Es ist kompliziert

Ein Gastbeitrag von Susanne Dirkwinkel

„Es ist kompliziert“: Dieser Satz beschreibt die Beziehung zwischen mir und meinem Klavier wohl immer noch am besten. Wir arbeiten daran, dass es weniger kompliziert wird und deswegen geht es diese Woche in die Werkstatt.

In der Zwischenzeit kann ich die Geschichte dazu erzählen.
Klavierunterricht war in meinem Falle eine freiwillige Angelegenheit. Ein ausdrücklicher Wunsch sogar. Der erste Unterrichtsversuch war zwar eine Katastrophe und das erste Instrument kein Klavier, sondern ein Zustand in Form einer elektronischen Heimorgel. Aber irgendwann stiegen meine beiden Schwestern mit ein, ein echtes Klavier kam ins Haus und wir zu einem richtigen Lehrer.
Das ging so bis zur Oberstufe. Dann, nach dem Abitur, kam ein großes, schwarzes Loch. Kein Klavier mehr, kein Unterricht mehr; keine nennenswerte Verbindung mehr zum aktiven Musizieren. Zehn Jahre lang.

Bis zu dem Tag, an dem ein Freund zu mir diesen Satz sagte: „Ich finde, in jedem Haushalt sollte ein Instrument stehen.“ „Klick!“, machte es bei mir, und von jetzt auf gleich wollte ich wieder ein Klavier haben.

Ich fing an zu suchen und fand. Es war Liebe auf den ersten Ton. Aber es war kompliziert, denn etwas war unterbrochen zwischen meinem Kopf und meinen Händen. Ich konnte nicht spielen, was ich hören wollte. Das hatte nichts mit übertriebenem Ehrgeiz zu tun. Alles, was ich wollte, war, mich ausdrücken können und mir selbst nicht wehtun dabei. Das klappte nicht. Egal, was ich versuchte.

Über lange Zeit blieb das so, und es gab immer wieder Phasen, in denen ich monatelang keinen Ton spielte. Dennoch, nie wäre mir in den Sinn gekommen, das Klavier wieder wegzugeben. Ich ahnte: Es ist eine Frage des richtigen Zeitpunkts und es fehlt noch etwas. Eines Tages finde ich es vielleicht.

Und dann, am 30. Jahrestag des Starts der Voyager 1-Mission, saß ich mit Frau F. im Planetarium und sah einer nicht ganz unprominenten Dame dabei zu, wie sie am Flügel mein Lieblingsklavierstück zerholzte. Ich hatte das Stück lange nicht gehört und noch länger nicht versucht, es zu spielen. Trotzdem sprang während dieser fragwürdigen Performance ein ebenso ketzerischer wie absurder Satz in meinen Kopf: „Das könntest du besser!“ Technisch nie, aber vom Gefühl her.

Wenige Minuten später sahen wir eine Projektion der Voyager 1-Sonde an der Sternenkuppel und hörten dazu ein Musikstück, das absolut perfekt dazu passte und mir anschließend tagelang nicht mehr aus dem Kopf ging. Ich bemühte meinen damaligen Kontakt beim Planetarium, bekam Interpret und Titel genannt und begab mich auf die Suche. Ich stellte sehr schnell fest, dass die gehörte Version des Stücks mit dem treffenden Titel „Numero Uno“ offenbar nur auf einer CD enthalten war. Ein Blick auf die Tracklist: Ok, Du hast mich. Es gibt noch mehr davon? Gekauft.

Lieferung abwarten. Anhören. Nochmal anhören. Und nochmal. Und wieder. Dabei bei einem der Stücke wieder einen Satz im Kopf haben. Einen, den ich jahrelang nicht gedacht hatte. „Ob es dazu wohl Noten gibt?“

Es gab. Rund drei Wochen nach dem Abend im Planetarium versuchte ich mich zum ersten Mal an Ludovico Einaudis „Le Onde“.

Dann hat es, und hier muss ich abkürzen, noch einmal 5 Jahre und 10 Monate gedauert, bis der letzte Knoten platzte, ich es endlich mit Schwung durchspielen konnte und bis aus Tastengestolper so etwas wie Musik wurde. Diesmal mit einem „Klick“, der, wenn es dort ein Ohr dafür gibt, vermutlich irgendwann noch im interstellaren Raum zu hören sein wird. Da ist Voyager 1 nämlich gerade.

Dummerweise ist es genau deshalb immer noch ziemlich kompliziert. Aber wir arbeiten dran, mein Klavier und ich, und wenn es aus der Werkstatt kommt, geht das auch endlich 24/7. Den Nachbarn zum Trotze.

Fortsetzung folgt.

Wolfenbütteler Gespräch 2014

Im späten Frühjahr findet die Jahrestagung des Übersetzerverbands statt, seit elf Jahren in Wolfenbüttel. Es gibt Workshops, Vorträge, ein Lesefest, eine Party und was das Übersetzerherz sonst begehrt. Normalerweise geht es von Freitag bis Sonntag, dieses Jahr einen Tag länger, weil der VdÜ außerdem seinen 60. Geburtstag feierte. Und wer konnte schon wieder nicht dabeisein? Ich. Menno. (Ich war stattdessen „kurz mal eben“ auf einer Hochzeit in Schottland, das ist also ein „Menno“ auf hohem Niveau.)
Aber Jenny Merling war da, und zwar zum ersten Mal, und deswegen tut es mir doppelt leid, nicht dabeigewesen zu sein: weil ich ihre Begeisterung nicht live mitbekommen habe. Hier ist ihr Bericht:

***

Dieses Jahr war ich das erste Mal auf der Jahrestagung der Literaturübersetzer, dem „Wolfenbütteler Gespräch“. Ich übersetze seit drei Jahren, bin also noch nicht sehr lange dabei, und war entsprechend aufgeregt und gespannt, wie es wohl werden würde. Würde ich mich inmitten der „Großen“ überhaupt wohlfühlen? War das Ganze eine Party und ich außen vor? Oder würde es eine ernste Angelegenheit werden, bei der man sein Können unter Beweis stellen muss, um dazugehören zu dürfen?
Von manchen Teilnehmer*innen hatte ich lediglich den Namen schon mal gehört; andere kannte ich schon und hatte mich so auf das Wiedersehen gefreut, dass ich ihnen einfach um den Hals fallen musste; manche (so wie die Übersetzerin, der ich mit einem Augenzwinkern die beiden Semikola in diesem Satz widme) kannte ich vorher nicht, erfuhr dann, dass sie einen meiner Lieblingsautoren übersetzt hatten, und konnte kaum fassen, wen ich da tatsächlich vor mir hatte.
Meine Sorgen stellten sich als völlig unbegründet heraus. Es kam ganz schnell der Eindruck auf: Egal, ob man sich kennt oder nicht, egal, wie verschieden wir sind, egal, wie stark die Sympathie ist, da ist immer dieses Band zwischen allen Anwesenden, weil wir alle das gleiche machen und lieben. Das mit dem „machen“ trifft vielleicht auch auf jede andere berufsspezifische Tagung zu, das mit dem „lieben“ wohl nicht immer. Es ist schon eine besondere Stimmung. Man ist nicht in allem einer Meinung, hat teilweise ganz unterschiedliche Übersetzungsmethoden und Herangehensweisen an Literatur, aber man gehört zusammen. We are family.
Genauer betrachtet ist es aber eigentlich noch viel besser als Familie, wo man ja nicht vorher gefragt wird, ob man dabei sein will. In Wolfenbüttel waren wir nicht bunt zusammengeworfen, weil wir etwas miteinander teilen, das uns von äußeren Umständen willkürlich übergeholfen wurde, sondern wir waren alle aus Überzeugung da, weil uns eine Sache verbindet, die wir uns ausgesucht haben. Wir alle lieben Übersetzen und niemand war zufällig auf dieser Tagung. Das ist vielleicht zum Teil das Geheimnis? Ich habe mich dabei ertappt, während der Workshops die Tischreihen entlangzusehen, in die Gesichter von Leuten, die ich erst seit kurzem kenne oder schon länger, und zu denken: „Ich weiß vielleicht nicht viel über dich, aber die Tatsache, dass dir Übersetzen so viel bedeutet, dass du Übersetzer*in geworden und heute hier dabei bist, heißt für mich, dass wir eine mir sehr wichtige Sache gemeinsam haben, und das macht mich froh.“ Und dann unauffällig nach einem Taschentuch kramen musste.
Überhaupt: Die Workshops. Beim gemeinsamen Übersetzungssudoku („Ja, das Wort passt auf den ersten Blick hier wirklich gut, aber das haben wir in der Zeile schon mal, tut mir leid.“), fragte man sich vielleicht gelegentlich: „Nerve ich eigentlich die anderen gerade, wenn die gern weiter im Text wollen, ich aber den 27. Vorschlag mache, wie man den Satz umstellen könnte, damit er noch besser, rhythmischer, wasauchimmer klingt?“ Doch aus dem Chaos sprach dann eine Stimme zu einem, die sagte: „Ja, du nervst gerade total, aber lächle und sei froh, denn hier darfst du das, hier bist du unter deinesgleichen.“ Man erinnerte sich wieder daran: Ich kann ja nichts dafür, dass ich so verliebt ins Übersetzen bin, ich bin’s nun mal. Und mit einer Mischung aus fast lutherhafter Gewissheit, das Richtige zu tun, und columbomäßiger Gelassenheit meldete man sich schon wieder. „Entschuldigung, eine ganz kleine Frage hätte ich da noch …“
Auf die Arbeit folgte das Vergnügen, es wurde zusammen gegessen, getrunken und auch sehr lange und ausgiebig getanzt. Ich habe selten mehr Spaß gehabt als inmitten dieses einerseits so gebildeten, ernstzunehmenden und andererseits so ausgelassenen, liebenswürdig-verrückten Haufens.
Wir alle waren auf dieser Tagung, weil wir Lust auf die Workshops und auf die Leute und aufs Feiern hatten. Und es war eine Tagung, während der es – zumindest für mich – die Außenwelt mit ihrer doofen Realität und Geld und Stress nicht gab. Everything was translation and nothing hurt. Immer wieder diese Dankbarkeit gegenüber denjenigen, die sich das alles ausgedacht, organisiert und veranstaltet haben. Und auch immer wieder dieser Respekt und die Bewunderung gegenüber anderen Übersetzer*innen: Wie machen die das so gut? Wie geht das? Das ist doch alles völliger Wahnsinn. Angesichts des Könnens mancher Menschen bin ich ebenso davon fasziniert, dass sie aus einer Sprache übersetzen, die ich nicht spreche, wie von der Tatsache, dass sie in dieselbe Sprache übersetzen, die ich spreche. Aber – und das ist das wirklich, wirklich Wertvolle und Wunderbare für mich bei allen Zusammenkünften dieser Art, sei es ein E-Mail-Austausch mit lieben Kolleginnen zu aktuellen Übersetzungsherausforderungen, seien es die wundervollen Straelenseminare – nie lässt mich der Kompetenzgraben, der sich teils tatsächlich, teils vielleicht nur von mir persönlich so wahrgenommen zwischen „den anderen“ und mir manchmal auftut, wirklich verzweifeln. Denn immer fühle ich mich beim Aufeinandertreffen mit anderen Übersetzer*innen auch gleichzeitig so angekommen, so getragen von dem Gefühl: Hier gehöre ich hin. Hier will ich nicht mehr weg. Übersetzen ist mein Ding. Und in Wolfenbüttel war es nicht anders. Ich habe so viel Herzlichkeit erlebt, ich wurde so freundlich auf- und angenommen! Literaturübersetzer*innen sind einfach die besten – das behaupten zwar viele von sich, aber hier stimmt’s nun mal wirklich, jetzt mal absolut objektiv und hundertprozentig rational betrachtet.
Und dann die Erkenntnis: Ich darf da mit rein, ich darf aus dem „die“ ein „wir“ machen.

Wir waren da, weil uns eine gemeinsame Sache sehr am Herzen liegt, weil uns etwas verbindet und wir diese Verbindung (und auch ein bisschen uns selbst) feiern wollten. Nein, Wolfenbüttel versank nicht im Schlamm. Ja, nur wenige unter uns haben in Schlafsäcken übernachtet. Und der Nacktheitsfaktor war eher gering (wobei man das mit der richtigen Einstellung sicher auch noch ändern kann!). Aber es war ein Fest Gleichgesinnter, es fand im Sommer statt und es war viel Liebe dabei. Deshalb sage ich: Dass beide mit den gleichen Buchstaben anfangen, ist sicher kein Zufall – Wolfenbüttel ist Woodstock für Übersetzer.

Gastbeitrag: Von wegen vegan (2)

von Jenny Merling, die seit fünf Tagen versucht, sich vegan zu ernähren und vom ersten Tag schon hier berichtet hat.

***

Die letzten Tage waren überraschenderweise völlig problemlos und entspannt, was das Essen anging.

Ich habe Sojamilch für mich entdeckt, die sich geschmacklich tatsächlich sehr von Getreidedrinks unterscheidet und mir endlich wieder Kaffee (nach Isas Text zum Thema natürlich nicht mehr ganz ungetrübt, trotz Bio- und fair-trade-Siegel) und Oatmeal ermöglicht haben. Vielen, vielen Dank für die Tipps, was Süßigkeiten, Sojamilch und Brotaufstriche angeht. Über diese Inspiration haben der Mann und ich uns sehr gefreut und zumindest in Bezug auf die Sojamilch hat es sich auch schon sehr gelohnt. (Habe damit gestern auch einen Pudding gekocht, der natürlich nicht 100% wie ein mit Kuhmilch hergestellter geschmeckt hat, aber wirklich in Ordnung war. Und vor allem brennt Sojamilch natürlich sehr viel schwerer an als „normale“ Milch. Für mich als notorische Milchanbrennerin bzw. Topf-aus-Panik-zu-früh-von-der-Platte-Nehmerin herrlich.)
Außerdem habe ich Soja-Fruchtjoghurt probiert und als lecker befunden. Und an dieser Stelle würde ich auch gern ein kurzes Loblied auf die veganen Brotaufstriche singen, die ja von vielen eher abgelehnt werden. Fast alle, die ich bis jetzt probiert habe, fand ich toll. Ich hab mich bei DM durch’s Alnatura-Angebot gegessen und kann sowohl die Sorte „Toskana“ als auch „Paprika-Nuss“ und sowieso alles mit „Curry“ im Namen empfehlen. Ganz ehrlich. Schmecken (zumindest mir) wie diese mediterranen Aufstriche, die man sich beim Türken oder Griechen auf dem Markt kauft. Davon mehr oder weniger zu leben – kein Problem für mich! Aber das nur nebenbei.

Ich habe bis auf meinen Süß-Appetit am Anfang, den ich ja dann auch stillen konnte, nichts vermisst die letzten Tage. Ich hatte keinen Heißhunger auf irgendwas, was nicht vegan war. Da wir uns vorher mit Lebensmitteln gut ausgestattet hatten, habe ich gegessen, wenn ich Hunger hatte, und war’s hinterher auch zufrieden. Eine wirkliche Umstellung war nur am ersten Tag zu spüren, danach habe ich nicht mehr oder weniger ans Essen gedacht als sonst. Was natürlich auch der Kürze der Zeit geschuldet sein kann, weil ja heute erst mein 5. veganer Tag war. Das kann sich noch ändern.
Ich hatte also das Gefühl, meine Probleme hätten sich mit dem Kauf von Sojamilch und ein paar veganen Süßigkeiten eigentlich erledigt, und war positiv gespannt darauf, wie es dann die nächsten Wochen werden würde.

Bis ich heute beim Yoga zusammengebrochen bin. (Ja, der neue Absatz war aus Gründen der Dramatik. Danke für das kollektive Aufstöhnen.)
Natürlich war es nicht sooo schlimm, aber es war auch nicht gut, und es hat mich vor allem sehr nachdenklich gemacht.
„Zusammengebrochen“ nicht im Bezug auf meinen Kreislauf, sondern eher wörtlich: Eben war ich noch auf Händen und Knien, im nächsten Moment lag ich unfreiwillig auf dem Boden und hatte das so nicht geplant. Es gibt ja in solchen Fällen manchmal diesen kurzen Moment, in dem man sich denkt: „puh, ich komm nicht mehr hoch“, aber gleichzeitig weiß man genau, na klar komm ich wieder hoch, wenn ich will. Es ging bei mir dann aber leider über diesen Moment hinaus, ich lag da und dachte, „nein, ich komme wirklich nicht wieder hoch“. Weder der Gedanke daran, dass das gerade ein bisschen peinlich war, da einfach rumzuliegen, während der Rest des Kurses weiter Übungen macht, noch pure Willenskraft haben mich hochbekommen. Ich hatte einfach das Gefühl, überhaupt kein bisschen Kraft mehr zu haben. Von einem Moment auf den anderen. Das hatte ich noch nie, nicht mal in meiner allerersten Yoga-Stunde. Arme und Beine haben einfach nachgegeben und ich lag dann also da. Irgendwann ging es mir doch wieder ein bisschen besser und ich hab mich aus dem Kurs und nach Hause geschleppt. Jetzt scheint auch alles wieder in Ordnung zu sein. Aber es hat mir Angst gemacht.

Auf dem Weg nach Hause habe ich darüber nachgedacht, woran es wohl liegen könnte. Natürlich gibt es verschiedenste mögliche Gründe, gestern Abend ist es ganz schön spät geworden, man hat mal einen schlechten Tag etc. Nur habe ich so was eben noch nie erlebt, auch nicht an „schlechten“ Sporttagen. Und da kam mir auf einmal das Wort „Mangelernährung“ in den Sinn. Natürlich lebe ich erst seit 5 Tagen vegan, da kann also noch nicht viel Schlimmes passiert sein, ich bin ja nicht schon seit 18 Wochen auf einem Schiff unterwegs und habe außer Zwieback nichts zwischen die Zähne gekriegt. Will das Ganze also nicht dramatisieren. Aber ich muss mir eingestehen, dass ich an dieses Vegan-Experiment vollkommen ohne Vorbereitung herangegangen bin, ich habe vorher nicht überlegt/mich informiert, worauf ich achten muss, ob ich überhaupt auf etwas achten muss.
Im Zuge dieser Überlegungen fiel mir auch auf, dass ich diese Woche fast nicht übersetzt habe. Montag ging es noch, ab Dienstag war es aufgrund von Konzentrationsmangel schlichtweg nicht möglich. Ich hatte zum Glück noch „leichtere“ Arbeiten wie Korrekturlesen, die ich stattdessen machen konnte, aber Übersetzen war einfach nicht drin. Ich habe es versucht, aber kaum einen Satz zustande bekommen. Da dachte ich mir dann auch nur, na ja, schlechter Tag, hat man mal, morgen geht’s wieder besser. Ging’s nur leider nicht. Und heute fiel mir dann auf, dass da vielleicht ein Zusammenhang bestehen könnte zwischen der neuen Ernährung und dem Fehlen von körperlicher und geistiger Kraft.

Ich bin davon nicht überzeugt und wahrscheinlich hatte das alles eine ganz andere Ursache und nichts mit meiner Ernährung zu tun. Normalerweise würde ich das einfach die nächste Woche noch beobachten und versuchen, herauszufinden, ob es nur eine Durchhängerwoche war, die man ja mal haben kann, oder ob ich tatsächlich von irgendetwas zu wenig aufgenommen habe, um dann zu sehen, wie ich diese Dinge durch mehr Vitamine/Eisen/was weiß ich kompensieren kann. Nur habe ich für meine aktuelle Übersetzung einen so engen Zeitplan, dass ich mir nicht noch ein, zwei Wochen aus- und herumprobieren leisten kann. Ich muss jeden Tag eine bestimmte Anzahl Seiten übersetzen und daran lässt sich leider nichts ändern.
Weshalb ich das Projekt „Veganer Monat“ hiermit abbreche. Wenn ich wieder einen normaleren Arbeitsplan habe, der nicht sieben Tage die Woche Übersetzen vorsieht, und ich mir auch mal eine Woche leisten kann, in der ich nicht alles schaffe, was ich schaffen wollte/musste, werde ich das Experiment wieder aufnehmen. Davor aber auf jeden Fall recherchieren, worauf ich achten muss.

Danke für die Kommentare und Komplimente und Tipps. Wenn es soweit ist, werde ich hier bei Isa dann wieder berichten.

Gastbeitrag: Von wegen vegan

Hurra! Die beste Jenny von allen und ihr Mann machen einen Selbstversuch und wollen einen Monat lang vegan leben. Wie das so läuft, wird sie hier gelegentlich berichten. Ich freu mich sehr – dass sie es versuchen wollen (ich bin ja noch zu bequem dazu), und dass sie uns hier teilhaben lassen. Here goes:

***

Von wegen vegan
von Jenny Merling

Tag 1 (08.04.)

Hochmotiviert sieht anders aus, ich geb’s zu. Es ist eher ein vorsichtig-freundliches Entgegensehen. Dem veganen Monat nämlich, auf den gemeinsam durchzustehen der Mann und ich uns gestern die Hand gegeben haben. Wir wollen einfach wissen, wie es ist. Wollen es mal gemacht haben. Meine Erwartungen sind einige frustrierende Momente, aber meine Hoffnung ist auch eine Bereicherung des Speiseplans und ein generelles ernährungsbezogenes Umdenken. Weil Umdenken und neue Erkenntnisse ja eigentlich immer gut sind.

Wir haben uns als Rezept-Inspiration „Vegan for fit“ von Attila Hildmann gekauft. Die Rezepte darin klingen gut (und was wir bis jetzt ausprobiert haben, schmeckt auch); die Philosophie hingegen kann ich nicht gut ertragen, wenn ich ehrlich bin. Ich finde die Attitüde dieses Buchs zu verbissen, was vielleicht daran liegt, dass es dem Autor stark um Gewichtsreduktion dank veganer Lebensweise geht. Vor dem Kapitel mit den Rezepten für vegane Desserts erfolgt beispielsweise noch einmal die Erinnerung des Autors, dass ein Dessert eine Belohnung darstellt und eine Belohnung gibt’s nur, wenn man davor Sport gemacht hat. Das regt mich auf. Ich will ein Dessert essen, weil ich da Lust drauf habe, ich finde die Vorstellung gruselig, mir mein Essen „verdienen“ zu müssen. Der Mann nimmt’s – Überraschung! – gelassener. Aber gut.

Zum Frühstück gibt’s heute Sojajoghurt mit Amaranth und Kokoschips, gesüßt mit Agavendicksaft, dazu Banane und Heidelbeeren. Das Rezept ist aus „Vegan for fit“, schmeckt super, der Mann und ich haben es schon ein paar Mal gegessen, leckeres Frühstück. Doch dann die erste Hürde: der Kaffee. Den ich immer mit Milch trinke. Nun also stattdessen mit Haferdrink. Ich rechne mit dem Schlimmsten, koste, finde die Angst bestätigt, und überlege kurz, ob ich vielleicht ganz auf den Kaffee verzichten sollte. Dann übernimmt aber mein innerer Homer Simpson, der sich ja bekanntlich auch gern gegen die vernünftige Variante entscheidet und einstmals seinen Durst lieber mit Krabbensaft als mit Wasser löschte, und ich stürze den Haferdrink-Kaffee. Woraufhin es mich vor Ekel aktiv durchschüttelt. Werde die Vielfalt der Soja- und Getreidedrinks noch ein bisschen erkunden. Habe generell ein Problem mit diesem leicht nussigen Beigeschmack, um den man bei Getreidetrinkprodukten aber wohl nicht herumkommt, da kommen harte Zeiten auf mich zu.
Der Mann trinkt seinen Kaffee vergnügt schwarz. Der hat’s gut.

Als Snack gibt’s am Vormittag zwischendurch Birne und Möhre sowie eine Scheibe selbstgebackenes Brot mit Paprika-Nuss-Aufstrich (von DM und sehr lecker).

Zum Mittag ein Rezept aus dem Internet: Quinoa-Salat mit Walnüssen, Radieschen, Frühlingszwiebeln, Erbsen und Schalotten. Da wir keinen Quinoa auftreiben konnten, haben wir das Ganze stattdessen mit Wildreis gemacht. Der Salat klang gut, frisch, frühlingshaft, ungewöhnlich. Stattdessen die ebenso überraschende wie bittere Erkenntnis für mich: This is what evil must taste like. Also noch eine Scheibe Brot mit Paprika-Aufstrich.

Mein Problem am Nachmittag: Ich bin leidenschaftlicher Snacker. Fünf Seiten übersetzt, Kopf leer, Bauch grummelig, zwei Kekse eingefahren, weiter geht’s. So läuft das normalerweise bei mir. Statt Keksen gern auch mal Lakritze oder diese Schlümpfe, die einem noch eine Stunde später in Teilen an den Backenzähnen hängen. Ich bin da flexibel, ich bin da nicht so, die Auswahl ist ja groß. Bis gestern.

Heute ist das Schlumpf-Lakritz-Keksregal tabu. Das krieg ich auch so hin, denke ich noch. Schiebe mir in der Kopf-leer-Pause einen Riegel Sesamkrokant ein (schmecken die bei anderen auch immer ein bisschen schimmlig oder liegt das an mir?). Und esse gegen den unweigerlich um den Nachmittag herum einsetzenden Süß-Appetit eine Kiwi. Hm. Netter Versuch, Obst. Und jetzt? Die Kiwi hilft tatsächlich eine Weile, wenn ich ehrlich bin. Aber eben nicht so, wie ich mir das vorstelle. Also ohne Süßkram weiterarbeiten? Ohne Süßkram weiterarbeiten.

Um 17:30 Uhr stehe ich mit irrem Blick bei Rossmann vorm „gesund“-Regal und lese mich durch die Zutatenliste jeglicher Produkte, die auch nur im entferntesten süß klingen. Nichts. Überall ist Molkepulver oder was ähnliches drin. Da erspähe ich Quinoa-Kekse mit Zartbittercreme. Der geschulte Konsument erkennt in der Füllungsbeschreibung natürlich sofort eine diplomatische Formulierung für „soll nach Schokolade klingen, hat aber eigentlich nichts damit zu tun“. Ich greife geradezu siegestrunken nach der Packung und scanne die Rückseite. Kein Milchpulver, nur Kakao (sogar fair trade!), Pflanzenfett, alles super. Doch da. Ha! Honig. Honig ist ein tierisches Lebensmittel. Aber nun ja, denke ich, muss man denn päpstlicher sein als … Aber nee. Ich kann nicht schon am ersten Tag schummeln. Ich sinke in mich zusammen und schleppe mich zur Kasse, links einen Reisdrink, rechts einen Dinkeldrink in der Hand.
Zu Hause kippe ich grimmig eine Packung Edel-Nuss-Mix und eine Tüte getrocknete Cranberries zusammen. Ja, ist ja lecker. Ich geb’s zu. Aber bei Gott, Kekse sind was anderes.

Abends dann Brot mit Curry-Mango-Streich, Tomaten und Bulgursalat. Das einzige Manko: Heute nichts Warmes gehabt.

Wie oft man an Sachen denkt, sobald man sie nicht mehr „darf“. Fühle mich wie damals, als ich mit dem Rauchen aufgehört habe. Das war für alle Beteiligten eine recht … intensive Zeit. Aber damals isses irgendwann besser geworden und das muss auch hier so sein. Sag ich mir.

Heutiger negativer Aspekt für mich: Die Sache mit dem Kaffee. The need is strong in this one. Morgen neuer Versuch mit dem von Isa empfohlenen Reisdrink. Wünscht mir Glück.

Heutiger positiver Aspekt für mich : Kiwis helfen tatsächlich ein bisschen über den Süß-Appetit hinweg.

Motivation: 7/10

Zitat des Mannes zum heutigen Tag: „Außerhäusisch kommt man bei ausreichendem, jedoch unspezifischen Appetit schnell an den Punkt, den Gang durch eine Einkaufspassage als Vor-der-Nase-Dengeln von Köstlichkeiten wahrzunehmen, die man aber nicht essen darf. Menno! 
Andererseits würde ich es nicht als unerstrebenswert erachten, in eben diesem Aspekt etwas duldsamer und weniger impulsiv zu werden. Und wenn das auch nur heißt, eben doch das (vegane oder irgendwann mal wieder nicht-vegane) Mitgebrachte zu essen, auch wenn was anderes einen anlächelt.“
Motivation: 7/10

Post!

von Jenny Merling

Hab gerade beim Übersetzen „Aber es gibt Millionen von Gründen, die dazu führen können, dass man zum Außenseiter wird“ in „Aber es gibt Millionen Gründe, aus denen man zum Außenseiter werden kann“ geändert und dachte – Mama Isa wäre stolz auf mich. :) Nicht umsonst giltst du ja als Helmut Markwort der Übersetzerbranche:

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(Foto: Stefan Groenveld)

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Danke sehr, Jenny! Ich freu mich ja, wenn Leute beim Straffen und Kürzen an mich denken. (Wenn sie mich allerdings mit Markwort in Verbindung bringen, nun ja. *hust*)

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Das letzte Komma kriegt man übrigens auch noch weg: „Man kann ja aus Millionen Gründen zum Außenseiter werden.”
Ich sollte mich „Comma Killer“ nennen. Meine Hymne hätt ich dann schon.

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