Käpt’n Isa auf hoher See. Mein erstes Mal.

Janee, nicht, was Ihr denkt. Ich weiß doch, was Ihr denkt. Ihr denkt, ich wäre zum ersten Mal mit dem Boot auf hohe See gefahren, also: selbst gefahren.
Bin ich aber gar nicht. Ich bin mit einem Schiff namens „Funny Girl“ nach Helgoland gefahren, also: nicht selbst gefahren, sondern habe mich fahren lassen. Was erstmal ein Glück war, denn es war gar nicht klar, ob das Schiff überhaupt fährt, bei dem Wind, bei den Wellen. Vier Meter Wellenhöhe, das ist nämlich nicht nichts. Das ist vielmehr ziemlich viel. Und Funny ist es auch nicht.
Aber mir macht es nichts aus, ich bin seefest, ich war noch nie seekrank, ich habe mich immer ein bisschen über Seekranke lustig gemacht und gefunden, sie sollen sich nicht so anstellen. Ich habe eher noch hurra geschrien, wenn es Wellen gab und ordentlich schaukelte. Das beste Mittel gegen Seekrankheit, habe ich immer behauptet, seien Gummibärchen, was auch ungefähr stimmt oder zumindest nicht ganz falsch ist: Kauen ist gut, weil dabei das Gleichgewichtsorgan im Ohr stimuliert wird und dadurch irgendwie besser mit dem Schwanken zurechtkommt.
Aber bei vier Metern Wellenhöhe in der Funny Girl halfen nicht mal Gummibärchen. Da half gar nichts mehr. Da fing einer nach dem anderen an zu spucken, meine Begleitung gleich mit dabei, und irgendwann konnte ich mich dem Gruppendruck dann auch nicht mehr entziehen. Dabei war mir nicht mal besonders übel, ich musste halt nur spucken. Und dann war ich plötzlich total schwach und konnte mich kaum rühren, ich saß da und habe hochkonzentriert auf den Horizont gestarrt, stundenlang, weil das helfen soll, und mir eingeredet, dass es besser würde. Als die jungen Männer kamen und am Tresen Würstchen und Bier bestellten und zum vierten Mal das Wort „Bier“ und zum achten Mal das Wort „Würstchen“ laut aussprachen, bis einem einfiel, er könnte auch noch ein paarmal das Wort „Hackepeterbrötchen“ hinterherschieben („Oder kumma hier, Hackepeterbrötchen! Sieht au lecka aus!“), da wären wir gern aggressiv geworden, hätten wir die Kraft dazu gehabt. Stattdessen spuckten wir.
Ich nur ein bisschen, die reizende Begleitung allerdings konnte gar nicht mehr damit aufhören, ihr ging es richtig übel, sie spuckte und spuckte und füllte Tüten, die netten Damen von der Besatzung kamen und sagten „Die Tüten bitte gut zurollen“ und nahmen sie mit und brachten neue Spucktüten und brachten Küchentücher und Servietten zum Mundabwischen und einen kalten Lappen zum Aufdiestirnlegen und sagten ihr, sie solle sich hinlegen. Ich konnte mich gar nicht um meine Freundin kümmern, weil ich selbst viel zu elend war und zu schwach und Kreislauf hatte und schwitzte und fror. Aber alles nicht halb so wild wie sie, sie hatte Schüttelfrost, und die Damen von der Besatzung kamen immer häufiger vorbei und guckten sie besorgt an, während ich leise in meine Tüte spie.

Aber irgendwann ist so eine Fahrt ja doch mal zu Ende, und wir kamen an und fielen in ein wunderbares, herrliches Hotelbett und schliefen auf der Stelle ein und schliefen zwei Stunden tief und fest. Dann war alles besser, und wir haben nichts mehr gemacht, nur noch zu Abend gegessen und wieder früh ins Bett. Nach dem Essen schwankte plötzlich wieder alles, aber das hörte dann auch wieder auf, und morgen wird alles super, wir gehen Helgoland erkunden und die Sonne wird scheinen und vielleicht setzen wir zur Düne über und dann wollen wir doch mal sehen, wer da seekrank wird. Wir jedenfalls nicht! Ahoi.

3 Kommentare

  1. Gaga Nielsen Sonntag, 12. Dezember 2010 um 12:25 Uhr [Link]

    Ein sehr gelungener Erlebnisaufsatz. Isa versteht es besonders die Details anschaulich zu beschreiben und den Leser mit auf ihre Reise zu nehmen. Mir ist jetzt ein bißchen komisch, aber das wird schon wieder! Kommt mir alles bekannt vor, auch die felsenfeste Überzeugung niemals seekrank zu werden, lächerliche Landratten-Unpässlichkeit. Was mir in ähnlicher Situation (allerdings nur mäßiger Seegang im Nordpolarmeer, was aber von Hause aus schon irgendwie mehr schwankt) besonders unangenehm war, dass man den Mitreisenden, die gerade nicht in der gleichen Situation sind, keinen schönen Anblick bietet.

  2. Isabel Bogdan Sonntag, 12. Dezember 2010 um 16:00 Uhr [Link]

    Ach, in dem Fall waren die Mitreisenden zum größten Teil hinreichend mit sich selbst und ihren respektiven Tüten beschäftigt und dürften sich weniger mit meinem Erscheinungsbild befasst haben.

  3. matzoman Mittwoch, 15. Dezember 2010 um 09:12 Uhr [Link]

    Hackepeterbrötchen!

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