Tante Isas kleine Deutschstunde: verhaften / festnehmen

Liebe Krimi-Autorinnen und -Übersetzer, liebe Journalistinnen, das geht vor allem an Euch: verhaften kann man jemanden nur, wenn man einen Haftbefehl hat. Wenn man ihn auf frischer Tat ertappt, beispielsweise beim Steinewerfen auf Demonstrationen oder so, dann wird er festgenommen. Kann man sich ganz einfach merken: in verhaften steckt Haft, und das geht nur mit Haftbefehl.
Wenn man das einmal weiß, machen einen diese Meldungen, da seien auf einer Demo 20 Personen verhaftet worden, ganz jeck.

12 Kommentare

  1. rocketnsky Dienstag, 22. Januar 2013 um 11:08 Uhr [Link]

    Unterliegt nicht jeder, der bei frischer Tat festgenommen wird, automatisch einem Haftbefehl? Immerhin hat der Polizist nicht die Wahl, sondern es ist eine Pflicht, die ihm durch seine Berufswahl befehligt, auf frischer Tat in Haft zu nehmen.

    • Isabel Bogdan Dienstag, 22. Januar 2013 um 11:19 Uhr [Link]

      Nein, eben nicht. Ein Haftbefehl ist eine „schriftliche richterliche Anordnung zur Verhaftung einer Person“ (Duden), und der muss halt erst erlassen werden. Das dauert ein bisschen (also zumindest länger als es auf frischer Tat möglich wäre), es muss also schon vorher ein Tatverdacht bestehen.

    • Stephan Dienstag, 22. Januar 2013 um 15:03 Uhr [Link]

      Mich wundert immer wieder, daß gerade Du so Duden-hörig bist. Sprache ist – man verzeihe mir die Tautologie – das, was gesprochen, nicht was von halboffizieller Seite vorgeschrieben wird.

      Für das Zwangsverpflichten auf unliebsame Gemeinschaftsaufgaben ist mir beispielsweise die Formulierung „habe Kollegin xy zum Holzhacken verhaftet“ geläufig. In diesem Zusammenhang fühlte sich „festnehmen“ falsch an. Ich weiß nicht, ob das auf eine überkommene Zweitbedeutung, die sich im Laufe der Zeit abgeschliffen hat, zurückzuführen ist oder – was ich glaube – ob der berühmte Mann auf der Straße „verhaften“ einfach häufiger benutzt als „festnehmen“.

      Natürlich sind die Begriffe fachsprachlich sauber getrennt, und ich persönlich bin sehr dafür, diese auch zu benutzen. Allein der Sprachvielfalt wegen. Allerdings ist es vom Sprachpolizisten nicht weit zum Heuchler. Es haben sich so viele fachlich falsche Begriffe und Topoi eingebürgert, die wir anstandslos benutzen:

      Als Naturwissenschaftler klappen sich mir bei Atomkraftwerken, Stundenkilometern und Kohlehydraten die Fußnägel hoch. Meine Verwandtschaft, ein Richterpärchen, kann keinen Tatort sehen, ohne in hysterisches Gelächter auszubrechen. Auch das berühmte „Flatlining“, mit dem jeder Krankenhaustod bebildert wird, kommt meines Wissens im Klinikalltag nur vor, wenn die Kabel von den Brustelektroden abgerissen werden.

      Hat jemand weitere Beispiele?

      (Disclaimer: Ich habe von Sprachwissenschaft keinen Schimmer und wahrscheinlich unrecht. Aber der Duden, REALLY?)

    • Isabel Bogdan Dienstag, 22. Januar 2013 um 18:10 Uhr [Link]

      Nee, dudenhörig bin ich durchaus nicht. Aber der Duden ist nun mal die Instanz, wenn es um „richtig“ und „falsch“ geht. Er ist die Grundlage, auf der alles andere passiert. Aber wenn der Duden zum Beispiel behauptet, man dürfe statt „Ärmel“ jetzt auch „Arm“ sagen, wie in: ein Hemd mit halbem Arm, dann kriege ich Pickel und Ausschlag und glaube ihm kein Wort. Ha.

      So etwas wie „Kunst“ allerdings entsteht unter anderem dadurch, dass man über die Regeln hinausgeht, bzw. dass man sie bewusst übertritt. Dafür muss man sie aber erst mal kennen und beherrschen. „Regeln sind mir egal“ genügt da nicht. Eine Faustregel für Lyrik lautet beispielsweise: Beherrscht das Metrum, ehe ihr es brecht! Ich finde, das gilt auch für alles andere: Man kann Regeln brechen, aber nur welche, die man beherrscht und ganz bewusst und mit Grund bricht. Das tue ich natürlich auch andauernd, beispielsweise in wörtlicher Rede, oder bei Ich-Erzählern, wenn ich meine „der spricht halt so“, oder auch hier im Blog.

      Wörtliche Rede ist sowieso ein Thema, an das man gar nicht mit den Kategorien „richtig“ und „falsch“ rangehen darf – Menschen reden so, wie sie reden. Und wie sie in Büchern reden, entscheidet der Autor oder Übersetzer. Und dann reden sie hoffentlich nicht „korrekt“, denn das tut ja kein Mensch. Aber hier ging es ja nicht darum, dass man jemanden zum Kartoffelnschälen verhaftet, was ja ohnehin eine übertragene Bedeutung ist, sondern ich habe mich da oben ausdrücklich an Krimi-Autoren und -Übersetzer und an Journalisten gewandt, also an Leute, die diese zwei Wörter – meiner Meinung nach – durchaus unterscheiden können sollten. Denn da geht es ja schon um Genauigkeit. Die „Deutschstunde“ ist ja genau für die Dinge da, bei denen es eben „richtig“ und „falsch“ gibt. Umgangssprache und wörtliche Rede und sowas scheren sich eh nur am Rande um diese Kategorien.

    • kid37 Dienstag, 22. Januar 2013 um 18:24 Uhr [Link]

      Geht mir ähnlich: Aber wenn der Duden zum Beispiel behauptet, man dürfe statt „das Blog“ jetzt auch „der Blog“ sagen, wie in: ein Blog, den ich kenne, dann kriege ich Pickel und Ausschlag und glaube ihm kein Wort. Ha.

    • Stephan Dienstag, 22. Januar 2013 um 19:25 Uhr [Link]

      @isa Mein Punkt war eigentlich ein anderer. Ich will das an meinem Beispiel „Atomkraftwerk“ aufdröseln. Aus physikalischer Sicht richtiger ist die Bezeichnung „Kernkraftwerk“, weil im Inneren des Kraftwerks ein Kernreaktor steht, in dem Kernreaktionen ablaufen, bei der die Elektronen der Atomhülle keine Rolle spielen. Nun ist der Kern Teil des Atoms, insofern ist „Atomkraft“ nicht völliger Nonsense, aber strenggenommener- und logischerweise würde Atomkraft die Energie bezeichnen, die man mit chemischen Reaktionen gewinnt, bei denen eben Atome und nicht Kerne oder Kernbestandteile die Funktionseinheiten sind. Ein ABC-Pflaster heizt z.B. mit Atomkraft.

      Laut Wikipedia geht die Bezeichung „atomic bomb“ auf einen http://en.wikipedia.org/wiki/The_World_Set_Free von H.G. Wells zurück.

      Später sind wir alle mit „Atomkraft – Nein Danke!“-Buttons herumgelaufen, der Duden führt das Kernkraftwerk selbstverständlich auf das Atomkraftwerk zurück.

      Wie lange beharrt man da auf richtig und falsch? Ich selbst winde mich, wenn ich das vermeintlich Falsche höre, würde aber – außerhalb des Physikunterrichts – nie jemanden korrigieren, weil „Atomkraft“ & Co. im allgemeinen Sprachgebrauch so verbreitet sind. Und irgendwann entscheiden die Zeit und die Mehrheit – mal hat’s der Duden schon mitbekommen, mal nicht.

    • Isabel Bogdan Mittwoch, 23. Januar 2013 um 10:06 Uhr [Link]

      Das ist ja genau das, was ich auch schon immer predige – Sprache verändert sich, das hat sie schon immer getan. Und logisch und korrekt ist sie auch nicht immer. Wie lange man Veränderungen als „falsch“ empfindet, und ab wann sie als „angekommen“ betrachtet werden können, ist eine sehr, sehr schwierige Frage. Im Gespräch mit Lektoren kommt man mit „steht sogar schon im Duden“ ganz gut durch. (In meinem Fall sind meist die Lektoren die konservativeren, nicht ich.) Der Duden kann einem schon gut beim Argumentieren helfen. Aber ansonsten ist das tatsächlich oft eine Frage des Gefühls und des individuellen Sprachgebrauchs. Um aber in diesem „Gefühl“ sicherer zu werden, ist es ganz gut, Dinge wie beispielsweise den Unterschied zwischen verhaften und festnehmen zu kennen.

  2. kid37 Dienstag, 22. Januar 2013 um 11:52 Uhr [Link]

    Na ja. Außerhalb der juristischen Fachsprache nimmt man da kaum einen für in Haft. (Oder in Gewahrsam.) Zumal, wenn der Platz nicht reicht. „Verhaftet: kid37″ paßt unter Umständen halt besser in die Zeile als „Festgenommen: kid37″. Oder heißt es „Fest genommen“? Das bedeutet dann was anderes oder? Ach, einfach in die Schluß/Schluss.

    • Isabel Bogdan Dienstag, 22. Januar 2013 um 12:32 Uhr [Link]

      Ich bin ja hier die Sprachpolizei, und hier wird man für sowas schon festgenommen. Also lasst Euch besser nicht auf frischer Tat ertappen!

  3. Curima Mittwoch, 23. Januar 2013 um 14:16 Uhr [Link]

    Ich hab mich ja mittlerweile an die völlig wirre Verwendung juristischer Begriffe gewöhnt und eingesehen, dass die Leute sich vermutlich einfach lieber vorstellen, dass es vor deutschen Gerichten so spannend ist wie bei Law&Order, auch wenn hier der Anwalt eben nicht „Einspruch“ schreien darf ;)
    Wobei ich ja jetzt auch nicht so ganz sehe, wieso man bei der Unterscheidung von „verhaften“ und „festnehmen“ mit dem Duden argumentiert und nicht mit dem zugrunde liegenden Gesetzbuch. Aber da ist man dann wieder bei Umgangssprache und Fachsprache und aaaah.
    Aber schön, dass mal einer drauf hinweist ;)

    • Isabel Bogdan Mittwoch, 23. Januar 2013 um 14:20 Uhr [Link]

      Den Duden habe ich aufm Rechner; wo ich im Gesetzbuch gucken müsste, keinen Schimmer. Und, genau: das ist halt auch in der „Normalsprache“ ein Unterschied. Wenn ich mit dem Gesetzbuch gekommen wäre, hätte sicher jemand behauptet, das sei nur was für Fachleute.

  4. Curima Mittwoch, 23. Januar 2013 um 15:16 Uhr [Link]

    Ach, man kann nach Paragraphen aus verschiedenen Gesetzestexten verhaftet werden, so isses nicht *g* Nach manchen aber nur verhaftet, nicht festgenommen. Hah! ;)

    Aber ja, so genau will das ja keiner wissen, wenn man einfach in der „Normalsprache“ (schöner Begriff) davon redet. Aber wie Stephan oben schrieb – wenn man in einer bestimmten Fachsprache erstmal ein wenig hat, dann fällt einem schon oft eine (fachlich) falsche Verwendung ins Auge.

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