Hass, meine Güte. Bisschen heftig für ein Buch, oder? Wenn ich ein Buch nicht mag, lege ich es beiseite. Aber ich riskiere doch keine Magengeschwüre deswegen. Ich mag schon das Wort hassen nicht, das ist mir nicht nur für Bücher zu heftig, sondern auch sonst.
So. Aber ein Buch hat mir wirklich einen Klumpen im Magen gemacht, und zwar eines, das ich übersetzt habe, dem ich also nicht ausweichen konnte. Das ist mir wirklich schwer gefallen, ich konnte es nicht leiden, ich fand alles daran schlecht, die Figuren unglaublich unangenehm, die Geschichte war schlecht, voller Klischees und logischer Unstimmigkeiten, und sie war schlecht erzählt, die Bilder stimmten nicht und jeder Satz fing mit „I“ an, und es war einfach von vorne bis hinten alles grauenhaft, und es war auch noch Winter und schlechtes Wetter und dunkel draußen und ich war mal wieder spät dran und unter Druck, und dann hat die Lektorin mir auch noch fürchterlichen Unfug reingeschrieben, sodass ich beim Fahnenlesen alles gleich noch mal doppelt furchtbar fand, das war wirklich, wirklich hart, und ich konnte das Buch einfach abgrundtief nicht leiden.
Und dann wurde es, als es eigentlich schon vorbei war, noch mal hart, als es nämlich ungefähr gleichzeitig mit meinem Lieblingsbuch (von meinen Übersetzungen) erschien, und das Hassbuch sieht schön aus, und das Lieblingsbuch ist optisch das hässlichste von all meinen Übersetzungen. Das hat mir wirklich das Herz gebrochen. Über das Hassbuch bin ich hinweg, der Stapel mit den Belegexemplaren liegt unverschenkt im Regal, ich denke nicht weiter daran. Ist auch schon eine Weile her. Das Lieblingsbuch hingegen bricht mir immer noch das Herz, weil es so ein wundervolles Buch ist und so schrecklich aussieht.
Manchmal werde ich gefragt, was man als Übersetzer macht, wenn man ein Buch nicht leiden kann. Gute Frage! Nach Möglichkeit gar nicht erst annehmen, natürlich. Wenn’s aber schon passiert ist: Augen zu und durch. Profi sein. Sich sagen, dass es ein Job ist und man dafür Geld bekommt, und man diesen Job ebenso professionell erledigt wie alle anderen. Wenn man Glück hat, hat man einen Mann, der einem sagt, ja, Du hast recht, das ist alles ganz schrecklich und Du bist ein armer kleiner Hase, aber komm, mach noch eine Seite, ich koch Dir Pudding.
Bevor Ihr fragt: ich werde hier sicher nicht öffentlich sagen, welches Buch ich so schrecklich fand. Schlimm genug, dass ich überhaupt so rumschimpfe.
Und jetzt wird wieder gutgefunden statt gehasst.
Von Jenny Merling, Übersetzerin aus dem Englischen und Spanischen. Ich fragte sie aus aktuellem Anlass, ob sie etwas von Vargas Llosa gelesen hat. Sie schreibt:
„Von Vargas Llosa hab ich nur mal einen Ausschnitt aus einem Buch gelesen, den haben wir in Spanisch übersetzt. Ich kuck heute Nachmittag mal nach. Ich habe gerade zwei Texte vor Augen und weiß nicht, welcher davon von ihm war; entweder fand ich es total toll oder völlig schrecklich, either way solltest du es wissen! Aber nachdem ich ihn gestern hab sagen hören, wie toll Spanisch ist (was stimmt), und dass es eine der ‚kreativsten Sprachen der Welt ist‘ (völliger Schwachsinn), die jetzt sozusagen endlich die ihr zustehende Ehre bekommt, war ich eher genervt von dem Mann. Nur weil ein Schriftsteller sowas sagt, glauben dann auch ganz viele Leute, dass Spanisch eine der kreativsten Sprachen ist, und ich hasse solche Aussagen, weil es einfach Quatsch ist und nicht stimmt. In Englisch kann man tolle Wortspiele machen, weil Sachen gleich klingen, auch wenn sie anders geschrieben werden. Das geht auf Deutsch nicht, aber dafür kann man fast unbegrenzt Substantive aneinanderreihen, siehe Südstaatenschmonzettenfahne. Und das geht im Spanischen wiederum nicht, aber „viel“ heißt „mucho“ und „sehr viel“ heißt „muchísimo“ und „gaaaaanz viel“ heißt „muchísisisisimo“, das ist doch unglaublich. Dass da eine aktuelle, romanische Sprache ist, die einfach mal ein Wort durch Einfügen einer Silbe mittenrein steigern kann. Finde ich fantastisch. Naja, jedenfalls mag ich solche Aussagen nicht, dass irgendwas die …..e Sprache der Welt ist, weil sich die Leute ja auch meistens nicht auf sprachwissenschaftliche Erkenntnisse beziehen, sondern auf ihre eigene eingebildete Meinung. Pfffff.“
María Sonia Cristoff aus Buenos Aires war in Leipzig, Rayk Wieland (Hamburg/Shanghai) war in Patagonien. Und jetzt waren sie beide auf der Buchmesse und haben mit Sabine Erlenwein vom Goethe-Institut über ihre Erfahrungen und ihre Blogs gesprochen, gedolmetscht von Friederike von Criegern (Percanta). Letztere beeindruckt mich sehr, wie mich Dolmetschen immer beeindruckt. Sie sieht so konzentriert aus, und so klug und schön. Wenn man sie sieht. Streckenweise macht die Kameraführung ja ziemlich deutlich, für wie wichtig die Dolmetscherin gehalten wird. Da ist die linke Bildhälfte leer, rechts sitzt María Sonia Cristoff, und man weiß, dass noch weiter rechts Friederike sitzt und spricht oder liest, man hört ihre Stimme, sieht sie aber nicht. Und zwar nicht aus Platzgründen. Dabei könnte das Gespräch ohne sie gar nicht stattfinden. (Und wer Cristoffs Buch übersetzt hat, wird natürlich auch nicht erwähnt. Es war Peter Kultzen.)
Da wundere ich mich immer, ob es denn wirklich keine Blogs von Literaturübersetzern gibt (außer meinem und Katys) oder ob ich sie nur noch nicht gefunden habe, denn eigentlich müssten Übersetzer doch halbwegs schreiben können und sowieso am Computer sitzen und anfällig für Prokrastination und sowas sein, aber bislang scheint es nicht viel zu geben. Aber da! Ein Licht! Kollegin Christiane Bergfeld bloggt! Offenbar mit Spezialgebiet Nonsense und Nursery Rhymes, was ich natürlich sehr begrüße. Willkommen im Club, Madame!
Och nöööö. Das ewige Problem mit diesen Bücher- und sonstigen Umfragen. Ich kann Lieblingsdingse nicht leiden, ich habe auch kein Lieblingsessen. Mal muss es Sushi sein, mal Schokolade, dann wieder Gemüseeintopf. Dass ich gern Tim und Struppi lese, tut meiner Begeisterung für David Grossman ja keinen Abbruch.
Die Autoren, die mich in den letzten paar Jahren am nachhaltigsten beeindruckt haben, sind wahrscheinlich Wolf Haas, Tilman Rammstedt, Jenny Erpenbeck, Anette Pehnt, Gerbrand Bakker. Oh, und Alan Bennett. Und die nenne ich deswegen, weil ich von ihnen mindestens zwei Bücher gelesen habe. Wenn ich die dazunehme, von denen ich nur eins, ach, lest doch am besten gleich hier.
Oder um es mit Frau Sopran zu sagen: „Lieblingsbuch“ ist so 1985. Ihr dürft mir aber gern erzählen, was Euer Lieblingsbuch ist. Wenn Ihr eins habt.