Edgar Rai: Etwas bleibt immer

Du stehst also auf der Terrasse des Haupthauses, eine Hand an der nachtkühlen Balustrade, und lauschst zur Küstenstraße hinunter. Wie immer um diese Jahreszeit duften die Pinien besonders intensiv. Eine Motoryacht teilt das Wasser und jagt aus der Buch, als hinge ihr Leben davon ab.

Nicolas, genannt Nino, ist Ende zwanzig und arbeitet als Haussitter dieses spektakulären Anwesens an der Côte d’Azur, das dem deutschen Industriellen Breuer gehört. Die Breuers sind praktisch nie da, und für Nino ist es optimal, dass er dort sehr viel allein ist. Er braucht keine Gesellschaft, er braucht seine Ruhe. Und ich bin heilfroh, dass der Grund dafür nicht im Klappentext ausgeplaudert wird, und natürlich plaudere ich hier auch nichts aus. Bis man es erfährt, hat man jedenfalls schon große Lust auf ein Anwesen an der Côte d’Azur und auf schönes Wetter, und vor allem hat die Einsamkeit dieses rätselhaften Mannes einem schon längst das Herz gebrochen.

Nino sorgt dafür, dass die Gegenstromanlage des Pools regelmäßig gewartet wird und dass im Haupthaus alles bereit ist, falls die Breuers doch mal kommen (Frau Breuer hat sehr genaue Vorstellungen). Er selbst lebt in einem Bungalow auf dem Gelände und läuft jeden Tag 20 km, um bei sich zu sein. Dienstags kommt die Gärtnerin Agueda, das ist immer ein Highlight, auch wenn er sich das noch nicht recht eingestehen mag. Agueda bringt eines Tages den Hund Silencio mit, der nicht bellt. Sie selbst muss für ein paar Tage weg und bittet Nino, den Hund zu nehmen. Und dann kündigen sich die Breuers an, und sie bringen auch noch Besuch mit, einen Geschäftspartner von Herrn Breuer mit seiner Frau. Ab da eskaliert es munter vor sich hin und wird am Ende irre spannend, damit habe ich am Anfang gar nicht gerechnet. Holla!

Das alles wird per Du-Erzähler erzählt. Ich habe bekanntermaßen das schlechteste Gedächtnis der Welt, aber erinnere mich jedenfalls nur an einen einzigen Du-Erzähler, nämlich bei Stewart O’Nan, und da hat es auch schon verblüffend gut funktioniert. Hier auch. Gerade bei einem Protagonisten, der dieses sehr spezielle Problem mit sich herumträgt, ist das wunderbar stimmig. Und diese langsame Eskalation, dieses zunächst gemächliche und dann immer rasantere Entblättern dessen, was ist, das ist wirklich großes Kino. Man möchte es dringend als Film sehen.
Merke: Öfter mal Bücher lesen, die vielleicht nicht so ganz ins eigene Beuteschema passen. Im April kommt ein neuer Roman von Edgar Rai, der passt auch nicht ganz in meins, also sollte ich ihn wohl auch lesen.

Edgar Rai wohnt im Regal zwischen Rabelais und Tilman Rammstedt.

***
Edgar Rai: Etwas bleibt immer, Berlin Verlag, 224 Seiten, 18,- €.
Taschenbuch
10,-€
E-Book 15,99 €.

(Edgar Rai ist außerdem Buchhändler, deswegen habe ich seine wunderbare Buchhandlung in Berlin verlinkt. Man kann es dort prima bestellen, ab 20,- versandkostenfrei.)

3 Kommentare

  1. lihabiboun Montag, 19. März 2018 um 10:10 Uhr [Link]

    OMG – was für eine Empfehlung!!!! In einem Rutsch durchgelesen und dann gleich ein zweites Mal hinterher. Lange kein so packendes Buch gelesen. DANKE!!! Kennen Sie andere Bücher von Herrn Rai?

  2. Isabel Bogdan Montag, 19. März 2018 um 10:24 Uhr [Link]

    Ich habe vor ein paar Jahren „Nächsten Sommer“ gelesen und auch sehr gemocht. Eine Roadstory, ebenfalls ziemlich spannend. Jedenfalls hat er schon reichlich geschrieben und Anfang April kommt was Neues, „Halbschwergewicht“.

  3. lihabiboun Montag, 19. März 2018 um 20:08 Uhr [Link]

    Merci merci, ich geh dann mal einkaufen ….

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