Siri Hustvedt (Uli Aumüller): Der Sommer ohne Männer

Mias Mann hat eine Geliebte und braucht eine „Pause“ von der Ehe. Mia bricht daraufhin erstmal zusammen und muss für eine Weile in die Psychiatrie. Danach haut sie ab in ihre Heimatstadt, wo ihre alte Mutter im Altersheim lebt, und mietet sich dort ein Häuschen. Sie besucht die Mutter und ihre alten Freundinnen oft, außerdem gibt sie an einer Schule einen Kurs im Gedichteschreiben (sie ist Lyrikerin) und führt eine Art nachträgliches Tagebuch über den Sex in ihrem bisherigen Leben.
Und währenddessen sondert sie dermaßen viel Bildung und Psychologie ab, dass man sich dauernd fragen muss, ob das wirklich die Protagonistin ist, oder ob nicht vielmehr die Autorin unentwegt darauf hinweisen muss, wie intellektuell und wie sensibel sie ist.
Komisch, das war in „Was ich liebte“ eigentlich auch schon so, aber das mochte ich ganz gern (außer dass ich es hinten zu lang fand). Diesmal nervt es mich so, dass ich jetzt auf Seite 120 aufhöre. Vielleicht tue ich ihr damit schrecklich unrecht, das ist ja bestimmt kein schlechtes Buch, aber ich bin wohl gerade nicht in der richtigen Stimmung dafür.
Hustvedt wohnt im Regal zwischen Hürlimann und Hyland.

Siri Hustvedt (Uli Aumüller): Der Sommer ohne Männer. 304 Seiten. Rowohlt, 19,95

Horst Evers: Für Eile fehlt mir die Zeit

Ich kann ja eigentlich nicht so gut mit „lustigen“ Büchern. Ich kann überhaupt nicht gut mit Leuten, die auf die Bühne gehen und Witze machen. Comedy geht normalerweise gar nicht, das finde ich fast immer grauenhaft unlustig, und Kabarett naja, geht so, eigentlich auch nicht mein Ding.
Was Horst Evers macht, ist irgendwas dazwischen, und er ist die große Ausnahme: Seine Bücher finde ich wirklich lustig, ich muss beim Lesen laut lachen, und ich mag ihn auch auf der Bühne. Einmal im Jahr, zum Ende bzw. Anfang des Jahres, macht er nämlich zusammen mit ein paar anderen reizenden Damen und Herren, darunter Bov Bjerg und Manfred Maurenbrecher, einen kabarettistischen Jahresrückblick. Da gehe ich seit Jahren hin und finde es immer sehr, sehr lustig.

Jetzt habe ich zum zweiten Mal ein Buch von ihm gelesen, und wieder mit großem Vergnügen. Der analog twitternde Nachbar, die hässliche, schwere Steingut-Obstschale namens Pirmin, oder die Szene auf der Buchmesse, die damit anfängt, dass Horst Evers eigentlich nur die Toilette sucht und dann über einen weinenden andalusischen Engel dabei endet, sich für uninteressante Bücher … ach, lest das doch selbst, bitte, ich habe mich prächtig amüsiert. Oder der Onkel, der nach einem Unfall seinen Führerschein abgeben soll, wobei sich rausstellt, dass er nie einen hatte, sodass er jetzt quasi einen machen muss, um keinen mehr zu haben. Her-vor-ra-gend!

Außerdem:

    „Gehe zur Baguettekette, will was bestellen, muss plötzlich eine Unmenge von Entscheidungen treffen: welches Sandwich? Welche Brotsorte? Getoastet – ja oder nein und warum? Ääääh, der Mann hört gar nicht mehr auf, mich Zeug zu fragen. Welche Soße? Scharf oder mild? Welche Größe? Was soll das? Um 7.15 Uhr morgens! Um 7.15 Uhr morgens fragt der mich hier lauter Zeug. Um die Uhrzeit kann ich mich normalerweise nicht mal entscheiden, ob ich durch den Mund oder die Nase atme. Welches Gemüse? Wie viel davon? Will ich ein Erfrischungsgetränk? Das weiß ich doch nicht, und das will ich auch gar nicht wissen!“

An mein Herz, Horst! Geht mir ja ganz genau so.

Was ich an Horst Evers’ Geschichten so mag, ist, dass er zwar lustige Sachen erzählt, auch über andere Leute, sich aber nie über sie lustig macht. Oder zumindest nicht bösartig und nicht mehr, als er sich über sich selbst lustig macht. Wenn da irgendjemand ein bisschen trottelig rüberkommt, dann höchstens er selbst, aber auch über sich selbst macht er sich noch auf eine irgendwie liebevolle Weise lustig. Anders gesagt: er nimmt die Leute, über die er schreibt, durchaus ernst, sich selbst eher nicht so. Und das finde ich unglaublich sympathisch, und das ist vielleicht auch der Unterschied zu den meisten anderen Spaßmachern: die neigen nämlich allzu oft dazu, sich selbst ziemlich ernst zu nehmen und sich über andere lustig zu machen. Außerdem schreibt er immer so schön anderthalb.

Im Regal wohnt Horst Evers in prominenter Nachbarschaft zwischen Jeffrey Eugenides und William Faulkner.

(Im Übrigen habe ich den Herrn gerade noch aus ganz anderen Gründen lieb, aber das zeige ich Euch dann demnächst.)

Horst Evers: Für Eile fehlt mir die Zeit. 224 Seiten. Rowohlt, 14,95 €.

q.e.d.

Buch ausgelesen, ich suche mir ein neues aus dem SuB. Das nehme ich mit ins Bett, mache es mir dort gemütlich und dann: ist das Buch eingeschweißt. Meine Fingernägel sind zu kurz, ich kriege die Folie nicht ab. Auf, in und unter meinem Nachttisch keine Schere, keine Nagelfeile, keine Haarklammer, nichts, was scharf oder spitz genug wäre, um diese vermaledeite Folie abzukriegen, der Mann hat auf seiner Seite auch nichts, ich fluche, er lacht. Da liege ich gemütlich mit meinem Buch im Bett und komme nicht an die Seiten ran! Stehe ich jetzt wieder auf, um mir eine Schere zu holen? Ich drehe das Buch um, da steht hinten drauf: „Andere nennen es Alltag. Horst Evers nennt es Schikane.“

Wolf Erlbruch: Frau Meier, die Amsel

Frau Meier macht sich Sorgen. Ob sie vielleicht zu wenig Rosinen in den Kuchen getan hat, oder dass ein Bus vor ihrem Haus im Schnee ausrutschen und verunglücken könnte, und ob sie dann genug Kuchen hat für die Ausflügler, die in dem umgekippten Bus saßen. Oder ob die Sonne morgen wieder aufgeht, und wenn nicht, ob ihre Radieschen dann noch wachsen.
Herr Meier macht sich keine Sorgen. Er kocht ihr einen Pfefferminztee und geht ansonsten meist gerade einem seiner zahllosen Hobbys nach. Auf den Bildern allerdings sieht man auch, dass er seine Frau trägt.
Eines Tages findet Frau Meier eine kleine Amsel, die aus dem Nest gefallen ist. Sie päppelt sie hoch, baut ihr ein Nest und füttert sie. Herr Meier sagt „Tu, was Du nicht lassen kannst“. Als das Amselkind groß genug ist, findet Frau Meier, dass es fliegen lernen muss. Aber wie soll man ihm das beibringen? Den Rest verrate ich nicht.

Genau, Wolf Erlbruch ist der mit Ente, Tod und Tulpe und Die große Frage, die ihr hoffentlich alle kennt. Die liebe ich beide so sehr, dass ich in alles reingucke, was von Wolf Erlbruch illustriert ist.
„Reingucken“ heißt dann meistens, und so auch hier: komplett lesen, das ist ein Buch für 10 Minuten. Und dann habe ich es sofort erstens verschenkt und zweitens auf meinen Wunschzettel gesetzt, weil: wunderschönes Buch. Schöne Geschichte, wundervoll illustriert, wie immer. Was fürs Herz und zum Hinter-die-Löffel-Schreiben. Und übrigens kann man nicht nur von Wolf Erlbruch ziemlich unbesehen alles kaufen, sondern überhaupt alles aus dem Peter Hammer-Verlag, scheint mir. Die machen offenbar nur tolle Sachen. Oder jedenfalls sehr viele.

Vielen Dank für dieses Geschenk, Maximilian! Ich freu mich mächtig.

Wolf Erlbruch: Frau Meier, die Amsel. Peter Hammer-Verlag. Gibt es in zwei verschiedenen Größen, das Große ist ca. 28,5 x 25 cm groß und kostet 13,90 €, das kleine ist … ähm, kleiner halt und kostet 8,90 €.

Alan Bennett (Ingo Herzke): Die Lady im Lieferwagen

Erst vor kurzem habe ich ein nur zur Hälfte fiktionales Buch von Bennett gelesen, Vatertage, und das hier ist nun komplett Nicht-Fiktional – und ebenfalls nicht mein Lieblingsbennett.

„Die Lady im Lieferwagen“ ist eine alte Dame, beziehungsweise eben keine Dame, sondern eine Landstreicherin, die in einem Lieferwagen in Bennetts Vorgarten gelebt hat. Zwanzig Jahre lang. Das ist schon wirklich rührend, dass er sie zwar vor seiner Haustür campieren lässt, ihr auch gelegentlich was beim Einkaufen mitbringt und so weiter, aber gleichzeitig auf eine sehr britische Weise Abstand hält und sie nicht zu nah an sich rankommen lässt. Ein ganz eigenartiges Zusammenleben. Und eben: keine erfundene Geschichte, sondern gesammelte Tagebucheinträge aus diesen zwanzig Jahren.
Da dieser Text aber nur sechzig Seiten lang ist und das nicht reicht für ein Buch, sind hinten noch drei kürzere Texte angehängt: einer über Bennetts Verhältnis zu Büchern in seiner Kindheit (beziehungsweise das seiner Eltern), einer über die Straßenbahn seiner Kindheit, und einer über seinen Onkel Clarence, der im ersten Weltkrieg bei Ypern gefallen ist und seitdem durch die Familie geistert. Kann man alles machen, ist alles völlig in Ordnung (hey, es ist Bennett), aber irgendwie doch eher was für echte Fans. Ich bleibe dabei: lest unbedingt Die souveräne Leserin, Così fan tutte und Handauflegen.

Dass Bennett im Regal zwischen Benn und Bergengrün steht, wisst Ihr ja nun schon.

Alan Bennett (Ingo Herzke): Die Lady im Lieferwagen. 90 Seiten. Wagenbach, Taschenbuch, 8,90 €.

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