Gastbeitrag von Marko Langer
Herr Müller, Herr Süper, Herr Schlote und wir auch
Ob er immer so schnell ging? Oder ob er es nur zum Schluss eilig hatte? Das haben wir nie herausbekommen. Herr Müller, so um die 70, war sehr dünn und trug meist Hut und einen schwarzen Mantel. Wie ein Olympiageher lief er die Straße entlang, um für Renate Einkäufe zu machen oder etwas zu erledigen. Renate, das war die Blumenfrau in unserem Viertel, die Herrn Müller zumeist sehr strikte Anweisungen gab oder sich über ihn aufregte.
Später, als der Herr Müller recht krank und der Blumenladen von Renate schon geschlossen war, hat sie sich noch um den dünnen Mann gekümmert. Sonst hatte er ja niemanden mehr, meinte sie. Der Herr Müller, der hieß übrigens wirklich so.
Köln-Klettenberg, das liegt links von der Luxemburger Straße, wenn man stadtauswärts fährt, am Uni-Center vorbei. Da waren Herr Müller und die Renate zuhause. Heute trifft man sie hier nicht mehr, dafür kann man bei Carmelo, dem nicht so groß gewachsenen Italiener eine Pizza zum Mitnehmen bestellen oder in seiner neuen „Snack-Bar“ einen Espresso oder einen Prosecco trinken. „Snack-Bar“ ist dabei nicht mit „äh“ auszusprechen, sondern mit „a“. So wie Lack, Pack oder Hack. Jedenfalls der Aussprache von Carmelo nach.
Rechts von der Luxemburger Straße liegt Sülz, die Taxifahrer wissen da korrekt zu unter-scheiden. In Sülz kann man – wenn man Glück hat und die Sonne scheint – Hans Süper bei einem Kaffee vor der Bäckerei-Filiale sitzen sehen. Wer freundlich ist, den grüßt der Herr Süper auch zurück. Der Mann ist in Köln weltbekannt. Er war die bessere Hälfte des Colonia-Duetts an der Seite von „Zimmermään“ („Du Ei“) und im Karneval mit seiner „Flitsch“ (Mandoline) ein Brüller. Heute ist Süper 76 und trinkt seinen Kaffee.
Wer sich noch etwas weiter nach Sülz verläuft, der kann – wenn er Glück hat und die Sonne scheint – auch Wilhelm Schlote treffen. Der ist für seine Zeichnungen und Illustrationen berühmt, nicht nur in Köln. Wenn man hier Manneken zu Schlotes Figuren sagt, ist das nicht abwertend gemeint. Schlote ist eher nicht vor der Bäckerei-Filiale anzutreffen, sondern manchmal beim Wein im „Balthasar“ am Auerbachplatz. Was vielleicht damit zu tun hat, dass er erst vor einem Jahr nach langer Zeit in Paris nach Sülz gekommen ist. In die Sülzburg-straße, um genau zu sein. Seine Galerie besitzt sogar einen eigenen Poststempel! Wer hat so etwas noch, wenn er nicht gerade VW oder die Deutsche Bank oder sonstwer ist.
„Mein Opa ist Buntstiftmaler und ich denke, in unserer Zeit ist Buntstiftmaler ein schöner und sehr wichtiger Beruf“, sagt Schlotes Enkelin Charlotte in dem Kinderbuch, das der Opa gemacht hat.
Der Buntstiftmaler ist Jahrgang ’46 und ähnlich wie Hans Süper hat er fast weiße Haare. Das ist deshalb bemerkenswert, weil die Menschen dieses Jahrgangs, die früher Sülz und Klettenberg ihre Gesichter gegeben haben, ansonsten hier langsam verschwinden. Ob sie einfach wegsterben oder wegziehen müssen, ist nicht so ganz klar. Jedenfalls sieht man sie seltener auf Kissen gestützt in den Fenstern auf die Straßen schauen. Dafür entstehen jetzt hier lauter so seltsame Dinge wie das Neubauprojekt „allegro Sülz“ auf dem Gelände des früheren Kinderheims: Luxuswohnungen, jede Menge auf engstem Raum. Der Stadtteil wird schick, er wird voll, und er wird teuer.
Seit 18 Jahren leben wir hier. Klettenberg und Sülz, das war nie so schick und überdreht wie Lindenthal oder Marienburg. Unsere Kinder sind hier aufgewachsen. Und es wäre eine schöne Idee, auch dann noch in Klettenberg zu leben, wenn mein Enkelkind sagen kann: „Mein Papa schreibt Geschichten und ich denke, in unserer Zeit ist Geschichtenschreiber ein schöner und wichtiger Beruf.“
(Über den Goethestein hinter der Burg Frauenstein bei Wiesbaden)
Der „Goethestein“ beruht auf einem historischen Missverständnis. Schon im Mittelalter lag oben auf dem Hügel hinter der Burg Frauenstein (12. Jahrhundert) ein Findling, dem magische Kräfte zugesprochen wurden; möglicherweise galt der Hügel sogar bereits in heidnischer Zeit als heiliger Ort. Es gibt Berichte von der Heilung schlimmer Krankheiten, von neuer Hoffnung in hoffnungslosen Lebenssituationen, von der Erlösung von Dürreperioden und anderen Katastrophen, die dem Stein zugeschrieben wurden. Angeblich soll schon Karl der Große vor seinem Feldzug gegen Herzog Hunold von Aquitanien hier gewesen sein. Der Findling wurde daher „der gute Stein“ genannt, „der guote Stein“; es gab hier keine Hexen oder bösen Geister, sondern von dem Stein ging stets ausschließlich Gutes aus. Unklar ist, wann, auf welche Weise und wohin der Stein verschwunden ist. Dass er existiert hat, gilt jedoch als gesichert, er ist auf zahlreichen Gemälden abgebildet und wird in verschiedensten historischen Quellen erwähnt.
Mit der Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert verlor der Aberglauben im Volk nach und nach an Bedeutung, und mit ihm auch der Gute Stein. Der Ort oben auf dem Hügel muss den Namen „Guter Stein“ im Volksmund aber behalten haben, auch wenn er auf Karten aus der Zeit nicht verzeichnet ist.
Ende des 19. Jahrhunderts findet sich die erste urkundliche Erwähnung eines „Goethesteins“; vermutlich war der Findling zu dieser Zeit allerdings schon entfernt worden und nur der Ortsname war – mit einer leichten Veränderung – geblieben.
Der Germanist und spätere Nazifunktionär Dr. Johannes Stein setzte sich Ende der zwanziger Jahre dafür ein, an dem Ort, der bekanntermaßen „Goethestein“ hieß, nun endlich auch einen Goethestein zu errichten, zum Gedenken an den großen deutschen Dichter, der stets nach Höherem gestrebt habe. Und so wurde 1930 nach einem Entwurf Johannes Steins der hohe, schmale Tetraeder errichtet, und seitdem mit allerlei Goethezitaten in Verbindung gebracht: „Das ewig Weibliche zieht uns hinan“, „Himmelhochjauchzend“ oder „Warum doch erschallen himmelwärts die Lieder“.
Im Moment untersuchen Historiker und Geologen, ob es sich beim „Goethestein“ im Schlosspark zu Gotha um den Findling handeln könnte, den „guten Stein“, der einst auf dem Hügel hinter dem Frauenstein lag.
[Das ist alles erstunken und erlogen und mein Beitrag zu 63,75.]
Die Buddenbohms sind auf Wohnungssuche und nähern sich langsam der Erkenntnis, dass sie möglicherweise aus ihrem gebliebten Bahnhofsviertel wegziehen müssen. Weil sie aber kaum wissen, wie andere Hamburger Stadtteile so sind, bat Maximilian mich (und weitere sollen folgen), über meinen Stadtteil zu schreiben:
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Borgfelde
„Wo wohnt Ihr?“
„In Borgfelde.“
„Was wollt Ihr denn da?“
So viel zum Image von Borgfelde. Borgfelde ist der kleinste Stadtteil Hamburgs. Er liegt zwischen St. Georg und Hamm und umfasst – im Uhrzeigersinn, angefangen auf elf Uhr – das Gebiet zwischen Bürgerweide, Burgstraße, Grevenweg, Wendenstraße, Normannenweg, Anckelmannsplatz, Bürgerweide. Dieser Bereich wird wiederum in zwei Hälften geteilt: Oben-Borgfelde und Unten-Borgfelde. Praktischerweise ist „oben“ die nördliche Hälfte, also auch auf der Karte oben, und „unten“ ist die südliche Hälfte, also alles, was südlich der Borgfelder Straße liegt.
Hier geht’s zum Artikel
Kiki über Flüchtlinge im Allgemeinen und im Speziellen. Aus leider gegebenem Anlass, denn was da gerade in Berlin passiert, ist wirklich nicht zu fassen. Da werden frierenden, hungernden Menschen nachts bei Bodenfrost die Decken und Isomatten weggenommen. Habt Ihr noch nicht mitbekommen? Weil die Medien nicht darüber berichten? Das ist, genau: ebenfalls nicht zu fassen.
Und hier noch ein interessanter Artikel im Spiegel zum Stammtischgerede von „Die kommen alle nur her, weil sie hier wie die Made im Speck leben“ und „Wir können uns das auch nicht mehr leisten“ und „Das werden immer mehr“. Nichts davon ist nämlich wahr.