Murakami Haruki (Ursula Gräfe): Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede
Ich muss dringend wieder anfangen zu laufen, und da dachte ich, vielleicht motiviert mich dieses Buch. Um das Zusammenspiel von Laufen und Schreiben soll es da gehen, um Analogien, und wie das eine das andere befruchtet. Murakami schreibt seine eigenen Erfahrungen nieder, der Mann läuft und schreibt seit Jahrzehnten.
Tatsächlich geht es aber im Buch vor allem darum, dass Murakami Haruki ein toller Hecht ist. Oder wie Maik es auf Facebook zusammenfasst: nichts als „bin gelaufen, war etwas mühsam, ging aber doch. Habe dann einen Roman geschrieben, der irre super und erfolgreich war. Bin dann wieder gelaufen, musste etwas schwitzen, war aber dann doch super. Mein nächster Roman war ein durchschlagender…“ etc.
Zwischendrin schiebt er natürlich die üblichen Bescheidenheitsfloskeln ein, die einem erst recht bestätigen, dass sich da jemand für ziemlich toll hält. Etwa „Dies ist eine der wenigen Eigenschaften, auf die ich mir was einbilde“, wo man so-fort denkt: „eine der vielen“ wäre wohl ehrlicher gewesen.
Geradezu lustig wird es bei Unfug wie „Gestatten Sie mir eine persönliche Bemerkung“, obwohl es sowieso ausschließlich um ihn geht; da vermutet man kurz, dass es sich womöglich um Satire handelt. Tut es aber nicht, der Mann meint das alles bierernst. Schade, denn als Satire wäre einiges wirklich gut, hier noch ein paar Perlen:
„Obwohl ich bereits über dreißig war, hatte ich das Gefühl, mir stünden als Mensch noch viele Möglichkeiten offen.“ ALS MENSCH!
„Ich war also dreiunddreißig, als ich mit dem Laufen anfing. […] Das Alter, in dem Jesus starb.“
„Außerdem sollte man den Wert seines Daseins nicht nur daran messen, wie erfolgreich oder erfolglos man ist. In meinem Fitness-Studio in Tokyo hängt ein Plakat: ‚Muskeln sind schwer zu bekommen, aber leicht zu verlieren. Fett ist leicht zu bekommen, aber schwer zu verlieren.’ Traurig, aber wahr.“
Ja, es ergibt tatsächlich nicht mal alles einen Sinn. Traurig, aber wahr.
Oder hier: „Auf der Straße des Lebens kann man nicht immer auf der Überholspur sein.“ Könnte auch direktemang von Paulo Coelho oder aus dem nächstbesten Glückskeks geklaut sein.
Das Ganze gipfelt dann auf Seite 60 in dem Absatz:
„Jedenfalls war es sehr gut, dass ich nie mit dem Laufen aufgehört habe. Denn meine bisherigen Romane gefallen mir selbst auch. Und ich freue mich schon auf den nächsten, den ich hervorbringen werde. Wie wird er aussehen? Für einen unvollkommenen Menschen, einen Schriftsteller mit gewissen Grenzen, der einen unbedeutenden Lebensweg voller Widersprüche geht, ist es eine Leistung, so empfinden zu können. Auch wenn es übertrieben klingt, möchte ich es ein „Wunder“ nennen.“
Doch, doch, als Satire wäre es womöglich nicht so übel. Aber nicht 128 Seiten lang. Bis Seite 72 habe ich es geschafft, jetzt gebe ich auf. So selbstgerechte alte Männer kann ich nicht besonders gut ab.
Als E-Book gelesen.
Murakami Haruki (Ursula Gräfe): Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede. Dumont, gebunden, 16,90 €.
btb, Taschenbuch, 8,00 €
E-Book 5,99 €
PS: Der Titel ist natürlich super. Es gibt nämlich eine Kurzgeschichtensammlung von Raymond Carver mit dem Titel „Wovon wir reden, wenn wir von Liebe reden“. Murakami hat sie ins Japanische übersetzt. Auch ein bisschen unbescheiden, mit dem eigenen Buch darauf anzuspielen, aber mir gefällt das. Aber das war’s dann auch.
Frank Mittwoch, 21. Dezember 2011 um 12:13 Uhr [Link]
Schade eigentlich, denn Wilde Schafsjagd gehört zu meinen Lieblingsbüchern.
lady grey Mittwoch, 21. Dezember 2011 um 12:44 Uhr [Link]
Alle Murakami-Bücher gehören zu meinen Lieblingsbüchern.
Isabel Bogdan Mittwoch, 21. Dezember 2011 um 12:47 Uhr [Link]
Ich weiß. Hast du das hier auch gelesen? Bisher hat er mich ja nur nicht interessiert (obwohl ich es ein paarmal versucht habe), aber dieses ist doch unerträglich!
Sabienes Mittwoch, 21. Dezember 2011 um 13:23 Uhr [Link]
Vielleicht wird Haruki nun ein bisschen größenwahnsinnig, nachdem er einige wirklich tolle Bücher geschrieben hat?
Vielleicht ist dies aber auch bloß mal ein „Aussetzer“?
Vielleicht ist dies aber auch schwierig, satirische Spitzfindigkeiten aus dem Japanischen ins Deutsche zu übertragen …
Wie dem auch sei: dann brauche ich dieses Buch nicht zu lesen!
LG
Isabel Bogdan Mittwoch, 21. Dezember 2011 um 13:30 Uhr [Link]
Mag alles sein, nur: ich bin ziemlich sicher, dass da keine satirischen Spitzfindigkeiten drin sind. Das meint der alles ganz genau so.
lady grey Mittwoch, 21. Dezember 2011 um 14:54 Uhr [Link]
Ja, ich hab auch das gelesen, und: Ich mochte es. Das alles, was du oben schreibst, ist mir einfach ü-ber-haupt nicht aufgefallen. Ich fand das Buch gut, allerdings natürlich nicht sooo gut wie die ganzen anderen abgedrehten, wirklich phantasievollen Geschichten von ihm. Aber unerträglich fand ich es nicht. Allerdings bin ich auch dermaßen murakamivernarrt, dass der wahrscheinlich schreiben kann, was er will, und ich mag’s trotzdem … (Und nee, ironisch-satirisch ist das wirklich nicht. Der meint das so. Aber mir macht das nix.)
Stephan Mittwoch, 21. Dezember 2011 um 17:26 Uhr [Link]
OT: Benutzt Du die korrekte Nachname-Vorname-Reihenfolge auch , wenn Du mit jemandem über Haruki Murakami redest, oder kommst Du Dir da komisch vor, weil Deine Gesprächspartner darauf gestoßen werden, dass sie etwas „falsch“ machen? Mir geht es manchmal so, wenn ich mit Leuten Englisch spreche, die es noch schlechter können, dass ich mich nach einigen Minuten dabei erwische, ein ähnliches Pidgin-Englisch zu sprechen. Bislang habe ich dafür gottseidank noch nicht aufs Maul bekommen.
Umgekehrt war ich demjenigen für seine Offenheit sehr dankbar, der mir damals auf den Kopf zugesagt hat, dass ich „Router“, „SCSI“ und ähnliche Begriffe, die ich nur aus Büchern kannte, falsch ausspreche.
Wie halten Sie es, Bogdan-sama bzw. Isabo-chan?
Isabel Bogdan Mittwoch, 21. Dezember 2011 um 17:44 Uhr [Link]
Aaach, schwierig, ich hab auch überlegt, wierum ich das hier mache. Dummerweise sind sich ja nicht mal die deutschen Verlage einig, manche Japaner heißen Vorname Nachname, andere Nachname Vorname, da hat der Nicht-Auskenner quasi keine Chance. Für mich klingt „Haruki Murakami“ irgendwie total falsch, andererseits will man auch nicht so klugscheißerisch dastehen. Als Kind hat es mich schon immer genervt, wie meine Mutter (Französischlehrerin) das Wort „Camembert“ aussprach, nämlich Kamoñbääch, statt Kam-mbehr wie alle anderen. Inzwischen kann ich das aber verstehen, und jetzt zucke ich dummerweise sowohl dann zusammen, wenn ich genau das gleiche mache, als auch dann, wenn andere Leute beispielsweise „Sushi“ mit weichem S vorne aussprechen. Huah.
Fängt ja schon damit an, dass ich Murakami nicht mit deutschem R sprechen kann.
Andersrum: manchmal sagen Kollegen, die aus dem Russischen übersetzen, den Namen irgendeines russischen Autors, und ich verstehe „Tolstoi“ erst beim dritten Mal. Aber deswegen kann ich ja jetzt auch nicht anfangen, „Haruki“ auf dem U zu betonen. Das klingt doch wirklich zu furchtbar.
Maik Maki Donnerstag, 22. Dezember 2011 um 13:05 Uhr [Link]
Ich mochte Wilde Schafsjagd und Hard Boiled Wonderland wirklich sehr, (ok, danach wiederholte sich das 30-jähriger-Toastesser-entdeckt-zweite Realität-hinter-der-Wand-Schema ein bisschen). Deswegen war ich von der eitlen Banalität des Laufbuchs auch so verblüfft. Meine Lieblingsstelle: „Nun begann die Zeit, in der die Sonne über die Erde herrschte” (= es wurde Morgen).
Aus dem Regal | Papas Wort Dienstag, 21. Februar 2012 um 23:29 Uhr [Link]
[...] Textexpertin macht das zum Beispiel nicht. Aber sie begründet ihre Meinung auch ganz dick mit der Rezension eines selbstreferenziellen Sachbuches. Das passt natürlich nicht. Denn das Ego des japanischen Herren scheint recht ausgeprägt zu sein. [...]