Ausflug

Mein jüngstes Patenkind ist zweieinhalb. Buddenbohmblogleser kennen den jungen Mann unter dem Namen „Sohn II“. Sohn II und ich, wir sehen uns gelegentlich, er kennt mich durchaus, aber man kann nicht behaupten, dass ich ihm innig vertraut wäre. Dennoch beschloss er plötzlich eigenmächtig, er wolle jetzt mal etwas mit mir unternehmen. Nur er und ich, wir zwei alleine. Mit zweieinhalb.
Er hat auch gleich eine tolle Idee, was wir machen können: Züge gucken. Züge gucken ist super, schreibe ich Maximilian, ich komme ihn am Samstag Nachmittag abholen.
Samstag früh ist eine Mail von Maximilian da: Sohn II rufe mich seit sieben Uhr morgens pausenlos mit seinem Spielzeughandy an. Ich antworte, dass ich ihn gegen halb vier abhole. Um zwei klingelt das Telefon. Ein Kinderstimmchen, das es offenbar überhaupt nicht mehr erwarten kann, winselt: Ein Auuusfluuug! Ein Auuusfluuug! Mit dir! Ja, sage ich, wir machen einen Ausflug, lass uns Züge gucken gehen, ich hole Dich gleich ab. Das Kinderstimmchen piepst: Und ein Schokoeis! Na klar, sage ich, ein Eis bekommst du auch. Das Kind weiß, was es will.

Und dann laufe ich mit dieser zweieinhalbjährigen Persönlichkeit zweieinhalb Stunden lang durch Hamburg. Wir gucken an der großen Baustelle nach, ob Bagger da sind, aber da sind keine. Samstags arbeiten Bauarbeiter nicht, erkläre ich. Das Kind fragt, ob Züge fahren. Ja, sage ich, Züge fahren. Wir gehen runter an die Alster, dann unter der Brücke durch zur Kunsthalle und gucken erstmal auf die Gleise. Da kommen Züge! Großer Zug! Weißer Zug! Roter Zug! Doppeldeckerzug! Dann gucken wir die Riesenspinne an. Das Kind zögert kurz, ich erkläre, dass das keine echte Spinne ist, und dass sie nicht laufen kann. Große Bünne, keine echte Bünne, sagt das Kind, kann nicht laufen. Keine echte Bünne. Große Bünne. Kann nicht laufen. Er wiederholt das zwar einige Male für sich, hat aber ansonsten offenbar keine Angst.
Als wir auf ein am Straßenrand parkendes Polizeiauto zugehen, macht es das Blaulicht an. Nur für uns. Wir gehen hin, die nette Polizistin fragt, ob das Kind mal im Polizeiauto sitzen möchte. Das Kind möchte das auf keinen Fall, auch nicht mit mir zusammen. Das Kind möchte Züge gucken. Außerdem teilt es mir mit, dass seine Nase laufe und es sie gerne geputzt haben möchte. Ich putze ihm die Nase, wir gehen auf die nächste Brücke, direkt hinterm Bahnhof, wo dauernd Züge drunter herfahren, und gucken eine Weile. Mir wird kalt, es ist ganz schön windig. Das Kind ist kaum vom Brückengeländer wegzubekommen, noch ein Zug! Da! Zug! Und dann: kommt noch ein Zug? Ja, sage ich, da kommen immer Züge.

Auf der anderen Seite der Brücke frage ich, ob wir noch in den Bahnhof gehen wollen, wo ganz viele Züge sind, und wo es ein bisschen wärmer ist, oder lieber nach Hause. Nach Hause, sagt er. Wir haben noch gar kein Eis gegessen, sage ich, da marschiert das Kind los, Richtung Bahnhof, im Slalom um Junkies, Punks und Penner herum, und bleibt vor einer Bäckereitheke stehen. Schokoeis!, ruft er. Aber beim Bäcker gibt es kein Eis, wir gehen die Treppe hoch zu Edeka. Das einzige erkennbare Schokoeis ist ein Magnum. Das will er. Das ist aber ein riesiges Eis, sage ich, das teilen wir uns besser, ja? Ja, sagt er. Schokoeis, sagt er.
Wir setzen uns mit dem riesigen Eis auf eine Treppe, weil nirgends Sitzgelegenheiten sind und ein so kleines Kind unmöglich im Gehen ein so großes Eis essen kann. Keine drei Minuten später kommt die Polizei und sagt, dass wir dort nicht sitzen sollen. Immerhin sagen sie uns auch, wo es Bänke gibt.
Das Kind braucht bestimmt fast eine halbe Stunde, um das ganze Magnum aufzuessen. Hochkonzentriert, unglaublich geduldig und beharrlich und erstaunlich unfallfrei. Ich frage ein paarmal nach, ob ich mal abbeißen darf, weise darauf hin, dass wir uns das Eis doch teilen wollten – keine Chance.
Als er mit dem Eis fertig ist, gucken wir noch ein bisschen auf die Züge runter. Kommt noch ein Zug? Ja, es kommt noch ein Zug. Es kommt immer noch ein Zug. Fährt weg! Ja, der Zug fährt weg. Guck, da kommt ein neuer. Großer Zug! Doppeldeckerzug! Kommt noch ein Zug? Ich glaube, er hätte noch Stunden dort stehen können.
Insgesamt waren wir zweieinhalb Stunden unterwegs. Seine Eltern berichten, er spreche seither quasi von nichts anderem. Zweieinhalb Stunden finde ich ganz schön viel für so einen kleinen Mann, der mich eigentlich kaum kannte. Das ist jetzt zwei Wochen her, morgen hole ich ihn wieder ab. Er hat mich nämlich wieder angerufen und das praktisch allein mit mir verabredet. Meiiine Isa! Meine Patentante! Ein Auuusfluuug! Am Sonntag!
Mal sehen, was wir machen, vielleicht gehen wir Züge gucken. Vielleicht fahren wir ein bisschen mit einem Zug, hoch oben am Hafen entlang, das wird bestimmt toll.
Kommt noch ein Zug? Ja. Es kommt immer noch ein Zug.

Das ist keine großartige Geschichte. Aber es ist so großartig, wenn man Menschen so einfach glücklich machen kann. Züge, Eis, fertig. Kind glücklich. Wundervoll.

31 Kommentare

  1. Maximilian Buddenbohm Samstag, 10. März 2012 um 21:44 Uhr [Link]

    Ich: „Sag mal, hast du eigentlich einen Lieblingsfreund? Oder eine Freundin?“
    Sohn II: „Nur Isa ist mein Freund!“

  2. adelhaid Samstag, 10. März 2012 um 21:50 Uhr [Link]

    *made my day*

  3. Sven Samstag, 10. März 2012 um 21:51 Uhr [Link]

    U-Bahn fahren. Vorne, beim U-Bahnfahrer sitzen. Züge, Hebel und Knöpfe gucken.
    Immer zwei paar Socken und eine Mütze mitnehmen.
    Weil (Achtung, Brüller), es kann zügig werden beim Züge gucken.

  4. Christiane Samstag, 10. März 2012 um 21:54 Uhr [Link]

    Und wenn die Züge (so in 4 Jahren vielleicht) mal langweilig werden, dann geht Ihr zum Hafen, oder?? Siffe gucken geht auch immer… ;-)

  5. Isabel Bogdan Samstag, 10. März 2012 um 21:56 Uhr [Link]

    Ich plane, morgen vielleicht mit der U3 zum Hafen zu fahren. Zug fahren und Schiffe gucken. Knaller.
    Außer er will wieder zur großen Bünne, das kann ja auch passieren.

  6. Kathrin Samstag, 10. März 2012 um 22:02 Uhr [Link]

    Züge, große Züge, Doppeldecker Züge… jawohl dass kenne ich nur ist unser Bahnhof nicht so schön und es ist so herrlich zu lesen, wie schnell man kleine Jungs glück machen kann! :-))) Mein Sohn liebt es auch mit Papa loszuziehn

  7. Dette Samstag, 10. März 2012 um 22:04 Uhr [Link]

    oder mit dem Zug zum „Flugzeuge“ schauen

  8. Anne Samstag, 10. März 2012 um 22:12 Uhr [Link]

    Ich stimme zu: U-Bahn-Fahren ganz vorne ist super. Aber dann muss natürlich das Fensterchen zum U-Bahn-Fahrerhäuschen auch offen sein, sonst kann man nicht gucken.

    Gucken ist generell super.

  9. Gucken Sie mal « Herzdamengeschichten Samstag, 10. März 2012 um 22:22 Uhr [Link]

    [...] drüben schreibt die Patentante von Sohn II über Sohn II. Gute Patentante. Amazon.de [...]

  10. Steffen Samstag, 10. März 2012 um 22:32 Uhr [Link]

    Der Neffe (5) kennt bisher zwei Punkte der Stadt: die Spielwarenabteilung im Kaufhaus am Bahnhof und die Stadtbahnstrecke, bei der die Bahn unterirdisch startet und oberirdisch endet. Das reicht für 5 vergnügliche Stunden. Und das liegt nicht an der Stadt. Hannover.

  11. Stefan Samstag, 10. März 2012 um 22:40 Uhr [Link]

    Freue mich schon auf die Klassenfahrt. Statt Züge sind es dann vielleicht Robben. Und du musst mir auch nicht die Nase putzen…

  12. Frische Brise Samstag, 10. März 2012 um 23:03 Uhr [Link]

    Hach!
    Großer Knieperalarm!

  13. Angie/Berlin Samstag, 10. März 2012 um 23:08 Uhr [Link]

    Es ist so wunderbar, sich auf die kleine große Welt der Kinder in diesem Alter einzulassen. Zu beobachten, mit welcher Intensität sie das Erleben erleben..(das ist kein Vertipper, sondern Absicht)

    Ich erinnere mich heute noch.. der erste Weg nach dem Einsteigen in die U-Bahn, letzte Tür..der Weg zum Kabuff des Schaffners, der dort ein Sitzplätzchen hatte und beobachten konnte, was vorn passierte. Natürlich wenn der letzte Wagen vorne war. War er hinten, prügelten sich die Kinder fast darum, dort sitzen zu dürfen. Weil es hinten keeinen Schaffner gab…

    Zurück zu Sohn II, ich finde dass genau das, die Kinder die Welt entdecken zu lassen, den Erwachsenen heute nicht mehr möglich ist, denn in der Frühförderung fängt es an, dass die erwachsenen den kindern die Welt präsentieren, vorentscheeiden also, was für Kinder wichtig.. naja.
    Gute Patentante, wird in Erinnerung bleiben, als die die die Bünne besiegte.

  14. Armin Auth Samstag, 10. März 2012 um 23:11 Uhr [Link]

    Wunderschön. Rührend, wie so kleine Zwerge ihre Zuneigung und Begeisterung zeigen, auch wenn es für die „großen“ an sich gar nicht so besonders gewesen wäre. Züge? Züge, aber hallo!

  15. MonikaZH Samstag, 10. März 2012 um 23:27 Uhr [Link]

    beste Patentante ever, die Frau Isa. Einfach geschehen lassen. Super.

  16. Kat Sonntag, 11. März 2012 um 07:39 Uhr [Link]

    Dann müssen wir uns im Sommer wohl mal zu viert treffen, was? Züge gucken mit allemann.

  17. Jennie Sonntag, 11. März 2012 um 09:52 Uhr [Link]

    Schöne Geschichte, Isa. Ich musste ein bisschen weinen beim Lesen (und auch wenn wir wissen, dass das schnell geht bei mir, isses im Gegensatz zur Merci-Werbung hier berechtigt). Hast du schön erlebt und schön geschrieben.

  18. Wortschätzchen Sonntag, 11. März 2012 um 10:36 Uhr [Link]

    Doch, das ist eine großartige Geschichte.

  19. Spyri Sonntag, 11. März 2012 um 11:26 Uhr [Link]

    :‘)

  20. webharvey Sonntag, 11. März 2012 um 12:20 Uhr [Link]

    Hach, kenn ich. Meiner ist schon größer (12). Gehe gleich ihm beim Handball spielen zugucken. Patenonkel hat Spaß und er freut sich.

  21. saxana Sonntag, 11. März 2012 um 12:26 Uhr [Link]

    Warum trägt Sohn II so einen großen Rucksack?

  22. Isabel Bogdan Sonntag, 11. März 2012 um 12:30 Uhr [Link]

    Das habe ich mich auch gefragt. Sein Vater meinte wohl, er würde alles mögliche brauchen, etwas zu trinken, Äpfelchen, Schnuller, frische Windel. Ich habe ihm x mal angeboten, den Rucksack zu tragen, aber das wollte er nicht. Gebraucht haben wir nichts davon. Wahrscheinlich bin ich doch eine schlechte Patentante, ich bin gar nicht auf die Idee gekommen, da etwa rauszuholen und zu konsumieren. Wir waren zu sehr mit Zügen und Spinnen beschäftigt.

  23. Maximilian Buddenbohm Sonntag, 11. März 2012 um 13:32 Uhr [Link]

    In der Regel besteht das Kind bei Ausflügen auf dem Rucksack. Weil größere Kinder ja auch so etwas tragen.

  24. Isabel Bogdan Sonntag, 11. März 2012 um 13:35 Uhr [Link]

    Ah. Ich dachte, größere Kinder trügen sowas nicht bei Ausflügen, sondern wenn sie in die Schule gehen. Aber mit dem Rucksack kann man natürlich auch super so rumschlenkern, jedenfalls schien er Spaß mit dem Ding zu haben.

  25. Frau Nilsson Sonntag, 11. März 2012 um 16:30 Uhr [Link]

    Hach. Schön!

  26. zwillingspapi Sonntag, 11. März 2012 um 18:24 Uhr [Link]

    es geht nichts über eine Brücke über Bahngleise… ;-) kennen wir auch. Sonntags ist leider weniger los.

  27. Vorspeisenplatte » Blog Archive » Und auch dieser Samstag und Sonntag waren ein Wochenende Montag, 12. März 2012 um 06:35 Uhr [Link]

    [...] es natürlich auch. So hat Isa einen Ausflug mit ihrem zweieinhalbjährigen Patensohn gemacht und berichtet aufs Wundervollste. die [...]

  28. Croco Montag, 12. März 2012 um 09:33 Uhr [Link]

    …und der Rucksack hat ein Krokodil drauf.
    Bin begeistert :-)

  29. Schwedenhausfan Montag, 12. März 2012 um 11:28 Uhr [Link]

    Darf ich mal ganz frech und unverschämt fragen, warum dich dein Patenkind kaum kennt? Bis wir angefangen haben zu bauen (und so soll es nach der Hausfertigstellung auch wieder werden) war unser Patenkind mind. alle 4 Wochen bei uns (mit Übernachtung etc). Für uns gehört er regelrecht zur Familie.

    So oder so: eine echt schöne Geschichte und wirklich süß geschrieben :)

  30. Pia zum Bansen Montag, 19. März 2012 um 14:23 Uhr [Link]

    ich habe freitagnacht mit einem mann verbracht.

    wir trafen uns am nachmittag (also bitte, wir waren uns bereits vorgestellt worden), waren kurz einkaufen, woraufhin er nicht mehr ganz so überzeugt war, dass ein besuch in meiner wohnung wünschens- und ja, erstrebenswert sei… nun ja, ich konnte nur unter widrigkeiten seine hand halten und ihn zum mitkommen bewegen. auf dem weg verweigerte er mir nicht nur die zuneigung, nein, auch das brave folgen. ja, wir hatten dispute, die in der öffentlichkeit ausgetragen werden mussten und durchaus auch in dem heimischen treppenhaus fortgeführt wurden.

    ich gewann.

    aber mag man das als gewinn bezeichnen? es gab tränen, er musste „handgreiflich“ an sein versprechen dieses „dates“ erinnert werden, er wurde in die wohnung gelockt und letzlich mit pasta bei kerzenschein „mürbe“ geklopft. oh nein, es gab keine körperlichkeiten, die er nicht wollte… sogar das zähneputzen ging problemlos vonstatten…
    so lagen wir also in einem bett, meinem himmelbett, und erzählten uns geschichten. ich berichtete von abenteuern zur see, er offenbarte mir seine handhabung möglicher eigener kinder, die man problemlos vor der tür ablegen könne (sofern man ihnen eine decke bringe). die brutalität dieses charakterzuges hätte mich stutzig machen sollen, ich aber wertete sie (und tue dies noch immer) als arglosigkeit. nein, schlafen wollte er nicht, unmöglich! nun an schlaf zu denken.
    verständlich.
    aber wer kennt nicht das gerede eines tapferen helden, der bei entsprechender behandlung entspannt und … ja, verdammt! schläft?!
    ich lege mich neben ihn, er liegt da in seinem pyjama,
    „entblättert“, ausgebreitet wie ein offenes buch (!) und gibt laute von sich. das tiefe schnurfeln des entspannten tiefschlafs (mit leichter erkältungsnase), ein ganz warmes, ein ganz menschliches und vollkommen appetitliches geräusch. es ist ein fest, mich neben ihn legen zu dürfen, ein fest, dass er im laufe der nacht näherrückt und seinen kopf an meinen drückt. wir schlafen. es ist warm, das bett, mein himmelbett ist der gemütlichkeitshit, .. wir schlafen. gegen halb 8 beginne ich unbewusst zu lauschen, denn sein tiefschlaf-schnurfeln wird unruhiger und greift nach der realität. um 8 etwa bin ich ihm zugewendet, er schnurfelt und dreht und reckt sich, und als ich ihn anlächle und „guten morgen“ sage, ist er da. ganz wache augen, und er lächelt, da ist keine angst, da ist keine fremdheit, da ist nur die bitte nach „melch“. die er kriegt. in einer flasche, dann darf er umziehen auf die couch, mit bettdecke wie eine grosse blaue wolke, die „melchflasche“ im arm und „peter und der wolf“ am samstagmorgen. beide, tante und neffe, im schlafanzug, sich auch so kennenlernend, den eltern auch damit später einen ausweg kreierend. bela!!

  31. Isabel Bogdan Montag, 19. März 2012 um 15:01 Uhr [Link]

    Hach. Da möchte man sich ja gleich dazulegen und mitschnurfeln.

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