Meinung: Übersetzer
Macht sie sichtbar!
Wider die Ignoranz. Ein Zwischenruf des Publizisten Volker Heigenmooser zum Internationalen Übersetzertag im Börsenblatt.
Herr Heigenmooser, ich könnt Sie grade mal knutschen.
Macht sie sichtbar!
Wider die Ignoranz. Ein Zwischenruf des Publizisten Volker Heigenmooser zum Internationalen Übersetzertag im Börsenblatt.
Herr Heigenmooser, ich könnt Sie grade mal knutschen.
1. Wir gehen durch Manchester. Ein Mann kommt uns entgegen, sieht uns kurz an, reißt den Arm hoch, brüllt „Sieg Heil!“ und marschiert an uns vorbei.
2. Tischnachbar in der Kneipe (strahlt): „From Germany! Oh! Thank you! Thank you and all the other German taxpayers for bailing us all out of the Euro crisis!“
Die neue Kolumne ist da! Schon seit Mittwoch, aber ich war unterwegs, daher erst jetzt der Hinweis: Ich habe eine Wildsau getauft. Naja, nicht ganz. Ich war bei einer Schiffstaufe.
Bei der Schiffstaufe hatte ich diesen Ohrwurm, konnte mich aber nur an zwei Zeilen Text erinnern, ich bin der Präsident! Ich werde heute eine Fäääähre taufen!. Als ich dann den Text dazu schrieb, hatte ich den Ohrwurm natürlich wieder und hörte mir das Lied auf YouTube an. Mehrfach. Diesmal wurmte es mein Ohr gleich mehrere Tage lang, und der Text blieb auch gleich hängen.
Dann fuhr ich mit Adelhaid nach Helgoland. Ich stieg in Hamburg in den Katamaran, sie stieg in Cuxhaven dazu, und schon auf der Hinfahrt fiel zum ersten Mal das Wort „Fähre“. Ich murmelte Fääähre taufen. Und erzählte Adelhaid von diesem hartnäckigen Ohrwurm. Sie kannte das Lied, sie sagte, sie sei der Präsident. Kaum im Hotel angekommen, hörten wir das Lied auf YouTube. Und nochmal.
Und wurden es geschlagene sechs Tage nicht mehr los. Wenn der Hubschrauber landete, sagten wir: da ist ja auch mein Heeeli! Wenn Rentnergruppen zu sehen waren, was sie auf der Insel immer sind: ich grüße alle Herzpatienten! Wenn der Krankenwagen mit Blaulicht kam: Tatütata, der Präsident! Wenn wir am Alfred-Wegener-Institut vorbeikamen: ich freu mich, dass die Jugend wieder forscht. Sie forscht! Abends sagte eine von uns ich mach jetzt bubu, und die andere fragte bist du extrem erschöpft? und die erste murmelte ich brauch nur vier Stunden Schlaf. Und wenn es gerade keinen Anlass für irgendwas gab, fing garantiert eine von uns wieder an mit Fääähre taufen! oder sagte einfach Krööötentunnel, und die andere hat sie verflucht. Es war unerträglich, wir waren unerträglich, und wir haben sowieso sechs Tage durchgekichert, aber das sagte ich womöglich schon. Als ich nach Hause kam, habe ich gleich noch den Mann angesteckt. Grauenhaft. Klickts ruhig an, hört es drei-vier Mal, Ihr werdet schon sehen. Ihr solltet fleißiger sein! Ich weiß nicht, ob ich die Worte Fähre, Präsident, Herzpatienten, Heli, Krötentunnel, Getreide oder Jugend forscht jemals wieder hören kann, ohne sofort an Rainald Grebe zu denken. Schönen Dank auch, Herr Grebe.
Als wir auf Helgoland waren, haben es viele auf Twitter mitgelesen, ziemlich viele dürften nicht verstanden haben, warum wir tagelang kryptische Sätze wie ich bin der Schirmherr dieses Krötentunnels oder Ihr seid alles faule Säcke twitterten: dieser Text hier war der Anlass. Bittesehr, DIE STAPELLAUF. Hat mit Fähren ebensowenig zu tun wie mit Präsidenten. Dafür aber mit einem Eisbrecher.
Erst vor kurzem habe ich ein nur zur Hälfte fiktionales Buch von Bennett gelesen, Vatertage, und das hier ist nun komplett Nicht-Fiktional – und ebenfalls nicht mein Lieblingsbennett.
„Die Lady im Lieferwagen“ ist eine alte Dame, beziehungsweise eben keine Dame, sondern eine Landstreicherin, die in einem Lieferwagen in Bennetts Vorgarten gelebt hat. Zwanzig Jahre lang. Das ist schon wirklich rührend, dass er sie zwar vor seiner Haustür campieren lässt, ihr auch gelegentlich was beim Einkaufen mitbringt und so weiter, aber gleichzeitig auf eine sehr britische Weise Abstand hält und sie nicht zu nah an sich rankommen lässt. Ein ganz eigenartiges Zusammenleben. Und eben: keine erfundene Geschichte, sondern gesammelte Tagebucheinträge aus diesen zwanzig Jahren.
Da dieser Text aber nur sechzig Seiten lang ist und das nicht reicht für ein Buch, sind hinten noch drei kürzere Texte angehängt: einer über Bennetts Verhältnis zu Büchern in seiner Kindheit (beziehungsweise das seiner Eltern), einer über die Straßenbahn seiner Kindheit, und einer über seinen Onkel Clarence, der im ersten Weltkrieg bei Ypern gefallen ist und seitdem durch die Familie geistert. Kann man alles machen, ist alles völlig in Ordnung (hey, es ist Bennett), aber irgendwie doch eher was für echte Fans. Ich bleibe dabei: lest unbedingt Die souveräne Leserin, Così fan tutte und Handauflegen.
Dass Bennett im Regal zwischen Benn und Bergengrün steht, wisst Ihr ja nun schon.
Alan Bennett (Ingo Herzke): Die Lady im Lieferwagen. 90 Seiten. Wagenbach, Taschenbuch, 8,90 €.
Als ich vor ein paar Monaten in meiner Lieblingsbuchhandlung übernachtet habe, da habe ich schon mal kurz in dieses Buch reingelesen. Und schrieb: „gesammelte Blogtexte, schnarch, ich finde sie öde. Natürlich bin ich in Sven Regener verliebt, wenn er Musik macht, aber das Buch brauche ich nicht.“
Ich weiß selbst nicht, warum ich es jetzt doch gelesen habe, wahrscheinlich, weil ich halt in den Herrn verliebt bin (also, in seine Musik), jedenfalls: das ist total lustig! Sven Regener hat von 2005 bis 2010 immer mal wieder gebloggt. An unterschiedlichen Stellen, immer für eine begrenzte, meist recht kurze Zeit, dann aber sehr regelmäßig, teilweise mehrmals täglich. Vor Erscheinen der neuen CD, während der Buchmesse, auf Tour und so weiter. Dabei betreibt er einerseits zwar das klassische Tagebuchbloggen, teilt aber andererseits erstaunlich wenig von dem mit, was tatsächlich passiert. Und dabei ist er von absolut umwerfender und entwaffnender Belanglosigkeit. Kostprobe, beliebig aufgeschlagen:
Das, liebe Leute, ist ja wohl sensationell. Und dann ruft auch noch dauernd Hamburg-Heiner an, kurz „Hamburg“ genannt, und erklärt ihm, wie er bloggen oder nicht bloggen soll. Wirklich unfassbar sinnlos und lustig, geschmückt mit irre schlechten Fotos. Toll! Ehrlich, das ist ganz, ganz großartig.
(Und dann komme ich am Freitag auf diese prominent besetzte Party, und der erste, der mir auffällt, ist Sven Regener, und ich gucke hin und dann schnell wieder weg und bilde mir ein, er hätte auch kurz geguckt, und dann fange ich schnell an zu summen „da wo du nicht hinsiehst, steht er und schaut weg“ und muss lachen, denn „geh doch hin“ kommt natürlich nicht in Frage. Dann sehe ich ihn für den Rest des Abends auch gar nicht mehr, er scheint früh gegangen zu sein. Vielleicht musste er früh raus. Hat er was verpasst, gegen ziemlich spät wurde noch mächtig getanzt, großer Spaß.)
Sven Regener wohnt im Regal zwischen Elisabeth Rank und Marcel Reich-Ranicki.
Bei Amazon kann man sich ein Stück von ihm vorlesen lassen.
Sven Regener: Meine Jahre mit Hamburg-Heiner. 432 Seiten. Galiani, 19,95 €. (Das finde ich, ehrlich gesagt, ein bisschen teuer für ein Taschenbuch, auch wenn’s die bessere Sorte Taschenbuch ist.)