Nora Gomringer meets Wortart Ensemble

Lyrik ist ja immer so eine Sache. Für mich ist Lyrik ja sowas wie Pralinen. Also: schwierig.
Und jetzt bin ich letzte Woche mehr oder weniger zufällig bei Nora Gomringer im Hamburger Literaturhaus gelandet, wo sie zusammen mit dem Wortart Ensemble auftrat. Und wenn selbstgelesene Lyrik schon schwierig ist, dann sind Dichterlesungen noch eine Nummer schwieriger – oft genug bin ich schon nach einem halben Gedicht nicht mehr bei der Sache. Meine drei Begleiter – der lustige Mann, Maximilian und Ina – sagen, es geht ihnen genauso.
Aber an diesem Abend kommt Nora Gomringer, und dann kommt das Wortart Ensemble, und wir sitzen anderthalb Stunden am Stück vorne auf der Stuhlkante und hören gebannt zu und sind hinterher erstmal sprachlos. Anders gesagt: wow. Alles.
Keine Ahnung, wie Nora Gomringers Gedichte sind, wenn man sie selbst liest. Aber wenn sie sie vorliest, dann … schon die falsche Vokabel. Das ist kein Vorlesen, das ist ein Vortrag, das ist Deklamieren im allerbesten Sinne, es ist, als hätte sie nebenbei auch noch eine Schauspielausbildung, und es ist, nun ja, wahrscheinlich ist es genau das: sie steht hinter jedem Wort, das sie geschrieben hat. Nora Gomringer hat etwas zu sagen. Sie liest vor, sie schreit und flüstert und raunt, sie plaudert und freut sich und lacht und weint fast, und zwischendurch singt sie sogar, und das Publikum hängt ihr an den Lippen und ist durch und durch fasziniert und mucksmäuschenstill, außer wenn es lachen muss.
Zwischendurch singt das Wortart Ensemble – fünf erstaunlich junge Leute aus Dresden, drei Frauen und zwei Männer, die auf ihre Weise Lyrik vertonen und a capella singen. Gedichte von Mascha Kaléko und Wolf Wondratschek und Nora Gomringer. Und da bekommt jedes Gedicht einen eigenen Sound, der aber gleichzeitig der eigene Sound des Wortart Ensembles ist, und dieses Ensemble ist unfassbar großartig. Rhythmisch und harmonisch ist das alles höchst anspruchsvoll, und sie singen so wunderbar, so überzeugt und so überzeugend, und so voller Wärme und Begeisterung für das, was sie da tun, dass mir zwischendurch kurz das Wasser in die Augen steigt, weil das alles so unglaublich großartig ist. Und sich so toll mit Nora Gomringer ergänzt, die teilweise ein paar Töne mitsingt, teilweise reinspricht, die meiste Zeit aber nur zuhört und genauso gebannt ist wie der Rest des Publikums – aber sie und das Ensemble sind schon eine Weile lang zusammen unterwegs, sie kennt das alles schon, aber das macht nichts, man merkt ihr an, wie begeistert sie immer noch von der Arbeit dieses Ensembles mit ihren Texten ist.
Und inhaltlich – kein Marzipan. Nora Gomringers Gedichte sind nun wirklich alles andere als platt oder oberflächlich, aber sie haben eben auch nicht dieses Bedeutungsschwangere, dieses demonstrativ Tiefsinnige, dieses „seht her, wie klug und intellektuell und voller Schmerz ich bin“, das so viele Gedichte haben. Sondern sie haben ganz viel Herz und Hirn und Humor, und vor allem, und das ist ja immer das allerwichtigste an Lyrik: der Rhythmus. Der Rhythmus! Boah, wow, der Rhythmus.
Und als wäre das nicht alles schon großartig genug, erzählt sie zwischendurch auch noch die zauberhaftesten Dichter-Dönchen, die ich je gehört habe. Von der Abiturientin, die sie anrief, weil der Deutschlehrer mit ihrer Interpretation von Das Herz nicht einverstanden war, und die sich jetzt Rückendeckung von der Dichterin selbst holte. Oder von dem Gynäkologen, der ihr Gedicht Bilderbuchuterus in seiner Praxis unter die Decke geschrieben hat. Ich schätze, ich bin jetzt ein bisschen in Nora Gomringer verliebt. Was für eine Frau.

Und ihr müsst jetzt leider kurz stark sein: der Auftritt im Hamburger Literaturhaus war der letzte der gemeinsamen Reise. Aber sowohl Nora Gomringer als auch das Wortart Ensemble treten natürlich weiterhin auf: hier sind Noras Termine und hier die des Wortart Ensembles. Geht da hin, wenn es geht. Ehrlich.

7 Kommentare

  1. Maximilian Buddenbohm Sonntag, 3. Februar 2013 um 05:26 Uhr [Link]

    Genau. Alles.

  2. Lydia Sonntag, 3. Februar 2013 um 14:01 Uhr [Link]

    Mit Lyrik geht es mir ähnlich wie Dir, bin absolut prosaisch veranlagt. Aber die Texte von Nora Gomringer, die Du hier verlinkt hast, sind große Klasse. Den Namen werd ich mir merken. Vielen Dank!

  3. Woanders – diesmal mit Landkarten, Reisen, Amrum und einem Taxi. Und Iron Maiden | Herzdamengeschichten Montag, 4. Februar 2013 um 06:02 Uhr [Link]

    [...] war mit Isa im Literaturhaus bei Nora Gomringer und Isa hat zuerst darüber gebloggt. Wenn Sie irgendwo die Anküdigung eines Auftritts von Nora sehen – unbedingt hingehen, [...]

  4. Jörg Hertel Mittwoch, 6. Februar 2013 um 10:00 Uhr [Link]

    Hallo Ihr da draußen, habe selten eine so persönliche und treffende Meinung gelesen. Ich kenne die Wortart(isten) schon länger, aber in Liasion mit Nora G. vorige Woche in Dresden: spitzenmäßig und ist leider noch untertrieben! Nora Gomringer trifft nicht nur das WortartEnsemble, sondern alle zusammen voll ins Herz der viel zu wenigen, dafür aber umso intensiveren Zuschauer.

  5. Gelesen im Februar | Herzdamengeschichten Montag, 4. März 2013 um 20:55 Uhr [Link]

    [...] aus der Luft”. Gedichte, man sollte überhaupt mehr Gedichte lesen. Ich war mit Isa auf einer Lesung von Nora Gorminger, die ich vorher gar nicht kannte. Wenn Nora Gomringer einmal in Ihrer Stadt auftritt, gehen Sie [...]

  6. Nora Gomringer im E-Mail-Interview » CULTurMAG Mittwoch, 20. März 2013 um 11:59 Uhr [Link]

    [...] zusammen mit dem Wortart Ensemble im Hamburger Literaturhaus auf. Wie es mir gefallen hat, steht hier – Kurzfassung: Ich war schwer begeistert und beeindruckt und habe Nora gleich danach gefragt, ob [...]

  7. Das ›Wortart Ensemble trifft Nora Gomringer‹ und geht wieder mit ihr auf Tour – Voland & Quist Donnerstag, 30. Januar 2014 um 16:08 Uhr [Link]

    […] »Aber an diesem Abend kommt Nora Gomringer, und dann kommt das Wortart Ensemble, und wir sitzen anderthalb Stunden am Stück vorne auf der Stuhlkante und hören gebannt zu und sind hinterher erstmal sprachlos. Anders gesagt: wow. Alles.« Isabel Bogdan […]

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