Es geht mir gut. Eigentlich immer. Ich bin gesund, ich habe einen tollen Mann und tolle Freunde, ich liebe meinen Beruf, und ich wohne in einer schönen Wohnung in der schönsten Stadt. Mir fehlt nichts, ich bin glücklich und sehr dankbar.
Aber neulich hatte ich mal schlechte Laune. Ich weiß schon gar nicht mehr genau, was los war, sowas dauert bei mir nie lange und ist nichts Grundsätzliches, irgendwas Blödes war passiert. Da habe ich kurz mal ins Internet gejault. Und geschrieben, dass es ein Scheißtag sei, und ob ich mal auf den Arm könne. Daraufhin schoben mir virtuelle Freunde virtuelle heiße Schokoladen und Kekse rüber und reichten mir eine virtuelle Decke zum Über-den-Kopf-ziehen. Sowas finde ich sehr schön, das funktioniert in der ganzen Twitter- und Facebook-Community, dass jemand sagt „ich muss gerade mal jaulen“, und dann schreibt jemand anderes „hier hast Du eine heiße Schokolade“. Es mag keine echten Probleme lösen, aber gegen schlechte Laune hilft es allemal. Auch wenn man die Schokolade nur im Internet liest.
Und dann kam gerade die Post und brachte das hier.
Von Coolcat aus Freiburg, einfach so. Weil ich neulich gejault habe. Essschokolade, Trinkschokolade, Badekissen. Wir kennen uns gar nicht, nur virtuell, sind uns noch nie begegnet. Und ich weiß schon kaum noch, warum ich neulich so schlecht drauf war, habe fast das Gefühl, ich habe das Päckchen ein bisschen unberechtigt bekommen, es gibt genügend Leute, die so eine heiße Schokolade viel nötiger hätten. Jedenfalls: jetzt heul ich schon wieder, diesmal vor Rührung. Vielen Dank, Du Gute, ich freu mich wie verrückt! Die Karamellschokolade habe ich gerade beim Tippen schon probiert, sensationell.
Ich war beim Schuster, beim Schneider und bei der Reinigung. Ich war bei Budni und habe ein paar Sachen eingekauft. Ich habe einen Blogeintrag über den netten Schneider geschrieben. Ich habe die letzten Reste vom Buffet von Freitag weggeworfen, ich habe Brotteig angesetzt und einen Möhrenkuchen gebacken. Ich habe den Weißkohl aus der Gemüsekiste von letzter Woche blanchiert und eingefroren. Ich habe Wäsche gewaschen und aufgehängt. Ich habe den Möhrenkuchen mit Kuvertüre überzogen. Der Gemüsemän kam, ich habe frisches Obst und Gemüse und Milch und Kartoffeln und Zwiebeln und so weiter in Kisten, Körbe und Kühlschrank sortiert. Ich habe ein bisschen Kompott gekocht. Ich habe Mangold-Risotto gekocht. Den restlichen Mangold habe ich ebenfalls blanchiert und eingefroren. Dann habe ich das Chaos in der Küche beseitigt, habe mich in die Badewanne gelegt und gelesen. Zuletzt habe ich Saft gekocht.
Man könnte es einen Hausfrauentag nennen, aber die Wahrheit ist: ich habe nur Anlauf genommen. Für eine Menge Arbeit. Uiuiui.
An einer Hose hat sich eine Naht gelöst, vielleicht sechs oder acht Zentimeter sind plötzlich offen. Ich stehe vor der Änderungsschneiderei und sehe zweierlei: erstens ist gerade Mittagspause, das entnehme ich dem Schild mit den Öffnungszeiten an der Tür, zweitens sitzt aber ein älterer Herr drin und näht. Ich fasse probehalber an die Tür, sie ist offen. Ich weiß, Sie haben gerade Mittagspause, sage ich. Nein, nein, kommen Sie rein, sagt er.
Ich zeige die offene Naht. Ist das alles? Ja. Wann ich die Hose denn abholen möchte, fragt der Herr. Freitag, schlage ich vor, denn da sind meine Schuhe beim Schuster gegenüber fertig. Nein, sagt er, das ist ja fast gar keine Arbeit, geht schnell, wann ich denn wiederkomme. Ich sage, dass ich am Freitag sowieso wieder hier bin. Er sagt: nein, ich soll in zehn Minuten wiederkommen, das lohne sich ja nicht, dafür einen Abholzettel auszufüllen und so weiter. Zehn Minuten.
Okay, sage ich. Ich schlendere ein bisschen auf und ab, kaufe mir ein Croissant und gehe dann wieder hin. Die Hose ist fertig.
Ich hole mein Portemonnaie raus, nein, nein, meine Dame, sagt der alte Herr, das sei ja ganz schnell gegangen, ich bräuchte das nicht zu bezahlen. Doch, sage ich, natürlich will ich das bezahlen – nein, meine Dame, sagt er kategorisch, war ganz schnell, und setzt sich wieder an seine Nähmaschine. Ich lege ihm ein paar Münzen hin, bedanke mich – nein, ich danke Ihnen!, sagt er. Tschüss, meine Dame.
Ich halte überhaupt nichts von Pauschalurteilen über ganze Völker und Nationen. Aber ich neige doch sehr zu der Annahme, dass ein deutschstämmiger Schneider in der Mittagspause die Tür abgeschlossen, bis Freitag gebraucht und fünf Euro gewollt hätte.
Und wo ich hier gerade so im Schwung bin, auf gequälte Tiere hinzuweisen, kann ich auch gleich mit den Menschen weitermachen:
Hitze, Enge, schlechte Luft: Unter solchen Bedingungen fertigen Arbeiter in Kambodscha Kleidung für westliche Modekonzerne. Nun sind zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit Hunderte von ihnen zusammengebrochen. Zuvor sollen sie über einen „komischen Geruch“ geklagt haben.
Phnom Penh – Erneut sind in einer Textilfabrik in Kambodscha Hunderte von Arbeitern zusammengebrochen. Fast 300 Beschäftigte eines Zulieferers der Bekleidungskette H&M seien ins Krankenhaus eingeliefert worden, teilte die Polizei in der Provinz Kampong nach Angaben der Nachrichtenagentur AFP mit.
Weiter geht’s im Spiegel.
IB: Bogdan?
Fremde Frau: Guten Tag, mein Name ist Soundso von Infratest Dimap. Wir machen eine anonyme Umfrage zum Thema Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz.
IB: Äh, ich bin Freiberuflerin, ich arbeite zu Hause.
FF: Darf ich fragen, wieviele Personen im Moment bei Ihnen zu Hause sind? Vielleicht will ich ja gar nicht mit Ihnen sprechen.
IB: Wir sind zu zweit.
FF: Dann hätte ich gern die zweitälteste Person gesprochen.
IB: Das bin ich.
FF: Okay, danke, dann hat sich das schon erledigt. Schönen Abend noch!
IB: Danke, ebenso.
Verdacht: Alle bekloppt.