Was ich auch blöd finde
Neulich schrieb ich, dass ich es blöd finde, sich über Leute lustig zu machen, die irgendetwas nicht gut können.
Ebenso blöd finde ich es, sich über Leute lustig zu machen, die einen anderen Geschmack haben als man selbst. Dass man über Geschmack nicht streiten kann, wussten schon die alten Römer, und es ist ja auch sowieso klar: Geschmack ist etwas Individuelles. Was mir gefällt, gefällt meinem Nachbarn vielleicht nicht. Davon abgesehen hat Geschmack natürlich auch mit Modeerscheinungen zu tun, und dann auch mit Sozialisation und Herkunft und so weiter. Viele meiner engeren Freunde haben in manchen Dingen einen ähnlichen Geschmack wie ich. Aber niemand genau denselben. Nicht mal mein Mann und ich haben immer denselben Geschmack! Ich habe Freunde mit – für mich – vollkommen unmöglicher Wohnungseinrichtung, Freunde, die grauenhafte Musik hören, und Freunde, die entsetzliche Frisuren haben. Sie sind meine Freunde, weil sie tolle Menschen sind, und der Rest sind Äußerlichkeiten und eben Geschmackssache. Man stelle sich mal vor, wie langweilig die Welt wäre, wenn alle denselben Geschmack hätten. Ist doch super, dass das Leben bunt ist.
Manche meiner Freunde geben sogar ihren Kindern Namen, die ich nicht schön finde. Na und? Deswegen sind sie immer noch meine Freunde, und ihre Kinder auch. Nach dem ersten „oweia“-Gedanken ist es nämlich ganz schnell so, dass das Kind eben so heißt, wie es heißt, und fertig. Da braucht man dann auch nicht mehr dauernd drüber zu kichern. Und was für Freunde gilt, gilt erst recht für wildfremde Menschen: sie können ihre Kinder nennen, wie sie wollen. Wenn jemand seine Tochter Chantal-Cheyenne nennen möchte, dann soll er das doch bitte in Frieden tun dürfen, ohne dass gleich ganze Webseiten daherkommen und sich über die entsprechenden Geburtsanzeigen lustig machen. Nänänä, guckt mal, was für bescheuerte Namen die Leute ihren Kindern geben! Die haben vielleicht einen doofen Geschmack! Meiner ist viel besser, mein Kind heißt natürlich Johannes oder irgendeine Abwandlung davon. Entschuldigung, aber das ist doch primitiv.
Diese Eltern haben einfach einen *anderen* Geschmack als ihr. Das dürfen die! Und komme mir jetzt niemand mit „aber was die ihren Kindern damit antun“. Diese Eltern haben Namen für ihre Kinder ausgesucht, die sie schön finden. Sie geben Geburtsanzeigen auf, weil sie froh und glücklich über die Geburt ihrer Kinder sind, und weil sie ihre Kinder lieben. Und dann kommen so ein paar ungehobelte Hanseln daher, die sich für etwas Besseres halten, und kippen öffentlich im Internet Häme über diesen Eltern aus, bloß weil sie einen anderen Geschmack haben.
Das finde ich echt blöd. Es macht mich richtig wütend.
[Nein, ich werde die betreffende Webseite hier nicht verlinken.]
Im Übrigen: Unterschätzt mal die Kevins nicht! Die Kevins hauen uns raus!
Extamittel Donnerstag, 26. April 2012 um 14:32 Uhr [Link]
So wahr! Die zu Recht nicht verlinkte Seite finde ich auch enorm unlustig. Und es besteht ein himmelweiter Unterschied zwischen einem diskreten Grinsen und solch geballter Häme.
frauziefle Donnerstag, 26. April 2012 um 14:37 Uhr [Link]
ein klein bisschen Widerspruch an dieser Stelle. Sichlustigmachen über einen bestimmten ländlich lebenden Menschen im TV, oder die Wohnungseinrichtung/Frisur/Klamotte/Ausdrucksweise eines bestimmten Menschen – das setzt denjenigen herab. Da bin ich bei dir.
Aber diese Internetseite beschreibt ein Phänomen, keine einzelnen Personen.
Es ist so, wie Brigittestrickmuster aus den 80ern. Wenn wir uns darüber amüsieren, das damals als schick galt, qualifizieren wir damit jemanden ab? Ich glaube nicht. (und gruselig waren sie schon, die Sachen!)
Isabel Bogdan Donnerstag, 26. April 2012 um 15:16 Uhr [Link]
Janee, die Webseite beschreibt das Phänomen ja dadurch, dass sie ganz konkrete Beispiele vorführt und „nänänä“ macht. Wegen einer reinen Geschmacksfrage.
Wenn sie ein Phänomen beschreiben wollten, müssten sie auch auf die Sache mit den Johannessen eingehen.
Anke Donnerstag, 26. April 2012 um 15:16 Uhr [Link]
Was Frau Ziefle sagt.
Und: Mir kommt dieses ganze überkandidelte Benamsung (ob es jetzt Schanita-Schantall oder Wilhelm-Friedrich-Leviticus II ist) wie ein unsympathisches Zeitkonstrukt daher. Diese Idee, dass unsere Kinder es irgendwie *verdient* hätten, dass aus ihnen was Größeres wird, also mindestens DSDS-Sieger oder Physiknobelpreisträger. Anstatt die Racker, keine Ahnung, Stefan oder Silke zu nennen, denn das nähme ihnen ja von vornherein ein bisschen Größe.
(Sorry an alle Stefans und Silkes, I love you.)
Isabel Bogdan Donnerstag, 26. April 2012 um 15:23 Uhr [Link]
Aber sie heißen doch alle Johann und Anna, das ist doch quasi Stefan und Silke in grün.
Und ich glaube auch nicht, dass das neu ist, Wilhelm-Friedrich-Leviticus II gab es auch schon immer. Es gibt da zum Beispiel ein paar Übersetzerstipendien, die nach großen (toten) Kollegen benamt sind: – Johann-Joachim-Christoph-Bode-Stipendium
- Luise-Adelgunde-Victorie-Gottsched-Stipendium
- Barthold-Heinrich-Brockes-Stipendium
Zahnwart Donnerstag, 26. April 2012 um 15:30 Uhr [Link]
Ich glaube, da gehe ich auch eher mit Frau Ziefle. Sich darüber zu mokieren, dass jemand kein akzentfreies Englisch spricht, ist Blödsinn, verletzend, auch billig, da gebe ich dir recht. Aber Geschmack ist ein Spiel, und Teil dieses Spiels ist auch das Lästern. Mehr noch, es ist sogar unabdingbar: Um einen eigenen Geschmack auszubilden, ist es zwingend notwendig, dass man ein Verhältnis zum Geschmack des Gegenübers entwickelt, und dieses Verhältnis kann auch bedeuten: Find‘ ich doof, dass x den Künstler y schätzt. Damit werte ich x aber in keiner Weise ab, was den großen Unterschied zur „Sänk ju for trävelling“-Runtermacherei darstellt.
Vielleicht ist ja genau das der Unterschied zwischen cool und uncool? Lästern ist kay, und Runtermachen ist voll uncool?
Zahnwart Donnerstag, 26. April 2012 um 15:31 Uhr [Link]
Ich kaufe ein „o“. Und außerdem habe ich mir mit dem Kommentieren so viel Zeit gelassen, dass alle Argumente längst gefallen sind. Ach.
Isabel Bogdan Donnerstag, 26. April 2012 um 15:36 Uhr [Link]
Natürlich soll man ein Verhältnis zum Geschmack des Gegenübers entwickeln. Aber dann geht es doch gerade um das Nicht-Abwerten. Und meiner Meinung nach tut diese Webseite genau das: abwerten. Wie wahrscheinlich jedes öffentliche Lästern. Ich sehe das nämlich so wie Bettina: Privat mal grinsen ist was anderes. Ich habe ja gar nichts dagegen, diese Namen scheiße zu finden, ich finde die meisten auch scheiße. Aber das ist kein Grund, kollektiv und öffentlich mit dem Finger drauf zu zeigen.
adelhaid, mit ai und nicht mit ei Donnerstag, 26. April 2012 um 15:47 Uhr [Link]
ich muss frau ziefle hier recht geben, denn diese nicht genannte website zeigt wirklich ein phänomen, und nun ist die frage, ob man phänomene doof oder gut finden kann.
ich habe seit jahren die angewohnheit beim betreten der küche meiner mutter zunächst einmal das örtliche blatt zu nehmen und auf die familienanzeigen zu kucken und mich über die kindernamen zu beömmeln. da sind nämlich echt knaller dabei.
und nun kommen diese kindernamen gerade in meinen kursen an (ich hab diese angewohnheit offensichtlich schon ziemlich lange) und dann sitzt da ein kevin in meinem kurs und ist der schlauste der ganzen klasse und was soll man da sagen, außer ihm glück für die frisch angegange promotion zu wünschen?
sicherlich sind die menschen froh und glücklich über ihren nachwuchs und schreiben das dann auch in die zeitung und sicherlich ist ein jedes solches kind ein tolles und man muss sich freuen. aber das problem mit diesen namen ist dann doch, dass diese kinder sich ggfs mit der von den liebenden eltern gewählten schreibweise abfinden müssen und teilweise dazu verdammt sind, ihr langes leben lang zu sagen: nein, mit y und zwei e. danke.
und ich finde, sowas kann man kindern ersparen, indem man schlicht mal eben kuckt, wie der name im, let’s say, französischem original denn so geschrieben wird.
ich bin immer für internationale namen und so weiter. aber das phänomen, welches hier zu beobachten ist, ist eher eine angestrengte umschreibweise von herkömmlichen namen in anderen sprachen. und das ist ein phänomen, das ich durchaus doof finden kann.
Isabel Bogdan Donnerstag, 26. April 2012 um 15:56 Uhr [Link]
Ja, klar kannst Du das. Aber darum geht es doch gar nicht.
Übrigens haben sowohl Du als auch ich ganz „normale“ Namen und müssen trotzdem immer dazusagen, wie man es denn nun schreibt. Können wir doch mit leben.
Anke Donnerstag, 26. April 2012 um 15:59 Uhr [Link]
Klar gab es Wilhelm-Friedrich-Leviticus II schon früher. Deswegen heißen die Kinder ja so: Früher war alles besser, und deswegen kriegst du jetzt so nen Namen. (Ist aber ne Anke-Theorie. Vielleicht hieß der Großvater auch so, dann ist das wieder was anderes.)
Aber Schanita-Schantall ist nicht alt, sondern eine Erwartungshaltung. Wenn ich mich richtig erinnere, hießen früher in der DDR die Kiddies ja auch deswegen Ronny und Mandy. Wenn man schon nicht ins Ausland fahren konnte, sollten die Kinder wenigstens den Hauch von Internationalität mitbringen. Genau wie die arme Schanita-Schantall irgendwann mal vor Dieter Bohlen stehen soll/kann.
Isa Donnerstag, 26. April 2012 um 16:20 Uhr [Link]
Und Friedrich Wilhelm sollte mal Kaiser werden.
adelhaid Donnerstag, 26. April 2012 um 17:18 Uhr [Link]
hatter ja auch geschafft.
frauziefle Donnerstag, 26. April 2012 um 17:48 Uhr [Link]
und wie oft ich meinen Namen buchstabieren muss! Am Telefon fast immer. „Wie, Sie heißen Pierre?“
Und Ziefle schreibt auch keiner nach Gehör richtig. Ein Leid.
Isabel Bogdan Donnerstag, 26. April 2012 um 20:09 Uhr [Link]
Adelhaid, ich meinte all die anderen, die es nicht geschafft haben. Die eben so genannt wurden, weil der Kaiser so hieß. Ich glaube, mit Erwartungen verknüpfte Namen gab es schon immer.
Und Pia, genau das meine ich. Selbst wir normalbenamten müssen
buchstabieren, das ist kein Privileg der Charlenes.
Ich bleibe dabei, es ist eine reine Geschmacksfrage.
Anja Donnerstag, 26. April 2012 um 21:50 Uhr [Link]
Ich gebe dir recht. Mich ärgert an dem ewigen Sichlustigmachen vor allem die Überheblichkeit, die dabei mitschwingt. Außerdem muss man auch nicht alles kommentieren.
Frau Eff Freitag, 27. April 2012 um 07:19 Uhr [Link]
„Was ich auch blöd finde“ könnte eigentlich der Titel von Buch 2 werden.
Anne Freitag, 27. April 2012 um 07:55 Uhr [Link]
Och nein, nicht daraus ein Buch machen. Ich lese das ja ganz gerne, und denke dann drüber nach, ob ich zustimme oder nicht, aber für ein ganzes Buch ist mir das Thema irgendwie zu negativ. Nur über Sachen zu lesen, die jemand (und vielleicht auch man selber) blöd findet, da hat man ja nachher schlechte Laune.
adelhaid Freitag, 27. April 2012 um 09:42 Uhr [Link]
was aber ja auch mit diesem hype kommt, ist die fettnapfgefahr. da stimmt man sich also so schön ein, lacht über jede schackeline bruncken oder so (brunckens of this world – i love you all and your kids), und fühlt sich so gebildet und alles, und erzählt dann in lockerer runde über dieses phänomen der namenswahl, und zack, erzählt der versicherungstyp gegenüber, dass er auch so einer ist, und seiner tochter einen doppelvokal gegeben hat, weil er nicht wollte, dass es zu kurz ausgesprochen wird (wobei doch der konsonant, der dem ursprünglichen single-vokal folgt hierfür genug aussprachehilfe hätte sein können, aber gut).
ich glaube, so was passiert inzwischen vielen, weil man eben allzu schnell auf diese nänänänänääänäää-züge aufspringt, und meint, dass sein gesamte umfeld mit drauf hockt. tut es halt nicht. und dann verletzt man menschen, die man eigentlich ganz gern hat (versicherungsfutzis und ihre kleinen töchter sind hier jetzt mal eingeschlossen).
Isabel Bogdan Freitag, 27. April 2012 um 10:27 Uhr [Link]
Ja, das meine ich. Ist mir vor Eeewigkeiten auf einer Party passiert, dass eine ganze Runde über Leute mit komischen Namen sprach. Irgendwann fragte ich den Typen neben mir, wie er heißt, da sagt er: Ortwin. Ja, super.
Noch dazu kommt: die Leute haben alle Witze über ihren Namen schon gehört. Und nicht nur einmal. Und nein, der Witz, der einem gerade selbst dazu eingefallen ist, ist auch nicht neu.
No jokes with names. Ever.
Isabel Bogdan Freitag, 27. April 2012 um 10:41 Uhr [Link]
Und nee, kein Blödfindebuch! Ich glaube, ich bin besser im Gutfinden, und das macht auch viel mehr Spaß. Blödfinden macht hässlich.
Elle Freitag, 27. April 2012 um 20:31 Uhr [Link]
Geschmäcker sind verschieden, ok. Aber nur darauf zu verweisen greift im Zusammenhang mit diesem Phänomen evt. doch zu kurz. Denn worum geht es hier eigentlich? Um Abgrenzung und Abwertung. Um den Gedanken, dass, platt gesagt, nur dumme Eltern ihren Kindern so dumme Namen geben – über die die Eltern von Martha, Luise und Karl dann lachen. Ein offener Brief zum Thema hier: http://kiturak.wordpress.com/2012/01/15/offener-brief-an-die-vornamen-schlimm-finder_innen/
Anke Samstag, 28. April 2012 um 11:01 Uhr [Link]
Elle, danke für den Link. Bin gerade dabei, mir sehr an die eigene Nase zu fassen. Ich glaube zwar immer noch, dass ausgefallene Namen den Kindern helfen sollen, selbst ein ausgefallenes Leben zu leben (und da unterstelle ich den Eltern immer noch einen Drang zur Selbstverwirklichung, zu der sie selbst keine Möglichkeit mehr haben), und ich glaube zudem, dass auch Akademiker_innen Kindern Indianernamen geben könnten, weil sie vielleicht die Kultur der amerikanischen Ureinwohner_innen so toll finden, aber:
In einem Kommentar zum Artikel kam das schöne Stichwort „victim blaming“. Und das trifft’s leider. Zitat: „Das Problem hier bist Du. Nicht Kinder mit coolen Namen oder ihre Eltern.“
Weil ich von vornherein unterstelle, dass Kinder mit in meinen Ohren komischen Namen im Leben vielleicht verlacht werden könnten, ärgere ich mich über die Eltern, die nicht so darüber denken. Was genauso doof ist wie das Verhalten, was ich anderen Menschen vorwerfe, die über meine Körperform denken: „Als dicker Mensch kann man doch gar nicht glücklich sein.“ Kann man. Und wahrscheinlich denkt Schanita-Schantall gar nicht groß über ihren Namen nach, weil er eben einfach ihr Name ist.
(Ist das irgendwie nachvollziehbar?)
tl;dr: Asche auf mein Haupt. Wieder was gelernt. Obige Kommentare eventuell nochmal überdenken.
giardino Sonntag, 29. April 2012 um 11:02 Uhr [Link]
Sagen wir mal so: Ich fände die benannte Seite deutlich lustiger, wenn sie tatsächlich nur Heckscheiben und Zeitungsausschnitte dokumentieren würde, ohne die überflüssigen, herablassenden Kommentare.