Von meinem Wunschzettel! Vielen Dank, beste Serotonic von allen, für „Die Umarmung“ von David Grossman (Ü Michael Krüger. Übersetzt aus dem Englischen. Also echt.)
Ben geht mit seiner Mutter spazieren. Die Mutter sagt Ben, dass sie ihn liebhat, und dass er einzigartig auf der ganzen Welt ist. Ben kommt ins Grübeln: wenn er einzigartig ist, dann ist er auch ganz allein. Meint er. Darüber denken die beiden ein bisschen nach. Aber es gibt ja eine Lösung für dieses Alleinsein, nämlich die Umarmung.
Das ist ganz schön schön. Illustriert ist das ganze von Michal Rovner – ebenfalls schön, aber irgendwie nicht besonders kindgerecht. Ich finde, es könnte ein bisschen bunter sein, ein bisschen positiver; diese Schwarzweiß-Zeichnungen machen die Einsamkeit schon sehr deutlich.
Danke, sero! Ich freu mich sehr! Geschenke sind super.
Boah, puh! Was für ein eigenartiges Buch. Ich-Erzähler Wim Endersson ist Mitte zwanzig und hat das Glück, in CobyCounty zu leben, schon immer: CobyCounty ist eine Art Paradies, es ist immer das Meer zu sehen, es ist scheinbar immer schönes Wetter (nur nicht, wenn es regnet, dann ist immer gleich „Starkregen“, aber der geht schnell vorbei); man hat unverbindliche Affären, und wenn die zu Ende gehen, leidet man halt ein bisschen und geht dann auf eine Tanzparty und betrinkt sich und fängt die nächste unverbindliche Affäre an. Alle arbeiten irgendwie im Kulturbetrieb oder im Tourismus, alle verdienen gutes Geld und sind glücklich und gesund und sehen gut aus und tragen qualitativ hochwertige Frühlingstextilien, denn jetzt wird Frühling. Und Frühling ist in diesem Paradies aus Plastik eine ganze besondere Jahreszeit, es gibt Partys und die schönsten Touristen der Welt kommen, und viele Einwohner von CobyCounty nehmen sich einfach mal zwei Monate frei, und alles ist toll.
Bis es einem immer unbehaglicher wird und immer unangenehmer und geradezu gruselig. Diese ganze Künstlichkeit und Oberflächlichkeit und Fassadenputzerei geht bis in die Sprache hinein, in der dauernd Dinge „relativ“ oder „ziemlich“ oder „fast“ irgendwas sind, und die immer ein bisschen aufgesetzt und künstlich wirkt. Da heißen die SMS dann schon mal Short Message oder Kurznachricht, der Fernseher wird zum TV-Gerät, immer alles ein bisschen unecht.
Es gipfelt schließlich in einem Satz, mit dem Wim seine Mutter beschreibt: „Meine Mutter wird immer ehrlich zu sich selbst sein, denke ich, sie wird sich einfach für immer etwas vormachen.“ Dieser Satz beschreibt ebensogut den Erzähler selbst (hier, ehrliches Sichwasvormachen: „Ich umarme ihn auf meine neue, herzliche Art“) und das ganze CobyCounty – und wenn man es weiterdenkt, trifft es wahrscheinlich sogar in echt auf die meisten Menschen zu, wir sind doch irgendwie alle immer ehrlich zu uns selbst und machen uns immer etwas vor. Was jetzt nach viel schwererem Tobak klingt als das Buch vielleicht ist, aber vielleicht auch nicht. Vielleicht kommt es nur so leicht daher. Huiuiui. Beeindruckendes Buch, und auf jeden Fall eine Leseempfehlung.
Und was Anke sagt: irre gutes Cover. Eine silbern schimmernde Fläche und silbern schimmernde, geprägte Buchstaben. Alles so schön clean hier.
Leif Randt bekommt einen Regalplatz zwischen zwei Lieblingsautoren: Tilman Rammstedt und Elisabeth Rank.
Leif Randt: Schimmernder Dunst über CobyCounty. Berlin Verlag, 191 Seiten. 18,90 €.
E-Book 17,99 €.
UPDATE: Ha! Leif Randt bekommt den Düsseldorfer Literaturpreis. Herzlichen Glückwunsch!
Letzte Woche war ich auf einer Beerdigung in meinem Heimatdorf. Der Vater meiner ältesten Schulfreundin ist gestorben; also niemand, der mir im Alltag fehlen wird, aber jemand, der doch irgendwie auch zu meinem Leben gehört hat. Ich kannte ihn, seit ich sechs Jahre alt war, seine Tochter war jahrelang meine beste Freundin („erstbeste Freundin“), und sie ist die einzige, die mir aus der Schulzeit geblieben ist. Manchmal telefonieren wir zwei Jahre lang nicht miteinander – aber wenn, dann nicht unter drei Stunden. Und es ist immer gleich wieder eine Nähe da.
Mein Heimatdorf ist vier Zugstunden entfernt, ich hatte also viel Zeit zum Lesen. Suna habe ich gelesen. Eine Familiengeschichte; eine Mutter erzählt ihrem Kind die Geschichte ihrer Vorfahren. Auf eine unglaublich innige und zu Herzen gehende Weise.
Dann war die Beerdigung, auf der natürlich ebenfalls Geschichten erzählt wurden. Geschichten, die mit „weißt Du noch“ anfingen. Ich weiß noch, dass der verstorbene Vater seinem Sohn die Beinamen „Erwin Cäsar Tütenfrosch“ gegeben hat, einfach so aus Quatsch. Er war ein großer Quatschmacher, der Vater. Auf der Traueranzeige steht hinter dem Vornamen des Sohnes die Abkürzung „E.C.“, und ich glaube kurz, womöglich heißt er wirklich Erwin Cäsar, und nur ich habe das für Quatsch gehalten. Erwin Cäsar ist ein Adoptivkind, vielleicht hieß er ja schon so, bevor er in die Familie meiner Freundin kam. Erwin Cäsar war außerdem lange Jahre der beste Freund meines jüngsten Bruders. Ich habe nachgefragt, er heißt nicht wirklich Erwin Cäsar, sie haben die Initialen nur als Hommage an den Humor des Vaters mit auf die Trauerkarte geschrieben. Den Tütenfrosch haben sie weggelassen, der wäre dann doch zu dicke gewesen.
Ich habe auch eine Adoptivschwester. Sie führt einen häuslichen Pflegedienst in unserem Dorf und hat den Vater meiner Freundin gepflegt. Nicht sehr lange, aber die paar Tage vor seinem Tod. Er hatte sich gewünscht, dass sie ihn pflegt. Er kannte sie seit dem Tag, an dem sie in unsere Familie kam.
Auf dem Rückweg wieder Suna gelesen. Suna ist auch ein Adoptivkind. Vier Stunden auf der Rückfahrt war ich, von der Trauerfeier schon gehörig emotionalisiert, vollkommen gefangen von diesem Buch und der Familiengeschichte. Dann kam ich nach Hause und habe Maximilians Geschichtsstunde mit seinem großen Sohn gelesen und noch mal Tränen vergossen, nicht die ersten an diesem Tag. Abends im Bett Suna ausgelesen. Und am nächsten Morgen versucht, eine Rezension zu schreiben, in der vielleicht meine Aufgewühltheit rübergekommen ist, ich dem Buch aber bestimmt nicht gerecht geworden bin.
Inzwischen ist eine Woche vergangen, ich habe längst anderes gelesen. Aber an Suna denke ich immer noch. An die Beerdigung und an die Familie meiner Freundin natürlich auch. Vielleicht ist es ganz in Ordnung, wenn sich in meiner Erinnerung das Buch mit der Beerdigung verknüpft, auch wenn die Geschichten gar nichts miteinander zu tun haben.
Maximilian hat das Buch jetzt ebenfalls besprochen. Wir sind uns nicht besonders oft einig, was Bücher betrifft. Diesmal schon. Wer noch überlegt, ob er Suna lesen soll, der lese bitte Maximilians Besprechung. Und dann Suna. Unbedingt. Wirklich.
(Noch eine Besprechung bei der Textzicke.)
Und zwar war ich heute zur offiziellen Buchpremierenveranstaltung von Georg Cadeggianinis Aus Liebe zum Wahnsinn eingeladen, was ganz schön nett war. Der Verlag hat Getränke und Schnittchen und eine wirklich reizende Moderation spendiert, der Autor hat ein Stück vorgelesen, und ansonsten war es einfach ein netter Kneipenabend. Sehr schön. Und dass Maximilian den Abend damit einleitete, dass er den Türgriff der Kneipe abriss und den Laden mit dem Griff in der Hand betrat, lag nur daran, dass er ein Kavalier ist und mir die Tür aufgehalten hat.
So konnte ich mir heute also nicht nur mein Exemplar des Buchs signieren lassen, sondern gleich noch eins dazu, und das verlose ich jetzt: hebt einfach in den Kommentaren den Finger, wenn Ihr das signierte Buch gewinnen wollt. Einsendeschluss ist Mittwoch, der 7. März, nachts um 24.00 Uhr. Es entscheidet der Zufallsgenerator, und dann gebe ich das Buch am Donnerstag, dem 8. März, dem offiziellen Erscheinungstag, in die Post. Wer möchte?
Maximilian Buddenbohm ist von der Verlosung ebenso ausgeschlossen wie der Rechtsweg. Maximilian aus Gründen, der Rechtsweg „so halt“.
Schon wieder eine Lebensgeschichte von jemandem, der eigentlich viel zu jung ist, um seine Memoiren zu schreiben. Allerdings lebt Georg Cadeggianini mit dem Lebensmotto „Complicate your life“ und hat mit Anfang dreißig schon mehr gemacht als die meisten Leute in einem langen Leben hinkriegen.
Als erstes hat er mal mit 22 das erste Kind bekommen. Als es zwei Kinder waren (er und seine Frau studierten noch), sind sie alle zusammen für ein Jahr nach Florenz gegangen. Und weil das so schön war, haben sie dann gleich noch ein Kind und ein Jahr in Edinburgh angehängt.
So weit, so nachvollziehbar, auch wenn die meisten Leute schon dieses Programm nicht durchgezogen hätten. Aber die Cadeggianinis setzen noch einen drauf und gehen mit vier Kindern für ein Jahr nach Israel, nach Tel Aviv, wo Georg, der inzwischen neben den Kindern noch irgendwie sein Philosophie-Studium beendet hat, als Journalist aus dem Gazastreifen berichtet. Da wird es dann schon ein bisschen heftiger, ich weiß nicht, ob ich mit vier Kleinkindern in ein Krisengebiet gehen würde. Und es mit so viel Humor nehmen. (Quatsch, natürlich weiß ich das. Ich würde ja nicht mal allein hingehen.)
Schließlich kommt ein etwas plötzlicher Bruch in dem Buch, auf einmal sind es sechs Kinder, die Familie lebt wieder in München, und Georg arbeitet zwei Wochen pro Monat in Hamburg. Und hat ein schlechtes Gewissen, obwohl er schlechte Gewissen doof findet. Aber das ist quasi schon der Epilog.
Es gibt also eine Menge zu erzählen, und das liest sich alles schön fluffig so weg, mit vielen guten Lachern drin. Macht wirklich Spaß, und außerdem mag Cadeggianini keine Bananen, sehr sympathisch, die seien nämlich „die Fischstäbchen unter den Obstsorten“ (S. 165) – Kinder finden sie lecker, Eltern finden sie praktisch, aber wenn man erwachsen ist, reicht’s dann auch mal mit dem Zeug – lässt sich aber in Edinburgh schon mal einen Schokoriegel frittieren: „Ein Polterabend der Extreme. Eine Übertreibung in alle Richtungen. Die Zunge weiß kaum, wohin mit sich. Leben – deep fried.“ (S. 164) Yes! Das kann man dann gleich mal für das ganze Buch so stehenlassen.
Cadeggianini kommt im Regal zwischen Robert Burns und Bernd Cailloux.
Georg Cadeggianini: Aus Liebe zum Wahnsinn. Mit sechs Kindern in die Welt. Fischer Taschenbuch, 287 Seiten. 9,99 €
E-Book 8,99 €