translantisches. Eine Unreinheit, die nicht so sehr auf Nichtkönnen beruht (denn können muss man, um die besseren Fehler zu machen), sondern auf Nichttrennenkönnen. Die Lust, das fremde Material in der Zielsprache poetisch wirksam werden zu lassen, wie ein sanftes Gift/gift. Vielleicht ist Unreinheit nur ein anderes Wort für das, was Édouard Glissant meinte, als er schrieb: Übersetzung ist „eine wahrhaft kreolisierende Operation“: „Eine Spur in die Sprachen legen heißt, eine Spur ins Unvorhersehbare unserer nun gemeinsamen Lebensbedingungen legen.“ Unvorhersehbar, denn diese Art des Spazierengehens bringt es mit sich, dass man zuweilen nicht mehr weiß, auf welcher Seite des Gartenwegs man steht.“

Uljana Wolf

(Aus dem VdÜ-Pressenewsletter)

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