Zora Neale Hurston (Hans-Ulrich Möhring): Vor ihren Augen sahen sie Gott
Kennt Ihr die Edition fünf schon? Nicht? Also: Edition fünf ist ein relativ neuer Verlag, es gibt ihn seit ungefähr anderthalb Jahren. Jedes Jahr sollen fünf von Frauen geschriebene Lieblingsbücher erscheinen, diesen Herbst kamen die zweiten fünf. Die Bücher sehen wunderschön aus, in rotes Leinen gebunden, mit Lesebändchen und einer Banderole um das untere Drittel. Die Banderolen der ersten fünf waren in Grüntönen gehalten, bei den zweiten fünf geht es jetzt langsam in Blau über. Zusammen ergeben diese Banderolen einen Farbverlauf – ganz perfide Idee, damit man am Ende alle Bände haben will! Auf den Banderolen und darunter auf dem Leinendeckel findet sich jeweils eine dieser wunderschönen Illustration von Kathleen Bernsdorf. (Genau: Von ihr stammt auch mein Buchcover. Habe ich mir genau deswegen gewünscht, weil ich die Edition fünf so schön finde.)
Zora Neale Hurston also, „Vor ihren Augen sahen sie Gott“. Der Titel hätte normalerweise dafür gesorgt, dass ich das Buch nicht angerührt hätte, aber Herausgeberin Karen Nölle hat es mir dringend ans Herz gelegt – und sie hatte recht. Was für ein tolles, tolles Buch! Janie kehrt nach ein paar Jahren in ihr Dorf zurück, nachdem sie mit dem deutlich jüngeren Tea Cake abgehauen war. Im Dorf zerreißt man sich das Maul; nur Janies alte Freundin Pheoby geht zu ihr hin und fragt, was eigentlich geschehen ist. Daraufhin erzählt Janie ihr ihre komplette Lebensgeschichte. Die Geschichte einer schwarzen Frau in Florida zu Anfang des 20. Jahrhunderts.
Janie wächst bei ihrer Großmutter auf, die noch die Sklaverei erlebt hat, und die für Janie vor allem eins will: dass sie heiratet und „auf einem Thron sitzt“. Sie verheiratet Janie sehr früh an irgendwen; es dauert nicht lange, da brennt Janie mit einem anderen durch. Der setzt sie dann tatsächlich auf einen Thron, und auf dem langweilt Janie sich fürchterlich. Aber ich will hier nicht allzuviel vom Inhalt erzählen.
Das Buch legt ein bisschen langsam los, fand ich, oder ich habe einfach ein bisschen gebraucht, um reinzukommen, keine Ahnung. Dann wächst Janie einem aber sehr ans Herz. Sehr. Man leidet mit ihr und freut sich mit ihr und versteht sie nicht immer, aber dann irgendwie doch. Tolle Frau.
Auffallend ist die großartige sprachliche Verarbeitung. Das liegt zum einen natürlich an der Übersetzung von Hans-Ulrich Möhring (die Kollegen sagen „Hum“), aber auch die Autorin hat schon eine gute Entscheidung getroffen: zwar erzählt Janie ihre Geschichte, aber wir Leser bekommen sie dennoch nicht von ihr als Ich-Erzählerin präsentiert, sondern von einem personalen Erzähler. Würde man Janie konsequent selbst erzählen lassen, dann müsste sie es im Slang erzählen, und das wäre auf die Dauer wahrscheinlich sehr anstrengend zu lesen. Der personale Erzähler aber erzählt in einer Sprache, die auch nicht immer ganz hochsprachlich ist, sondern immer wieder kleine umgangssprachliche Formulierungen und Wörter und Grammatik“fehler“ einbaut, sodass man daran erinnert wird, wer hier erzählt, aber eben dezent und nicht aufdringlich-anstrengend.
Was aber eine reine Übersetzerentscheidung ist, und zwar eine wirklich erstaunliche, ist, dass in der wörtlichen Rede immer mal wieder Sätze auf Englisch stehengeblieben sind. In breitem Slang. Und zwar neben der Übersetzung – wer den Slang nicht lesen kann (und das ist nicht ganz einfach, man muss es sich schon laut vorlesen, um es zu verstehen), der verpasst trotzdem nichts, weil die Übersetzung auch irgendwie eingebaut ist. Anfangs fragte ich mich, was das soll, da englische Slangsätze mit reinzuschreiben, aber ich habe mich schnell daran gewöhnt und finde es jetzt sehr gut. Es sorgt für Kolorit, und man hat den Ton dieser Farbigen sehr viel eindrücklicher im Ohr, als wenn alles einfach übersetzt worden wäre. Wirklich übersetzen kann man den Slang ja ohnehin nicht – man kann den Figuren eine extrem einfache Umgangssprache in den Mund legen und sich bestimmte Formulierungen einfallen lassen, aber man kann nicht beim deutschen Leser ein so eindeutiges Bild auslösen wie es im Englischen geschieht. Es beim Übersetzen mit den Dialekt-Nachahm-Versuchen nicht zu übertreiben, sondern die Stimmung unter anderem ein bisschen dadurch rüberzuholen, dass man einzelne Sätze auf Englisch wiederholt, halte ich für eine sehr, sehr gute Entscheidung.
Wirklich ein tolles und wunderschönes Buch.
Zora Neale Hurston bekommt einen Regalplatz zwischen Natsume Sôseki und Silvie Neeman Romascano.
Zora Neale Hurston (Hans-Ulrich Möhring): Vor ihren Augen sahen sie Gott. Edition fünf, 19,90 €
BHS Montag, 19. Dezember 2011 um 14:49 Uhr [Link]
Die Einbände sehen wirklich sehr schön aus, habe mir gerade einige angesehen und werde mit den einen oder anderen Band dieser Edition ausleihen. Danke für den Tipp!
Julian Dienstag, 20. Dezember 2011 um 09:26 Uhr [Link]
Bisher habe ich immer jeden Kollegen bedauert, der dieses Buch zum Übersetzen auf dem Tisch haben sollte. Und jetzt bin ich unwahrscheinlich neugierig geworden! Danke für den Anstoß!
Isabel Bogdan Mittwoch, 21. Dezember 2011 um 00:27 Uhr [Link]
Ja, lies mal, hat mich wirklich überzeugt.
Ania Montag, 31. August 2015 um 23:22 Uhr [Link]
Das Buch liegt vor mir und ich habe im Netz nach Rezensionen gesucht, die mir bei der Entscheidung helfen, ob ich es heute noch anfangen will – –
Ich bin dann mal weg. MIT dem Buch ;)