Das hätte ich vor ein paar Jahren auch noch nicht gedacht, dass ich mal mit Maximilian zusammen zum Zahnarzt gehen würde. Na gut, wir waren nicht „beim Zahnarzt“, keiner von uns wurde behandelt, aber wir waren beim Zahnarzt. Und zwar bei meinem, zu dem ich gehe, seit ich in Hamburg wohne. Ein entspannter, freundlicher und immer vergnügter Mensch, und dann hat er auch noch Frau Krause, die beste Praxisorganisatorin der Welt, die ebenfalls immer gut gelaunt ist. Und ich habe noch nie länger als fünf Minuten gewartet. Ende der Zahnarztwerbung.
Bitte hier entlang, man kann das gut lesen, tut gar nicht weh.
Ein Gastbeitrag von meiner Kollegin Gesine Schröder, die einen Leserbrief beantwortet. Und die Antwort ist so toll, dass ich sie hier gern veröffentliche:
Leserbrief zur Übersetzung von Louise Erdrich: Das Haus des Windes. (Berlin: Aufbau 2014)
Liebe Frau Schröder, mir hat das Buch in Ihrer Übersetzung wunderbar gefallen – es hat so eine besondere Stimmung, die berührt und es einem warm ums Herz werden lässt. Eine Freundin von mir bemängelte dann, dass Sie in einem Dialog den Ausdruck „… auf jeden …“ für „auf jeden Fall“ verwenden, was doch ein typisch Berliner Ausdruck der 2000er Jahre sei und nicht nach Amerika passe. Mir fällt kein Argument ein, das ich ihr entgegnen könnte – vielleicht, wenn Sie Zeit haben, geben Sie mir einen Tipp.
Einen herzlichen Gruß,
XY
Liebe Frau Y,
ich freue mich über diese sehr interessante Frage. Die kurze Antwort lautet: „Auf jeden“ ist tatsächlich problematisch. Es sollte nicht passieren, dass sich jemand beim Lesen plötzlich in die Nullerjahre nach Berlin versetzt fühlt. Ich hoffe natürlich, dass es nicht vielen Leserinnen und Lesern so gehen wird (mir persönlich kommt der Ausdruck nicht so eng regional oder zeitlich gebunden vor), aber die Vokabel birgt zumindest das Risiko. Vielleicht hätte ich etwas anderes dafür finden sollen.
Vielleicht! Damit beginnt die lange Antwort. Ihre Frage verweist nämlich auf ein grundlegendes Problem. Ihre Freundin bemängelt, der Ausdruck „passe nicht nach Amerika“. Das ist wahr, aber das gilt auch sonst für die überwältigende Mehrzahl unserer deutschen Ausdrücke und Vokabeln. Sie sind eben der deutschen Geschichte und Kultur entsprungen, verweisen auf deutsche Erinnerungen, Seelenzustände und Assoziationsräume. Wie soll man die jemals zu einem amerikanischen Roman zusammenfügen?
Erste Möglichkeit: Man versucht sich an irgendwie „neutrale“ Ausdrücke zu halten. Meine sehr geschätzte Kollegin Esther Kinsky bezweifelt in ihrem Übersetzer-Essay „Fremdsprechen“ (2013 in Buchform erschienen) allerdings, dass selbst (oder gerade) die einfachsten Wörter des täglichen Lebens sich restlos befriedigend übersetzen lassen: Das deutsche Wort „Brot“ zum Beispiel weckt bei uns Kindheitserinnerungen an herbsüße Düfte, die einmal durchs ganze Haus gezogen sind, und lässt uns an Assoziationen wie Brotkanten, Butterbrot, hartes Brot, Abendbrot usw. denken. Das amerikanische „bread“ dagegen – na ja, vielleicht kennen Sie es ja. In dem Sinne „passt“ nicht einmal das Wort „Brot“ in einen amerikanischen Roman. (Das ist allerdings nicht der Grund, warum „Frybread“ bei mir „Frybread“ geblieben ist; das ist wieder eine andere Geschichte.)
Aber darum soll es hier nicht gehen, so wichtig der Gedanke auch ist. Man könnte sich ja zumindest außerhalb des Grundwortschatzes an Ausdrücke zu halten versuchen, die nicht allzu spezifisch an deutsche kulturelle Hintergründe denken lassen. Das wird aber schon da wieder schwierig, wo viel geflucht wird. Beim kurzen Überfliegen finde ich in meiner Übersetzung schon „Schiss haben“, „Scheiß drauf“, „so ein Scheiß“ und viele andere Schimpfwörter, die ganz und gar nicht nach Amerika passen – mit Ausnahme von „shit“ fluchen die Amerikaner nämlich eher genital (fucking, fuck you, go fuck yourself, you prick, you cunt etc.) und nicht anal, wie wir Deutschen es vorwiegend tun. Kundige Sprachbeobachter könnten also auch dieses Schimpfverhalten beanstanden.
Das bringt mich zur zweiten Option: Man könnte versuchen, das Vokabular der Übersetzung so amerikanisch wie nur möglich zu wählen. Dazu gibt es inzwischen weit vielfältigere Möglichkeiten als noch vor ein paar Jahrzehnten; unzählige Übersetzungen und Filmsynchronisationen (vor allem die!) haben das deutsche Publikum an viele Ausdrücke und Wendungen gewöhnt, die entweder direkt aus dem Englischen übernommen wurden (Beispiele aus meiner Übersetzung: Mom, Dad, hey, hi, cool, Shit) oder sich ganz eng daran anlehnen und im Deutschen ungewöhnlich, aber akzeptiert sind (Beispiele: „heilige Scheiße“ [holy shit], „Spar dir deine Scheißnieren lieber für mich auf“ [your damn kidney], „… steht da plötzlich im verdammten Supermarkt“ [in the fucking supermarket]).
Auch dabei ist allerdings Vorsicht geboten: Mancher hat auch schon Flüche wie „Fuck!“ oder „dieser verfickte …“ in seinen Sprachschatz aufgenommen (was hervorragend nach Amerika passt), aber das sind eher ganz junge Leute. In einem Roman, der in den achtziger Jahren spielt, sind diese Vokabeln hochriskant: Sie könnten Louise Erdrichs Provinzjungs für die deutschen Leserinnen und Leser meines deutschen Textes wie hippe, kosmopolitische Großstädter klingen lassen. „Kein schlechter Move“ und „Oh, Shit“ habe ich trotzdem verwendet, auch wenn sie in den späten Achtzigern vermutlich nicht gängig waren – ich gehe davon aus, dass der „nach Amerika passende“ Aspekt hier überwiegt, dass man sie also wie „Mom“ und „hey“ der Herkunft der Figuren zurechnet und sich nicht daran stört.
Solche Amerikanismen können aber nicht das allein tragende Element bei dem Wortschatz der Romanfiguren sein, schon deshalb nicht, weil ich das erreichen möchte, was Sie freundlicherweise geschrieben haben, dass eine der Text nämlich „berührt“ und man sich mit den Protagonisten identifizieren kann. Dazu dürfen die Figuren nicht klingen wie Klischee-Amis aus der Actionfilm-Synchronisation. Sie müssen uns vertraute, deftige, satte, assoziationsschwere Vokabeln benutzen dürfen. Deshalb fahren sie zur „Tanke“ und verstecken ihre „Klamotten“, sagen „Wahrscheinlich!“ (für „so ein Blödsinn“), „echt“, „eins A“, oder „zur Sau machen“.
Vielleicht kann man das als dritte Strategie dazunehmen: Trotz der damit verbundenen Risiken ein farbiges Vokabular voller Redewendungen und voller schichten- oder gruppenspezifischer Ausdrücke zu benutzen – und damit Ausdrücke aus spezifisch deutschen kulturellen Zusammenhängen. Die Rezensentin Anja Hirsch schrieb am 7.5. in der FAZ, ich hätte den Roman „aus dem Vollen schöpfend (und souverän) übersetzt“, und das strebe ich zumindest an: So wie Louise Erdrich im Englischen aus dem Vollen schöpft, damit ihren Leserinnen und Lesern authentische und lebendige Romanfiguren entgegentreten, will ich auch möglichst viele Ausdrucksmöglichkeiten und Sprachebenen und -nischen des Deutschen nutzen, um in der Übersetzung zumindest einen Teil der atmosphärischen Dichte, der menschlichen Nähe und der Spannung wieder zu erzeugen, die das Original so besonders machen. Sonst hätte ich doch etwas ganz Wesentliches nicht mit übersetzt!
Allerdings macht die Kombination der Strategien zwei und drei aus den Figuren seltsame Mischwesen: Provinzjungs aus den achtziger Jahren, die ihre Eltern (durch die deutsche Brille betrachtet) ganz weltläufig mit „Mom und „Dad“ anreden, oder indianische Amerikaner, die dauernd auf gut Deutsch „Scheiße“ sagen. Noch verrückter ist es mit den älteren Reservatsbewohnern: Neben ihren Original-Anishinabe-Ausrufen (Eyyy, Awee, Howah, Yai etc.) benutzen sie Worte, die wie „rumturnen“, „Wampe“ und „patschen“ vage norddeutsch klingen, damit man sie auch als vertraute gemütliche Alte wahrnehmen kann. Und dazu kommen ein paar altertümelnde Vokabeln (wie Stecken, Zapfen und Flöte als Bezeichnungen für den Penis), die sicher nichts Amerikanisches an sich haben, die Figuren aber besonders deutlich in eine etwas exotische Ferne rücken.
Dass dieses Durcheinander überhaupt jemals als rundes Ganzes wahrgenommen werden kann, ist ein geradezu magischer Aspekt des Übersetzens, finde ich. Nicht zuletzt ist es eine Leistung der Leserinnen und Leser, die all diese Widersprüche beim Lesen in der Schwebe halten, bis sie sich in ihrem Kopf zu einem neuen, interkulturellen Roman zusammenfügen. Dabei sollte man ihnen natürlich keine Hindernisse in den Weg legen, und der Ausdruck „auf jeden“ kann durchaus so ein Hindernis sein. Er sollte Farbe und Lebendigkeit in die Szene bringen, und das finde ich sehr wichtig. Aber wenn ich auf die Idee gekommen wäre, dass er für manche spezifisch mit der Berliner Nullerjugend verknüpft ist, hätte ich bestimmt eine Vokabel gewählt, die überregional und weniger zeitgebunden dasselbe leistet.
Ich hoffe, das beantwortet Ihre Frage in etwa, auch wenn kein spezifisches Argument für „auf jeden“ dabei herausgekommen ist, sondern ein allgemeines Plädoyer für (mittel-)riskante Vokabeln und verrückte Mischwesen. Und es freut mich zu hören, dass Übersetzungen so genau gelesen werden. Das ist ein schöner Ansporn, bei der Gratwanderung zwischen farbloser Neutralität und störenden Widersprüchen die Augen offen zu halten.
Mit herzlichen Grüßen
Gesine Schröder
Irgendwann im August 1974. Maximilian hat mich drauf gebracht, das auszugraben. Und ja, Schultüten waren damals gekauft, ich kann mich nicht erinnern, dass da groß gebastelt worden wäre. Meine war rot mit Blumen und einem giftgrünen Filzbeutel oben zum Zumachen. Die kurzen Haare habe ich gehasst – ich wurde dauernd für einen Jungen gehalten, bis ich mich mit neun oder zehn Jahren endlich gegen meine Mutter durchgesetzt habe und sie mir habe wachsen lassen.
Vor ein paar Jahren wollte ich eine Schultüte für eins meiner Patenkinder kaufen. Das war nicht so einfach, ich fand die allermeisten sehr hässlich. Und was mich wirklich entsetzt hat: es gab Schultüten mit der Aufschrift „Aller Anfang ist schwer“ zu kaufen. Wie kann man einem Kind denn sowas antun? Wieso erzählt man Kindern, jetzt würde „der Ernst des Lebens“ beginnen? Sie freuen sich doch auf die Schule, Schule ist doch was Tolles. Dass sie auch nerven kann, merken sie noch früh genug von allein.
Oh, wie toll! Ein Päckchen! Von der zauberhaften Pia Ziefle! Mit Buch und Kuchen. Der Wahnsinn. Wahrscheinlich ist „Kuchen und Buch“ sowas wie das „Brot und Spiele“ für den Bildungsbürger des 21. Jahrhunderts.
Pias erster Roman, „Suna“, gehört zu den Büchern, die ich am allerhäufigsten verschenkt habe. Ich bin überzeugt, dass dieses hier genauso super ist. Vielen Dank, Pia, ich freu mich schon sehr! Auf beides, Buch und Kuchen. (Erste Amtshandlung natürlich: Lesebändchen reinkleben. In das Buch.)
Pia Ziefle: Länger als sonst ist nicht für immer. Arche Verlag, 282 Seiten, 19,99 €. Auch als E-Book.
Da habe ich glatt noch ein neues Wort gelernt: Parament. Ihr kennt das sicher alle. Jedenfalls kam neulich eine Mail einer unbekannten Leserin, ob wir nicht mal Kathrin Niemeyer in ihrer Paramentenwerkstatt besuchen wollten, und das haben wir dann ganz kurzfristig getan. Nebenbei festgestellt, dass Ratzeburg ziemlich hübsch ist, es gibt einen See, und wir hatten natürlich mal wieder keine Zeit zum Baden und Stadtgucken, aber irgendwann könnte man da noch mal hinfahren. Zu den Paramenten bitte hier entlang.