Besser scheitern

Die Hamburger Kunsthalle hatte zum Bloggerabend geladen, und das lasse ich mir natürlich nicht zweimal sagen. Auch wenn ich mich bislang nicht gerade durch Kunstkenntnis hervorgetan habe – ich bin eine Banausin, oft verstehe ich Kunst einfach nicht. Was sehr schade ist. Dann gehe ich durch eine Ausstellung, denke hier und da „schön“ oder „nicht so schön“ oder manchmal sogar „lustig“ oder „wow“, aber viel weiter komme ich oft nicht, weil ich schlicht nicht kapiere, was das soll. Und dann kommen die Kunstkenner und erklären mir, es ginge ja gar nicht darum, etwas zu „verstehen“, sondern darum, was das mit mir macht und ob es mich anspricht oder so. Das halte ich, mit Verlaub, zwar nicht für kompletten Unsinn, aber doch im Ansatz für ein wenig kokolorös. Denn Tatsache ist: wenn ich es besser verstehe, kann ich es ganz anders goutieren. Da reichen oft zwei Sätze, damit mir die Metaebene bewusst wird, von der aus ich dann selbst weiterdenken kann, und schon zucke ich nicht mehr mit den Achseln, sondern bin beeindruckt.

Fail

Die Ausstellung „Besser Scheitern“ ist eine reine Videoausstellung. Wenn ich ehrlich bin: bei modernen Ausstellungen sagen mir die Videos meistens am wenigsten. Ich hatte also keine allzu hohen Erwartungen. Hinzu kam, dass die Ausstellung mit einem Bild wirbt, auf dem jemand gerade im Begriff ist, mit dem Fahrrad in einen Fluss zu fallen. Sehr witzig, dachte ich, das ist doch Slapstick – da fällt halt jemand ins Wasser, wie billig ist das denn bitte?
Tja. Stellt sich raus: Das Fallen hat Methode, und das englische Wort „fail“, also scheitern, hat tatsächlich etwas mit „fall“ zu tun. Sieh an. Und der Künstler, Bas Jan Ader, hat noch weitere Kurzvideos gedreht, in denen er selbst irgendwo runterfällt – vom Dach, vom Baum, oder wo er einfach im Stehen vom Wind umgeworfen wird. Einmal wollte Bas Jan Ader eine Performance erst in den USA, dann hier in Europa veranstalten und dazwischen mit dem Einhand-Segelboot den Atlantik überqueren. Die Atlantiküberquerung sollte Teil der Aktion sein. Er hat es nicht geschafft – sein Boot wurde irgendwann gefunden, seine Leiche nicht. Gründlicher kann man wohl nicht scheitern; es bricht einem das Herz.
Aber als wir bei Bas Jan Ader ankommen, ist schon längst klar: sensationelle Ausstellung. Ich bin total begeistert, und das liegt nicht zuletzt an der großartigen Führung durch die Kuratorin Dr. Brigitte Kölle. Sie spricht wie gedruckt (im besten Sinne), sie kennt die Werke und die Künstler sehr genau, und sie übermittelt genau die perfekte Menge an Informationen, die wir brauchen (also: ich), um die Videos so weit zu verstehen, dass ich selbst weiterdenken kann. Ohne ihre dezente Denkanleitung hätte diese Ausstellung mich sicher nicht so überzeugt. Aber so: wow. Tolle, tolle Videos.

Rineke Dijkstra beispielsweise zeigt ein englisches Schulmädchen, Ruth, auf dem Boden sitzend, wie sie ein Bild von Picasso abzeichnet. Wir sehen weder das Picassobild noch das, was Ruth zu Papier bringt. Wir hören nur ihren Stift kratzen und sehen ihr konzentriertes Gesicht. Scheitern? Die Wahrscheinlichkeit, dass Ruth ebenso genial ist wie Picasso, ist gering. Dennoch fragt sich, ob das ein Scheitern ist, was wir hier sehen. Immerhin hat Picasso Zeit seines Lebens danach gestrebt, zu malen wie ein Kind. Ruth jedenfalls muss man sofort mögen, wenn man in ihr aufmerksames Gesicht guckt. Ob sie scheitert? Natürlich. Gleichzeitig aber eben nicht.

Noch ein Favorit: der rote VW Käfer von Francis Alÿs, der versucht, einen sehr steilen Hang hinaufzufahren. Er scheitert daran, es schafft es nicht. Kurz bevor er oben ist, kommt er nicht weiter, sondern rollt rückwärts den Berg wieder hinunter. Und dann versucht er es von neuem. Und scheitert wieder. Und wieder und wieder, wie Sisyphos, und das ist nicht mal ein Endlos-Loop, sondern er versucht es tatsächlich immer wieder von Neuem. Was man nicht direkt sieht: das ist in Mexiko gedreht, in Tijuana. Auf der anderen Seite, hinter der Kuppe, liegen die USA, das gelobte Land. Unerreichbar.
Boah, wow. Noch dazu kommt die Lage der Leinwand: man kommt eine große Treppe herunter (wenn man denn von dort kommt), geht und guckt ein ziemliches Stück geradeaus und genau gegenüber der Treppe sieht man den Käfer auf der anderen Seite den Berg hinauffahren. Und wieder runterrollen.

Und mein drittes Lieblingsstück sehen wir gleich als erstes, und dann am Schluss noch mal; es gibt dann sogar noch ein Gespräch mit der Künstlerin Annika Kahrs. Sie hat ein Streichquartett ein Stück von Beethoven spielen lassen, ein kurzes, zwei Minuten oder so. Dann tauschen die Musiker die Plätze und die Instrumente. Die erste Geige übernimmt das Cello, die zweite Geige die erste, die Bratsche die zweite, das Cello die Bratsche. Das geht natürlich nicht wirklich gut – die beiden Geigen können auch die andere Stimme spielen, vielleicht kommen sie auch noch halbwegs mit der Bratsche zurecht, aber am Cello scheitern sie alle, und der Cellist scheitert an den drei anderen Instrumenten. Den Cellisten muss man die ganze Zeit angucken, weil er von den vieren derjenige ist, der am offensichtlichsten Spaß am Scheitern hat, er muss einfach immer wieder lachen. Alle bemühen sich, aber es wird immer schiefer, bis der Cellist am Ende bei der ersten Geige ankommt und gar nichts mehr geht. Sehr, sehr wunderbar.
Die Künstlerin sagt hinterher, sie als Künstlerin hätte damit ja gar nicht scheitern können. Selbst wenn alle in einem Lachkrampf zusammengebrochen wären oder die Sache genervt abgebrochen hätten, wäre das völlig in Ordnung gewesen. Das einzige, womit sie gescheitert wäre, wäre es gewesen, wenn sie die Musiker so lange hätte üben lassen, bis sie es gekonnt hätten. (Das sind Profis, das wäre vermutlich relativ schnell gegangen. Der gezeigte Film ist der erste Take.)
Annika Kahrs hat noch von zwei weiteren Performance/Video-Arbeiten erzählt, die wirklich toll klangen, ich war spontan total überzeugt.

Das soll jetzt erstmal reichen, ich will hier nicht mit endlosen Videonacherzählungen langweilen. Besser ist, Ihr guckt Euch das selbst an, die Ausstellung läuft noch bis 11. August. Ich kann das sehr empfehlen. Liebe Galerie der Gegenwart: vielen Dank, das war wirklich großartig.

Besser Scheitern: Galerie der Gegenwart, noch bis 11. August 2013
Der Eintritt kostet 12,- €, ermäßigt 6,- €, unter 18 Jahren ist der Eintritt frei.

Außerdem ist der Eintritt frei für zwei Leute, für die ich hier Eintrittskarten verlose: beschreibt in den Kommentaren Euer eigenes schönstes Scheitern, bis Sonntag Abend, den 9. Juni 2013, um 24.00 Uhr. Dann schmeiße ich am Montag Morgen den Zufallsgenerator an und verlose zwei Freikarten unter allen Gescheiterten. Die Karten sind ein Jahr gültig (ab vorgestern) und gelten für die gesamte Kunsthalle, nicht nur fürs Scheitern. Der Rechtsweg ist natürlich ausgeschlossen.

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Weitere Berichte gibt es bei Frische Brise, Little Jamie, Maximilian und am allertollsten bei Sven.

TEDx Hamburg

Ich war mal kurz die Welt retten. Na gut, ich habe zugehört, wie andere die Welt retten. Am Dienstag war hier in Hamburg nämlich eine TEDx-Konferenz. TED-Konferenzen gibt es in den USA schon seit den achtziger Jahren; das kleine x dahinter bedeutet, dass es unabhängig davon organisiert ist. Aber so ganz unabhängig dann irgendwie ja doch nicht, immerhin wird dasselbe Logo und dasselbe Format verwendet. Nämlich: jeder Redner hat nur 18 Minuten Zeit. Das ist natürlich ausgesprochen super, kurz und knackig ist immer gut. TED steht für „Technology, Entertainment, Design“ und der Untertitel lautet: „Ideas worth spreading“. Man kann sich sämtliche auf TED-Veranstaltungen gehaltenen Vorträge im Internet angucken, und da sind unglaublich tolle Sachen dabei. (mehr …)

Lies doch mal in Bamberg!

Gestern haben Maximilian und ich im Schuhgeschäft gelesen, und hinterher passierte auf Facebook, was in dem Kontext andauernd passiert: „Lest doch mal in Bottrop!“ oder „Wann kommt Ihr denn mal nach Borkum?“
Sagt der Buddenbohm zur Bogdan: das müssen wir nochmal bloggen, wie das ist, mit dem „Lies doch mal in Bielefeld“. Deswegen gilt das hier also für uns beide, einzeln und zusammen. Es ist nämlich so: Wir würden sehr gern in Bedburg lesen. Wir sind Rampensäue, wir lesen gern, wir täten quasi nichts lieber, als in Besenstedt zu lesen. Wir würden auch in Bochum, Brauweiler oder Bad Bevensen lesen, ja, sogar in Städten, die gar nicht mit B anfangen.
Aber wir können uns den Veranstaltungsort in Buxtehude nicht gut selbst aus dem Telefonbuch suchen und da mal nachfragen. Wir können uns das nicht selbst organisieren. Anders gesagt: ladet uns ein, zwingt eure Lieblingsbuchhandlungen und -kneipen und Literaturhäuser, uns einzuladen, und wir fliegen auch auf die Bahamas. Da kennen wir nix.

Was wir brauchen:
- Fahrtkosten. (In meinem Fall mit Bahncard50.)
- Je nach Entfernung eine Unterkunft. Das muss nicht schickimicki sein, ich nehme notfalls auch das Gästesofa der Buchhändlerin. (Wobei gegen Schickimicki natürlich auch nichts zu sagen ist.)
- Honorar. Die Höhe ist im Einzelfall auszuhandeln – eine Konzernzentrale wird sicher mehr zahlen können als eine kleine Dorfbuchhandlung, das ist klar. Aber ein Honorar muss sein, wir machen das schließlich beruflich, und wenn es weiter weg ist und wir übernachten müssen, geht ja auch mindestens ein Arbeitstag dabei drauf.
- Tisch, Stuhl, Mikro. (Ja, Mikro, bitte. Auch wenn die Kneipe klein ist.)

Und dann lesen Bogdan und Buddenbohm gerne in Baden-Baden, einzeln oder zu zweit, ganz wie’s beliebt.

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Man könnte sowas natürlich ein bisschen so organisieren, dass man ein paar Städte miteinander verbindet. Wie es der Zufall will, bin ich beispielsweise Mitte November für zwei Wochen in Bamberg. Von da aus könnte man bestimmt mit der Bahn mal kurz hier- und dorthin fahren.

Liebes Tagebuch,

was kürzlich noch wie ein ziemlicher Berg Arbeit vor mir lag, ist zum allergrößten Teil geschafft. Denn die Arbeit ist ein Scheinriese, wie schon weiland Frau Sopran feststellte, man muss nur ran, und dann wird sie immer kleiner. Soll heißen: ich habe das Buch durchübersetzt, und ich habe ein fünftägiges Seminar gegeben. Das Buch muss ich noch einmal überarbeiten, dafür habe ich aber ausreichend Zeit, das geht jetzt schön entspannt.
So ein Seminar ist immer ein bisschen aufregend – wenn man das alle zwei Jahre mal macht, ist es nicht gerade Routine, vorher denke ich immer, ich bin wahrscheinlich bekloppt, mich darauf einzulassen, und kurz bevor es losgeht, finde ich fünf Tage auch viel zu lang, und dann macht es auf einmal *plopp*, und die fünf Tage sind rum und man hätte eigentlich auch noch gut weitermachen können, weil dann doch wieder alles nett war. Außerdem passieren immer tolle Sachen in diesen Seminaren, zum Beispiel geht es in einer der besprochenen Übersetzungen darum, dass eine Frau ihrem verwirrten Mann ein Foto aus Bagdad zeigt, auf dem Schneeflocken herumwirbeln, und ich frage nach, ob es denn in Bagdad etwa jemals schneit, und die zuständige Kollegin sagt, es gab einmal Schnee in Bagdad, das war 1912 (ungefähr), und wir finden, in der Übersetzung könnte die Frau zu ihrem Mann sagen „Weißt Du noch, der Schnee in Bagdad“, und Jenny sagt, das klinge ja wie eine Schlagertextzeile, und dann dichtet sie mal kurz eben nebenbei den gesamten Schlager, passend zum besprochenen Text.

Schnee in Bagdad von Jenny Merling

Weißt du noch, der Schnee in Bagdad?
Ach, er war so wunderschön.
Weißt du noch, der Schnee in Bagdad?
Ach, könnt‘ ich ihn wiederseh‘n.

Was war das für ein Gestöber
unverhoffter Flockenfall
in deinem Bart, in meinen Zöpfen:
Weiße Sternchen überall.

Joseph, du mein Herzensguter,
Joseph, du mein lieber Mann,
weißt du noch, wir beide damals -
Schneespaziergang, Hand in Hand.

Weißt du noch, der Schnee in Bagdad?
Und wir beide mitten drin
Weißt du noch, der Schnee in Bagdad?
Schnee und Jugend, längst dahin.

Denn der Schnee in Bagdad taute,
blieb nicht lang, die schöne Pracht.
Heute sind wir alte Leute
und in deinem Kopf herrscht Nacht.

Doch ich lieb‘ dich noch wie damals,
lebst du auch nicht mehr im Hier.
Ruf‘ den Schnee dir in Erinnerung,
hoff‘, du findst zurück zu mir.

Weißt du noch, der Schnee in Bagdad?
War er nicht unglaublich schön?
Weißt du noch, der Schnee in Bagdad?
Einmal noch ihn wiederseh‘n…

Ach, ich hoff‘ so, du erinnerst,
wie wir glücklich war‘n zu zweit.
Wir war‘n jung, verliebt und sorglos
lang ist sie nun her, die Zeit.

Schnee in Bagdad gab’s nie wieder
der ist fort und kommt nicht mehr.
Doch ich sing‘ die alten Lieder,
tut’s auch weh und ist’s auch schwer.

Weißt du noch, der Schnee in Bagdad?
Ach, es war so wunderschön.
Weißt du noch, der Schnee in Bagdad?
Ach, könnt‘ ich ihn wiederseh‘n.

An der Melodie wird noch gearbeitet, und dann würde ich sagen: ESC 2014, oder?

Am Wochenende war schönes Wetter in Hamburg, also so okayish-schön für Hamburger Verhältnisse, nicht besonders warm, aber halbwegs sonnig und trocken, und ich habe zwei Tage am Stück GAR NICHTS gemacht, wir waren an der Strandperle, wie großartig ist das denn bitte? Das nehme ich mir eigentlich andauernd wieder vor: öfter vorsätzlich nichts zu tun, nicht immer irgendwelche Arbeit aufschieben und machen wollen und dann doch nicht erledigen, das ist total unbefriedigend und macht nur ein schlechtes Gewissen. Konzentrierter arbeiten, mehr geplante Pausen machen. What else is new.
Ab morgen geht es dann weiter mit der Überarbeitung und allem möglichen, Terminetermine – hey, ich hab wieder Zeit für sogenannte Termine! Montag Lesung, Dienstag TEDx, und so weiter, lauter tolle Sachen. Jippie! Und wenn es dann bitte auch Sommer werden könnte, vielen Dank.

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